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Inhaltsverzeichnis

 

 

Einleitung 3

 

Entwicklung und Kernpunkte der Systemtheorie 5

 

Rationalitätsbegriff im systemtheoretischen Kontext 8

 

Gesamtgesellschaftliche Rationalität am Beispiel der Umweltbedrohung 11

 

Das Spannungsverhältnis zwischen Teilsystemrationalität und Gesamtsystemrationalität 13

 

Zusammenfassung 17

 

Literatur 18

 

 

 

Einleitung

 

Der Rationalitätsbegriff spielt in der Soziologie unzweifelhaft eine wichtige Rolle. Bei Max Weber wird er bereits umfassend thematisiert und als zentrale Komponente individuellen Handelns eingeführt. Insbesondere auf dem Weber’schen Handlungstypus der Zweckrationalität aufbauend hat sich innerhalb der Soziologie mit der Rational-choice-Theorie eine mächtige Richtung entwickelt, die trotz oder auch wegen ihres Facettenreichtums einen wichtigen Beitrag insbesondere zur mikrosoziologischen Theoriebildung geleistet hat.

 

Neben der vornehmlich individualistischen Perspektive des rational-choice ist der Rationalitätsbegriff auch auf kollektiver Ebene Gegenstand einer Vielzahl von Arbeiten. Unter anderen hat Mancur Olson mit seinem Buch "Die Logik kollektiven Handelns" die Debatte über kollektive Rationalität stark geprägt. In den Politikwissenschaften spielen Autoren wie Kenneth Arrow oder W.H. Riker im Zusammenhang mit der Theorie kollektiver Rationalität eine wichtige Rolle.

 

Auch die systemtheoretische Sichtweise, die Gegenstand dieser Arbeit ist, klammert den Rationalitätsbegriff nicht aus. Niklas Luhmann widmete bereits 1968 in der Anfangsphase der Entwicklung seiner Systemtheorie mit dem Buch "Zweckbegriff und Systemrationalität" diesem Fragenkomplex seine Aufmerksamkeit. Damit legte er den Grundstein dafür, daß der Rationalität auch innerhalb der Systemtheorie ihr Platz zugewiesen wurde.

 

Um sich dem Thema der Systemrationalität zu nähern, kommt man nicht umhin, wenigstens einige Stichworte der Systemtheorie zu erwähnen und gegebenenfalls kurz zu erläutern. Um jedoch der Gefahr einer ausufernden Darstellung der Systemtheorie zu begegnen, wird sich der folgende Text gezielt sparsam nur mit jenen Elementen der Systemtheorie befassen, die für das Verständnis der Systemrationalität unbedingt erforderlich sind. Deshalb gliedert sich der folgende Text auch in einen kurzen allgemeinen Abriß der Systemtheorie Luhmanns, um von dort aus aufzuzeigen, was im systemtheoretischen Kontext unter Rationalität verstand wird. Hier sollten die Unterschiede zu dem Rationalitätsbegriff deutlich werden, wie er im allgemeinen Sprachverständnis verankert ist.

 

Anschließend wird der Versuch unternommen, die abstrakte Theorie anhand eines Beispiels zu konkretisieren. Dazu bietet sich das Verhältnis zwischen dem gesamtgesellschaftlichen System - verstanden als "Weltgesellschaft" - und der Umwelt - verstanden als ökologische Umwelt - an.

 

Schließlich wird im letzten Teil das Verhältnis zwischen Teilrationalitäten und Gesamtrationalität zum Gegenstand der Arbeit gemacht. Dieses Thema besitzt zwar einen teilweise eigenständigen Charakter, sollte aber bei der Auseinandersetzung mit Systemrationalität nicht unberücksichtigt bleiben. Dennoch können nur einige Punkte schlaglichtartig beleuchtet werden, ohne den Anspruch einer umfassenden Darstellung zu erheben.

 

 

Entwicklung und Kernpunkte der Systemtheorie

 

Die Systemtheorie Luhmanns wird in seinem 1984 erschienen Hauptwerk "Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie" zusammenfassend dargestellt. Viele der darin enthaltenen Gedanken wurden bereits zuvor schon von Luhmann formuliert und publiziert. Verfolgt man seine zahlreichen Veröffentlichungen zurück, so kann man das Jahr 1984 als Zeitpunkt der Fertigstellung eines umfassenden Theoriegebäudes lokalisieren, dessen Grundriß und Baustoffe schon länger Eingang in die Diskussion gefunden hatten. Luhmann selbst spricht im einführenden Kapitel seines Buches von einem Paradigmenwechsel und erhebt den Anspruch eine "universalistische Supertheorie" entworfen zu haben (Luhmann, 1984: 19). Luhmanns Schriften erreichen ein hohes Abstraktionsniveau und bedienen sich einer eigenen Begrifflichkeit. Beides macht es dem Rezipienten nicht leicht, einen schnellen Zugang zu den Inhalten der Systemtheorie zu bekommen.

 

Die Fachwelt stimmt darüber überein, daß mit der Entwicklung der Systemtheorie innerhalb des Fachbereichs der Soziologie einer der wesentlichen makrotheoretischen Ansätze vorgelegt wurde und die Systemtheorie auch weit über die Grenzen der Soziologie hinaus eine prägende Wirkung entfaltet hat. Insofern hat sich Niklas Luhmann mit seiner Arbeit einen Platz auf dem Olymp der Großtheoretiker erworben. Sein 1997 erschienenes Werk "Die Gesellschaft der Gesellschaft" muß als Abrundung seiner Gesellschaftstheorie betrachtet werden. Hier werden die Erkenntnisse der allgemeinen Systemtheorie in umfassender Form auf eine gesamtgesellschaftliche Betrachtungsweise angewendet.

 

Innerhalb der Systemtheorie kann man drei Strömungen unterscheiden: Die allgemeine Systemtheorie, verbunden mit dem österreichischen Biologen Ludwig von Bertalanffy, die auf den amerikanischen Mathematiker Norbert Wiener zurückgehende Kybernetik und schließlich die strukturell-funktionale Systemtheorie Talcott Parsons (Seiffert, 1992: 125).

 

Mit dem Anspruch einer universell gültigen, allgemeinen Theorie knüpft Luhmann an Talcott Parsons an, dessen Schüler er in den frühen 60er Jahren war. Beide verbindet die theoretische Grundannahme, daß es verschiedene Systeme gibt, die voneinander zu unterscheiden sind. Während für Parsons in seinem strukturell-funktionalen Ansatz die Struktur von Systemen Vorrang besitzt, betont Luhmann in seiner funktional-strukturellen Theoriedie Funktion von Systemen. Seine Kritik am Primat der Struktur argumentiert Luhmann damit, daß der Theorie damit die Möglichkeit genommen werde, Strukturen selbst zu problematisieren und nach dem Sinn von Struktur- bzw. Systembildungbildung zu fragen (Luhmann, 1970: 114). Trotz dieses und anderer Unterschiede muß man Luhmann ideengeschichtlich auf Talcott Parsons zurückführen.

 

Die zweite wesentliche Einflußgröße auf Luhmanns theoretische Entwicklung ist die Idee der Autopoiesis, die von den chilenischen Biologen Humberto Maturana und Francisco J. Varela in den 70er Jahren ausgearbeitet wurde. Mit der Integration der Autopoiesis in seinen systemtheoretischen Ansatz, was in der Literatur über Luhmann als "autopoietische Wende" bezeichnet wird (Kiss, 1990: 89), erhält ein System nach Luhmannschen Verständnis ein weiteres wesentliches Charakteristikum. Neben der System-Umwelt-Differenz als konstitutivem Merkmal für Systeme wird nun Autopoiesis oder Sellbstreferenz als zweite Bedingung in den Definitionskontext für soziale Systeme aufgenommen.

 

"Ein soziales System kommt zustande, wenn immer ein autopoietischer Kommunikationszusammmenhang entsteht und sich durch Einschränkung der geeigneten Kommunikation gegen eine Umwelt abgrenzt. Soziale Systeme bestehen demnach nicht aus Menschen, auch nicht aus Handlungen, sondern aus Kommunikationen" (Luhmann, 1986: 269)

 

Damit sind drei Voraussetzungen genannt, die soziale Systeme determinieren:

(1) Kommunikation und zwar (2) eine autopoietische Kommunikation und schließlich (3) eine Abgrenzung gegenüber der Umwelt.

 

Während Luhmann in früheren Arbeiten noch von Handlungen als Bestandteil eines Systems ausging (Luhmann, 1975: 9), ist er dazu übergegangen, nun mit dem abstrakteren Kommunikationsbegriff anstelle von Handlungsbegriffes zu arbeiten. Kommunikation ist für Luhmann die Kombination dreier Selektionsprozesse, nämlich: Information, Mitteilung und Verstehen. Mit Hilfe der systeminternen Kommunikationen seiner Elemente reproduziert sich ein System permanent selbst. Diesen Vorgang nennt die Systemtheorie Autopoiesis.

Zentrale Idee der Systemtheorie ist die Unterscheidung zwischen System und Umwelt. Ohne diese Unterscheidung ist die Systemtheorie nicht denkbar. Sämtliche Annahmen, die im Rahmen der Systemtheorie getroffen werden, hängen logisch direkt oder indirekt mit der Definition einer Grenze zwischen System und Umwelt zusammen. Dabei ist unter Umwelt nicht zwangsläufig und ausschließlich die natürliche Umwelt in Form von Tieren, Wäldern, Wasser oder Luft zu verstehen. Der hier verwendete Umweltbegriff ist weitergefaßt. Zur Umwelt gehört alles, was nicht Bestandteil des Systems ist.

 

Auch für den zu klärenden Begriff der Systemrationalität ist die System-Umwelt-Differenz der entscheidende Faktor. Die Schaffung eines selbständigen Systems durch die Einführung einer Grenze zur Umwelt hat die Funktion der Komplexitätsreduzierung. Nur die Reduktion von Komplexität ermöglicht es, sich in einer Welt zurechtzufinden, "in der es stets mehr Möglichkeiten des Erlebens und Handelns gibt, als aktualisiert werden können." (Luhmann, 1971: 32)

 

Die Abgrenzung eines Systems von der Umwelt vollzieht sich über "Sinn" als Selektionsmechanismus. Innerhalb eines Systems herrscht eine gemeinsame Sinnorientierung vor, die sich von anderen Sinnorientierungen außerhalb des Systems unterscheidet. Sinnhaft aufeinander bezogene Kommunikationen konstituieren folglich ein soziales System (Luhmann, 1975: 9).

 

 

Rationalitätsbegriff im systemtheoretischen Kontext

 

Im einführenden Kapitel des 1968 erschienenen Buches "Zweckbegriff und Systemrationalität" weist Luhmann darauf hin, daß der Rationalitätsbegriff, wie er im allgemeinen gebraucht wird, nicht dem entspricht, wie er im systemtheoretischen Zusammenhang gedacht werden muß. Die grundlegende Unterscheidung macht sich an den Kategorien "Handlung" und "System" fest. Der Begriff des Rationalen muß deshalb von einer zweckgerichteten Handlungsrationalität in eine komplexere, umfassende Systemrationalität umgedacht werden (Luhmann, 1968: 1ff.). Dem Begriff "rational" fehlt innerhalb der Systemtheorie der entsprechende Gegenbegriff, anders als auf der Handlungsebene, wo man über den Begriff "irrational" verfügt. In seiner ersten Phase der Auseinandersetzung mit Rationalität ist für Luhmann nicht die Erfüllung eines bestimmten Zweckes unter Einsatz bestimmter Mittel, sondern die Bestandserhaltung und die funktionale Effizienz von Systemen als Kriterium für Rationalität anzusehen.

 

Diese ursprüngliche Fassung des Begriffes der Systemrationalität wurde im Laufe der Zeit deutlich erweitert. Mit der autopoietischen Wende in Luhmanns Theoriegebäude wird auch das Konzept der Systemrationalität weitreichenden Modifikationen unterzogen. Mit dem Übergang von offenen zu geschlossenen, selbstreferentiellen Systeme formuliert Luhmann einen anspruchsvolleren Rationalitätsbegriff (Kneer, 1992: 92). Als Anforderung für Rationalität stellt Luhmann die Bedingung auf, daß sie den Beobachter, der über Rationalität befindet, selbst miteinbezieht und somit eine Beobachtung zweiter Ordnung entsteht (Luhmann, 1997: 177).

 

Aufgrund der Betonung der operativen Geschlossenheit von Systemen erhält die Differenz zwischen System und Umwelt in der neuen Fassung einen anderen Stellenwert. Für das daran anknüpfende Rationalitätskonzept wird die System-Umwelt-Grenze zum zentralen Faktor. Gemäß dieses Verständnisses ist Systemrationalität dann gegeben, wenn der Begriff der Differenz selbstreferentiell benutzt wird.

 

"Übersetzt man die Idee in eine kausaltheoretische Sprache, dann besagt sie, daß das System seine Einwirkungen auf die Umwelt an den Rückwirkungen auf sich selbst kontrollieren muß, wenn es sich rational verhalten will." (Luhmann, 1984: 642)

Der Vorgang, der Systemrationalität zugrunde liegt, wird in Anlehnung an Spencer Brown auch als "Re-entry" bezeichnet. Darunter soll verstanden werden, daß ein System die Differenz zu seiner Umwelt in sich selbst "hineinkopiert" und die Differenz damit zum Bestandteil der eigenen selbstreferentiellen Reproduktionsprozesse wird. Nicht gemeint ist jedoch, daß sich das System durch den Re-entry-Vorgang mit seiner Umwelt zu einem gemeinsamen System zusammenschließt. Auch ist der Re-entry-Prozeß alleine noch nicht gleichbedeutend mit Rationalität eines Systems. Zwar ist er notwendige, nicht jedoch hinreichende Bedingung für die Rationalität eines Systems. Darüber hinaus ist es zur Feststellung von Rationalität erforderlich, daß die Wiedereinführung der System-Umwelt-Differenz in das System dazu genutzt wird, die Einheit dieser Differenz und nicht die Einheit des Systems zu thematisieren (Kneer, 1992: 97).

 

Dieser Rationalitätsbegriff formuliert somit die anspruchsvollste Form der Selbstreflexion eines Systems. Systemrationalität besteht demnach aus vier Schritten: (1) Ein System kopiert die System-Umwelt-Grenze in sich selbst hinein. Somit wird (2) diese Differenz zum Bestandteil der systeminternen Kommunikations- und damit Reproduktionsprozessen. Diese Reproduktionsprozesse erzeugen (3) ihrerseits wiederum Resonanzen in der Umwelt. Schließlich werden (4) die Resonanzen in der Umwelt zur Selbstreproduktion genutzt.

 

Bezogen auf das Gesellschaftssystem bedeutet dies, daß eine Gesellschaft dann rational ist, "wenn die durch sie ausgelösten Umweltprobleme, soweit sie die Gesellschaft rückbetreffen, im Gesellschaftssystem abgebildet, das heißt in den gesellschaftlichen Kommunikationsprozeß eingebracht werden." (Luhmann, 1984: 645).

 

So kann man zusammenfassend einerseits feststellen, daß der Rationalitätsbegriff im Rahmen der Systemtheorie im Laufe der Zeit deutlich erweitert und theoretisch anspruchsvoller wurde. Zum anderen gilt den Rationalitätsbegriff im Rahmen der Systemtheorie klar von teleologischen Rationalitäten zu unterscheiden, wie sie beispielsweise bei Max Weber mit Zweck- oder Wertrationalität formuliert sind. Ebenfalls nicht kompatibel ist der Begriff der Systemrationalität mit dem Rational-choice-Ansatz. Es handelt sich um zwei grundsätzlich verschiedene Überlegungen. Möglicherweise lassen sich auf der Theorieebene Anknüpfungspunkte zwischen RC und Systemtheorie finden, auf der Ebene des Rationalitätsbegriffes würden jedoch Äpfel mit Birnen verglichen (Esser/Luhmann, 1996: 131ff.)

 

 

Gesamtgesellschaftliche Rationalität am Beispiel der Umweltbedrohung

 

Die ökologische Gefahr, der sich die Welt ausgesetzt sieht, ist seit Jahrzehnten bekannt. Überbevölkerung, übermäßiger Ressourcenverbrauch, Zerstörung der Erdatmosphäre durch unkontrollierte Schadstoffemission, dies sind nur einige Stichworte, die für die Bedrohung der zukünftigen Existenz der Erdbevölkerung stehen. Trotz der gesicherten Erkenntnis, daß nur durch einschneidende Veränderungen eine globale Umweltkatastrophe angewandt werden kann, ist es der "Weltgesellschaft" bislang nicht gelungen, der Entwicklung in nennenswerter Form entgegenzuwirken. Im Gegenteil: die Bevölkerungsexplosion setzt sich exponentiell fort, der Ressourcenverbrauch nimmt weltweit zu und die Schadstoffemissionen steigen weiter an. Wie kann das Gesamtsystem "Menschheit" nun aus der Perspektive der Systemrationalität auf die bedrohliche Situation ihrer ökologischen Umwelt reagieren ?

 

Im vorherigen Kapitel wurde der Begriff der Systemrationalität als nicht-teleologisch definiert. Das heißt, Systemrationalität orientiert sich nicht Endzuständen, konkreten Zielen oder Ähnlichem (Luhmann, 1986: 258). Damit entfällt per definitione die Möglichkeit für ein System klare Handlungsanweisungen, mit dem Ziel einer intakten ökologischen Umwelt, zu geben, um rational zu sein. Dies bedeutet aus Sicht des Gesamtsystems der Weltgesellschaft, daß die Umweltproblematik durch individuelle Maßnahmen, wie der Vermeidung von Müll oder dem Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel nicht als rationales Handlungsskript mit dem Ziel der Bewahrung der Umwelt dienen können. Der Trugschluß, dem solche vermeindlich rationalen Handlungsskripte für individuelles oder kollektives Handeln unterliegen, besteht darin, daß es relativ leicht ist, zur weltweiten Geburtenkontrolle aufzurufen, eine Verringerung der CO2-Emission zu fordern oder sich für ressourcenschonendes Wirtschaften einzusetzen, jedoch die (Welt-)Gesellschaft offensichtlich nicht in der Lage ist, diesen eigentlich recht einfachen Handlungsanweisungen zu entsprechen. Die Umweltkonferenz von Rio hat deshalb, gemessen an zweckrationalen Erwartungen und der Hoffnung, daß unmittelbar nach der Konferenz eine Wende in der globalen Umweltpolitik eintreten würde, bei vielen Gruppen zu Enttäuschung geführt.

 

Gemäß der Definition von gesellschaftlicher Rationalität, bei durch die Gesellschaft ausgelöste Umweltprobleme, welche sie rückbetreffen, wieder im Gesellschaftssystem abgebildet werden, ist diese Konferenz aus Sicht der Systemtheorie durchaus als rational zu bezeichnen. Denn der Umweltgipfel von Rio hat nichts anderes gemacht, als die Differenz zwischen dem System der Weltgesellschaft und der ökologischen Umwelt innerhalb der Weltgesellschaft zu thematisieren und damit zum Bestandteil der systeminternen Kommunikationen werden zu lassen. Damit sind die Kriterien der oben beschriebenen Gesamtrationalität bereits teilweise erfüllt. Einschränkend muß jedoch geltend gemacht werden, daß auch die Nachhaltigkeit dieser internen Kommunikationen als relevanter Faktor für Rationalität eine Rolle spielt. Über die Nachhaltigkeit der Kommunikationen nach Rio kann man jedoch geteilter Meinung sein. Schwierig feststellbar sind zudem die Resonanzen, die sich aus der Umweltdebatte vor und nach Rio ergeben haben.

 

Dieses Beispiel sollte etwas veranschaulicht haben, was unter Systemrationalität zu verstehen ist und wie plastisch der Unterschied zwischen Zweckrationalität und Systemrationalität konkret aussehen kann. Gerade die Umweltproblematik eignet sich hierfür besonders gut, weil man leicht nachvollziehen kann, wie das von vielen geteilte Ziel der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen implizit als rational betrachtet wird, dem inhaltlichen Bedeutung von Systemrationalität jedoch nicht entspricht.

 

 

Das Spannungsverhältnis zwischen Teilsystemrationalität und Gesamtsystemrationalität

 

In modernen Gesellschaften besteht im bezug auf Systemrationalität eine weitere Schwierigkeit. Aufgrund ihres hohen Differenzierungsgrades existieren zahlreiche Subsysteme, die jeweils unterschiedliche Teilrationalitäten besitzen. Die Frage, die es zu klären gilt, ist, ob bzw. inwieweit sich diese unterschiedlichen Teilrationalitäten in eine gesamtgesellschaftliche Rationalität integrieren lassen. Insbesondere im Hinblick auf die Steuerung des Gesellschaftssystems stellen sich einige grundsätzliche Fragen.

 

Die tägliche Zeitungslektüre gibt zahlreiche Hinweise dafür, daß offensichtliche Widersprüche zwischen der Rationalität gesellschaftlicher Teilsysteme und einer gesamtgesellschaftlichen Rationalität bestehen. Verschiedenste Teilsysteme produzieren Externalitäten, die für die Gesamtgesellschaft zu kollektiven Risiken oder negativen Konsequenzen führt. So trägt das Teilsystem der Wirtschaft seiner Eigenrationalität folgend beispielsweise dazu bei, daß Arbeitsplätze abgebaut werden und dadurch unter anderem negative Konsequenzen für das Sozialsystem in Form von finanziellen Belastungen erzeugt werden. Auch das politische System, dessen Eigenrationalität auf Machterwerb bzw. Machterhalt ausgerichtet ist, zeigt sich unfähig, Entscheidungen zu treffen, die aus gesamtgesellschaftlicher Sicht erforderlich sind. Umgekehrt kann man am Beispiel der Entscheidung über die Errichtung von Atomkraftwerken sehen, daß diese nicht mehr von dem System der Exekutiven und ihrer begrenzten Rationalität getroffen werden kann, sondern durch die Legislative gefällt wird, die man näher an dem Maßstab der Gesamtrationalität ausgerichtet sieht (Willke, 1993: 131).

 

Diese Beispiele machen deutlich, daß im Verhältnis zwischen Teilrationalitäten und der Gesamtrationalität Spannungen und Widersprüche existieren, die letztendlich in die Frage münden, wie das Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen (und umgekehrt) beschaffen ist.

 

Vieles spricht derzeit dafür und auch einige Autoren vertreten die Auffassung, daß ein Übergewicht der Teilrationalitäten gegenüber der Gesamtrationalität besteht (z.B. Willke, 1989: 115). Als Konsequenz ergibt sich hieraus zum einen eine fortschreitende Integrationskrise des Gesellschaftssystems. Zum anderen treten Schwierigkeiten im Bereich der Steuerung des Gesellschaftssystems auf. Am Teilsystem der Wirtschaft lassen sich einige Punkte veranschaulichen. Die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen wurde eingangs schon erwähnt. Dieses Beispiel eignet sich sehr gut, um die Dominanz der Teilrationalität gegenüber der Gesamtrationalität nachzuzeichnen. Mit dem Argument in einem globalen Wettbewerb überleben zu können, werden in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitsplätze abgebaut und Ausbildungsplätze gestrichen. Es mag in ausschließlich wirtschaftlichem Kontext gedacht, auch "richtig" sein. Jedoch wird weitgehend ignoriert, daß sich für die Gesamtgesellschaft hieraus schwerwiegende Probleme ergeben. Die steigende Zahl von Arbeitslosen belastet das soziale Sicherungssystem, das ohnehin an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gestoßen ist. Fällt dieses System aus oder reduziert sich seine Leistungsfähigkeit, so hat dies Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.

 

Auch das politisch-administrative System, dem die zentrale Steuerungsfunktion zufällt, ist nicht in der Lage, die für das Gesamtsystem negativen Konsequenzen abzuwenden. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen besitzt auch das politisch-administrative System, wie oben angesprochen, seine eigene Rationalität, die in einem Spannungsfeld zur Gesamtrationalität steht. Zum anderen soll es andere Teilsysteme steuern und kontrollieren, ohne die Instrumente dafür zu besitzen. Auch hier dient wiederum das Wirtschaftssystem als Beispiel. Das Wirtschaftssystem ist das Teilsystem, welches auf dem Weg zu einer durchgängigen Weltwirtschaft bereits sehr weit fortgeschritten ist. Das Wirtschaftssystem muß mehr und mehr als weltweit einheitliches System verstanden werden, in dem es keine geographischen oder politischen Grenzen oder unüberbrückbaren Entfernungen mehr gibt. Durch die rapiden Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien wird dieser Prozeß zunehmend beschleunigt. Jede nationale Politik muß sich letztendlich den Wirkungsfaktoren einer global operierenden Wirtschaft unterwerfen. Damit kann zumindest ein national begrenztes politisch-administratives System keine Steuerungs- bzw. Kontrollfunktion über das Teilsystem Wirtschaft mehr ausüben. Auf internationaler Ebene sind die Strukturen und Kompetenzen eines weltweiten politisch-administrativen Systems bislang viel zu schwach ausgeprägt, um ein weltweit operierendes Wirtschaftssystem zu Steuern und an einer Gesamtrationalität - in diesem Fall der Weltgesellschaft - auszurichten.

Welche Antworten sind denkbar, wenn man davon ausgeht, daß es einer Steuerung der Teilsysteme, wie der Wirtschaft, bedarf, um Rationalität auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu erreichen ?

 

Eine eher praktische Antwort bestünde darin, analog zur Globalisierung des Wirtschaftssystems eine Globalisierung des politisch-administrativen Systems zu forcieren. Es existieren schon etliche internationale Organisationen (z.B. GATT / WTO), die bislang nur deshalb keine wirksame Koordinierungsfunktion der Weltwirtschaft und anderer Teilsysteme leisten können, weil sie sich nationalen Politiken konfrontiert sehen, die letztlich über Entscheidungskompetenzen verfügen. Dennoch könnte man als Zielvorstellung formulieren, daß das Verhältnis der Teile zu einem Ganzen auf globaler Ebene, etwa in Form einer "Gesellschaftsordnung der Menschheit", neu geregelt werden könnte (Radermacher, 1992: 62). Dies setzt voraus, daß das Gesellschaftssystem als einheitliche Weltgesellschaft definiert wird und stellt letztlich den Versuch dar, durch eine Neudefinition des Gesellschaftssystem ausschließlich auf globaler Ebene dessen Position gegenüber den Teilsystemen zu stärken.

 

Auf der rein theoretischen Ebene versuchen Willke und Bendel Antworten auf die Frage nach einer Integration von Teilsystemen und Gesamtsystem und damit einhergehend auch den jeweils verschiedenen Rationalitäten zu geben.

 

Willke baut seine Diagnose schwerpunktmäßig auf der Frage nach hierarchischen Beziehungen zwischen einzelnen Teilsystemen und dem Gesamtsystem auf.

 

"Der hochgezüchteten Eigenrationalität und Effizienz der Teilsysteme stehen auf der Seite des Ganzen nur Bruchstücke einer Staatsidee gegenüber, die sich weder durch rechts- oder sozialphilosophische Rhetorik wiederbeleben läßt, noch aber bislang von einer auf die Administration der Probleme von Gesten spezialisierten Politik ersetzt werden konnte. Beobachtbar ist stattdessen ein Übergewicht der Teile, Teilrationalitäten und Teilperspektiven und - damit korrespondierend - tiefgreifende Schwierigkeiten in der Darstellbarkeit und Sinnhaftigkeit des Ganzen: der Einheit entwickelter Gesellschaften." (Willke, 1989: 115).

 

Das Strukturprinzip moderner Gesellschaften ist die funktionale Differenzierung. Daraus leitet Willke ab, daß aufgrund dieser Tatsache, die Begründbarkeit von Hierarchien entfalle und die Notwendigkeit eines neuen Ordnungsprinzips entstehe (Willke, 1989: 117). Als Alternative zu einem hierarchischen Steuerungssystem kommt in Anlehnung an die moderne Gehirnforschung nur eine Heterarchie in Frage. Mit Heterarchie als "Prinzip der potentiellen Führung" ist gemeint, daß in einem komplexen System die Autorität zur Führung oder Steuerung des Ganzen bei demjenigen Funktionssystem (oder Teilsystem) liegt, welches in der gegebenen Situation über die optimale Information verfügt (von Foerster, 1984: 8).

 

Angewandt auf die Fragestellung nach der Steuerung eines komplexen gesellschaftlichen Gesamtsystems und der Erreichung von Rationalität ist daraus zu folgern, daß die Politik, der die Steuerungsfunktion obliegt, mit dieser Aufgabe faktisch überfordert ist. Als Konsequenz daraus müßte die Politik ihre Stellung an der Spitze der Steuerungshierarchie räumen und damit den Weg zum Übergang auf eine Heterarchie freimachen. Wenn das Primat der Politik gefallen ist, entfallen auf jedes Teilsystem - gemäß der jeweiligen Eignung - bestimmte Steuerungsaufgaben. Unbeantwortet bleibt bei diesen Überlegungen jedoch, wie genau dadurch die Chance auf die Integration des Ganzen und einer Gesamtrationalität erhöht werden können.

 

Eine andere Überlegung gesamtgesellschaftliche Rationalität und Integration zu erzielen, besteht in der Antizipation von Konsequenzen für das Gesamtsystem durch das jeweilige Teilsystem. Dieser Ansatz ist von der These geleitet, daß gesellschaftliche Teilsysteme grundsätzlich in der Lage sind, soziale Koordination zu leisten und moderne Gesellschaften somit über ein Potential rationaler Selbstreproduktion verfügen (Bendel, 1993: 262). Die Frage nach Hierarchie spielt eine nachrangige Rolle. Der Widerspruch zwischen Teil- und Gesamtrationalität wird nun aufgelöst, indem sich der Akteur eines Teilsystems (z. B. der Wirtschaft) immer an übergeordnete Entwicklungen des Gesamtsystems anpassen muß, ohne deren Verlauf selbst maßgeblich beeinflussen zu können. Daher empfiehlt es sich für einen systemrationalen Akteur eines Einzelsystems sich möglichst nahe entlang des gesamtgesellschaftlichen Rationalitätspotentials zu bewegen.

 

 

Zusammenfassung

 

Die Systemtheorie hat als wissenschaftstheoretisches Paradigma innerhalb der Sozialwissenschaften und weit darüberhinaus eine bedeutende Stellung eingenommen. Bezogen auf die Soziologie dominiert der Name Niklas Luhmann. Innerhalb der Systemtheorie ist der Rationalitätsbegriff ein gleichermaßen schwieriges wie auch interessantes Thema. Schwierig insbesondere deshalb, weil man im allgemeinen mit einem Vorverständnis über Rationalität ausgestattet ist, das für die Klärung von Systemrationalität nicht förderlich, wenn nicht gar hinderlich ist.

 

Rationalität im systemtheoretischen Kontext unterscheidet sich von Zweckrationalität in erster Linie dadurch, daß sie nicht teleologisch auf einen bestimmten Zustand ausgerichtet ist. Systemrationalität setzt stattdessen voraus, daß die Differenz zwischen System und Umwelt in den systeminternen Kommunikationsprozeß aufgenommen wird und auf diese Weise Bestandteil und Einflußgröße der selbstreferentiellen Reproduktionsvorgänge wird. Dies läßt sich am Beispiel der Umweltproblematik, der die Menschheit ausgesetzt ist, konkretisieren.

 

Das Verhältnis zwischen den Rationalitäten einzelner Teilsysteme und dem Gesamtsystem stellt einen Themenkomplex dar, der in vielen aktuellen Phänomenen seinen Niederschlag findet. Hierbei ist von besonderem Interesse, ob und wie bei einer Dominanz der Teilrationalitäten die Rationalität des Ganzen zu erhalten ist. Überlegungen eine hierarchisch geordnete Steuerungszuständigkeit mit der Politik aufzugeben, Teilsysteme am gesamtgesellschaftlichen Rationalitätspotential auszurichten oder das Gesamtsystem durch eine Betonung der Weltgesellschaft zu stärken stehen sich dabei gegenüber.

 

  

Literatur

 

Bendel, Klaus, 1993:

Funktionale Differenzierung und gesellschaftliche Rationalität. Zu Niklas Luhmanns Konzeption des Verhältnisses von Selbstreferenz und Koordination in modernen Gesellschaften. In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 22, Heft 4, 1993.

 

Esser, Hartmut / Luhmann, Niklas, 1996:

Individualismus und Systemdenken in der Soziologie. In: Soziale Systeme, 2/96, Opladen.

 

Foerster, Heinz von, 1984:

Principles of Self-Organisation - In a Socio-Material Context. In: Ulrich H. / Probst G. (Ed.), Self-Organisation and Management of Social Systems, Berlin.

 

Kiss, Garbor, 1990:

Grundzüge und Entwicklung der Luhmannschen Systemtheorie, Stuttgart.

 

Kneer, Georg, 1992:

Bestandserhaltung und Reflexion. Zur kritischen Reformulierung gesellschaftlicher Rationalität. In: Krawietz, Werner / Welker, Michael (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme, Frankfurt a. M.

 

Luhmann, Niklas, 1968:

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Luhmann, Niklas, 1970:

Soziologie als Theorie sozialer Systeme. In: Soziologische Aufklärung, Bd. 1, Opladen.

 

Luhmann, Niklas, 1975:

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Luhmann, Niklas, 1984:

Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M.

 

Luhmann, Niklas, 1986:

Ökologische Kommunikation, Opladen.

 

Luhmann, Niklas, 1997:

Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 1, Frankfurt a. M.

 

Luhmann, Niklas / Habermas, Jürgen, 1971:

Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung, Frankfurt a. M.

 

Radermacher, Franz Joseph; 1992:

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Seiffert, Helmut; 1992:

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Willke, Helmut, 1989:

Systemtheorie entwickelter Gesellschaften. Dynamik und Riskanz moderner gesellschaftlicher Selbstorganisation, Weinheim/München.

 

Willke, Helmut, 1993:

Systemtheorie: Eine Einführung in die Grundprobleme der Theorie sozialer Systeme, Stuttgart.