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Inhaltsverzeichnis

 

 

1 Einleitung

2 Die Friedensbewegung als neue soziale Bewegung

3 Theoretische Überlegungen und Erklärungsansätze neuer sozialer Bewegungen

4 Gesellschaftliche Verfassung im Vorfeld der Friedensbewegung

5 Protestanlässe und Ziele der Friedensbewegung

6 Historische Entwicklung der Friedensbewegung

7 Aktionen und innere Struktur der Friedensbewegung

8 Ansätze einer international vergleichenden Perspektive

9 Schlußbemerkung

Literaturverzeichnis

 

 

Einleitung

 

Neue soziale Bewegungen als Form politischer Partizipation haben in den 70er und 80er Jahren in weiten Teilen der westlichen Welt große Bedeutung erlangt. Als Gegengewicht zur etablierten Politik des demokratischen Parteienstaates haben neue soziale Bewegungen gesellschaftlich drängende Themen aufgegriffen und in einer in Form und Funktion alternativen Artikulationsweise in den politischen Prozeß eingebracht. Auf ihrem Höhepunkt haben in der Bundesrepublik einzelne Veranstaltungen und Aktionen mehrere hunderttausend Teilnehmer mobilisiert. Einige Autoren, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen, haben sogar die weitreichende Prognose aufgestellt, daß neue soziale Bewegungen das Medium der politischen Artikulation der Zukunft seien.

 

Innerhalb dieses Kontextes sind vielschichtige Fragestellungen bereits aufgegriffen und behandelt worden. Neben der empirischen Sozialforschung, die sich des Forschungsgegenstandes der neuen sozialen Bewegungen angenommen und teilweise international vergleichend umfangreiches Datenmaterial zusammengetragen hat, sind auch im Bereich der Theoriebildung mittlerweile verschiedene Konzepte vorgestellt worden, die das Phänomen zu erklären versuchen. Innerhalb der politischen Wissenschaften hat sich ein eigener Forschungsschwerpunkt herausgebildet, der sich mit neuen sozialen Bewegungen beschäftigt.

 

Gemeinhin werden vier verschiedene Protestbewegungen mit dem Titel ‘neue soziale Bewegung’ überschrieben:

 

 

Der zuletzt genannten Friedensbewegung widmet sich die vorliegende Arbeit. Es soll ein kurzer Abriß über die historische Entwicklung der Friedensbewegung gegeben sowie die relevanten politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dieser Zeit schlaglichtartig beleuchtet werden. Dabei gilt es, sowohl Protestanlässe als auch Zielvorstellungen und die innere Struktur der Friedensbewegung darzustellen. Schließlich will die Arbeit eine international vergleichende Perspektive anreißen, ohne dabei den Anspruch einer systematischen oder gar vollständigen Behandlung erheben zu können.

 

Die Friedensbewegung als neue soziale Bewegung

 

Eine Annäherung an das Phänomen der neuen sozialen Bewegungen setzt zunächst die Eingrenzung des Erkenntnisobjektes voraus. Eine einheitliche Definition für ‘neue soziale Bewegungen’ gibt es nicht. Vielmehr fällt auf, daß Definitionsversuche unterschiedlicher Autoren teilweise relativ weit auseinander liegen oder zumindest sehr unterschiedliche Akzente setzen. Als Basis für weitere Überlegungen dieser Arbeit erscheint die Definition Raschkes als geeignet:

 

"Soziale Bewegung ist ein mobilisierender kollektiver Akteur, der mit einer gewissen Kontinuität auf der Grundlage hoher symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisations- und Aktionsformen das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen."

 

Folgt man dieser Definition, so lassen sich die Faktoren Mobilisierung, Kontinuität, symbolische Integration, geringe Rollenspezifikation sowie variable Organisations- bzw. Aktionsformen als Hauptcharakteristika von sozialen Bewegungen isolieren.

 

Mobilisierung ist das zentrale Merkmal sozialer Bewegungen, weil aufgrund der fehlenden institutionellen Verankerung soziale Bewegungen nur dann ‘lebendig’ sind, wenn es gelingt, eine bestimmte Anzahl an Personen für Aktionen (Kundgebungen, Demonstrationen usw.) zu mobilisieren. Der Mobilisierungsgrad manifestiert sich anhand der Teilnehmerfrequenz an den jeweiligen Aktionen.

 

Der Faktor Kontinuität dient in erster Linie als zeitlicher Abgrenzungsposten gegenüber kurzzeitiger kollektiver Episoden. Ein genau festgelegter Mindestzeitraum, innerhalb dessen soziale Bewegungen existieren müssen, um als solche zu gelten, gibt es selbstverständlich nicht, jedoch kann man die vage Dimension von ‘mehreren Jahren’ durchaus als Orientierungsgröße angeben.

 

Betrachtet man neue soziale Bewegungen wie die Friedensbewegung unter dem Aspekt der symbolischen Integration, so fällt auf, daß innerhalb dieser Gruppen ein ausgeprägtes Wir-Gefühl herrscht. Das Bewußtsein der Gruppenzugehörigkeit basiert auf den polarisierenden Kategorien "dafür" oder "dagegen". Unterstützt wird das Zusammengehörigkeitsgefühl durch bewegungstypische Umgangsformen und eigene politische Symbole.

 

Wegen ihres vergleichsweise geringen formalen Organisationsgrades gibt es innerhalb von sozialen Bewegungen allenfalls eine schwach ausgeprägte Rollenfestschreibung. Generell kann man davon ausgehen, daß mit einem wachsenden Organisationsgrad auch die Rollenspezifikation wächst und stabilisiert wird. Innerhalb einer neuen sozialen Bewegung könnte man eine relativ lose Rollenverteilung beispielsweise an den Kategorien "Eliten", "Aktive" oder "Sympathisanten" festmachen.

 

Legt man diese Definitionskriterien zugrunde, so muß man die Friedensbewegung zu den neuen sozialen Bewegungen zählen. Unbestritten hat die Friedensbewegung kontinuierlich über einen Zeitraum von mehreren Jahren eine Vielzahl von Menschen bei verschiedenen Aktionen mobilisiert. Inwieweit dies noch für die 90er Jahre gültig ist, sei dahingestellt. Auch die Definitionskriterien symbolische Integration und geringe Rollenspezifikation erfüllt die Friedensbewegung. Sie kann somit in die Kategorie "neue soziale Bewegung" eingeordnet werden.

 

Theoretische Überlegungen und Erklärungsansätze neuer sozialer Bewegungen

 

In der sozialwissenschaftlichen Betrachtung fällt der Erklärung bestimmter Phänomene eine herausragende Bedeutung zu. So werden auch innerhalb des Konzeptes der neuen sozialen Bewegungen verschiedene Theorien bzw. theoretische Hypothesen diskutiert. Eine theorievergleichende Diskussion mit dem Ziel, die Theorie herauszustellen, die in bezug auf neue soziale Bewegungen die größte Erklärungskraft besitzt, ist bisher allenfalls ansatzweise geführt worden. Eine einheitliche Theorie zur Erklärung von neuen sozialen Bewegungen konnte folglich bislang noch nicht erarbeitet werden. Vielmehr gibt es aus verschiedenen Theorien Teilaspekte, die zur partiellen Erklärung von neuen sozialen Bewegungen beitragen. Es würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreiten, die verschiedenen theoretischen Modelle umfassend darzustellen bzw. zu diskutieren. Sie werden daher lediglich mit dem Hinweis auf entsprechende Literatur erwähnt.

 

Folgende theoretische Ansätze verdienen im Erklärungszusammenhang neuer sozialer Bewegungen besondere Beachtung:

 

 

 

Historische Entwicklung der Friedensbewegung

 

Erste spürbare Friedensdiskussionen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im Rahmen der aufkeimenden Wiederbewaffnungsdebatte des Jahres 1948 geführt. Noch ohne koordiniertes Auftreten kam es zur ‘Nie-wieder-Krieg’-Volksbewegung und der ‘Ohne-mich’-Bewegung. Unter der Zielsetzung, eine Volksbefragung zur Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen, formierte sich in der Folgezeit die sogenannte ‘Volksbefragungsbewegung’. Anfänglich wurde diese Initiative von SPD, KPD, DGB und auch der FDP getragen, die sich jedoch aufgrund des starken Einflusses der KPD von der Volksbefragungsbewegung distanzierte. Zu den exponierten Vertretern dieser Initiative gehörten der damalige hessische Kirchenpräsident, Pfarrer Martin Niemöller und der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann. Mit der Ratifizierung der ‘Pariser Verträge’ durch die Bundesregierung im Jahr 1952 wurde die Volksbefragungsbewegung gegenstandslos.

 

Die Wiederbewaffnungsdebatte klang jedoch nicht vollständig ab, und es kam Anfang des Jahres 1955 nochmals zu einer breiten öffentlichen Auseinandersetzung, die ihren Höhepunkt in einer Kundgebung gegen die Pariser Verträge in Frankfurt/Main erlebte. Unter dem Motto ‘Rettet Einheit, Frieden und Freiheit! - Gegen Kommunismus und Nationalismus!’ stand die Kundgebung unter einer von Erich Ollenhauer, Gustav Heinemann und dem Sozialwissenschaftler Alfred Weber initiierten Veranstaltung. Sie mündete in das sogenannte ‘Deutsche Manifest’, in dem unter Berufung auf das Ziel der Wiederherstellung der staatlichen Einheit die Wiederbewaffnung abgelehnt wurde. Von den rund 1.000 Teilnehmern der Kundgebung in der Frankfurter Paulskirche, deren Namen diese Bewegung trug, wurde das Deutsche Manifest angenommen und in der Folgezeit von zahlreichen namhaften Persönlichkeiten in der gesamten Republik unterzeichnet. Mit dem Beschluß des Bundestages im Februar 1955, der NATO beizutreten, löste sich die Paulskirchenbewegung schließlich auf.

 

Infolge des NATO-Beitritts kam es zu einer Diskussion über die Stationierung von Atomraketen auf deutschem Territorium. In diesem Kontext formierte sich die ‘Kampf-dem-Atomtod-Bewegung’, die ihren öffentlichen Höhepunkt in der ‘Göttinger Erklärung’ vom April 1957 fand. In dieser Erklärung wiesen 18 renommierte Wissenschaftler, unter ihnen die Nobelpreisträger Max Born, Otto Hahn und Werner Heisenberg, auf die unkalkulierbaren Gefahren hin, die von Atomwaffen ausgehen. Die Göttinger Erklärung löste eine breite öffentliche Diskussion aus und veranlaßte Albert Schweitzer zu einem ‘Appell an die Menschheit’, in dem auch er eindringlich auf die Gefährdung aufmerksam machte, die von atomaren Waffensystemen ausgeht. Von politischer Seite erhielt die Kampf-dem-Atomtod-Bewegung Unterstützung von Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt, Hildegard Brücher u.a., die neben der erneuten Forderung nach einer Volksbefragung sich für einen mehrtägigen Generalstreik aussprachen. Als auf kommunaler und auf Landesebene beschlossen worden war, Volksbefragungen durchzuführen, schaltete sich auf Initiative der Bundesregierung das Bundesverfassungsgericht ein und erklärte Volksbefragungen in diesem Fall als verfassungswidrig. Damit fand auch die Kampf-dem-Atomtod-Bewegung im Frühjahr 1958 ihr Ende. Diese Bewegung, an deren Veranstaltungen sich bis zu 150.000 Menschen beteiligt hatten, hatte - wenn auch sehr rudimentär - erstmals auch eine Organisationsstruktur in Form von Orts- und Kreisausschüssen. Bevor jedoch eine durchgängige Organisation verwirklicht werden konnte, war diese Bewegung zerfallen.

 

In den ausgehenden 50er Jahren begann mit der ‘Ostermarschbewegung’ eine neue Protestwelle im Kampf gegen Atomwaffen. Im Gegensatz zu den bisherigen Initiativen gab es für die Ostermarschbewegung keinen unmittelbaren politischen Anlaß. Neben Hans-Konrad Tempel, dem geistigen Vater der bundesdeutschen Ostermärsche, wurden die Aktionen vom Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK), der Internationalen der Kriegsdienstverweigerer (IdK) sowie der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) getragen. Basierend auf dem Prinzip der Gewaltlosigkeit und in enger Anlehnung an die Grundhaltung des ‘American Friends Service Comittee’ fand 1960 der erste Ostermarsch statt. Wurden rund 1.000 Teilnehmer auf dem ersten Ostermarsch gezählt, so betrug bereits 1966 die Teilnehmerzahl ca. 150.000, die sich auf etwa 600 Veranstaltungen verteilten. "Organisatorisch stellte sich die Ostermarschbewegung als Mischung zwischen Spontaneität und teilweise rigorosem Zentralismus dar. Sie war keine Mitgliederbewegung, sondern bildete eine lockere Aktionseinheit von gleichgesinnten Staatsbürgern."

 

Gesellschaftliche Verfassung im Vorfeld der Friedensbewegung

 

Um soziale Phänomene wie neue soziale Bewegungen im Allgemeinen oder die Friedensbewegung im Besonderen erklären zu können, erscheint es unerläßlich, einen Blick auf die gesamtgesellschaftliche Verfassung im Vorfeld dieser Phänomene zu werfen. Nur so lassen sich das gesellschaftliche Problembewußtsein nachvollziehen und die Motive der Träger von politischen Protestaktionen verstehen.

 

Die ausgehenden 60er und die beginnenden 70er Jahre kann man allgemein als Phase der Reform- und Planungseuphorie bezeichnen. Aufgrund eines Schubes an technologischen und wirtschaftlichen Errungenschaften in jener Zeit war ein weitreichender Glaube an den technischen Fortschritt verbreitet. Die Mondlandung, die Entwicklung der Computertechnik, die erste Herztransplantation u.a. gaben einer breiten Öffentlichkeit Anlaß zur Zuversicht.

 

Das sogenannte Wirtschaftswunder schaffte nachhaltig und auf breiter Basis Vertrauen in die Wirtschaftsordnung. Die überraschend schnelle Überwindung der ersten bundesrepublikanischen Wirtschaftskrise der Jahre 1966/67 und die Einführung eines verfeinerten neokeynsianischen Steuerungsinstrumentariums verstärkten die Hoffnung auf anhaltende wirtschaftliche Prosperität. Mit weitreichenden ordnungspolitischen Maßnahmen (Gesetz zur Förderung von Stabilität und Wachstum, Konzertierte Aktionen, Einführung der mittelfristigen Finanzplanung, usw.) verband sich der Glaube daran, zukünftig wirtschaftliche Krisen abschwächen oder gar verhindern zu können.

 

Es gelang der Politik nach und nach, die gesellschaftskritischen Kreise der Bevölkerung, die größtenteils noch Träger der 68er-Proteste waren, in die Parteien bzw. deren Jugendorganisationen zu integrieren. Extremistische Parteien, wie die DKP und die NPD, die kurz zuvor noch relativ starken politischen Einfluß besaßen, wurden in die faktische Bedeutungslosigkeit zurückgedrängt. Mit dem Abklingen der Studentenbewegung gab es auch keine kompakte außerparlamentarische Opposition mehr.

 

Mit der ersten sozial-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Brandt machten sich auch in eher kritischen gesellschaftlichen Kreisen Hoffnungen auf Reformen breit. Mit den Reformversprechen der sozial-liberalen Koalition verbanden sich die gesellschaftlichen Erwartungen auf einen politischen Innovationsschub. Weitreichende Reformmaßnahmen wurden auf den Weg gebracht (Mitbestimmung/Betriebs-verfassungsgesetz, Steuerreform, Absenkung des Wahlalters usw.). Der Kompe-tenzzuwachs des Staates sollte durch die Formel ‘mehr Demokratie wagen’ neu-tralisiert werden. Politik sollte sich nicht mehr länger auf reaktive Maßnahmen und punktuelle Korrekturen beschränken, sondern in eine langfristige Planung einge-bettet werden. Alles in allem machte sich der Glaube an die Möglichkeit breit, die Gesamtpolitik auf eine rationale und kalkulierbare Basis stellen zu können. Die neue Ostpolitik der Regierung Brandt weckte in jenen Kreisen, die sich verstärkt mit friedens- und sicherheitspolitischen Themen auseinandersetzten, eine hochge-steckte Erwartungshaltung hinsichtlich einer baldigen Entschärfung des Ost-West-Konfliktes.

 

Im Verlauf der 70er Jahre wich die gesellschaftliche Zuversicht einer zunehmenden Ernüchterung. Die Reformeuphorie wurde gedämpft, als deutlich wurde, daß anspruchsvolle Reformvorhaben steckenblieben oder revidiert wurden. In der Politik kam es zu einer deutlichen Akzentverschiebung weg vom programmatischen Eifer hin zu einem nüchternen Pragmatismus, der mit dem Ende der Kanzlerschaft Brandts und dem Wechsel zu Schmidt auch personell augenscheinlich wurde.

 

Die Ölkrise von 1973 führte sowohl der Politik als auch der Bevölkerung schlagartig vor Augen, auf welcher labilen Basis das industrielle Wachstum stand. Das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland sah sich im Zusammenhang der Rezession von 1974/75 erstmals mit dem Phänomen der Stagflation konfrontiert, was zu zusätzlicher Ratlosigkeit führte. Die bis zu diesem Zeitpunkt weit verbreitete Fortschrittsgläubigkeit wurde nachhaltig erschüttert. Eine neue kritische Öffentlichkeit entstand, die durch zahlreiche Publikationen eine sehr düstere Zukunftsprognose entwarf und ein neues gesellschaftliches Bewußtsein prägte. Als Beispiele für Veröffentlichungen dieser Zeit, die insbesondere ökologische und friedenspolitische Fragestellungen thematisierten, seien Publikationen von Herbert Gruhl, Erhard Eppler, Hoimar von Ditfurth, Carl Friedrich von Weizsäcker und Hans Jonas erwähnt.

 

Im Hinblick auf die politische Landschaft kam es zu Veränderungen. Diejenigen, die sich enttäuscht von der Politik abgewandt hatten, formierten sich in Bürgerinitiativen. Mit dem geplanten Bau des Atomkraftwerks im südbadischen Wyhl begann nun auch eine brisante energiepolitische Auseinandersetzung, die in eine außerparlamentarische Bewegung mündete. Aus dieser Konstellation heraus begannen sich nach und nach neue soziale Bewegungen zu formieren und auf den politischen Prozeß Einfluß zu nehmen.

 

Protestanlässe und Ziele der Friedensbewegung

 

Der Hoffnung auf eine Politik der Entspannung des Ost-West-Konfliktes, die in der Bundesrepublik eng mit der neuen Ostpolitik der Regierung Brandt verbunden war, war der Realität einer Politik der Stärke zwischen den Militärblöcken gewichen, die durch den NATO-Doppelbeschluß des Bundestages und der Regierung Schmidt in West-Deutschland versinnbildlicht wurde. Der NATO-Doppelbeschluß im Herbst des Jahres 1979 ist insofern auch als der konkrete Auslöser der Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland anzusehen. Jedoch würde es zu kurz greifen, wenn man die Erklärung des politischen Phänomens der Friedensbewegung ausschließlich auf den NATO-Doppelbeschluß und der damit verbundenen Stationierung von Pershing II-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik zurückführen wollte. Die Wahrnehmung der gesamtpolitischen Rahmenbedingungen haben ebenfalls zum Zustandekommen des Massenprotestes in Form der Friedensbewegung beigetragen.

 

Der subjektiv als abrupt empfundene Wechsel von der Entspannungspolitik zurück zur Politik des Kalten Krieges, der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan, das gigantisch anmutende Aufrüstungsprogramm der Reagan-Administration in den USA - diese Faktoren führten zur Wahrnehmung zunehmender Kriegsgefahren und trugen dazu bei, weite Teile der bundesdeutschen Bevölkerung für das Thema Friedenssicherung zu sensibilisieren und somit die Voraussetzung zur Entstehung der Friedensbewegung in den 80er Jahren zu schaffen.

 

Für die Ausbreitung und Intensivierung des Protestes in der Bundesrepublik Deutschland spielte die Verbreitung ‘apokalyptischer Literatur’ eine wichtige Rolle. In von Journalisten, Wissenschaftlern und Einzelpersonen verfaßten Publikationen wurden genaue Einzelheiten von persönlichen Schicksalen der vom Atomkrieg betroffenen Menschen dargestellt. Diese Form der Öffentlichkeit sensibilisierte viele Menschen für die Problematik und sorgte für eine erhöhte Bereitschaft, sich selbst aktiv hinter die Ziele der Friedensbewegung zu stellen.

 

Durch ständig gestiegene Waffenqualitäten und -quantitäten erschien die Kriegsführungsfähigkeit als immer wahrscheinlicher. Der Aufbau von nuklearen Erstschlagskapazitäten ließen das Abschreckungssystem als gefährdet erscheinen. Als Folge davon stand zu befürchten, daß eine mögliche offensive Drohpolitik einer Supermacht einen Präventionszwang der anderen Supermacht heraufbeschwören könnte. Die Planung und teilweise vollzogene Realisierung von Teilentwaffnungspotentialen stellten sich als Hemmnis weiterer Abrüstungsbemühungen dar. Daneben ließen die Entwaffnungssysteme eine erhöhte Gefahr der vollständigen Vernichtung durch den Gegner im Krisenfall vermuten.

 

Neu war auch die Erkenntnis, daß aufgrund der Weiterentwicklung der atomaren Waffensysteme eine nukleare Auseinandersetzung regional begrenzbar war. War man bis zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen, daß ein Atomkrieg weder begrenzbar noch gewinnbar sei, wirkte diese Perspektive wie ein Schock, weil die global abschreckende Wirkung eines Atomkriegsszenarios sich nun zu relativieren begann. Für die Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland wurde in dieser Tatsache insbesondere eine gravierende Gefahr für Europa gesehen.

 

Als weitere akute Kriegsgefahr wurde die Möglichkeit einer horizontalen bzw. einer vertikalen Eskalation einer kriegerischen Auseinandersetzung ausgemacht. Bei der horizontalen Ausweitung eines Krieges befürchtete man, daß ein regionaler Konflikt in der Dritten Welt, in den die Supermächte involviert werden, sich zu einem Weltkrieg ausbreiten könnte. Bei einer vertikalen Eskalation hatte man die Befürchtung, daß ein konventioneller Krieg sich zu einem Atomkrieg entwickeln könnte.

 

Eine weitere Befürchtung der Friedensbewegung war die Auslösung eines Atomkriegs ‘aus Versehen’. Die Angst vor einer nuklearen Auseinandersetzung aufgrund menschlichen oder technischen Versagens wurde unter anderem durch das Bekanntwerden einer Studie des Streitkräfteausschusses der USA genährt, wonach in einem Zeitraum von 18 Monaten 151 Mal falscher Alarm registriert wurde. In vier Fällen wurde der Alarm als gravierend eingestuft und schon erste Maßnahmen eingeleitet. Einmal war die Ursache für den Fehlalarm ein Wildgänseschwarm, der von einem Radargerät falsch erkannt wurde.

 

Ein grundsätzlicher Kritikpunkt der Friedensbewegung bestand in der Haltung der NATO-Mitgliedsstaaten, deren Position darin bestand, daß Kriegsverhinderung am besten durch Abschreckung zu erreichen sei. Ziel der NATO war es, den Gegner davon zu überzeugen, daß ein Angriff für ihn ein unkalkulierbares Risiko bedeuten würde.

 

Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland entwickelte sich von einer reinen Protestbewegung zu einer Gruppierung, die selbst inhaltliche Konzepte vorlegte und alternative Wege zur Friedenssicherung in die Diskussion brachte. Die drei wichtigsten sind

 

 

Das Konzept der sozialen Verteidigung sieht eine Verteidigung sozialer Institutionen durch gewaltfreie Aktionen vor. Dabei wird dem Aggressor kein militärischer Widerstand entgegengesetzt, sondern auf eine gewaltfreie und waffenlose Verteidigung des Territoriums des Angegriffenen gesetzt. Dabei soll das verteidigte Gesellschaftssystem lebensfähig erhalten werden, dem Angreifer die Zusammenarbeit verweigert und dessen Anhänger zur Parteinahme für die Verteidiger oder mindestens zur Neutralität veranlaßt werden.

 

Das Konzept der defensiven Verteidigung ist von dem Gedanken geleitet, daß Sicherheitspolitik in der Lage sein muß, Krieg zu verhindern, ohne eine Verteidigung aufzubauen, die selbstmörderisch wäre, wenn sie eines Tages zum Einsatz käme. Damit verband sich die konkrete Forderung an die NATO, ihre Abhängigkeit vom Erstschlag aufzugeben und in einem Umrüstungsprozeß atomare Waffensysteme abzubauen und statt dessen ein konventionelles Verteidigungskonzept aufzubauen.

 

Das Disengagementkonzept, welches auch auf der internationalen politischen Ebene diskutiert wurde, sieht vor, den Ost-West-Konflikt durch eine atomwaffenfreie Zone in Europa zu entspannen. Damit einhergehend müßten Rüstungskontrollverhandlungen geführt, die Blockstrukturen gelockert und unterschiedliche Abrüstungsschritte eingeleitet werden.

 

Aktionen und innere Struktur der Friedensbewegung

 

Nach dem NATO-Doppelbeschluß und der darin vorgesehenen Stationierung von Mittelstreckenraketen auf bundesdeutschem Territorium kam es im November 1980 zur ersten großen Aktion. Auf dem ‘Krefelder Forum’ trafen sich rund 1.000 Aufrüstungsgegner, und hier wurde der ‘Krefelder Appell’ beschlossen. Zu den Initiatoren zählten damals unter anderem Martin Niemöller, General a.d. Gert Bastian und Petra Kelly. Der Krefelder Appell erwies sich als äußerst öffentlichkeitswirksam. Innerhalb von drei Jahren wurde er von über vier Millionen Bundesbürgern unterschrieben. Die Unterzeichner des Krefelder Appells riefen die Bundesregierung dazu auf, ihre Zustimmung zur Stationierung von Pershing-II-Raketen in Mitteleuropa zurückzuziehen.

 

Nicht so öffentlichkeitswirksam wie der Krefelder war der Aufruf der ‘Bertrand Russell Peace Foundation’ (1980). Seine Bedeutung lag vielmehr in seiner Intention, Alternativen zur herrschenden Sicherheitspolitik zu entwickeln. So sprach sich die Betrand Russell Peace Foundation dafür aus, eine atomwaffenfreie Zone zwischen Polen und Portugal zu schaffen. Mit diesem Aufruf begann innerhalb der Friedensbewegung die Auseinandersetzung mit alternativen Sicherheitskonzepten und war deshalb für die Artikulationsqualität der Folgezeit wichtig. Diesem Appell folgten mehrere Kongresse, auf denen Friedenskonzeptionen beraten wurden.

 

Als ein wichtiges Ereignis in der Geschichte der neuen Friedensbewegung ist der Evangelische Kirchentag 1981 in Hamburg zu werten. Unter dem Motto ‘Fürchtet Euch - der Atomtod bedroht uns alle!’ nahmen ca. 80.000 Menschen an der Veranstaltung teil. Sie war die Initialzündung der Friedensarbeit innerhalb der Kirche. Es war die bis dahin größte Demonstration der Friedensbewegung und stieß auf dementsprechend großes öffentliches Interesse.

 

Am 10. Oktober 1981 fand in Bonn die ‘Friedensdemonstration für Abrüstung und Entspannung’ statt. Organisiert durch die Aktion ‘Sühnezeichen / Friedensdienste’ und der ‘Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden’ nahmen über 300.000 Menschen an dieser Veranstaltung teil. Sie bewirkte eine Reihe von Gründungen neuer Initiativen.

 

Anläßlich der NATO-Gipfelkonferenz am 10. Juni 1982 in Bonn kam es zur bislang größten Friedensdemonstration in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Mehr als 400.000 Menschen nahmen an dieser Veranstaltung teil, zu der von verschiedenen Gruppierungen aufgerufen worden war. Dieser 10. Juni stellte den Höhepunkt der Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland dar. Aus dieser Veranstaltung ging auch der ‘Koordinationsausschuß der Friedensbewegung’ (KA) hervor. Dieser hatte die nicht unumstrittene Aufgabe, die weitere Organisation der Friedensbewegung zu übernehmen.

 

Das politische Spektrum, das innerhalb der Friedensbewegung repräsentiert war, erstreckte sich von DKP-orientierten Kräften über SPD-orientierte Kräfte hin zu den Eurozentristen und den christlichen bzw. radikal-pazifistischen Friedensrichtungen. Die DKP-orientierten Kräfte setzten sich zusammen aus dem ‘Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit’ (KOFAZ), dem ‘Marxistischen Studentenbund’ (MSB), der ‘Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend’ (SDAJ) und einiger anderer Gruppierungen. Sie setzten sich für eine bedingungslose Unterstützung östlicher Abrüstungsvorschläge ein.

 

Unter den SPD-orientierten Kräfte befanden sich der linke SPD-Flügel um Erhard Eppler und Oskar Lafontaine, die Jungsozialisten (Jusos) und Teile der Gewerkschaften. Sie bekannten sich zur NATO, forderten aber ein stärkeres Gewicht der europäischen bzw. deutschen Interessen innerhalb des Bündnisses.

 

Die Gruppe der Eurozentristen bestand aus Teilen der GRÜNEN, der Bertrand Russell Peace Foundation sowie den Alternativen Listen. Sie setzten sich für eine völlige Neudefinition der deutschen und europäischen Sicherheitsinteressen ein und übten zugleich scharfe Kritik an den Positionen der DKP.

 

Unter den christlichen und radikal-pazifistischen Friedensrichtungen befanden sich sehr viele Gruppierungen. Unter anderem die Initiative ‘Ohne Rüstung leben’, ‘Pax Christi’, der ‘Bund Deutscher Katholischer Jugend’ (BDKJ), ‘Aktion Sühnezeichen / Friedensdienst’ (ASF). Ihr friedenspolitischer Standpunkt war durch eine sehr moralische Argumentation geprägt. Sie sprachen sich für einseitig kalkulierbare Abrüstungsvorschläge ein.

 

Die Organisation der Friedensbewegung war in Abkehr von traditionellen Organisationsvorstellungen basisdemokratisch orientiert und lediglich in sehr lockerer Form an verschiedene Institutionen gebunden. Der Koordinationsausschuß befand sich in Bonn und setzte sich aus den wesentlichen Unterstützergruppen der Friedensbewegung zusammen. Den größten Einfluß nahmen dabei die Parteien. Dem KA oblag die Organisation von Aktionen, die interne Kommunikation, Koordination von Auslandskontakten, Entwurf und Herstellung zentralen Materials, Rechtshilfe sowie eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit. Ohne den KA wäre eine überregionale Koordination kaum möglich gewesen, er darf jedoch nicht als die Friedensbewegung mißverstanden werden. Innerhalb des KA wurde eine intensive Auseinandersetzung darüber geführt, welche Form des Protestes die Friedensbewegung pflegen sollte. In diesem Zusammenhang wurde das Thema Gewalt bzw. Gewaltfreiheit teilweise sehr kontrovers erörtert. Als Protestformen wurden Sitzblockaden, Menschenketten, ziviler Ungehorsam u.ä. erwogen und teilweise umgesetzt.

 

Ansätze einer international vergleichenden Perspektive

 

 

 

Im Gegensatz zur Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland (NATO-Doppelbeschluß) gibt es in den USA keinen konkreten Auslöser der Friedensbewegung, die sich als "single-issue-movement" präsentiert. Allenfalls die zeitlich nicht sehr präzise definierbare Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen zwischen Ost und West sowie die Entwicklung neuer hochmoderner Waffensysteme haben die Mobilisierungsbereitschaft gesteigert.

 

Unter sozialstrukturellen Gesichtspunkten ist die Zusammensetzung der amerikanischen Friedensbewegung insofern interessant, als daß diese zu einem auffällig hohem Teil von der weißen Mittelschicht getragen wurde. Die Bewegung tritt vergleichsweise moderat auf und ist tendenziell wertkonservativ orientiert. Selbst Reagan-Anhänger befinden sich in der US-Friedensbewegung. Ein stark pragmatisch veranlagter Flügel bestimmte den Kurs. Dieser lehnte beispielsweise eine einseitige Abrüstung seitens der NATO völlig ab.

 

Während die meisten Bewegungen in den USA jenen in Westeuropa vorausgingen, verhielt sich dies bei der Friedensbewegung umgekehrt. Erst 1981/82 begann sich die Friedensbewegung in den USA zu formieren. In vereinfachender Form lassen sich fünf unterschiedliche Gruppen innerhalb der Bewegung zusammenfassen. Es gab gewerkschaftliche Gruppen, kirchliche Gruppen, berufsspezifische Gruppen, Kriegsdienstverweigerer und Kommunisten. Ihr gemeinsamer politischer Nenner bestand in der Ablehnung nuklearer Waffen, der Forderung nach Rüstungskontrolle und einem bilateralen Einfrieren der Kernwaffen (FREEZE).

 

Diese Forderungen sollten keine Alternative zum Status quo der US-Sicherheitskonzeption darstellen, sondern zielten vielmehr darauf ab, integriert zu werden. Die US-Friedensbewegung hatte im politischen Prozeß wohl eine Artikulationsfunktion und errang auch ein paar symbolische Siege in Kongreß-Abstimmungen, eine Einflußnahme auf die Militärpolitik blieb ihr jedoch verwehrt.

 

 

 

Die neue Friedensbewegung in Großbritannien hat ihre Wurzeln in den 50er und 60er Jahren. Die CND (Campaign for Nuclear Disarmament) fungiert seither als eine Art Schirmorganisation. Der Organisationsgrad ist verglichen mit der Bundesrepublik folglich höher.

 

Im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses war die Stationierung von 160 Cruise Missiles auf der britischen Insel vorgesehen. Mit dem NATO-Doppelbeschluß wuchs auch in Großbritannien die Sensibilität für die Abrüstungpolitik schlagartig. Hielten im September noch 14 Prozent der Bevölkerung einen Atomkrieg für wahrscheinlich, so waren es ein Jahr später bereits 37 Prozent. Auch die Mitgliederzahlen des CND stiegen von rund 3.000 im Jahr 1980 auf über 250.000 im Jahr 1985. Wie in den USA rekrutierte sich die große Mehrheit aus der Mittelschicht.

 

Das politische Spektrum, das in der Friedensbewegung repräsentiert war, reichte von der trotzkistischen Socialist Workers Party über die einflußreichste Gruppe der Labour-Anhänger und die der Liberalen bis hin zu einer kleinen Gruppe ‘Tories against Cruise ans Trident’. Als Aktionsformen konzentrierte sich die Friedensbewegung in Großbritannien weitgehend auf Ostermärsche und einige Rockkonzerte.

 

 

Im Gegensatz zu anderen westeuropäischen Ländern stellte der NATO-Doppelbeschluß in Frankreich keinen Kristallisationspunkt für eine breite Friedensbewegung dar. Da Frankreich aufgrund seiner geopolitischen Lage nicht als Stationierungsland vorgesehen war, gab es auch keinen unmittelbaren Problemdruck, der zu einer Initialzündung für eine Friedensbewegung hätte führen können. Der französischen Friedensbewegung (Mouvement de la paix) gelang nie der Durchbruch zu einer Massenbewegung. Lediglich zwei Großdemonstrationen anläßlich eines Reagan-Besuchs in Paris stehen in der Chronik.

 

Die Ursachen für die mangelhafte Mobilisierung in Frankreich sind zahlreich. Die Unterstützung durch linke Parteien blieb in Frankreich weitgehend aus, weil diese eine Bedrohung durch den Warschauer Pakt - verglichen mit anderen westeuropäischen linken Parteien - als besonders groß einschätzten. Auch die Medien in Frankreich standen der Friedensbewegung mit äußerster Skepsis gegenüber. Die katholische Kirche verhielt sich stets sehr distanziert und unterstützte die Friedensbewegung zu keinem Zeitpunkt. Hinzu kommt, daß die französische Volkswirtschaft zu einem relativ hohen Teil von Rüstungsexporten abhängt.

 

 

Der NATO-Nachrüstungsbeschluß von 1979 wurde in der DDR als massive Bedrohung wahrgenommen. Viele DDR-Bürger schloßen sich in der Folgezeit Friedensgruppen an. Insbesondere die Russell Peace Foundation mit ihrer Forderung nach einem atomwaffenfreien Europa erfährt großen Zuspruch. Im September 1981 schreibt der Bürgerrechtler Havemann einen offenen Brief an den sowjetischen Staats- und Parteichef Brechenev, in dem er sich für die Umsetzung des Disengagementkonzeptes einsetzt.

 

Der Praxis der Abschreckung erteilt der DDR-Friedensbewegung eine eindeutige Absage. In dem Maß, wie es auf keinen staatlichen Widerspruch stößt, beginnen viele kleine Friedensaktionen. Eltern wehren sich gegen die Einführung des Schulfaches "Wehrkunde", am Buß- und Bettag finden Friedensminuten statt, und es entsteht die Initiative ‘Sozialer Friedensdienst’.

 

1981 wird eine Friedensdekade mit Friedensprozessionen durchgeführt. An Pfingsten 1982 findet eine Demonstration statt, die unter dem Motto ‘Schwerter zu Pflugscharen’ steht. Die Kirche ist die treibende Kraft hinter den Friedensinitiativen der DDR. Havemann und der Pfarrer Eppelmann initiieren den Berliner Appell ‘Frieden schaffen ohne Waffen’. In der Berliner Erlöserkirche kommt es zu der Aktion ‘Fasten für das Leben’ und an Erich Honecker wird ein Brief geschickt, in dem er um die Verhinderung einer Aufstellung von SS-20-Raketen in der DDR gebeten wird. Am 1. September 1983 wird versucht, eine Menschenkette von der amerikanischen zur sowjetischen Botschaft zu bilden. Dieser Versuch wird jedoch durch die Polizei unterbunden.

 

 

Schlußbemerkung

 

Seit dem Aufkommen der neuen Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen westlichen Staaten Ende der 70er bzw. Anfang der 80er Jahre hat sich die weltpolitische Situation grundlegend verändert. Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Ostblocks ist auch der Ost-West-Konflikt nicht mehr existent. Damit hat auch die Friedensbewegung, die ausschließlich auf den Ost-West-Gegensatz fixiert war, ihren Gegenstand verloren. Ob die neue Konstellation dauerhaft Bestand haben wird, hängt von der weiteren Entwicklung in Osteuropa ab. Wenn sich neue Konfliktkonstellationen ergeben sollten, bleibt abzuwarten, ob die Friedensbewegung neue Aktivitäten entfalten wird. Tendeziell ist jedoch davon auszugehen, daß sich die Friedensbewegung, so wie sie sich in den 80er Jahren dargestellt hat, überlebt hat.

 

So stellt sich die Frage, was erreicht wurde und was möglicherweise dauerhaft bestehen wird. Ungeachtet des inhaltlichen Erfolges, der nur sehr schwer zu bewerten ist, wurde das demokratische Staatssystem mit einer Form der politischen Auseinandersetzung konfrontiert, die sowohl, was ihre Qualität, als auch was ihre Quantität betrifft, eine neue Dimension verkörpert. Bezüglich eines bestimmten Themas außerhalb von politischen Parteien aktiv zu werden, könnte auch in Zukunft bei begünstigenden Rahmenbedingungen und hinreichend großem Problemdruck eine Form der politischen Partizipation sein. Die Entstehungsmechanismen sind die gleichen, egal ob es um Umweltschutz, Abrüstung oder auch soziale Probleme geht.

 

 

Literaturverzeichnis

 

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