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Der Soziale Raum

Unter dem "Sozialen Raum" versteht Boudieu die objektiv erfaßbaren Lebensbedingungen und die daran gebundenen/darin enthaltenen Wertvorstellungen, wie sie jeder Mensch für sich selbst in seinem Lebensraum seit Beginn seiner Wahrnehmung erfährt. Ihm weist Bourdieu hohe Bedeutung zu, da er das prägende Element im Heranwachsen eines Jeden darstellt, einen "konditionierenden Effekt" ausübt. In seiner Eigenart wird der soziale Raum von Bourdieu auch als "strukturierende Struktur" bezeichnet (siehe Schaubild Nr. 1), da die ihm inhärente Struktur durch die Konditionierung strukturierend auf das Individuum einwirkt. Näheres dazu bei der Erläuterung des Habitus. Zu erwähnen bleibt noch, daß der soziale Raum eines Individuums auch durch die soziale Lage, Klasse oder das Milieu spezifiziert werden kann, deren besondere Bedingungen und regulative Mechanismen in Verhalten und Urteil des Individuums wiederzuerkennen sind. Da der Mensch bereits vor der Geburt im Einfluß seines Umfeldes steht, und dieses Umfeld, einschließlich der zeugenden Mutter, sich bereits in seiner besonderen Eigenart (dem feinen Unterschied) präsentiert (Laute, Rhythmen und Melodien, emotionales Engagement, Bewegungen etc.), beginnt der konditionierende Einfluß bereits im Bauch der Mutter (Ergänzung des Referenten).
 

Die Klasse

"Objektive Klasse und mobilisierte Klasse dürfen nicht verwechselt werden. Bei letzterer handelt es sich um das Ensemble von Akteuren, die auf der Grundlage homogener vergegenständlichter oder inkorporierter Eigenschaften und Merkmale sich zusammengefunden haben zum Kampf um Bewahrung oder Änderung der Verteilungsstruktur der vergegenständlichten Eigenschaften."
(S. 175)

 Dies soll letztendlich aussagen, daß die mobilisierte Klasse eine zeitlich begrenzte Erscheinung im Sinne einer Kampfhaltung gegenüber einer als inakzeptabel empfundenen Bedingung darstellt, in der sich Menschen zusammenfinden, die ihre Klasse durch gleiche Interessen gegenüber dieses Mißstandes definieren oder von Außen definiert bekommen, die jedoch in ihrer privaten oder sonst üblichen öffentlichen, beruflichen Haltung und Lebensweise nicht einheitlich sein müssen. Der Erhalt dient dem stark begrenzten Zweck. Die "Objektive Klasse" hingegen sieht in ihrem Streben den Erhalt der eigenen inhärenten Identität. Zwar kann auch sie zeitlich begrenzt sein, das heißt über die Zeit neue Einflüsse verarbeiten oder gar aussterben, kann jenes Verschwinden auch mit solch speziellen Mißständen, wie z.B. der existenziellen Bedrohung eines Berufszweiges zusammenhängen, doch ist ihre Struktur viel komplexer gestaltet, bezieht sie in ihre Identität eine Vielzahl von Faktoren ein, wie sie ein vollständiges Existieren in einer gewissen gesellschaftlichen Position, einschließlich Beruf, Religion, Erziehung und dergleichen ermöglichen.

 Da jene objektive Klasse derart komplex gestaltet ist und sich durch die Vielzahl von oft auch verwirrenden, gar fälschlich vorgehaltenen Ausdrücken nur schwer in ihrer Grundhaltung erfassen läßt (Realdefinition - Nominaldefinition), beschreibt Bourdieu seine Forschungsbemühungen folgendermaßen: "Hinter der Entscheidung, die Befragung auf alle Konsumbereiche - materielle wie kulturelle, legitime wie illegitime - auszudehnen, die Geschmacksurteilen unterliegen (Küche und Malerei, Kleidung und Musik, Film und Inneneinrichtung), stand die Erwartung, damit genau über die Instrumente zur Analyse des Zusammenhangs zwischen den gemeinhin als ästhetisch behandelten Einstellungen und dem System der den Habitus konstituierenden Dispositionen zu verfügen." (S. 171) Damit deutet Bourdieu bereits auf die Frage hin: Wenn also Individuen in sozialen Räumen und somit in objektiven Klassen existieren, wie bedingen sie sich systematisch, warum hat sich dieser Mechanismus durchgesetzt und erhalten? Ein wenig ist auf diese Frage bereits eingegangen worden. Der Habitus soll nun als Bindeglied das System vervollständigen.
 

Der Habitus

"Der Habitus ist Erzeugungsprinzip objektiv klassifizierbarer Formen von Praxis und Klassifikationssystem dieser Formen." (S. 277) Er erzeugt also Formen des Verhaltens und der Wertung. Diese entstehen nicht willkürlich, sondern durch Einfluß des sozialen Raumes. So wie der jedem Individuum inhärente Habitus durch den sozialen Raum strukturiert wird, strukturiert er selbst anhand jener Strukturierung Systeme der Erzeugung von Verhalten (Praxisformen) und Bewertung (Geschmack). Er ist also strukturierte und strukturierende Struktur in einem (S. 279). Zwei Punkte lassen sich daraus erkennen:

 Bourdieu geht in den bearbeiteten Kapiteln nicht auf das Verhältnis zwischen Genetik und Konditionierung ein, doch wird aus seinen Forschungen deutlich, daß die große Übereinstimmung in Verhalten und Geschmack innerhalb gleicher kultureller und ökonomischer Verhältnisse zugunsten eines zumindest sehr starken, anscheinend nicht von individueller Persönlichkeit überarbeiteten gesellschaftlichen Einflusses, inkorporiert als Habitus, entscheidet. Gegenbeispiele seien unter Vorsicht gewählt, denn bei der Suche nach dem Habitus geht es nicht darum, ob z.B. sich jemand die Haare rot, grün oder gelb färbt, sondern ob jene Färbungen gemäß den durch den Habitus erzeugten Bewertungsschemata geduldet werden können. Ein Ausdruck für sich kann also nicht als entscheidendes Kriterium herhalten. "Eine Klasse ist vielmehr definiert durch die Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen..." (S. 182) Alle Ausdrücke stehen in komplexer Verstrickung zueinander, deren Gesamterscheinung durch ihre Einhaltung von oder ihren Verstoß gegen den Klassengeschmack über die Zugehörigkeit entscheidet.
 

Schaubild Nr. 1 (31 kB)

 In diesem Schaubild nicht unbedingt ersichtlich, doch von großer Bedeutung ist der generative Effekt dieses Systems: Da der soziale Raum seine Formen von Praxis und Bewertungsschemata auf das Individuum überträgt, dieses Individuum, sich seines Habitus nicht bewußt, seine Formen von Praxis und seine Bewertungsschemata als bewußt gewählt betrachtet (Kooptationseffekt), somit nachdrücklich sich selbst, als Vertreter seines Habitus, in die Klasse, also seinen sozialen Raum einbringt, fördert er diesen in seiner Eigenart, so daß der Habitus der Klasse erhalten bleibt. Der Habitus produziert den Habitus.
 

Die Dreidimensionalität des sozialen Raumes

Bourdieu spricht von drei Grunddimensionen (S. 195): Kapitalvolumen, Kapitalstruktur und zeitliche Entwicklung (ausgedrückt in der sozialen Laufbahn - chronosophisch).

 Auf den Effekt der sozialen Laufbahn, also die Beeinflussung der eigenen Position durch den Neigungswinkel des Auf- und Abstiegs (als Erfahrungswert), geht Bourdieu nur theoretisch ein, eine Real-Analyse anhand der Gesellschaft bleibt insofern aus, daß Bourdieu nicht mit allgemeinen Schematas aufweisen kann. Seine Beispiele gehen allerdings ausreichend darauf ein. Demnach gibt es zwei Möglichkeiten des Auf- und Abstieges:

Die Vertikal- bzw. Transversalverlagerung hat nicht nur folgen, sondern natürlich auch einen Raum, der von den anderen beiden Dimensionen aufgespannt wird. Unter Kapital wird hierbei einfach das Vermögen von etwas verstanden. Die zwei Formen, welche Bourdieu als relevant ansieht, sind das kulturelle und das ökonomische Kapital. Ihr anteiliges Vorkommen bestimmt die Struktur, der Gesamtanteil das Volumen. Im Anhang zeigt das Schaubild Nr. 2 die entsprechende Anordnung der Kapitalsorten in der Gesellschaft (260 kB). Die erwähnten Beispiele entstammen der institutseigenen Forschung, als auch analysierten Erhebungen anderer Institute und sollen durchschnittliche Neigungen als Veranschaulichung der gravierenden Unterschiede, als auch der Ähnlichkeiten zwischen objektiven Klassen in Frankreich dienen. Auffällig dabei ist die chiastische (X-läufige) Struktur der Kapitalverteilung, das heißt der gegensätzliche Verlauf der Zunahme des kulturellen und des ökonomischen Kapitals. Bourdieu stellte fest, daß es unter den Klassen sehr unterschiedliche Interessen gäbe. Obwohl manche Klassen es sich finanziell leisten könnten, pflegen z.B. die Unternehmer wenig kulturelle Werte, legen sie mehr Wert auf materielles, während z.B. Hochschuldozenten ihr Geld weniger am Markt investieren und eher für kulturelle und soziale Bedürfnisbefriedigung einsetzen. Ärmere Klassen unterliegen dem sogenannten Notwendigkeitsgeschmack, das heißt, sie können nur zu einem gewissen Grad investieren und identifizieren sich mit dem Erreichbaren. Doch auch unter ihnen ist der Anteil kulturellen oder ökonomischen Kapitals deutlich differenziert.
 

Zur Kritik

Bourdieu entgeht geschickt relevanten Frageansätzen zur Beweisung seiner Theorie gegenüber anderen. Da er auf den Konflikt von veranlagten und konditionierten Charakteranteilen nicht explizit eingeht, läßt sich auch nicht um seine Aussagen streiten. Das Prinzip des Habitus gilt nicht individuell, sondern für das Individuum in der Gesellschaft. Solche Ausrichtungen sind seit langem in der Gesellschaft anerkannt. Ob seine empirischen Arbeiten sich wiederholen lassen, andererorts zutreffen, steht durch die Auswahl Frankreichs zu einem gewissen Zeitraum als Raum mit eingegrenzter Allgemeingültigkeit nicht zur Debatte. Eine empirisch festgestellte Veränderung würde sein Modell nicht angreifen können, da der Habitus als unbewußte und zumindest gewissenteils wandlungsfähige Struktur in die neuen Ergebnisse wieder eingebaut werden kann. Ob Bourdieu tatsächlich etwas nicht direkt angreifbares, da Richtiges oder nur taktisch gut Ausgeführtes, entdeckt hat, kann also nur die eigene Erfahrung des kritischen Beobachters belegen. Daher möchte auch ich mich der Kritik entziehen und jeden auffordern, sich diesen Teil selbst zu schreiben.