#!/usr/bin/perl print qq§Content-Type: text/html §;

Inhalt:

 

 

1. Einleitung

2. Deutschland - eine "real-existierende" multikulturelle Gesellschaft?

3. Deutschland – ein unerklärtes Einwanderungsland?

3.1 "Deutschland ist kein Einwanderungsland"

3.2 "Einwanderungs- statt Ausländerpolitik"

4. Multikulturalismus als Streitfrage

4.1 "Radikaler" Multikulturalismus

4.2 Gemäßigter Multikulturalismus

4.3 Anti-Multikulturalismus

4.4 Kritik am Multikulturalismus

5. Fazit

6. Literaturangaben

 

 

1. Einleitung 

Die Vorstellung einer multikulturellen Gesellschaft wird von ihren Konstrukteuren als Konzept gesehen, um das Zusammenleben mit Zuwanderern unter Respektierung deren kultureller Identität zu gestalten. Sie wird als eine Alternative zu einer auf Assimilation ausgerichteten Politik verstanden und erteilt dem Gedanken der "Festung Europa" eine Absage.

Der Begriff des Multikulturalismus ist, seit er 1980 erstmals in Deutschland auftauchte und vor allem durch Heiner Geißler seit 1983 als Perspektive für die bundesdeutsche Gesellschaft propagiert wurde, kontrovers diskutiert worden. Die vorliegende Arbeit hat es sich zum Ziel gesetzt, die Grundpositionen, die sich in der Diskussion um das Konzept der "multikulturellen Gesellschaft" herauskristallisiert haben, herauszuarbeiten, analysierend darzustellen und sie verschiedenen politischen Richtungen zuzuordnen.

Es soll zunächst auf die unterschiedlichen Meinungen zu der Frage eingegangen werden, ob Deutschland bereits eine multikulturelle Gesellschaft ist und ob man es als Einwanderungsland anerkennen sollte. Auch die Frage, ob es überhaupt eine monokulturelle Gesellschaft geben kann, soll hier diskutiert werden.

Im Hauptteil folgt eine Darstellung der verschiedenen Positionen zum Begriff "Multikulturalismus". Von den radikalen Befürwortern dieses Konzepts (vor allem aus den Reihen der GRÜNEN), die eine Politik der offenen Grenzen und eine deutliche Abkehr vom völkisch-nationalen deutschen Ausländerrecht fordern, wird übergegangen zu gemäßigteren Unterstützern der multikulturellen Idee. Diese rekrutieren sich vor allem aus dem Lager der SPD, aber auch von Seiten der FDP und CDU, und vertreten beispielsweise Forderungen nach

einer Einwanderungsgesetzgebung, die mit Kontingenten und Quoten arbeitet. Auch hier soll das überkommene "ius sanguini" durch ein "ius soli" ergänzt werden und die doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt werden. Die Argumentation der Befürworter ist unterschiedlicher Natur, sowohl moralisch, pädagogisch wie auch ökonomisch motiviert.

Aber auch Kritiker, die den Multikulturalismus als verharmlosende Ideologie ansehen, werden zu Wort kommen, genau wie gemäßigte und radikale Gegner der multikulturellen Gesellschaft aus dem Lager von CDU/CSU und nationalkonservativen Kreisen. Diese halten am Grundsatz "Deutschland ist kein Einwanderungsland" fest. Sie sehen, ausgehend von ihrem Verständnis von Deutschland als homogener Nation, die Einwanderer nicht nur als Gefahr im ethnisch-kulturellen, sondern auch im sozial-ökonomischen Sinne. Wenn überhaupt wird eine weitgehende Assimilation von Einwanderern als Voraussetzung für ihre Einbürgerung wird propagiert. Auch werden, wie z.B. von Bayerns Ministerpräsident Stoiber, gar Schreckensvisionen von einer "durchraßten Gesellschaft" kultiviert.

 

2. Deutschland – eine "real-existierende" multikulturelle Gesellschaft?

Bei der Frage, ob die "multikulturelle Gesellschaft" in Deutschland bereits existiert, gehen die Meinungen auseinander. Einige sehen sie als gesellschaftliche Realität an, andere als Programm, als einen Zustand der angestrebt werden muß, der aber noch lange nicht verwirklicht ist, wieder andere als bloße Utopie.

 

Mehrere Autoren sehen in Deutschland die multikulturelle Gesellschaft bereits als existent an. So bringt Caroline Robertson-Wensauer vor, daß eine monokulturelle Gesellschaft (deren Erhaltung das erklärte Ziel der Gegner des Multikulturalismus ist), in der Realität gar nicht existiert. Sie ist der Ansicht, daß "eine monokulturelle Gesellschaft (...) eine in der heutigen Zeit kaum vorstellbare geschlossene Gesellschaftsform voraussetzen" würde. Daraus läßt sich nur eine Schlußfolgerung ziehen: Angesichts der fortschreitenden europäischen Integration, angesichts von 6,5 Millionen in Deutschland lebenden Ausländern, die sich nicht nur der deutschen Mehrheitskultur anpassen, sondern diese auch durch den Import ihrer eigenen Kultur verändern, ist Deutschland bereits eine multikulturelle Gesellschaft. Auch Claus Leggewie, Politologieprofessor in Gießen, teilt diese Einschätzung und konstatiert "die multikulturelle Gesellschaft haben wir schon". So ist die multikulturelle Gesellschaft vor allem in den Metropolen in Deutschland sehr ausgeprägt, bedenkt man, daß Stuttgart und München einen Ausländeranteil von 21 bzw. 24% aufweisen.

Die Argumente für eine multikulturelle Realität lassen sich generell auf 3 Positionen reduzieren:

Deutschland wurde durch Einwanderungen von Gastarbeitern, durch Aussiedler aus Osteuropa und Flüchtlinge aus der dritten Welt in den letzten Jahrzehnten zur multikulturellen Gesellschaft.

Deutschland ist seit dem letzten Jahrhundert (oder seit jeher; weitere Erläuterungen im folgenden Kapitel) Einwanderungsland, ein Multikulturalismus ist hier demnach historisch gegeben.

Kulturelle Homogenität hat es nie und nirgendwo gegeben, keine Kultur entstand aus sich selbst heraus sondern durch steten Austausch verschiedenster Gruppen miteinander. Jede moderne Gesellschaft ist multikulturell, die deutsche kann somit keine Ausnahme sein.

Anders sieht es aus, wenn man die gegenwärtige Situation in Deutschland mit der idealtypischen Multikulturalismustheorie vergleicht, die von John Rex aufgestellt wurde. Sie sieht unter anderem eine völlige rechtliche Gleichstellung der unterschiedlichen Kulturen und Ethnien vor, somit auch die politische Partizipation von Einwanderern. Da in Deutschland Ausländer jedoch keine rechtliche Gleichstellung mit den Einheimischen besitzen, es sei da nur auf die Differenz zwischen Menschen- und Bürgerrechten und die daraus resultierende politische Unmündigkeit von Ausländern verwiesen, scheint Deutschland somit keine multikulturelle Gesellschaft zu sein. Rex setzt auch eine einbürgerungsfreundliche Politik und eine Förderung der Kultur der Einwanderer voraus – auch dies ist in Deutschland nicht gegeben, wenn man sich die Politik der Bundesregierung vor Augen führt, die eine eher auf Reduzierung und Abschiebung als auf Einbürgerung ausgerichtete Politik verfolgt, genauso wie die im europäischen Vergleich sehr niedrige Einbürgerungsquote in Deutschland. Ebenso sind assimilatorische Tendenzen (beispielsweise durch das Erziehungssystem) hier weitaus stärker ausgeprägt als Bemühungen zum Erhalt der ausländischen Kulturen. Dies wird der starken Dominanz der deutschen Kultur in der Gesellschaft zugeschrieben.

Betrachtet man jedoch andere Multikulturalismus-Definitionen (z.B. Hoffman-Nowotny), der diesen Zustand schon bei dauerhafter Nichtassimilation gegeben sieht, kann man Deutschland durchaus als de-facto-multikulturell bezeichnen. Als Beispiel kann die über 2 Millionen Menschen umfassende Gruppe der Türken herhalten, die trotz teils jahrzehntelangem Aufenthalt ihre ursprüngliche Kultur (bis auf die Sprache) größtenteils beibehalten hat.

Allerdings halten gerade wegen der oben angesprochenen Defizite in Deutschland viele den Multikulturalismus keinesfalls für eine Realität. Die Jungdemokraten sehen es sogar als Versuch der Konservativen an, durch die Bezeichnung Deutschlands als bereits multikulturell einen weitergehenden Strukturwandel in der Gesellschaft zu verhindern. Für sie ist Multikulturalismus Programm, ein Konzept daß erst durch tiefgreifenden Wandel verwirklicht werden kann. Dieser bezieht sich sowohl auf die Mentalität der Bürger als auch auf eine Reform des Ausländerrechts.

Es wird jedoch auch das Argument ins Feld geführt, daß eine Anerkennung der multikulturellen Realität in Deutschland auch eine Verankerung des Multikulturalismus als gesellschaftliche Realität nach sich ziehen könnte. So könne mit den "Lebenslügen" der Politik aufgeräumt werden, die Deutschland noch immer nicht als Einwanderungsland ansieht. Kritisiert wird auch, daß sich der gegenwärtige Zustand in Deutschland eher mit dem Begriff der Koexistenz der verschiedenen Ethnien beschreiben läßt. Gegenseitiger Austausch sei jedoch ein entscheidendes Element des Multikulturalismus, der somit erst geschaffen werden müßte. Diese Sicht des Multikulturalismus als Vision, als Programm, ist in allen Gruppen des linken Flügels zu finden. So stellt Axel Schulte fest, daß in Deutschland zur Zeit allenfalls ein "begrenzter bzw. unterentwickelter Pluralismus" vorliegt. Die Konzepte des Multikulturalismus und Pluralismus müßten somit normativ verstanden werden, als Zielvorstellung und Maßstab zur ständigen Prüfung der Realität.

Konservative Kritiker haben wiederum größtenteils anerkannt, daß die bundesrepublikanische Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten starke kulturelle und ethnische Minderheiten aufgenommen hat und sich durch die millionenfache Zuwanderung verändert hat. Manche benutzen selbst den Begriff der multikulturellen Gesellschaft, auch wenn sie das Modell selbst als den falschen Weg ansehen. Einige Autoren, wie Erwin Scheuch oder F.-O. Radtke sehen den Begriff des Multikulturalismus jedoch nur als "postmodern angemachtes" Schlagwort und schreiben es den Linken zu. Es wird also immer noch von einem homogenen Staatsvolk ausgegangen, von einem Deutschland, daß eine monokulturelle Gesellschaft ist (oder wieder werden muß).

Jan Werner kritisiert den Begriff multikulturell als verharmlosend und schlichtweg falsch. In Deutschland liege kein Austausch zwischen Ausländern und Einheimischen vor, wie ihn der Multikulturalismus fordere, allenfalls eine Koexistenz. Deswegen sei es treffender, von einer "mehrrassigen Gesellschaft" zu sprechen.

 

 

 

3. Deutschland – ein unerklärtes Einwanderungsland?

 

Um eine multikulturelle Gesellschaft verwirklichen zu können, die nicht auf der Assimilation von Minderheiten beruht, scheint zunächst eine formale Gleichberechtigung der Ausländer vonnöten zu sein, damit ihnen eine Chance eröffnet wird ihre Interessen durchsetzen zu können. Ausländer haben in Deutschland jedoch keine Staatsbürgerrechte, d.h. kein Recht zur politischen Partizipation. Eine Einbürgerung zu erlangen, ist mit großen Schwierigkeiten verbunden. Auch die Kinder von Ausländern, die oft in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben, behalten den Ausländerstatus, da die derzeit gültige Gesetzgebung sich noch immer auf das "ius sanguini" gründet, wie es schon im Ausländergesetz von 1913 festgelegt wurde. Anders sieht es bei den Aussiedlern mit deutscher Volkszugehörigkeit aus Osteuropa aus. Sie werden sofort eingebürgert, egal ob sie ein Wort deutsch sprechen oder nicht, eine Diskrepanz auf die von Befürwortern einer Änderung des Ausländerrechts oft (zu Recht) verwiesen wird.

Auch die Reform von 1991 schreibt die bisherige Linie im wesentlichen fort. Zwar wird eine etwaige Ausweisung von länger als fünf Jahre hier lebenden Ausländern erschwert, doch an eine Einbürgerung ist auch weiterhin die Bedingung der Assimilation geknüpft. Auch setzt eine Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit eine Aufgabe der bisherigen voraus – eine doppelte Staatsbürgerschaft ist also nicht vorgesehen (ein Antrag der SPD zur Änderung dieser Situation wurde unlängst im Bundestag abgelehnt) – viele Einwanderer haben dadurch Nachteile in ihren Herkunftsländern, sie verlieren beispielsweise ihre Erbansprüche.

Im Gegensatz zu klassischen Einwanderungsländern wie den USA oder Australien sieht sich Deutschland also, zumindest nach der Linie der Bundesregierung, nicht als Einwanderungsland an. Angesichts des explosionsartig angestiegenen Zustroms von Flüchtlingen aus Osteuropa nach Ende des kalten Kriegs und aus der Dritten Welt, werden Stimmen laut, die fordern, Deutschland faktisch als Einwanderungsland anzuerkennen und die überkommene Ausländergesetzgebung zu einem Einwanderungsgesetz umzugestalten.

 

 

3.1 "Deutschland ist kein Einwanderungsland!"

Die Linie der Bundesregierung ist also eher auf Abwehr von Einwanderern und die Reduzierung der Zuwanderung ausgerichtet. Man geht von einem homogenen Staatsvolk aus, dessen einheitliche Kultur durch den unkontrollierten Zustrom von Trägern abweichender kultureller Identität desintegriert würde. Besonders deutlich wird dies in einem Referentenentwurf aus dem Innenministerium von 1988 zu einem reformierten Ausländerrecht, in dem es heißt:

"Eine fortlaufende Zuwanderung von Ausländern würde die Bundesrepublik Deutschland tiefgreifend verändern. Sie bedeutet den Verzicht auf die Homogenität der Gesellschaft, die im wesentlichen durch die Zugehörigkeit zur deutschen Nation bestimmt wird. Die gemeinsame deutsche Geschichte, Tradition, Sprache und Kultur verlören ihre einigende Wirkung und prägende Kraft."

Eine große Bedeutung kommt, so ein anderer Ansatz zur Verhinderung von Migrationsbewegungen, der Beseitigung der push-Faktoren, sprich der Auswanderungsgründe in den Herkunftsländern der Flüchtlinge zu. Gezielte Wirtschaftshilfe erscheint als probates Mittel, diese Idee wird jedoch in den Regierungsprogrammen nur ansatzweise aufgegriffen.

Der Politikprofesor Hans-Helmuth Knütter stellt eine andere Argumentation vor, um zu verdeutlichen, daß die Bundesrepublik kein Einwanderungsland (zumindest im klassischen Sinne) sein kann. Er zieht einen Vergleich zu den klassischen Einwanderungsländern USA und Australien und räumt dabei ein, daß "Deutschland (...) in seiner Geschichte keine längere Phase erlebt [hat], in der es nicht Ziel von Wanderungsbewegungen war" und verweist auf den Durchzug aus Osteuropa im 19. Jahrhundert, auf die Vertriebenen nach 1945, auf die Flüchtlinge aus der Dritten Welt und schließlich die Gastarbeiteranwerbungen bis 1973. Die Tatsache, daß es eine Zuwanderung gibt, könne jedoch nicht allein maßgeblich für ein Verständnis Deutschlands als Einwanderungsland sein. In den USA, Kanada und Australien hätte bis ins 20. Jahrhundert eine geringe Bevölkerungsdichte vorgelegen, große, dünnbesiedelte Räume wären vorhanden gewesen. Die Länder wären darüber hinaus aufnahmebereit gewesen, es wären dringend Siedler und Handwerker benötigt worden. Diese beiden Voraussetzungen träfen für Deutschland jedoch nicht zu – Zuwanderung sei nur begrenzt wirtschaftlich nötig. Das Land sei dicht besiedelt, freie Siedlungsflächen seien kaum vorhanden. So könne sich der Fremde nicht in der Weite verlieren und es käme zwangsläufig zu Abwehrreaktionen der einheimischen Bevölkerung. Demnach könne man bei Deutschland keineswegs von einem Einwanderungsland sprechen.

 

3.2 "Einwanderungs- statt Ausländerpolitik"

Bei den Befürwortern eines Bekenntnisses zur Einwanderungssituation spielen diese Überlegungen keine Rolle – ausgehend vom erwarteten, noch größeren Zustrom von Wirtschaftsflüchtlingen, habe Deutschland jetzt und in Zukunft die Rolle des de-facto-Einwanderungslandes. Dies zeige sich schon in der Tatsache, daß die in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg angeworbenen "Gastarbeiter" nicht etwa, wie der Name suggeriert, in ihre Herkunftsländer zurückkehrten, sondern sich hier niederließen, also zu Einwanderern wurden. Heiner Geißler verweist sogar darauf, daß Deutschland seit der Antike ein Einwanderungsland ist, daß wir ja alle von Ausländern abstammen.

Es gibt bei den Befürwortern unterschiedliche Strategien, wie eine etwaige Einwanderungspolitik gestaltet werden soll:

eine Politik der offenen Grenzen. Flüchtlinge, egal aus welchen Gründen sie in die Bundesrepublik einwandern, haben ein Bleiberecht, sind mit den Einheimischen gleichberechtigt und können deutsche Staatsbürger werden, auch mit doppelter Staatsbürgerschaft. Es handelt sich hierbei um ein Konzept der GRÜNEN. Diese führen jedoch auch parteiinterne Diskussionen um die Frage, inwieweit ein Zuzug von Ausländern nicht doch auf gewisse Weise begrenzt werden sollte.

Eine Politik der geplanten und kontrollierten Einwanderung, die sich sowohl gegen die Regierungslinie richtet, wie auch gegen das radikale Konzept der "offenen Grenzen". Zuwanderung soll durch Quotierung und Kontingentierung kanalisiert werden. Diese Quoten sollen sowohl nach humanitären wie auch nach ökonomischen Kriterien festgelegt werden. Wirtschaftsimmigranten sollen durch ein Einwanderungsgesetz erfaßt werden, damit soll das Asylrecht von ihrer Inanspruchnahme entlastet werden. Außerdem sollen Maßnahmen zur rechtlichen und politischen Gleichstellung ergriffen werden. Dieses Konzept wird von Teilen der SPD, aber auch von prominenten GRÜNEN-Politikern wie Daniel Cohn-Bendit unterstützt.

Eine Politik der Beseitigung der Migrationsursachen. Erklärtes Ziel ist es hier, die Probleme "an der Wurzel zu packen", also eine Eindämmung der Migration nicht durch Restriktionen oder Quotierungen zu erreichen, sondern durch gezielte Strukturhilfe für die Herkunftsländer die push-Faktoren zu verringern. Zu einer solchen Politik sieht man sich auch aufgrund der Verantwortung der Industrieländer für die Zustände in der Dritten Welt (die zum Teil dem Kolonialismus zugeschrieben werden) verpflichtet. Diese Politik beinhaltet jedoch kein Konzept für den Umgang mit kurzfristigen auftretenden Zuwanderungen, beispielsweise durch Kriege.

 

 

4. Multikulturalismus als Streitfrage

Im Hauptteil der vorliegenden Arbeit sollen nun die Standpunkte der Befürworter und Gegner des Konzepts des Multikulturalismus kritisch beleuchtet werden. Laut Mintzel lassen sich hierbei drei Grundpositionen mit jeweils unterschiedlichen Abstufungen festhalten: radikaler, gemäßigter und Anti-Multikulturalismus (wobei die Grenzen natürlich fließend sind).

Schulte führt noch eine andere Gruppe an, nämlich die Kritiker des Multikulturalismus, die bemängeln, daß das Konzept die Funktion einer "Ideologie" habe.

 

 

4.1 "Radikaler" Multikulturalismus

Hierbei handelt es sich um eine grün-alternative Position. Es wird, wie schon verschiedentlich erwähnt, nicht von einem homogenen deutschen Staatsvolk ausgegangen, vielmehr wird der Multikulturalismus als die Norm in modernen Gesellschaften angesehen – gleichzeitig stellt er aber ein Programm dar, nach dem ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel vollzogen werden soll. Eine Abkehr vom völkisch-nationalen Staatsverständnis ist das Ziel. Die Tatsache, daß Deutschland in den letzten Jahrzehnten verstärkt Einflüssen aus völlig fremden Kulturkreisen ausgesetzt war, wird nicht etwa als Gefahr für die deutsche Kultur verstanden, sondern als Bereicherung, da es historisch gesehen ohnehin nie eine homogene deutsche Kultur gab. Der Multikulturalismus wird als "Chance" begriffen, als überzeugendes Konzept um der anwachsenden Fremdenfeindlichkeit in Deutschland zu begegnen und das Zusammenleben von Einheimischen und Einwanderungsminderheiten zu regeln.

Die Jungdemokraten vertreten darüber hinaus die Ansicht, daß es keinen Assimilationszwang für Einwanderer geben dürfe, sondern das ein steter Austausch angestrebt werden sollte. Multikulturalismus beinhalte die gleichberechtigte Koexistenz der Kulturen, und dies sei schon durch das Grundgesetz gefordert: "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" (Art.2, Abs.1). Dies beinhalte somit ein Recht auf die angestammte Kultur.

Es scheint dennoch eine gezielte Förderung der Kultur der Einwanderer vonnöten, bedenkt man die dominante Stellung der deutschen Mehrheitskultur und ihre assimilatorische Kraft. Eine Gleichberechtigung der Einwanderer ist der entscheidende Schritt, denn hätten Einwanderer erst die Möglichkeit, politisch ihre Interessen zu vertreten, könnte auch der Assimilation zum Teil vorgebeugt werden. Schulte formuliert dieses Konzept der Grundvoraussetzung rechtlicher Gleichstellung der Einwanderer als "kritisch-emanzipatorischen Multikulturalismus". Die Jungdemokraten untermauern auch dies durch das Grundgesetz, heißt es doch in Artikel 3, Absatz 3 "Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."

Ein zentraler Punkt ist die Frage der Staatszugehörigkeit der Einwanderer. Hier werden verschiedene Entwürfe erörtert, unter anderem ein Bekenntnis zur Verfassung als maßgeblich für die Volkszugehörigkeit (siehe auch 4.2 b) oder das ius soli, nach dem jeder in Deutschland geborene automatisch Staatsbürger ist. Es wird im Endeffekt jedoch ein anderes Konzept favorisiert, welches beinhaltet, daß sich die Volks- und Staatszugehörigkeit einer Person nach ihrem "Lebensmittelpunkt" richten soll. Prägnant formuliert es Monika Bethscheider für die GRÜNEN: "Staatsvolk der Bundesrepublik sind die hier lebenden und hier bleiben wollenden Menschen, punktum."

Es wird somit von den Befürwortern des radikalen Multikulturalismus gefordert, daß auch die Immigranten zukünftig als zum Volk zugehörig verstanden werden und daß es für alle Einwohner ein gleiches Wahlrecht gibt. Die Jungdemokraten fordern, daß künftig nicht mehr zwischen Menschen- und Staatsbürgerrechten ("Deutschenrechte") unterschieden wird und daß Einwanderer bereits nach drei Monaten in Deutschland eine völlige rechtliche Gleichstellung erhalten. Ferner wird verlangt, daß sich die Bundesrepublik in der Präambel des Grundgesetzes zum Multikulturalismus und Pluralismus bekennt.

Die Menschenrechte genießen laut den Jungdemokraten oberste Priorität, das Asylrecht soll nicht eingeschränkt, sondern noch weiter ausgebaut werden. Es wird hier also die Politik der "offenen Grenzen" vertreten, genau wie durch einen Großteil der GRÜNEN. Ein generelles Aufenthaltsrecht für Einwanderer (egal, ob sie nun wegen politischer Verfolgung oder als "Wirtschaftsflüchtlinge" nach Deutschland immigrieren) wird gefordert, dies soll unabhängig auch für Familienangehörige erteilt werden (nachgezogene Frauen von Ausländern haben bisher nach einer Scheidung ihr Aufenthaltsrecht verloren). Einwanderung ist also wünschenswert, nicht nur als Ausgleich für die sinkende Geburtenrate in Deutschland, auch wie erwähnt als Bereicherung und nicht zuletzt als arbeitsmarktpolitische Notwendigkeit. Hier werden Studien ins Feld geführt, die trotz landläufiger Meinung immer noch einen Bedarf an ausländischen Arbeitskräften, sowohl im hoch- wie im geringqualifizierten Bereich attestieren. Außerdem werden ausländische Arbeitnehmer als notwendig zur Aufrechterhaltung des Rentensystems angesichts einer überalterten Bevölkerung gesehen.

Gleichwohl werden auch die dem Multikulturalismus innewohnenden Konfliktpotentiale erkannt. Man ist sich darüber im Klaren, daß ein dauerhaftes Zusammenleben von Menschen aus stark differierendem sozio-kulturellen Kontext kaum ohne mehr oder weniger schwere Konflikte vonstatten gehen kann. Deshalb wird auch davor gewarnt, das Konzept des Multikulturalismus als Allheilmittel zu glorifizieren.

Genauso wichtig ist laut Schulte auch die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und sozialen Disparitäten, sowohl bei Einwanderern wie bei Einheimischen, damit der zerstörerischen Fremdenfeindlichkeit der Nährboden entzogen wird.

Auftretende Konflikte können nur im Dialog gelöst werden. Dieser Dialog ist aber ohnehin ein Kernpunkt des Multikulturalismus-Konzepts. Daher ist die Idee des Multikulturalismus laut Schulte insgesamt doch tragfähig. Was jedoch als Voraussetzung für das Zustandekommen des Dialogs vonnöten ist, ist eine (politische) Gleichberechtigung der Ausländer, die andernfalls ihre Interessen kaum artikulieren könnten.

Miksch macht in diesem Zusammenhang auf ein begriffliches Problem des Multikulturalismus aufmerksam. Zwar beinhalte Multikulturalismus die Koexistenz von verschiedenen Kulturen in einer Gesellschaft, in der die Minderheitenkulturen vor der Assimilation durch die Mehrheitskultur geschützt werden müßten; dieser Schutz dürfe jedoch keine segregativen Züge annehmen, d.h. es darf keine Abschottung der Kulturen gegeneinander stattfinden. Ständiger Austausch muß gewährleistet sein, sonst würden die Konflikte nur um so mehr eskalieren. Um Multikulturalismus nicht als "neue Apartheid" verstanden zu wissen, favorisiert Miksch den Begriff der "Interkulturalität".

 

 

4.2 Gemäßigter Multikulturalismus (sozialdemokratische Akzentuierung)

Diese Position unterscheidet sich nicht wesentlich von b), die sozialintegrative Komponente ist jedoch ausgeprägter.

Zwar wird auch hier eine wie oben beschriebene Gleichberechtigung von Einwanderern angestrebt, aber man hat man pragmatisch erkannt, daß eine Politik der offenen Grenzen, ein unkontrollierter Zustrom von Einwanderern, realistisch nicht durchführbar ist. Zu groß sind die Ängste der Einheimischen allein in ökonomischer Hinsicht angesichts von fast fünf Millionen Arbeitslosen. So konstatiert dann auch Daniel Cohn-Bendit, daß "keiner Gesellschaft (...) je der zivile Umgang mit Fremden angeboren [war]." Fremdenangst wird sogar als "anthropologische Konstante" verstanden. Eine Einwanderungsgesetz muß demnach die Vorbehalte der Einheimischen respektieren, muß den Zuzug durch Quoten und Kontingente begrenzen. Diese sollen jedoch in einer öffentlichen Diskussion nach humanitären Maßstäben festgesetzt werden (dies befürworten auch Teile der GRÜNEN). Denn schließlich, so Cohn-Bendit weiter, müsse die Bundesrepublik jetzt auch eine Verantwortung für die Flüchtlinge übernehmen und dürfe sich nicht abschotten: "Man kann nicht jahrelang das System der geschlossenen Grenzen bekämpfen, um dann, wenn es ernster wird, selbst mit diesem System zu liebäugeln."

Im Gegensatz zum radikalen Multikulturalismus, dem oft Weltferne vorgeworfen wird, wird das Multikulturalismuskonzept hier nicht als Garten Eden verstanden, man ist sich neben den Chancen auch den Risiken einer spannungsgeladenen Atmosphäre der Koexistenz der Kulturen bewußt und kritisiert sie. Cohn-Bendit: "Die multikulturelle Gesellschaft ist hart, schnell, grausam und wenig solidarisch, sie ist von beträchtlichen sozialen Ungleichgewichten geprägt und kennt Migrationsgewinner ebenso wie Modernisierungsverlierer."

 

4.3 Liberale republikanische Akzentuierung

Auf der Grundlage des liberalen Republikanismus wird hier die Forderung nach kulturellem Pluralismus, aber auch nach einer pluralistischen Assimilation vertreten. Der gemäßigte Multikulturalismus ist eine Linie, die eine breite Unterstützung in der Bevölkerung findet. Die Unterstützung kommt sowohl aus dem sozialliberalen wie christdemokratischen Spektrum.

Als charakteristisches Dokument ist das "Manifest der 60" anzusehen, ein von sechzig Universitätsprofessoren verschiedenster Fachgebiete unterzeichneter Text. Viele Grundpositionen unterscheiden sich hier nicht wesentlich von den unter 4.1 angegebenen. So werden Einwanderung und rechtliche Gleichstellung von Ausländern befürwortet. Auch wird die Existenzberechtigung der kulturellen Traditionen der Einwanderer neben den deutschen unterstrichen.

Assimilation ist also nicht das Ziel, wohl aber wird für das Zusammenleben die Anerkennung eines verbindlichen Grundkonsenses vorausgesetzt. Die Einwanderer sollen die rechtlichen und politischen Institutionen der Bundesrepublik anerkennen. Ebenso wird das Erlernen der deutschen Sprache als notwendig erachtet, allein schon um die Kommunikation mit den Immigranten zu gewährleisten (die ja auch das Multikulturalismuskonzept fordert).

Gerade um die Formulierung eines solchen Grundkonsenses gibt es aber auch Diskussionen, wie Axel Schulte verdeutlicht. Konservative sehen diesen Konsens als fixiert an, als unverrückbares Ergebnis der nationalen Identität und überkommener Traditionen. Er dient somit als Instrument der Ausgrenzung "nicht-konsensfähiger Gruppen" wie den Ausländern, die einen solchen national geprägten Konsens nicht annehmen können. Progressive sehen den Konsens als nicht fixiert an, als losgelöst von nationalen Traditionen. Er ist dynamisch und wird auch durch die Einflüsse der Einwanderer geformt und steht daher für sie offen.

Einen Konsens, der sich an den freiheitlich-demokratischen Grundwerten der Bundesrepublik orientiert, sieht Heiner Geißler als notwendig an. Bei der Erhaltung der Kulturen der Einwanderer seien der Toleranz auch Grenzen gesetzt: Schließlich wären Menschenrechte wie Meinungsfreiheit und Menschenwürde keineswegs in allen Gesellschaften akzeptiert. Unterdrückung von Frauen, Blutrache oder Todesurteile für Autoren wie Salman Rushdie wären Elemente einiger Kulturen der Einwanderer, die man erhalten würde, würde man einen radikalen Multikulturalismus verfolgen. Die Grundsätze der rechtsstaatlichen Demokratie müßten laut Geißler hier in jedem Fall Vorrang haben. Ein klares Bekenntnis zum Grundgesetz sieht er als Mittel gegen islamischen Religionsimperialismus, wie er in einem Streitgespräch mit dem Ethologen Eibl-Eibesfeldt im SPIEGEL feststellt. Zu dem Problem des religiösen Fanatismus bemerkt er weiterhin, daß die fortgeschrittene Integration durch Brandanschläge Anfang der 90er Jahre, "häßliche Worte" und falsche politische Entscheidungen zum Teil gestoppt wurde. Dadurch erst hätten sich viele den Islamisten zugewandt.

Das "Manifest der 60" geht weiterhin davon aus, daß es keine nationale kulturelle Identität gebe, diese sei nur durch das völkische Kulturverständnis konstruiert. Im republikanischen Verfassungsstaat sei es den Staatsbürgern überlassen, welche Kulturwerte sie als für sich verbindlich erklären, somit wären auch Einwanderer an der Formung einer kulturellen Identität beteiligt. Hier findet sich die Idee des `dynamischen Konsens´ wieder.

Dieses Prinzip überträgt Heiner Geißler auf das Staatsbürgerrecht. So sollte bei uns für das Verständnis als Bürger nicht die völkische Abstammung maßgeblich sein, sondern, wie in Frankreich, das Bekenntnis zur Verfassung. Deutschlands starke Stellung in der Welt sei ja nicht das Ergebnis seines überragenden Nationalcharakters (wie es vielleicht Rechtskonservative behaupten) sondern allein seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung – man müsse ja nur einen Vergleich zur Ex-DDR ziehen, um zu erkennen, wie wenig der Nationalcharakter mit dem internationalem Erfolg zu tun habe.

Sowohl Geißler wie auch das "Manifest der 60" fordern überdies, das Staatsbürgerrecht nicht von der völkischen Zugehörigkeit abhängig zu machen. Kein republikanischer Verfassungsstaat dürfe Menschen wegen ihrer Herkunft benachteiligen, so die einhellige Meinung. Verwiesen wird auf Artikel 3 des Grundgesetzes (s.o.). Nach fünf Jahren Aufenthalt im Land soll ein Ausländer somit einen Anspruch auf Einbürgerung erhalten.

Bezüglich der Thematik der ethnischen Heterogenität kommt im "Manifest der 60" zum Ausdruck, daß die ethnischen Grenzen nicht intensiviert und verfestigt werden sollten, da dies etwaige Konflikte nur verschärfen würde. Vielmehr sollte neben einer Politik der ethnischen Toleranz auf einen Akkulturationsprozeß gesetzt werden, bei dem sich jedoch die Minderheitenkulturen nicht an die Mehrheit anpassen, sondern diese genauso verändert wird und Elemente der Minderheiten aufnehmen sollte. Interaktion hieße das Zauberwort. Die Akkulturation könne jedoch nur erfolgreich sein, wenn sie keine Zwangsassimilation darstelle. Die deutsche Gesellschaft müsse sich ökonomisch und sozial den Fremden öffnen, ihnen Angebote unterbreiten. Geißler drückt aus, daß man die Einwanderer nicht germanisieren solle, sondern ihnen eine Chance zur Bewahrung ihrer kulturellen Identität geben solle.

Diese Belastungen seien jedoch nur tragbar, wenn der Zustrom begrenzt würde. Hier wird wieder das Konzept der Quoten und Kontingente propagiert, außerdem soll ein Bundesministerium für Integration und multikulturelle Angelegenheiten geschaffen werden. Als weitere Maßnahme wird eine Reform des Bildungssystems hin zur Interkulturalität gefordert. Ziele sollen hierbei die Schaffung von gleichen Entwicklungschancen für alle ethnischen Teilgruppen sein sowie eine Einübung des Miteinanderumgehens von Mehr- und Minderheiten.

 

 

4.3 Anti-Multikulturalismus

Eine Gegnerschaft zu den Konzepten des Multikulturalismus ist sowohl im gemäßigt konservativen, im rechtsradikalen, aber auch im linken Lager zu finden.

 

konservativer Anti-Multikulturalismus

 

Hier wird, wie schon erwähnt, von einem homogenen Staatsvolk ausgegangen. Von einer Politik des Multikulturalismus wird eine "Kulturzerstörung" erwartet. Es überwiegt die Angst vor Überfremdung und Sorge um den Erhalt der christlich-abendländischen Kultur. Flüchtlinge werden also nicht als Bereicherung angesehen, sondern als Belastung für den Staat, wie der Soziologe Erwin Scheuch feststellt. Der Staat müsse in erster Linie an die eigene Bevölkerung denken. Der Multikulturalismus sei ein Konzept der Linken und werde mit Unterstützung der Massenmedien propagiert. Ziel sei eine revolutionäre Veränderung des deutschen Bevölkerungsgefüges und letztendlich die Relativierung und Zerstörung der eigenen Kultur.

Gegen die Theorie von der "Bereicherung" der deutschen Kultur durch die Einwanderer wird auch die These vorgebracht, daß der überwiegende Teil der Einwanderer gar nicht zur `kulturtragenden´ Ober- und Mittelschicht gehöre, sondern nur zur ungebildeten Unterschicht. Unsere Kultur werde dann allenfalls kulinarisch bereichert. Ein solcher marginaler Gewinn stehe in keinem Verhältnis zu den Lasten, die die Ausländer dem Staat verursachten. Diese Schichten hätten überdies ohnehin kein Interesse an dem "kulturellen Austausch" den der Multikulturalismus als notwendig erachte.

Irenäus Eibl-Eibesfeldt begrüßt die Pluralität der Kulturen und stellt auch ganz klar dar, daß die deutsche Kultur anderen nicht überlegen sei. Um aber Pluralität, also die Verschiedenartigkeit der Kulturen überhaupt erlangen zu können, sei es legitim, ja sogar zwingend notwendig, sich für die Erhaltung der eigenen Kultur einzusetzen. Einwanderer sieht er hierbei als Konkurrenten der Einheimischen. Er sieht gar einen ethnischen "Kampf der Wiegen" auf die deutsche Gesellschaft zukommen, Bezug nehmend auf die höhere Geburtenrate der Einwanderer gegenüber den Deutschen.

Er versucht im Folgenden, die Überfremdungsängste auch anthropologisch zu erklären. "So wie viele höhere Wirbeltiere Revierfremde als Eindringlinge vertreiben, so reagieren auch wir Menschen auf Zuwanderer mit archaischen Abwehrreaktionen". Das Überleben einer Art könne biologisch nur durch genetisch nahe Nachkommen gewährleistet werden. Somit müsse die eigene Kultur verteidigt werden. Einwanderung lehnt er nicht grundsätzlich ab, verlangt aber eine Assimilation.

K. Bingemer und E. Meistermann-Seeger unterscheiden verschiedene Formen der Integration: Allgemein fordern die Anti-Multikulturalisten in der Frage der Integration von Ausländern die sogenannte monistische Form. Hiermit ist, wie erwähnt, eine vollständige Assimilation an die Mehrheit gemeint, also eine totale Aufgabe der eigenen Identität. Eine andere Form der Integration wäre die pluralistische Integration. Hier findet kein Austausch statt, die Minderheiten leben streng abgegrenzt von der Mehrheit, z.B. in Ghettos. Die Variante, die von Befürwortern des Multikulturalismus favorisiert wird, ist die interaktionistische Integration. Hier passen sich Mehrheit und Minderheit durch steten Austausch flexibel aneinander an.

Diese Idee der Assimilation geht also noch weit über den in 4.2 beschriebenen Grundkonsens-Gedanken hinaus.

Eine multikulturelle Gesellschaft, so ein Argument der Gegner, werde über kurz oder lang im Chaos versinken, da zwischen den Kulturen unüberbrückbare Gegensätze bestünden, die Konflikte verursachten. Diese seien durch Dialog nie zu lösen. So wirft denn auch der Bamberger Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid der deutschen Aufnahmebereitschaft "tugendsame Weltfremdheit" vor. Das Einwanderungsthema werde "sentimentalisiert", von den Risiken (gesellschaftliche Konflikte, Anspannung der Lage auf dem Arbeitsmarkt) werde abgelenkt. Der Glaube, daß die Zuwanderung durch staatliche Maßnahmen wie Kontingentierung gesteuert werden könne, sei absurd. Die Politik gebe sich hier gefährlichen Illusionen hin, die die demokratische Gesellschaftsordnung zerstören würden, wie z.B. dem Verfassungspatriotismus. Auch der Verzicht auf eine aus Traditionen erwachsene nationale Identität zugunsten des Multikulturalismus sei verheerend. Durch einen solchen "Staatsnihilismus", der die Entstehungsgründe des Staates vergessen ließe (er spielt hier wohl auch auf die Nachkriegszeit an) könne sich die Republik ihrer Feinde nicht erwehren.

Somit sei ein radikales Umdenken nötig, um überhaupt in einer globalisierten Welt überleben zu können. Sentimentalität könne man sich nicht mehr leisten, wo jetzt mit `härteren Bandagen´ gekämpft werde: "Falls Deutschland nicht eine Kulturrevolution an sich selbst vollzieht, sein exklusives Geschichtsbewußtsein eines hypermoralischen deutschen Sonderwegs (...) samt Füllhornmentalität nicht bald in nüchternes Zukunftsbewußtsein und Knappheitsdenken umwandelt, wird es das Ende des 21. Jahrhunderts nicht mehr erleben."

Zu einem ganz ähnlichen Schluß kommt Hans-Helmuth Knütter. Er qualifiziert die multikulturelle Gesellschaft nicht aufgrund eines homogenen Staatsvolksverständnisses ab, sondern anhand der Realität. Als einzig funktionierende multikulturelle Gesellschaft der Welt sieht er die Schweiz an, und dies auch nur, weil dies durch ihre geopolitische und vor allem wirtschaftliche Lage begünstigt werde. In allen anderen multikulturellen Gesellschaften seien Segregation und Ghettobildung die Realität (USA), Abspaltung und Auflösung (Tschechoslowakei, Sowjetunion) oder gar Bürgerkriege (Indien, Jugoslawien). Das Konzept der multikulturellen Gesellschaft scheitere an der Realität. Multikulturelle Realitäten seien also gefährlich, eine Zuwanderung müsse gestoppt werden. Dies solle nicht mehr nur durch eine Beseitigung der push-Faktoren geschehen (die Entwicklungshilfe habe versagt), sondern durch, so Knütter wörtlich, "repressive Abwehrmaßnahmen". "Eine Abwehr der Zuwanderung durch polizeilichen und militärischen Grenzschutz wird überlebensnotwendig sein." Durch eine `pseudohumanitäre´ Grundstimmung seien solche Forderungen in der Gesellschaft tabuisiert. Diese Großzügigkeit könne man sich allerdings nicht mehr leisten, es müsse ein Bewußtsein für die Gefahr der unkontrollierten Zuwanderung geschaffen werden.

 

Wie Schulte darstellt, fordern viele Gegner des Multikulturalismus allgemein nicht eine Gleichberechtigung der Einwanderer, sondern eine Verringerung ihrer Rechte. Dies soll entweder pauschal vonstatten gehen, durch eine Verkürzung des Aufenthalts und durch eine erleichterte Ausweisung, wie es die REPUBLIKANER fordern, oder selektiv, durch den Zwang zur Assimilation an die "deutschen Tugenden" als die Bedingung für den Aufenthalt in Deutschland.

 

radikaler rechtskonservativer und neofaschistischer Ethnopluralismus

 

Die Grenzen zu den unter a) aufgeführten Positionen sind fließend, auch hier wird Zuwanderung allgemein als nicht erwünscht, ja als Gefahr gesehen. Alles Fremde soll klar von der homogenen deutschen Gesellschaft abgegrenzt werden. Auf die Meinungen der radikalen Neonazis, die sich in Anschlägen auf Ausländer manifestieren und in polemischen Parolen wie "Deutschland den Deutschen" erschöpfen, braucht hier gar nicht näher eingegangen zu werden.

Ein grundlegendes Dokument des völkisch-nationalen Anti-Multikulturalismus ist das "Heidelberger Manifest" vom 17. Juni 1981, in dem sich acht deutsche Hochschulprofessoren gegen eine multikulturelle Gesellschaftsform aussprechen. Sie wenden sich gegen "die Unterwanderung des deutschen Volkes durch den Zuzug von vielen Millionen Ausländern und ihre Familien, die Überfremdung unserer Sprache, unserer Kultur und unseres Volkstums."

 

 

4.4 Kritik am Multikulturalismus

 

Es handelt sich hierbei hauptsächlich um einen Standpunkt, der Multikulturalismus als "Ideologie" kritisiert. Mintzel kategorisiert eine ähnliche Position als "linken Anti-Multikulturalismus".

Es wird dem (sozialliberalen) Multikulturalismus vorgeworfen, er wolle reale Zustände beschreiben. Diese seien in Deutschland jedoch nur in Ansätzen verwirklicht. In Wahrheit gebe es in Deutschland eine geringe Ausprägung kultureller Eigenwelten. Die Arbeitseinwanderer hätten sich dem Gesellschaftssystem schon weitgehend angeglichen. In Wahrheit würde die bundesrepublikanische Gesellschaft kulturell "verflachen". Der Multikulturalismus wird somit bloß als realitätsferne Ideologie angesehen, die die "kulturellen Nivellierungstendenzen der kapitalistischen Klassengesellschaft" übersehen würde.

Auch wird bemängelt, daß die Einwanderung nur als "Kulturmigration" verstanden werde. Ökonomische Zwänge, die die Emigration aus den Herkunftsländern der Einwanderer verursachen, würden übersehen. Dabei werde auch übersehen, daß eine Bereicherung der eigenen Kultur einhergehe mit einer kulturellen Verarmung in den Herkunftsländern der Immigranten.

Ein formaler Fehler des Multikulturalismus sei, daß er zwar Pluralismus fordere, die Tatsache aber ignoriere, daß Kulturen in sich selbst heterogen sind (es gebe keine "deutsche" oder "türkische" Kultur, die dann koexistieren).

Claussen kritisiert von einer anderen Warte her, daß der Multikulturalismus eine Auflösung der Traditionen begrüße, als Fortschritt ansehe auf dem Weg zur pluralistischen Gesellschaft. Von den meisten Menschen werde der Verlust der prägenden Kraft ihrer Arbeit (man glaubte früher an die Assimilationskraft der Arbeit) und auch der nationalen Traditionen aber als Werteverlust und Selbstwertverlust interpretiert. Sie suchten eine Wertekompensation, die aber vom Begriff der multikulturellen Gesellschaft nicht geleistet werden könne. Daher suchten die Menschen Erklärungen für den Wertverlust und für ihre Orientierungslosigkeit – Überfremdungsangst biete sich hier an, der Selbstwertverlust werde durch Fremdenfeindlichkeit kompensiert. Traditionen seien also notwendig, das dürfe der Multikulturalismus nicht ignorieren, genausowenig, wie die Ängste der Einheimischen, wie irrational sie auch sein mögen.

Dem Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen wohnen also immer Konflikte inne. Hier wird die Gefahr gesehen, daß der Multikulturalismus diese fundamentalen Konflikte auf bloße "Auseinandersetzungen" reduziert, die durch Dialoge gelöst werden könnten. So stellt Stefanie Wahl fest, daß das multikulturelle Zusammenleben "menschliche Eigenschaften und Fähigkeiten voraus[setzt], über die nur wenige Individuen verfügen." Sie behauptet, daß multikulturelle Gesellschaften wohl auf die Dauer nicht lebensfähig seien, da die auftretenden Konflikte die Betroffenen schlicht überforderten. Deswegen sei die multikulturelle Gesellschaft im Reich der (attraktiven) Utopien anzusiedeln.

Als weiterer Kritikpunkt wird angeführt, daß der Multikulturalismus die Angst vor der kritischen Auseinandersetzung mit Elementen anderer Kulturen schüre (z.B. die Rolle der Frau im Islam). Der Kulturbegriff werde verkürzt, auf Begriffe wie "Köfte, Zaziki und Pluderhosen". Somit würden grundlegende Konflikte (z.B. mit der demokratischen Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik) auf naive Art und Weise einfach übersehen.

Nicht zuletzt würden Einwanderer von Befürwortern des Multikulturalismus instrumentalisiert, d.h. sie würden entweder als Mittel zur eigenen kulturellen Bereicherung verstanden oder es würde von ihnen erwartet, daß sie bessere Alternativen zur herrschenden Kultur aufzeigen (ihnen würde eine Art Omnikompetenz zugeschrieben). Und schließlich wird wieder darauf verwiesen, daß der Multikulturalismus viel zu stark den kulturellen Aspekt betone, ohne auf Probleme sozio-ökonomischer Natur einzugehen, die zwischen den gesellschaftlichen Gruppen herrschten (rechtliche Diskriminierung von Ausländern, überlasteter Arbeitsmarkt).

 

5. Fazit 

Es wurden in der vorliegenden Arbeit zunächst verschiedene Sachfragen analysiert, so die Frage, ob Deutschland eine multikulturelle Gesellschaft sei. Hierbei ist zu sagen, daß vor allem in den Städten heutzutage eine multikulturelle Realität gegeben ist. Dieser Feststellung kann man sich schwer entziehen, genausowenig wie der Tatsache, daß es im modernen Staat keinen Monokulturalismus gibt. Allerdings stellt Deutschland keine multikulturelle Gesellschaft gemäß klassischer Definition dar.

Es wurde ferner erörtert, ob Deutschland sich selbst als Einwanderungsland verstehen kann. Es ist zu sagen, daß eine Einwanderungssituation vorliegt, heutzutage allerdings stärker als noch vor Jahrzehnten. Als klassisches Immigrationsland kann man Deutschland ebenfalls nicht bezeichnen, auch daraus ergeben sich Probleme. De facto ist Deutschland jedoch ein Einwanderungsland, dem sollte auch mit einer Einwanderungsgesetzgebung Rechnung getragen werden.

Im Folgenden wurden die kontroversen Positionen zum Thema Multikulturalismus in Deutschland erörtert. Beginnend bei der grün-alternativen Position, die radikal auf offene Grenzen, eine Gleichberechtigung der Einwanderer und der Förderung ihrer Kultur besteht und eine moralische Verpflichtung zur Aufnahme jeder Art von Flüchtlingen sieht, wurde übergegangen zu gemäßigteren Positionen, die auch in der bundesrepublikanischen Bevölkerung großen Rückhalt haben. Ein Zuzug von Fremden wird grundsätzlich als Bereicherung verstanden, von manchen sogar als arbeitsmarktpolitisch notwendig. Die Ausländer sollen generell mehr Rechte erhalten, eine Reform des Staatsbürgerrechts wird angestrebt. Gleichzeitig wird hier aber auch auf die zwangsläufigen Konflikte und auf die wirtschaftlichen Ängste der Einheimischen Rücksicht genommen. Dies äußert sich in der Forderung nach einer Zuzugsbegrenzung durch Quoten und Kontingente. Insgesamt erscheint dieses Verständnis des Multikulturalismus als durchdacht und überzeugend.

Auch auf die Gegner des Multikulturalismus wurde eingegangen. Sie sehen Deutschland als homogene Nation, sehen die Einwanderung als Bedrohung des sozialen Friedens, Radikalere gar als Gefahr für das deutsche Volkstum. Ökonomische Zwänge und Überfremdungsängste verbieten ihnen eine Zustimmung zu multikulturalistischen Konzepten, es wird im Gegenteil ein Umdenken gefordert, weg von einer durch "Sentimentalität" bestimmten Politik. So soll das auf Abwehr ausgerichtete Ausländerrecht beibehalten oder verschärft werden. Hier wird mitunter stark polemisiert, die Argumente entstammen oft einem fragwürdigen, rechtskonservativen Hintergrund.

Und schließlich wurden auch kritische Stimmen gehört, die dem (radikalen) Multikulturalismus den Charakter einer naiven Utopie unterstellen und damit in einigen Punkten auch im Recht zu sein scheinen.

 

6. Literaturangaben:

 

Angenendt, Stefan (hg.): Migration und Flucht – Aufgaben und Strategien für Deutschland, Europa und die internationale Gemeinschaft, Bonn 1997

Backes/Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1996

Claussen, D.: Perspektiven der Migrationsgesellschaft, in: Boehncke/Wittich (Hg.): Buntesdeutschland – Ansichten zu einer multikulturellen Gesellschaft, Hamburg 1991

Cohn-Bendit, Daniel/Schmid, Thomas: Die Verheißungen und Risiken der Moderne. Multikulturelle Gesellschaft: Eine Realität, die endlich anerkannt werden sollte, in: Informationen zur Politischen Bildung: Ausländer, Bonn 1992

DER SPIEGEL 14/1998

Die GRÜNEN im Bundestag (Hg.): Argumente – Die multikulturelle Gesellschaft, Bonn 1991

Eibl-Eibesfeldt, Irenäus: Fremdenfurcht und Ausgrenzung, in: Süddeutsche Zeitung Magazin 7.2.1992

Geißler, Heiner: Verfassungspatriotismus in Deutschland?, in: Boehncke/Wittich (Hg.): Buntesdeutschland – Ansichten zu einer multikulturellen Gesellschaft, Hamburg 1991

Hailbronner, Kay: Was kann ein Einwanderungsgesetz bewirken? In: Aus Politik und Zeitgeschichte B46/97

Harzig/Räthzel (Hg.): Widersprüche des Multikulturalismus, Hamburg 1995

Hesselberger, Dieter: Das Grundgesetz – Kommentar für die politische Bildung, Bonn 1996

Informationen zur politischen Bildung – Ausländer, Bonn 1992

Jungdemokraten (Hg.): Multikulturelle Gesellschaft, Berlin 1991

Knütter, Hans-Helmuth: Wanderungsbewegungen - ein Faktum, Multikulturelle Gesellschaften - eine Fiktion, Bonn 1993

Leggewie, Claus: Multi Kulti – Spielregeln für die Vielvölkerrepublik, Berlin 1990

Manifest der 60, 1994

Mintzel, Alf: Multikulturelle Gesellschaften in Europa und Nordamerika – Konzepte, Analysen, Streitfragen, Befunde; Passau 1997

Robertson-Wensauer, C.Y. (Hg.): Multikulturlität – Interkulturalität – Probleme und Perspektiven der multikulturellen Gesellschaft, Baden-Baden 1993

Schulte, Axel: Multikulturelle Gesellschaft: Chance, Ideologie oder Bedrohung?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 23-24/90

Schulte, Axel: Multikulturelle Gesellschaft: Zu Inhalt und Funktion eines vieldeutigen Begriffs, in: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.): Multikulturelle Gesellschaft: Der Weg zwischen Ausgrenzung und Vereinnahmung, Bonn 1992

Werner, Jan: Die Invasion der Armen. Asylanten und illegale Einwanderer, Mainz 1992

Wlecklick, Petra: Multikultur statt Deutschtum – Antirassismus zwischen Folklore und ethnischem Mythos, Bonn 1993

Wahl, Stefanie: Ist der Weg in die multikulturelle Gesellschaft vorgezeichnet? in: Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (Hg.): Räumliche Probleme der Ausländerintegration, Bonn 1992