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Inhaltsverzeichnis:
Einführung
1.Kapitel: Die Theorie der paradoxen Interventionen

1.1. Begriffsklärung und mathematische Grundlegung
a) Schwierigkeit und Problem
b) Der Mensch als komplexes System
c) Zwischenmenschliche Systeme
d) Gruppentheorie und logische Typenlehre

1.2. Lösungen 1.Art - Fehllösungen
a) Problemverursachende Vereinfachungen
b) Utopien
c) Paradoxien

1.3. Lösungen 2.Art - paradoxe Interventionen
a) Symptomverschreibung
b) Umdeutung

2. Kapitel: Droge und Gesellschaft

2.1. Eingrenzung
2.2. Problementstehung
2.3. Sichtweise der "nicht-konsumierenden" Gesellschaft
2.4. Umdeutung als Problemlösungsversuch 2.Art

3. Kapitel: Pädagogische Interventionsmöglichkeiten

3.1. Folgerungen

Schluß

Einführung
In der hier vorliegenden Arbeit befasse ich mich mit paradoxen Interventionen im pädagogischen Kontext. Was unter paradoxen Interventionen zu verstehen ist, läßt sich nur auf der Basis des ihm zu Grunde liegenden kommunikations- und systemtheoretischen Denksystems darlegen. Dazu ist es nötig, die logisch-mathematische Gruppentheorie und die logische Typenlehre auf den Menschen und dessen zwischenmenschliche Beziehungen zu beziehen.
Im ersten Kapitel werde ich mich daher um eine kurze Darstellung dieser Grundlagen und die Einführung der wichtigsten Begriffe dieses Denksystems bemühen. Darauf folgt die theoretische Darlegung des paradoxen Interventionsansatzes.
Im zweiten Kapitel folgt eine Darstellung des Problems, das Drogen in unserer Gesellschaft zu verursachen scheinen. Dieses Problem wird dann mit dem oben dargelegten theoretischen Begriffssystem zu analysiert und zu bearbeitet. Dabei werde ich versuchen zu zeigen, daß die bestehende Problematik durch unangemessene Situationsbeurteilung und den daraus folgenden Lösungsversuchen erst verursacht wird. Nach dem Wirkmechanismus von sich selbst erfüllenden Erwartungen führen die momentane Einstellung gegenüber Drogen und die sich daraus ergebenden Erwartungen zu den Fehllösungsversuchen, welche die Erwartungen schließlich wahr werden lassen
Schließlich werde ich im dritten Kapitel die Folgerungen darlegen, die sich aus dieser Art der Problemerörterung für den Pädagogen und sein Handeln, verstanden als professionelles Intervenieren in diesem Problemfeld, ergeben.
Im begrenzten Rahmen dieser Arbeit ist nur eine kompakte und knappe Darstellung der umfangreichen theoretischen Grundlagen möglich, wodurch das erste Kapitel vielleicht zunächst abstrakt und unzusammenhängend erscheinen mag. Dies wird sich jedoch durch die Anwendung auf die Problemstellung im zweiten Kapitel und der daraus abgeleiteten pädagogischen Möglichkeiten im dritten Kapitel relativieren.

1. Kapitel: Die Theorie der paradoxen Interventionen
Paradoxe Interventionen sind unkonventionell und unlogisch erscheinende Problemlösungsstrategien, die auf eine ganz spezifische Form von Problemen angewendet werden mit dem Ziel, spontan und indirekt eine Lösung herbeizuführen. Es handelt sich hierbei um Probleme, die auf logisch-analytische, konventionelle Art nicht lösbar sind, sondern durch solche Lösungsversuche vielmehr erst entstehen.

1.1. Begriffsklärung und mathematische Grundlegung
a) Schwierigkeit und Problem
Um diesen speziellen Problemtyp sprachlich von anderen abzugrenzen, nimmt Watzlawick folgende Begiffsdefinitionen vor:
1) Mit Schwierigkeiten "... sollen damit unerwünschte Sachlagen oder Situationen gemeint sein, die entweder durch vernünftige Maßnahmen (...) und ohne die Notwendigkeit besonderer Fachkenntnisse behoben werden können, oder wir verstehen darunter den noch häufigeren Fall alltäglicher Lebensschwierigkeiten, für die niemand eine Lösung kennt und mit denen man zu leben lernen muß."[1]
Unter vernünftigen Maßnahmen versteht man Veränderungen innerhalb eines Systems - gewöhnlich durch die Einführung des Gegenteils und dann mehr desselben - bis das Gleichgewicht des Systems wiederhergestellt ist, wie weiter unten bei der Darstellung der mathematischen Gruppentheorie noch deutlich werden wird. Auf diese Art und Weise lassen sich viele Schwierigkeiten innerhalb geschlossener Systeme in den Griff bekommen. Jedoch gerade bei zwischenmenschlichen Problemen stellt man immer wieder fest, daß sie sich jeglicher logisch erscheinenden Lösungsversuche widersetzen. Wir haben es hier mit einer anderen Form von Schwierigkeit zu tun, die sich zwischen und innerhalb offener komplexer Systeme, wie Menschen und Gruppen es sind, ergeben.
2) Daher wird nach Watzlawick von Problemen dann gesprochen, "... wenn wir damit jene ganz spezifischen Spiele ohne Ende, Sackgassen und Konflikte meinen, die durch falsche Lösungsversuche von Schwierigkeiten erzeugt und erhalten werden."[2]
Unter Problemen wird in diesem Rahmen nicht ein Zustand des Ungleichgewichts innerhalb eines Systems verstanden, sondern ein Prozeß, der durch seine Unangemessenheit zu einer Verschärfung bis hin zur Unauflösbarkeit von Schwierigkeiten führt. Durch paradoxe Interventionen wird versucht, diesen Prozeß und nicht die zu Grunde liegende Schwierigkeit zu behandeln, beziehungsweise aufzulösen.
b) Der Mensch als komplexes System
Das systemtheoretische Denksystem faßt den Menschen als offenes, komplexes, sich selbst strukturierendes System auf. Er ist offen in dem Sinne, daß er Informationen aus seiner Umwelt aufnimmt und verarbeitet. Jede Information trifft jedoch auf ein komplex organisiertes Gebilde von Wissen, Meinungen, Einstellungen und Regeln, kurz: auf die bereits bestehende Gedächtnisstruktur des Systems "Mensch". Jeder Mensch ist gezwungen zu selektieren und zu ordnen, "... denn schon ab einer mittleren Anzahl von Variablen kann nicht mehr alles mit allem verbunden sein, sondern es lassen sich nur noch wenige bestimmte, herausgehobene Beziehungen realisieren."[3]
Jeder Mensch ist anderen Umwelteinflüssen ausgesetzt und entwickelt daher eigene Selektionsregeln und eine individuelle Struktur, welche mit zunehmender Komplexität zu stärker Abgeschlossenheit nach außen neigt. Das bedeutet, "... daß Systeme mit der Ausbildung einer gewissen Eigenkomplexität immer stärker auf sich selbst reagieren und mit ihren eigenen Prozessen beschäftigt sind."[4]
So hat die Beeinflussung dieser Systeme von außen, zum Beispiel durch pädagogisches Intervenieren, welches als "... das Bewirken eines bedeutsamen Unterschiedes in der Operationsweise eines Systems..."[5] aufgefaßt werden kann, immer weniger Aussicht auf Erfolg. Nur wenn es gelingt, "... die empfindlichen und kritischen Parameter und Prozesse eines Systems ausfindig zu machen..."[6] und an diesen anzusetzen, kann eine Intervention von außen eine bleibende systeminterne Veränderung bewirken. Daraus folgt, daß es keine Rezepte für erfolgreiche Interventionen geben kann, sondern daß jede Problemstellung und auch ihre mögliche Lösung einmalig ist.
Diese systemtheoretische Sichtweise des Menschen wird bei der Entwicklung von Interventionsmöglichkeiten für Pädagogen im dritten Kapitel von ausschlaggebender Bedeutung sein.
c) Zwischenmenschliche Systeme
Nach der Betrachtung des einzelnen Menschen als komplexes System wird auch die nun folgende kommunikationstheoretische Sichtweise auf zwischenmenschliche Beziehungen klar:
Bei zwischenmenschlichen Systemen handelt es sich zunächst ganz abstrakt beschrieben um ein "... Aggregat von Objekten und Beziehungen zwischen den Objekten und ihren Merkmalen."[7]
Die Objekte sind in unserem Fall die beteiligten Menschen als komplexe Systeme.
In der Kommunikationstheorie versteht man unter Merkmalen ihr kommunikatives Verhalten und nicht ihre Persönlichkeitsmerkmale.[8]
Die Beziehungen zwischen den Objekten und ihren Merkmalen bezeichnen ein Metaregelwerk des Umgangs (der Kommunikation) miteinander. In jedem zwischenmenschlichen System werden die Beziehungen zwischen den Beteiligten immer wieder neu definiert und determinieren mögliche Kommunikationsformen.[9]
Da man von einem zwischenmenschlichen System nur dann spricht, wenn über einen längeren Zeitraum miteinander interagiert wird, ist eine solche Regelfestlegung unumgänglich. Denn ohne ein Mindestmaß an Antizipierbarkeit des Verhaltens der Teilnehmer kann sich keine zeitlich konstante Systemstruktur, analog zum komplexen System "Mensch" bilden. Zwischenmenschliche Systeme lassen sich als regelgesteuerter Verbund von komplexen Einzelsystemen verstehen, die über Kommunikation miteinander in Verbindung stehen.
Eine Kommunikation ist dabei eine Mitteilung von einer Person an eine andere. Sie ist nicht nur auf verbale Mitteilungen beschränkt, sondern man kann sie im weitesten Sinne als Verhalten mit inhaltlichem Bezug zu einem anderen Menschen verstehen. (Informationsübermittlung)
"Ein wechselseitiger Ablauf von Mitteilungen zwischen zwei oder mehreren Personen wird als Interaktion bezeichnet."[10] (Hervorgehoben nicht im Original)
Menschen interagieren in zwischenmenschlichen Systemen nach den Regeln ihrer Beziehungsdefinition. Störungen innerhalb dieser Systeme stellen Schwierigkeiten dar, die dann zu Problemen werden, wenn die Störung in fehlerhafter Kommunikation und nicht inhaltlicher Differenzen besteht. Es gibt demnach zwei Arten von Störungen des Systemgleichgewichts: Inhaltliche Störungen und Beziehungsstörungen (Metastörung).
An diesem Punkt setzt Watzlawick an, wenn er zwischen Schwierigkeit und Problem unterscheidet. Inhaltliche Störungen stellen Schwierigkeiten dar, die durch Lösungen 1.Art bearbeitbar sind. Beziehungsstörungen sind nach seiner Theorie nur durch Lösungen 2.Art, abgeleitet aus der logischen Typenlehre, auflösbar und nicht durch Bearbeitung auf der Inhaltsebene.
d) Gruppentheorie und logische Typenlehre
Die mathematische Gruppentheorie wurde Mitte des 19. Jahrhunderts ausgebildet und befaßt sich ganz allgemein mit Elementen, die durch Relationen in Verbindung miteinander stehen und so ein System (Klasse) bilden. Für ein solches System gilt, daß man die enthaltenen Elemente in beliebiger Reihenfolge miteinander kombinieren kann, daß es ein Einheitselement gibt, "... dessen Kombination mit jedem anderen Element wiederum dieses Element ergibt"[11] und daß es zu jedem Element eine Inverse gibt, derart, daß die Kombination dieser beiden gegensätzlichen Elemente wieder das Einheitselement ergibt.[12]
Ein System bleibt immer dasselbe System (invariant), wenn man seine Elemente nach obigen Regeln miteinander agieren läßt.
Auf menschliche Systeme übertragen gilt, daß die Beziehungsdefinition als Metaregel die erlaubten Relationen definiert und Interaktionen innerhalb dieser Definition das Beziehungsgefüge nicht verletzen oder stören. Daraus folgt, daß Störungen, die durch eine Verletzung der Beziehungsdefinition oder durch eine fehlerhafte Beziehungsdefinition zustande kommen, nicht auf dieser Abstraktionsstufe (innerhalb der Gruppentheorie) lösbar sind. Denn hier handelt es sich nicht um eine inhaltliche Störung, die durch die regelgetreue Interaktion der Beteiligten entstand, sondern die Regeln selbst wurden verletzt. An dieser Stelle hilft die Gruppentheorie nicht mehr weiter, weil sie sich nur auf Vorgänge innerhalb eines Systems mit festgelegten Regeln anwenden läßt. Sie erklärt jedoch, daß inhaltliche Störungen, als Systemungleichgewicht verstanden, durch die Anwendung der Gruppengesetze lösbar sind. Diese Lösungsart wird von Watzlawick als Lösung erster Ordnung (1.Art) bezeichnet.[13]
Die logische Typenlehre betrachtet dagegen nicht die Vorgänge innerhalb eines Systems, sondern untersucht die Beziehungen der Elemente zum Gesamtsystem. Sie kommt so zu einer "... Hierarchie der logischen Typen (das heißt, der Stufen logischer Abstraktionen)."[14]
Die zentrale Aussage der logischen Typenlehre besagt, daß "... was immer die Gesamtheit einer Klasse (Menge) betrifft, nicht selbst Teil dieser Klasse sein darf."[15] Eine Mißachtung dieses Grundsatzes führt zu paradoxen Zuständen.
Unter einer Paradoxie versteht man einen Widerspruch, "... der sich durch folgerichtige Deduktion aus widerspruchsfreien Prämissen ergibt."[16]
Nach der logischen Typenlehre läßt sich das Entstehen einer Paradoxie so erklären, daß zwei gültige Aussagen auf unterschiedlichen Abstraktionsstufen miteinander kombiniert werden, woraus sich ein logischer Widerspruch ergibt. Das Verhängnisvolle ist, daß wir nicht über verschiedene Sprachen für die unterschiedlichen Abstraktionsstufen verfügen. So sind die Ursachen einer entstandenen Paradoxie oft schwer erkennbar.
In zwischenmenschlichen Systemen führt die Vermischung von Inhalts- und Beziehungsebene so zu Konflikten und Teufelskreisen, aus denen es keinen logisch ableitbaren Ausweg mehr gibt.[17] Vielmehr kann ein in einen logischen Abstraktionsfehler verstricktes System gar nicht mehr anders funktionieren, als unter Einbezug dieses Fehlers in sein Regelwerk. Eine Lösung erster Ordnung ist hier nicht mehr möglich, sondern führt eher zur Verschärfung der Störung und macht diese zum Problem. Nur eine Auflösung des zugrunde liegenden Verstoßes gegen den Grundsatz der logischen Typenlehre (eine Metaveränderung des Systems) hilft hier weiter. Eine solche Auflösung bezeichnet Watzlawick als Lösung zweiter Ordnung.[18]
Den Unterschied zwischen Lösungen erster und zweiter Ordnung kann man sich am Beispiel wissenschaftlicher Theoriebildung veranschaulichen:
In der Wissenschaft werden aus Erfahrung, Beobachtung und Vorwissen heraus Theorien aufgestellt, die dann empirisch geprüft werden. Wenn eine empirische Prüfung widersprüchliche Ergebnisse liefert, besteht eine Schwierigkeit. In der Regel wird die Theorie nicht sofort verworfen, sondern über Eingrenzungen und Ausnahmefestlegungen relativiert und angepaßt (Immunisierungsstrategie). Dies kann als Lösung erster Ordnung bezeichnet werden, weil der Rahmen der Theorie nicht verlassen, sondern innerhalb dieses Systems eine Lösung gesucht wird. Wenn sich solche Schwierigkeiten jedoch häufen, wird eine Theorie immer eingeschränkter, komplizierter und letztendlich unhaltbar. Das heißt, die Schwierigkeiten werden zum Problem. Eine Lösung zweiter Ordnung bestünde in der Einführung einer neuen Theorie, die von einem anderen Blickwinkel aus (d.h. mit anderen Prämissen) die empirischen Belege widerspruchsfrei erklären kann. Eine solche Theorie ist jedoch nicht aus der vorhergehenden logisch ableitbar, sondern erfordert einen logischen Sprung, den man auch als Intuition bezeichnen könnte.
Beispiele, wie die Kopernikanische Wende mit ihrem Wechsel vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild oder die Ablösung der newtonschen Physik durch Einsteins Relativitätstheorie, belegen eindrücklich die Möglichkeiten, die uns ein Sprung aus der zweiwertigen Logik und dem dadurch vorgegebenen Denkrahmen bietet. Sie zeigen aber auch, wie schwer es ist, mit unkonventionellen Denkweisen anerkannt zu werden.
1.2. Lösungen 1.Art - Fehllösungen
Als Fehllösungen werden Problemlösungsversuche bezeichnet, die anfängliche Schwierigkeiten durch fehlerhafte Bewertung und daraus folgender Bearbeitung innerhalb des Rahmens der Gruppentheorie zu Problemen werden lassen. Es liegen dann Probleme vor, die nur durch den Sprung in eine höhere Abstraktionsstufe nach der logischen Typenlehre oder durch die Auflösung eines logischen Widerspruchs lösbar sind.
Es gibt nach Watzlawick drei Formen problemerzeugender Lösungsversuche, die von der Art der zugrunde liegenden Schwierigkeit abhängen:[19]
a) Problemverursachende Vereinfachungen:
Es gibt real existierende Schwierigkeiten, die nicht erkannt werden, beziehungsweise deren Komplexität verkannt wird. Gerade bei zwischenmenschlichen Störungen wird immer wieder übersehen, daß sie oft einen kreisförmigen Kausalzusammenhang aufweisen. Das bedeutet, das Verhalten des einen Partners bedingt das Verhalten der anderen und umgekehrt. Wenn dies nicht erkannt und beim Lösungsversuch berücksichtigt wird, ergeben sich vereinfachte Sichtweisen auf die vorliegende Störung, die eine Lösung unmöglich machen können. Oft führt die Reduzierung komplexer wechselseitiger Beziehungen auf monokausale Zusammenhänge zu Schuldzuweisungen an einzelne Personen (Interpunktionsproblem) des gestörten zwischenmenschlichen Systems. Dies führt zu Vorurteilen, zur Intoleranz und zur Verteufelung von vermeintlichen Problemverursachern.[20] So wird eine anfängliche Schwierigkeit schließlich zum Problem und führt in konventionell unlösbare Teufelskreise.
Zwischenmenschliche Systeme setzen sich aus ihren Elementen und einer Kommunikationsstruktur zusammen. Eine Änderung eines einzelnen Elementes, ohne Berücksichtigung des kommunikativen Gesamtsystems, muß daher das System aus dem Gleichgewicht bringen. Es ist so als Problemlösungsstrategie nur dann erfolgreich, wenn das Problem nicht in der Kommunikation liegt, sondern eindeutig von einem einzelnen Element verursacht wird. Dies ist aus kommunikationstheoretischer Perspektive bei zwischenmenschlichen Beziehungen seltenst der Fall.[21]
b) Utopien
Den umgekehrten Fall, in dem versucht wird, unlösbare Zustände einer Lösung zuzuführen, nennt man utopische Lösungsversuche. Sie führen auf Grund ihrer Dynamik zu ähnlichen Problemsituationen, wie die oben beschriebenen Vereinfachungen.
Zwei Ausgangszustände können zu utopischen Lösungsversuchen führen: Entweder ist die Schwierigkeit unlösbar, wie zum Beispiel die Überwindung des Todes, oder die Schwierigkeit existiert gar nicht in der erfahrbaren Welt, sondern in der fehlerhaften Interpretation und Anpassung des Menschen an diese Realität.
Allgemein läßt sich sagen, daß Vereinfacher, "... als auch die Utopisten eine problemfreie Welt anstreben - erstere durch die Verneinung des Bestehens gewisser Schwierigkeiten; letzere dadurch, daß sie ihr Bestehen zwar anerkennen, sie aber als grundsätzlich lösbar ansehen."[22]
Menschen und zwischenmenschliche Systeme, die utopischen Lösungsversuchen verfallen, lassen sich in drei Idealtypen aufteilen, je nachdem, wie sie das Mißlingen ihrer Strategie attribuieren:
1) Der introjektive Typus[23] sucht die Schuld für das Nichterreichen seiner Zielvorstellung in seiner eigenen Unzulänglichkeit. Das Ergebnis dieser masochistischen Einstellung, unabhängig davon wo sie herrührt, "... ist Entfremdung, Depression, eventuell Selbstmord (...) und häufig Flucht zu Alkohol oder Drogen..."[24], was in sich selbstverstärkende Teufelskreise mit selbstzerstörerischem Charakter führt.
2) Der projektive Typus[25] stellt das Gegenstück zum introjektiven Typus dar. Auch er glaubt sich im Besitz der Wahrheit und verfolgt ein utopisches Ziel. Nur macht er für das Nichterreichen seiner Idealvorstellungen alle anderen verantwortlich, weil sie "die" Wahrheit nicht erkennen. Dies kann über missionarische Weltverbesserungsversuche bis hin zum radikalen Menschenhassertum führen und wird somit für alle Betroffenen zu einem sich selbst verschärfenden Problem, welches Leidensdruck erzeugt.
3) Den dritten Typus[26], den man als den "Der Weg ist das Ziel"-Typus bezeichnen kann, ist wahrscheinlich noch die unproblematischste Variante. Doch auch sie birgt Gefahren in sich. Hier wird gesehen, daß die Zielvorstellung erheblich von der vorgefundenen Realität abweicht. Daraus wird gefolgert, daß der Weg dorthin lange und beschwerlich sein muß. Eine Überprüfung der Zielvorstellungen wird dadurch vermieden, daß dieser Typus sich mit den langwierigen Vorbereitungen und dem darauffolgenden langen und beschwerlichen Weg beschäftigt. Problematisch wird diese Variante erst dann, wenn eines der gesteckten Ziele nach langem Leiden doch erreicht wird, sich die damit verknüpften Hoffnungen als nicht zutreffend erweisen und sich somit der ganze Leidensweg im nachhinein als unnötig oder falsch erweist. Ganze Weltbilder und Lebenspläne können dann zusammenbrechen und in nicht mehr auffangbare Krisen führen. Klassische Beispiele für diesen Typus sind der unglückliche Rentner oder der Reisende, der ernüchtert feststellt, daß sein exotisches Reiseziel nicht so ist wie er dachte. Es sind auch die Menschen, die immer darauf warten, daß das Leben endlich beginnt, anstatt zu erkennen, daß es einfach immer nur weiter geht.
Gemeinsam ist allen drei Typen, daß sie Leiden verursachen, weil der jeweilige Alltagszustand als gegensätzlich zum Wunschzustand empfunden wird. Die sich selbst gesetzten Prämissen über die Welt werden als wirklicher empfunden als die erfahrbare Realität und führen zu fehlerhaften Lösungsversuchen. Diese bewirken kein Erreichen von Utopia, sondern verschärfen die Schwierigkeit der mangelnden Anpassung an die Realität zum Problem. Es wird nicht versucht, die innere Paradoxie der Utopie, welche im Widerspruch zwischen Sein und Sollen (zwei Zuständen auf unterschiedlichen logischen Ebenen) besteht, durch eine Anpassung der eigenen Prämissen an die empirische Wirklichkeit aufzulösen. Das heißt, "eine Veränderung erster Ordnung wird versucht, wo nur eine solche zweiter Ordnung zum Erfolg führen kann."[27]
c) Paradoxien
Die dritte Form problemerzeugender Lösungsversuche besteht in der unbeabsichtigten Verursachung paradoxer Situationen.[28] Es wird eine Situation geschaffen, in der vom Kommunikationspartner ein innerlich paradoxes Verhalten gefordert wird. Dies muß zwangsläufig zum Problem führen, weil man nach Watzlawicks erstem metakommunikativen Grundaxiom nicht nicht kommunizieren kann (kommunizieren: auf Personen gerichtetes Verhalten im allgemeinsten Sinn).[29] Da es aber kein Verhalten gibt, daß der paradoxen Aufforderung gerecht werden würde, muß das zwischenmenschliche System entweder zusammenbrechen oder als Selbstschutz eine gestörte Kommunikationsstruktur annehmen. Dies jedoch führt zum Leiden der Beteiligten. Nach den Ausführungen in 1.1.d) zum Wesen der Paradoxie sollte an dieser Stelle ein Beispiel für die weitverbreiteten "Sei-Spontan!"-Paradoxien[30] zur Verdeutlichung ausreichen:
Andy macht seine Hausaufgaben nicht, sondern geht lieber mit seinen Freunden spielen. Seine
Mutter fordert darauf von ihm nicht nur, daß er seine Hausaufgaben macht, sondern daß
er sie machen will (gerne macht), weil sie nicht autoritär sein will. Damit versetzt sie ihn in
eine paradoxe und ausweglose Lage. Er kann nun entweder der Aufforderung nach dem
Erledigen seiner Hausaufgaben nachkommen, oder seinem Willen zu spielen. Der von ihr
geforderte Wille ist jedoch nicht erfüllbar, weil Wille ein nicht erzwingbares Spontan-
Phänomen ist. Er muß sich also entweder gegen seinen Willen, oder gegen den seiner Mutter
verhalten, was zu Unzufriedenheit und somit zum Ungleichgewicht dieser
zwischenmenschlichen Beziehung führen muss.[31]
1.3. Lösungen 2.Art - paradoxe Interventionen
Lösungen zweiter Art richten sich immer gegen die versuchte Lösung erster Art und nicht gegen die zu Grunde liegende Schwierigkeit selbst. Weil sie versuchen nach der logischen Typenlehre, die zu lösende Situation aus ihrem paradoxen selbstrückbezüglichen Teufelskreis herauszuheben und in einen neuen, weiteren und angemesseneren Rahmen zu setzen (Prämissenänderung), wirken sie oft überraschend, absurd und vernunftwidrig. Charakteristisch ist für diese Lösungen auch, daß "... die zu lösenden Probleme jetzt und hier angegangen werden."[32] Es wird versucht, nach der Frage "Was?" die Wirkung der vorgefundenen Situation zu verändern; ganz im Gegenteil zur Psychoanalyse, die mit ihrer Hauptfrage "Warum?" Ursachenforschung betreibt, somit in den Entdeckungszusammenhang von Störungen einzuordnen ist, zur Problemlösung jedoch nicht gezielt beiträgt.[33]
Lösungen zweiter Art sind so ganz pragmatische Versuche, konkrete eingrenzbare Probleme, ganz unabhängig von ihrer Ursache zu lösen und stehen damit verhaltenstherapeutischen Ansätzen nahe. Sie sind jedoch nicht auf psychotherapeutische Felder begrenzt. Vielmehr läßt sich diese Denk- und Interventionsart auf alle zwischenmenschlichen Bereiche anwenden, weil sie auf allgemeinen Modellen aufbaut. Die Sichtweise, daß man in offene, sich selbstregulierende Systeme interveniert, macht klar, daß es keine formelhaften Rezepte für die Auflösung von problemerzeugenden Fehllösungen geben kann. Trotzdem lassen sich Techniken der paradoxen Intervention allgemein darstellen. Ihre erfolgreiche Anpassung an die konkrete Problemlage hängt von der Erfahrung und dem Einfühlungsvermögen des Intervenierenden ab.
Ich werde im Hinblick auf die weiter unten zu bearbeitende Problemlage die Technik der Umdeutung näher erläutern. Die Symptomverschreibung, als Methode der Wahl, ist für die Lösung des unten beschriebenen Problems kaum anwendbar. Daher werde ich sie hier nur kurz anhand eines Beispiels einführen:
a) Symptomverschreibung
Bei der Symptomverschreibung wird nach dem Prinzip "Gleiches mit Gleichem zu behandeln"[34] versucht, Spontan-Phänomene, die sich bewußter Beeinflussung entziehen, günstig zu beeinflussen. Dies läßt sich am Beispiel der Schlafstörung gut verdeutlichen:
"Indem er sich zum Schlafen zu zwingen versucht, versetzt er sich in eine ´Sei-Spontan!´-Paradoxie."[35] Bei der Symptomverschreibung wird nun diese Paradoxie durch eine weitere Paradoxie, nämlich durch das Verschreiben des Symptoms, bekämpft. Der Schlaflose wird aufgefordert wach zu bleiben, was zunächst absurd erscheint. Die Folge ist jedoch, daß, durch den bewußten Versuch wach zu bleiben, die Aufmerksamkeit von der Einschlafschwierigkeit abgelenkt wird und sich so erst das Müde werden und Einschlafen als Spontan-Phänomen wieder einstellen kann.
b) Umdeutung
Wirklichkeit existiert nicht im streng objektiven Sinne, sondern ist immer abhängig vom wahrnehmenden System (z.b. dem Menschen, mit seinen Meßgeräten, den Sinnesorganen) und dessen Deutung der Wahrnehmungen. Daraus folgt, daß es viele verschiedene Deutungsmöglichkeiten der wahrnehmbaren Welt gibt. Die Begrenztheit der Meßgeräte ermöglicht aber immer nur die Wahrnehmung eines Teils der Realität und verunmöglicht die Erfassung der Welt an sich.
So hat eine Fledermaus andere Sinnesorgane als der Mensch und damit eine andere Wahrnehmung der Welt. Auch der Blinde erfährt die Welt anders als der Sehende, weil ihm ein Sinnesorgan fehlt, welches durch die differenziertere Arbeitsweise anderer Sinnesorgane kompensiert wird. Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen werden nun durch den Wahrnehmenden gedeutet. Das bedeutet, ein informationsverarbeitendes System, wie unser Gehirn, erschafft aus der Wahrnehmung ein Abbild der Wirklichkeit, welches die subjektive Realität darstellt. Da jeder Mensch als komplexes System eine individuelle Gedächtnisstruktur gebildet hat, mittels der er die Wahrnehmungen deutet, liegt der Gedanke nahe, daß es keine zwei Menschen mit identischem Realitätsempfinden geben kann. Jeder Mensch lebt so in seiner eigenen Welt, die für ihn vernünftig zu sein scheint. "Auf Grund dieser einen Deutung gibt es meist auch nur eine scheinbar mögliche, vernünftige oder erlaubte Lösung..." einer auftretenden Schwierigkeit, "... und wenn diese Lösung nicht zum Ziel führt, versucht man typischerweise mehr desselben"[36] was letztendlich zum Problem führt.
Mittels Umdeutung wird versucht, die Sichtweise des Einzelnen auf die bestehende Schwierigkeit zu ändern, um ihn so zu anderen Problemlösungsstrategien zu befähigen, die er vorher gar nicht "gesehen" hat. "In seiner abstraktesten Definition ist Umdeuten also ganz allgemein das Hervorheben einer anderen, ebenso gültigen Klassenzugehörigkeit eines Objekts (...)"[37]. Dies bedeutet, daß durch Umdeutung versucht wird, das Problem in einen anderen, erweiterten "Denk"-Rahmen zu stellen, in dem es entweder kein Problem mehr darstellt, oder adäquatere Lösungsstrategien erkannt werden können. Es geht also auch hier nicht um die direkte Behandlung einer Schwierigkeit (Lösung 1.Art), sonder um die Veränderung einer unzweckmäßigen subjektiven Realitätsauffassung, welche zu problemerzeugenden Lösungsversuchen geführt hat (Lösung 2.Art). Daß diese Veränderung nur durch die Verwendung der Sprache des Betroffenen und nicht durch Ge- und Verbote erreicht werden kann, ist unmittelbar einleuchtend, wenn man den Menschen als sich selbst regulierendes System begreift.

2. Kapitel: Droge und Gesellschaft
"Sackgassen sind oben offen !" (unbekannt)
- Die Umdeutung als Ausweg aus der Illusion von Alternativen -
Ich möchte nun das Problem betrachten, welches Drogen in unserer Gesellschaft zu verursachen scheinen. Dabei grenze ich mich bewußt von politischen, juristischen und exekutiven Herangehensweisen an diese Problematik ab, weil repressive Integrationsstrategien,wie sie heute gang und gebe sind, gesamtgesellschaftliche Abläufe regulieren können und müssen; doch dies gelingt nur auf Kosten der psychischen Gesundheit der betroffenen Individuen. Dies kann nicht im Interesse humanistisch denkender Pädagogen sein. Vielmehr müssen Wege gefunden werden, bestehende Schwierigkeiten für alle Beteiligten befriedigend zu lösen, und wenn dies nicht möglich ist, eine vernünftige Umgehensweise mit diesen Schwierigkeiten zu finden. Dies ist jedoch auf politisch-juristischem Weg (z.b. über Legalisierung) nicht erreichbar, weil eine solche Vorgehensweise den Zugang zu Drogen auch für bisher Nichtgefährdete erleichtern und damit den Einstieg in die Drogenwelt forcieren würde. Dies würde jeglicher Suchtpräventiver Maßnahmen widersprechen.
Bei der Beschreibung der Problementstehung werde ich einen etwas ungewohnt erscheinenden Blickwinkel einnehmen. Diese Vorgehensweise soll eine durchaus parteiliche, individuumorientierte Sichtweise auf dieses Problem ermöglichen, die für den Pädagogen, der in diesem Bereich als Lernhelfer agieren will, Grundvoraussetzung für wirkungsvolles Handeln ist.
Danach werde ich das beschriebene Problem aus dem Blickwinkel der Gesellschaft heraus betrachten, um aufzuzeigen, daß die konventionelle Sichtweise nicht zur Problemlösung beiträgt, sondern das Problem bis zur Unlösbarkeit verschärfen kann. Dabei sollte klar werden, daß die bestehende Drogenproblematik, mit ihren Konsequenzen für den Konsumenten, eine "geschaffene" Problematik im Sinne der Fehllösungen nach Watzlawick darstellt und nicht durch die Existenz und den Gebrauch der Droge per se verursacht ist.
Abschließend werde ich einige Überlegungen darüber anstellen, was sich aus dieser Betrachtungsweise für den intervenierenden Pädagogen ergibt.

2.1. Eingrenzung
Die folgende Darstellung konzentriert sich auf Menschen, die bereits Drogen konsumiert haben und weiterhin konsumieren, da bei ihnen suchtpräventive Programme nicht mehr greifen können. Der folgende Gedankengang ist daher nicht ohne weiteres auf Nichtkonsumenten übertragbar.
Es dürfte außer Frage stehen, daß Drogenkonsum in unserer Gesellschaft Schwierigkeiten hervorruft, und Menschen, die keine Drogenerfahrung haben, von diesen Schwierigkeiten verschont bleiben. Damit ist die Sinnhaftigkeit und Legitimation breiter suchtpräventiver Programme gegeben. Eine inhaltliche Diskussion dieser Programme möchte ich in diesem Rahmen jedoch nicht führen.
Ich will mich vielmehr mit den Problemen auseinandersetzen, denen der Drogenerfahrene gegenübersteht, und dabei einige bereits fest institutionalisierte Anschauungen aufzeigen, die zur Entstehung der Problematik wesentlich beitragen. Ziel dabei ist es, die bestehende Situation im Sinne einer Lösung zweiter Art so umzudeuten, daß sich Wege eröffnen, die es dem Drogenkonsumenten ermöglichen, den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden, ohne sich "verkaufen" zu müssen; beziehungsweise die Ihn erkennen lassen, daß er immer Teil dieser Gesellschaft war und ist. Es geht letztendlich darum, psychisches Leiden, verursacht durch eine utopische und zugleich vereinfachende Sichtweise auf die bestehende Sachlage - und das gilt für alle Beteiligten -, zu verringern.
Diese Betrachtung wird für denjenigen Personenkreis, der auf den Konsum physisch stark abhängig machender Drogen, wie Barbiturate, Heroin und andere Opitate, spezialisiert ist unzureichend sein, weil in diesen Fällen eine Loslösung von der psychischen Fixierung alleine nicht zur Problembehebung führen kann. Das folgende gilt daher in erster Linie für Konsumenten illegaler, potentiell psychisch abhängig machender "Mode"-Drogen, wie Cannabis, LSD, Extasy, Amphetaminen und dergleichen. Es interessieren hier nicht die medizinischen Folgen des Drogenkonsums, sondern die Probleme, die sich für den Konsumenten und seine soziale Integration in unsere Gesellschaft ergeben.
2.2. Problementstehung
"Alkohol- und Drogengebrauch gehören in unserem Kulturkreis zu den alltäglichen und weitverbreiteten Erfahrungen von Kindheit an."[38] Konsumgewohnheiten und Präferenzen für bestimmte Drogen verändern sich mit dem Wandel der Gesellschaft in der Zeit, doch scheint es beim Menschen ein grundsätzliches Bedürfnis nach diesen Stoffen zu geben.
Der Mensch unterliegt ständigen natürlichen Bewußtseinsschwankungen, wie am Wechsel zwischen Wachzustand, Tagträumen und Schlaf besonders deutlich wird. Die Neigung, das Bewußtsein gezielt zu verändern, scheint ein natürlich menschlicher Zug zu sein. Schon kleine Kinder genießen die Effekte, die sich einstellen, wenn sie Karussell fahren, schaukeln oder sich auf den Kopf stellen.
Drogen kommen diesem menschlichen Grundbedürfnis entgegen, weil sie eine gezielte, zeitlich begrenzte Veränderung des Bewußtseins ermöglichen. Durch unsere heute recht ausdifferenzierte Pharmakologie ist es sogar möglich, die qualitative und quantitative Ausrichtung dieser Veränderung durch Stoff- und Dosiswahl zu steuern. Drogen sind damit zunächst einmal Hilfsmittel, die den Menschen befähigen, sein informationsverarbeitendes System "Gehirn" zu konfigurieren und damit andere Deutungen seiner Sinneseindrücke ermöglichen. Sie sind somit weder gut noch schlecht, sondern stellen lediglich eine chemische Erweiterung menschlicher Möglichkeiten dar.
Erst die Umsetzung dieser Möglichkeiten in Handlungen und deren Folgen ist für den Menschen normativ bewertbar. Diese Umsetzung hängt jedoch weitestgehend von der psychischen Gesamtverfassung des Einzelnen, seine Konsumgewohnheiten und seinem sozialen und kulturellen Umfeld ab und nicht von der Droge selbst.[39]
Drogen schaffen nicht nur Schwierigkeiten; sie sind auch feste Bestandteile unserer kulturellen Entwicklung. Es hat sich immer wieder gezeigt, daß die chemische Erweiterung menschlicher Möglichkeiten - als Möglichkeit des Andersseins - bei günstigem Set, Setting und Stoff durchaus eine Bereicherung unserer kulturellen Entwicklung bewirkt hat.[40]
Die große Beliebtheit vieler Modedrogen und vor allem deren Suchtpotential läßt sich darauf zurückführen, daß sie rechtshemisphärische Denkprozesse zu verstärken scheinen; beziehungsweise linkshemisphärische Denkprozesse blockieren.[41] Damit gleichen sie ein Defizit aus, denn in unserer rational durchstrukturierten Welt ist Denken immer mehr zerteilend, differenzierend und analysierend. Ganzheitliches, bildhaftes Denken wird immer mehr verdrängt. Auch Emotionalität und Sinnlichkeit werden immer mehr beschränkt und ausgeblendet. Psychische Gesundheit, als "... Ausgewogenheit zwischen allen menschlichen Möglichkeiten..."[42] erfordert aber den Einbezug links- und rechtshemisphärischer Denkprozesse, sowie sinnlich-emotionaler Erfahrungen in den Lebensalltag.
Unser Alltag ist heute gespalten in die zwei Bereiche Arbeit und Freizeit, wobei Freizeit zur Erholung und Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit gedacht ist. Arbeit erfordert in der Regel rationales und logisch strukturiertes Denken und Handeln. Die sinnlich-emotionale Seite muß unter Kontrolle gehalten werden, um effizientes und zuverlässiges Funktionieren des Menschen zu gewährleisten. Der Nachholbedarf an sinnlich-emotionalen Erfahrungen und fällt daher in den Freizeitbereich. Dieser Ausgleich ist nach obiger Definition für die psychische Gesundheit des Menschen unabdingbar und damit indirekt auch für den Arbeitsbereich funktional. [43]
Drogen kommen dieser Strukturierung der Zeit entgegen, weil sie es ermöglichen, schnell, zuverlässig und zeitlich begrenzt auf die sinnlich-emotionale Erfahrungswelt -"umzuschalten" und intensiveres Erleben dieser Welt erlauben. Außerdem kommen sie dem zum "Homo consumens"[44] sozialisierten Menschen in seinem Umgang mit der Welt zunächst entgegen. Für den Menschen hängt Erleben heute mit dem passiven Konsum aufs engste zusammen. Drogen können einfach konsumiert werden und bieten zunächst intensivere Erlebnisse als andere Konsumgewohnheiten, wie Fernsehen, Einkaufen und anderen Beschäftigungen. Dies beschreibt schon Peter Stafford 1968 in einem Artikel über psychedelische Drogen:
"Das Phänomenale an LSD und den andern ´Bewußtseinsveränderern´ ist, daß die
Drogentechnik uns nicht bloß fesselnde und glänzende Unterhaltung oder das Delirium
liefert, sondern etwas, was dem Stein der Weisen nahekommt."[45]
Bis zu diesem Punkt gibt es noch kein Problem, denn Drogen verschaffen dem Menschen etwas, das ihm immer mehr verloren geht: das Gefühl zu leben; und dies tun sie auf einem Weg, den der Mensch von Kindheit an gelernt hat: durch Konsum.
Die Schwierigkeit, die sich jedoch sehr bald zeigt, ist die Unfähigkeit, drogeninduzierte Erlebnisse in den Alltag zu integrieren, was durch folgende Aussage eines Extasy-Konsumenten treffend formuliert wird:
"Das traurige (...) ist nur, daß die meisten Menschen es nicht schaffen, von dem, was sie auf
´E´ lernen, auch ohne Pillen zu profitieren. Sprich: diese totale Offenheit und Ehrlichkeit sich
selbst und anderen gegenüber mit in die ´Realität´ herüberzunehmen, um so über kurz oder
lang auf die Notwendigkeit, sich chemisch auf Glück zu setzen, verzichten zu können, ja sogar
zu wollen."[46]
Metaphorisch ausgedrückt beginnt nach dem Drogenkonsum die Suche nach der Verbindung der "Drogenwelt" mit der "Realität" (Suche - Sucht; welche Welt ist echter/besser?). Der Drogenkonsument findet sich fremd und unbefriedigt in unserer rationalen Gesellschaft wieder, aber er kennt nun den Weg in die befriedigende Welt des "Sinnesrausches"[47]
Jeder Mensch ist als komplexes System zunächst von der Außenwelt abgetrennt. Nur über kommunikative Konsensbildung kann eine Verbindung zur Außenwelt, sprich zwischenmenschliche Beziehung, aufgebaut werden. Ohne diese Verbindung ist der Mensch als soziales Wesen nicht überlebensfähig. Die Tatsache der Trennung von innen und außen wird dem Drogenkonsumenten im "Rausch", als individualisierendem Ereignis, in aller Deutlichkeit bewußt ohne daß er darunter leidet, weil er das Gefühl der Geborgenheit in sich selber erlebt, aber weckt im nüchternen Zustand das Gefühl der Isolation, welches ihn zurück zur Droge treibt.
Wenn der Alltag seinen intensiven Drogenerlebnissen nichts adäquates entgegenzusetzen hat, wird er den Drogenkonsum verstärken, bis sich feste Konsumgewohnheiten herausbilden, was zur immer stärkeren Spaltung der Welt in Gesellschaft und Gegengesellschaft (Subkultur als komplexes zwischenmenschliches System, in dem die Droge ein konstituierender Faktor und damit regelbildend ist) führt und letztendlich als Sucht bezeichnet werden kann.
Sucht, hier verstanden als "... eine Übereinkunft mit sich selbst ohne Übereinkunft mit der Welt..."[48], verursacht in unserem Fall durch die psychische Fixierung auf Drogen, stellt das eigentliche Problem dar. Dieses Problem wird jedoch nicht allein durch den Konsum einer Droge verursacht, sondern ist vielmehr auf die Unmöglichkeit zurückzuführen "umzukehren". Es ist nicht möglich die psychische Fixierung durch Zwang und Druck von außen oder allein durch das Absetzen der Droge aufzulösen. Das Problem vor dem der Drogenkonsument nach der initiativen Drogenerfahrung gestellt sieht, ist, daß er zum Drogenkonsum keine Anleitung für den Umgang mit den gemachten Erfahrungen beigelegt bekam. Das heißt, er machte derart intensive affektgekoppelte Erfahrungen, die bleibende Strukturen in seinem Gedächtnis hinterlassen, ohne zu wissen, wie er sie in die bisher gekannte rational durchstrukturierte Weltsicht integrieren kann.[49] Dies bezeichne ich hier als die eigentliche psychische Fixierung, auch Abhängigkeit genannt. Der Mensch als komplexes, sich selbst regulierendes, informationsverarbeitendes System hat gar keine andere Möglichkeit, als diese prägenden Erlebnisse in irgendeiner Form zu verarbeiten. Dies wird ihn um so schwerer, je weniger er in kommunikativen Austausch mit seiner Außenwelt treten kann, weil Informationsverarbeitung von widersprüchlichen Informationen auf einen neuen Input von außen angewiesen ist.
Bei mangelnder Verbindung der Drogenerlebnisse mit dem Alltag, wird die Trennung von "Drogenwelt" und "Realität" als immer stärker werdend empfunden, was den Konsumenten schließlich in die Illusion der Alternativen treibt - die, wie wir weiter unten sehen werden, durch die Gesellschaft mit aufgebaut wird - in der die drogenfreie Gesellschaft, weil sie als feindlich empfunden wird, schlecht abschneidet.
Daher kann ein alleiniges Absetzen der Droge, ohne Hilfe zur Verarbeitung der gemachten Erfahrungen, nicht zu einer dauerhaften Leidensfreiheit und erfolgreichen Integration in die "nüchterne" Gesellschaft führen.[50]
Wenn man aus dieser Betrachtung heraus den psychischen Zustand nach dem Konsum, im Drogenjargon als "hängenbleiben" bezeichnet, als Lerndefizit im Umgang mit Schlüsselerlebnissen interpretiert, eröffnet sich das pädagogische Handlungsfeld, auf welches diese Darstellung ausgerichtet ist.
2.3. Sichtweise der "nichtkonsumierenden" Gesellschaft
Das Bild des Drogenkonsumenten ist auf Grund von bewußten, politisch gesteuerten Fehlinformationen und mangelnder Aufklärung der Bürger verzerrt.[51] Die Erkenntnisse soziologischer und entwicklungspsychologischer Forschungen auf diesem Gebiet, nach denen Drogenerfahrungen ein normaler Bestandteil der Entwicklung im Jugendalter darstellen und Probleme im Umgang mit Drogen höchstens als Indikator für Entwicklungsschwierigkeiten gelten können, haben bislang nicht die ihnen gebührende Anerkennung im öffentlichen Bewußtsein gefunden. Hierzu möchte ich ein etwas längeres Zitat von Shedler und Block anführen, das diese Erkenntnisse treffend zusammenfaßt:
"Aus entwicklungspsychologischer Sicht geht es (...) nicht in jedem Fall um Abstinenz.
Angesichts der Rolle von Alkohol- und Drogengebrauch beim Hineinwachsen in die
Erwachsenenrollen unserer Kultur und Gesellschaft muß verantwortlicher Gebrauch und Vermeidung von Mißbrauch die Devise sein. Dies illustrieren schon Befunde, wonach Jugendliche ohne alterstypische Erfahrungen mit solchen Substanzen psychosozial schlechter angepaßt sind als jene mit moderatem, im Prinzip auf die Jugendzeit beschränktem Konsum."[52]
Es gibt in letzter Zeit immer wieder Versuche diese Erkenntnisse in der aktuellen Drogendiskussion zur Umstrukturierung der "Behandlung" von Drogenkonsumenten durch den Staat zu nutzen. Ziel ist es dabei, über Entkriminalisierung, kontrollierter Abgabe von Drogen bis hin zur Legalisierung und der Neubestimmung der Stellung des Konsumenten in unserer Gesellschaft, zu einer wirksameren Umgangsweise mit den real existierenden Schwierigkeiten zu gelangen.
Kausalzusammenhänge aus erkannten korrelativen Zusammenhängen zwischen Drogenkonsum, Kriminalität und Verwahrlosungserscheinungen, vor allem im Jugendalter, abzuleiten, ist eine im "common sense" weitverbreitete unzulässige Vereinfachung. Weil nicht erkannt wird, daß diese Erscheinungen nicht unbedingt wechselseitig voneinander abhängen, sondern vielmehr als Indikatoren für eine übergeordnete Schwierigkeit anzusehen sind - nämlich die des nicht auflösbaren Generationenkonfliktes -, werden Drogen und deren Konsumenten vorschnell verurteilt und verteufelt. So wird die moralische Minimalanforderung des Diskriminierungsverbotes verletzt.
Dies schlägt sich schon in der weitverbreiteten Definition des Drogenkonsums als Krankheit und der damit verbundenen mangelnden Differenzierung zwischen Drogengebrauch und Drogensucht nieder.[53] Die Ausgrenzung der "Sich-Entwickelnden", und damit die Bildung von Subkulturen wird so gefördert. Diese Subkulturen ziehen eine größere Aufmerksamkeit auf sich, was letztendlich in polizeilichen Statistiken über Drogen- und kleinkriminelle Delikte zu einem verzerrten Bild der Realität führt. Diese wissenschaftlich nicht haltbaren Belege forcieren wiederum die oben beschriebene Sichtweise auf die Schwierigkeit und verschärfen so die Trennung zwischen Gesellschaft und Konsumenten. (Teufelskreis/Spiel ohne Ende).
Man kann zusammenfassend festhalten, daß von gesellschaftlicher Seite eine Abgrenzung des Konsumenten von der Gesellschaft dadurch gefördert wird, daß ein sozialverträgliches Leben mit Drogen als unvorstellbar gedacht wird.[54]
So wird eine Illusion von Alternativen aufgebaut: drogenfreie Gesellschaft oder Drogensubkultur.
Aus dieser Illusion heraus wird versucht, durch gezielte Vereinfachungen der Problematik und mit allen zur Verfügung stehenden, repressiven Mitteln die utopische drogenfreie Gesellschaft zu erzwingen (Fehllösung).
2.4. Umdeutung als Problemlösungsversuch 2.Art
Wenn man statt der oben beschriebenen Fehllösung versucht, die bestehende Situation mit der Frage "Was?" zu untersuchen, wird das bestehende Problem faßbarer und durch Umdeutung als Lösung 2.Art bearbeitbar.
Die zentrale Frage lautet: Wie sieht die aktuelle Situation aus, und welche Probleme bestehen?
Drogen gibt und gab es schon immer. Alle Versuche sie aus der Welt zu schaffen sind gescheitert, beziehungsweise schaffen über Kriminalisierung und Marginalisierung der Konsumenten das eigentliche Problem, welches in der mangelnden sozialen Integration, sowie der damit verbundenen Suchttendenzen der Drogennutzer zu sehen ist.
Wenn man sich von der Utopie einer drogenfreien Gesellschaft verabschiedet, die Komplexität der Entwicklungsprobleme Jugendlicher anerkennt und nicht versucht, diese auf wenige Faktoren zu vereinfachen, wird eine neue Sichtweise möglich.
Die eigentliche Umdeutung besteht darin, eine Welt mit Drogen, als Normal zu definieren und anzuerkennen, sowie daraus folgend, sozial verträglichen Drogenkonsum, als Möglichkeit der Entfaltung individueller Interessen, zu akzeptieren.
Diese Umdeutung ist jedoch nicht als allgemeine Verfahrensweise akzeptabel, weil sie unweigerlich eine Legalisierung von Drogen fordern würde, sondern ist auf den Personenkreis zu beziehen, der bereits in die Drogenwelt "eingetaucht" ist.
Um aus pädagogischer Sicht Drogenarbeit mit Aussicht auf Erfolg betreiben zu können, ist es daher unumgänglich, mit zweierlei Maß zu arbeiten. Drogenkonsumenten erfordern eine andere Sichtweise und "Behandlung" als Nichtkonsumenten. Bei Nichtkonsumenten steht die Vermeidung des Kontaktes mit Drogen im Vordergrund, bei Konsumenten die Reintegration und das Vermeiden von Sucht.
Nach entwicklungspsychologischem Kenntnisstand ist "Mode"-drogenkonsum ein zeitlich begrenztes Phänomen und führt nicht zwangsläufig zur Sucht. Außerdem scheinen Drogen, wie MDMA und LSD sich mit der Zeit selbst entbehrlich zu machen, weil sie in ihrer Wirkung bei längerem Konsum immer schwächer werden, beziehungsweise ihren Reiz bei zunehmender Erfahrung mit diesen Drogen verloren geht.
Wenn man daher Drogen durch Umdeutung aus dem Fokus der Aufmerksamkeit verdrängt, wird die Sicht auf die eigentlichen Entwicklungsschwierigkeiten Jugendlicher frei. Erst dann wird es möglich, das Problem der sozialen Integration zu bearbeiten und damit der Suchtproblematik wirkungsvoll zu begegnen.
Diese mit wissenschaftlichen Kenntnissen vereinbare Umdeutung, ermöglicht es, den Konsumenten als vollständiges Mitglied der Gesellschaft anzuerkennen. Die Akzeptanz des Konsumenten in seinem Anderssein, die dem Einzelnen mehr abverlangt als bloße Toleranz, ist Grundvoraussetzung dafür, daß eine Annäherung zwischen Gesellschaft und Drogensubkultur stattfinden kann. Durch die Umdeutung fällt der vermeintliche Gegensatz verschiedener Lebensformen per definitionem weg, und es wird möglich, ganz pragmatisch individuelle Probleme von "Sich-Entwickelnden" anzugehen.
Die Anerkennung des Drogenkonsumenten als vollwertiges, nicht krankes Mitglied der Gesellschaft ist Voraussetzung dafür, daß der Konsument, der sich in der Regel als völlig normal empfindet, wieder Geborgenheit in der Gesellschaft erleben kann. Geborgenheit, verstanden als menschliches Grundbedürfnis, ist Voraussetzung für die Weiterentwicklung und meiner Meinung nach der Schlüssel zur Bearbeitung von Sucht (Analog der Ergebnisse der Säuglingsforschung, wonach die Entwicklung von Urvertrauen Voraussetzung für die Nutzung des Entdeckungstriebes ist). Erst wenn der Konsument das Gefühl entwickelt, daß er in der Gesellschaft Sicherheit, Anerkennung und Vertrauen findet, kann er sich von der Droge, als Suchtmittel, welches ihm diese Gefühle ersetzte, lösen.
Diese Geborgenheit ist jedoch nicht erzwingbar, sondern kann, wenn überhaupt, nur über Akzeptanz vermittelt werden.
Die Illusion der Alternativen, die im Prinzip einen gesellschaftlichen Konsens und Zusammenhalt behauptet, an dem der Drogenkonsument nicht teilhaben kann, weil er "krank" ist, macht die Entwicklung eines Gefühls der Geborgenheit in der nüchternen Welt unmöglich und wirkt damit problemverschärfend. Sie kann als negative, sich selbst erfüllende Erwartung gesehen werden, weil die Sichtweise von nur zwei Möglichkeiten zu oben beschriebenen Fehllösungen führt. Diese Fehllösungen bewirken letztendlich, daß wirklich zwei von einander getrennte Welten existieren: Gesellschaft und Gegengesellschaft (Drogensubkultur).

3.Kapitel: Pädagogische Interventionsmöglichkeiten
Aus der Umdeutung ergibt sich eine neue Zieldefinition pädagogischen Umgehens mit den Drogenkonsumenten:
Ziel ist nicht mehr unbedingte Drogenfreiheit, sondern sozial tragfähiges, leidensfreies Leben mit der Möglichkeit des Andersseins durch Drogen.
Es geht nicht mehr um den projektiv, utopischen Lösungsversuch, den Menschen von der Droge zu erlösen, sondern ihm Kompetenzen zu vermitteln, durch die er fähig wird, aus eigener Entscheidung heraus sein Leben sowohl mit, als auch ohne Drogen zu führen.
Dies erfordert ehrliche, kompetente und neutrale Aufklärung über die Gefahren, aber auch Möglichkeiten von Drogen. Einseitige, verteufelnde suchtpräventive Maßnahmen von Erwachsenen werden von Jugendlichen schnell durchschaut und bewirken dann eher das Gegenteil. Dies schon deswegen, weil Jugendliche, in der Phase, in der Drogen für sie interessant werden, stärker durch peer-groups beeinflußt sind und Erwachsenen gegenüber einen natürlichen Widerstand aufbauen, der für ihre Rollen- und Identitätsfindung wichtig ist. Wenn Erwachsene falsch informieren, oder durch eigenes Fehlverhalten unglaubwürdig werden, wird dieser Widerstand größer und trägt mit zur Verschärfung der Entwicklungsschwierigkeiten bei.
Für den Pädagogen, ergeben sich aus dieser Umdeutung der Situation allgemeine Richtlinien für den Umgang mit drogenkonsumierenden Menschen. Die nun folgenden Vorschläge für pädagogisches Handeln sind heute teilweise schon Bestandteil sozialpädagogischer Programme, die speziell auf die Arbeit mit marginalisierten Drogenkonsumenten ausgerichtet sind. Im allgemeinen pädagogischen Bewußtsein sind sie jedoch kaum verankert.

3.1. Folgerungen
Die pädagogische Situation stellt eine Modellsituation dar, in der Verhaltenweisen erlernt werden können, die dann auf andere Situationen übertragbar sind. Der Pädagoge ist in unserem Fall Stellvertreter und Vorbild der "nüchternen" Gesellschaft. Wenn es ihm gelingt, beim Konsumenten das Gefühl des Verstandenwerdens und der vollen Akzeptanz zu erzeugen, wird es diesem möglich sein, dies auch auf andere Kontakte mit der Gesellschaft zu übertragen und eine Vertrauensbasis aufzubauen.
Das Problem der mangelnden Integration in ein zwischenmenschliches System, wie die Gesellschaft es im großen darstellt, kann man auf eine gestörte Kommunikation zurückführen.
Die pädagogische Situation als Modellsystem bietet die Möglichkeit, eine andere, nicht gestörte Kommunikationsstruktur zu etablieren. Wenn diese vom Konsumenten als komplexem System verinnerlicht und verallgemeinert wird, ist es ihm nach Watzlawick unmöglich das alte Spiel (gestörte Kommunikation) weiterzuführen.[55] Vertrauen wird so möglich.
Um das zu erreichen, muß jedoch am System "Konsument" angesetzt werden. Das heißt, der Pädagoge muß zumindest versuchen das System zu verstehen, um die Punkte zu finden, an denen er wirkungsvoll ansetzen kann. Komplexe Systeme lassen sich nicht von außen steuern, sondern es läßt sich nur ein Rahmen schaffen, der das System dazu anregt, sich selbst zu verändern und anzupassen (Anleitung/Anregung zur Selbsthilfe).
Da Drogen für den Konsumenten zum konstituierenden Faktor seines Systems und seiner zwischenmenschlichen Beziehungen geworden sind, ist es nötig, den Drogenkonsumenten in seinem So-Sein voll zu akzeptieren und keine expliziten Veränderungsanforderungen zu stellen.
Wenn man die Droge in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt, problematisiert und versucht rationale Überzeugungsarbeit zu leisten, wird die Droge kaum an Bedeutung verlieren, weil sie auf einer anderen Ebene (sinnlich-emotional und linkshemisphärisch) wirkt.
Vielmehr muß versucht werden, die Welt des Konsumenten zu verstehen und ihm die Nähe dieser Welt zur "Realität" zu vermitteln.
* Wenn man weiß, welche individuelle Bedeutung die Droge für den Einzelnen hat, ist es die Aufgabe ihm zu zeigen, wo die Erlebnisse, die er durch Drogen erfährt, auch im nüchternen Zustand zu finden sind. (Verbindungen herstellen)
* Wenn es gelingt, dem Konsumenten trotz seinen Drogenerfahrungen die nüchterne Welt erlebbar zu machen, verliert die Droge ihre Rolle für das System "Konsument". (Auflösung der Koppelung von Erfahrungen/Assoziationen an die Droge)
* Nur über die Substitution der Drogenerfahrung durch authentisches Erleben können Fixierungen wirksam aufgelöst werden.
Daraus ergibt sich, daß pädagogisches Handeln in diesem Bereich weniger Gesprächs- und Überzeugungsarbeit sein kann, sondern Lernhilfe zum Erleben der Welt in ihrer sinnlich-emotionalen Dimension (weil diese Dimension durch Drogen stark stimuliert wird) sein muß.

Schluß
Die hier ausgeführten Folgerungen für den Pädagogen mögen enttäuschen, weil sie sehr allgemein und unscharf sind. Es ist mir jedoch nicht möglich, zu konkreteren Handlungsanweisungen die dann noch allgemeingültig sind zu kommen.
Die Umsetzung obiger Gedanken in konkrete Handlungen, hängt stark von der Person des Konsumenten, wie auch der des Pädagogen mit seiner Erfahrung und Emphatie, ab.
Trotzdem denke ich, daß diese Darstellung klar gemacht hat, wo nach meiner Kenntnis und Erfahrung die eigentliche Problematik im Umgang mit Drogen liegt.
Die system- und kommunikationstheoretische Sichtweise sollte die Grenzen möglicher Interventionen klar zu Ausdruck gebracht haben.
Die hier vorgenomme Umdeutung ist eher eine Umdeutung im Denken des Pädagogen (Intervenierenden) und nicht explizit in der pädagogischen Arbeit für den Konsumenten formulierbar. Die soll vielmehr die Sichtweise und dadurch das Handeln des Pädagogen beeinflussen, um damit indirekt auf den "Zu-Erziehenden" positiv zu wirken.

Literaturverzeichnis:
Brinkmann, Rolf-Dieter & Rygulla, Ralf-Rainer (Hrsg.): ACID. Neue amerikanische Szene. Rowohlt
Verlag Reinbeck bei Hamburg, 1983
Kath. Sozialethische Arbeitsstelle (Hrsg.): Sinnfindung als Aufgabe in der Suchtprävention. Anfragen
Ansätze Angebote. Schriftenreihe Aktuelle Orientierungen:
Suchtgefahren Heft 9, Hoheneck-Verlag Hamm 1985
Oerter, Rolf & Montada, Leo (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch. Psychologie Verlags
Union Weinheim, 3., vollständig überarbeitete und erweiterte
Auflage, 1995
Palmer, Cynthia, Horowitz, Michael & Rippchen, Ronald: Tänzerinnen zwischen Himmel&Hölle.
Frauen erzählen ihre Rauscherfahrungen. Der Grüne Zweig 136, Werner Piper´s
Medienexperimente Löhrbach, Erscheinungsjahr unbekannt
Rabes, Manfred & Harm, Wolfgang (Hrsg.): XTC und XXL. Ecstasy. Rowohlt Verlag Reinbek bei
Hamburg, 1997
Schenk, Josef: Droge und Gesellschaft. Springer-Verlag Berlin, 1975
Schmidbauer, Wolfgang: Weniger ist manchmal mehr. Zur Psychologie des Konsumverzichts.
Hamburg 1992, Vollständig überarbeitete und erweiterte Neuausgabe
Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden Bd. 1. Störungen und Klärungen. Hamburg 1996
Watzlawick, Paul: Die Möglichkeit des Andersseins: Zur Technik der therapeutischen
Kommunikation. Verlag Hans Huber Bern, 4., unveränderte Auflage, 1991
Watzlawick, Paul: Lösungen: Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Verlag Hans Huber
Bern, 5. Auflage, 1992
Watzlawick, Paul: Menschliche Kommunikation. Verlag Hans Huber Bern, 9., unveränderte Auflage,
1996
Willke, Helmut: Systemtheorie II: Interventionstheorie. Grundzüge einer Theorie der Intervention in
komplexe Systeme. Stuttgart, 2., bearbeitete Auflage, 1996


[1] Watzlawick 1992, S.58
[2] Watzlawick 1992, S.58
[3] Willke 1996, S.70
[4] Willke 1996, S.73
[5] Willke 1996, S.125
[6] Willke 1996, S.75
[7] Hall&Fagen in: Watzlawick 1996, S.116
[8] vgl. Watzlawick 1996, S.116
[9] vgl. Watzlawick 1996, S.53ff.
[10] Watzlawick 1996, S.50f.
[11] Watzlawick 1992, S.23
[12] vgl. Watzlawick 1992, S.20ff.
[13] vgl. Watzlawick 1996, S.29
[14] Watzlawick 1992, S.25
[15] Whitehead&Russel in: Watzlawick 1992, S.24
[16] Watzlawick 1996, S.171f.
[17] vgl. Schulz von Thun 1996, S.198ff.
[18] vgl. Watzlawick 1996, S.24-31
[19] vgl. Watzlawick 1992, S.58f.
[20] vgl. Watzlawick 1992, 4.Kapitel
[21] vgl. Watzlawick 1996, S.45ff.
[22] Watzlawick 1992, S.69
[23] vgl. Watzlawick 1992, S.70f.
[24] Watzlawick 1992, S.71
[25] vgl. Watzlawick 1992, S.73f.
[26] vgl. Watzlawick 1992, S.71ff.
[27] Watzlawick 1992, S.83
[28] vgl. Watzlawick 1992, S.85
[29] vgl. Watzlawick 1996, S.53
[30] Watzlawick 1996, S.221
[31] in Anlehnung an Watzlawick 1992, S.84
[32] Watzlawick 1992, S.105
[33] vgl. Watzlawick 1992, S.105f.
[34] vgl. Watzlawick 1991, S.77
[35] Watzlawick 1992, S.139
[36] Watzlawick 1991, S.91
[37] Watzlawick 1992, S.122
[38] Oerter&Montada 1995, S.1056
[39] vgl. Kuhlbrodt 1997, 6. Absatz
[40] Einen breitgefächerten Einblick zur kulturellen Bedeutung von Drogen bieten Palmer/Horowitz&Rippchen sowie Brinkmann&Rygulla 1983
[41] zur Hemisphärentheorie siehe Watzlawick 1991
[42] Schenk 1975, S.280
[43] vgl. zu diesem Abschnitt auch Schenk 1975, S.279f.
[44] Schmidbauer, 1994, S.9
[45] Stafford in: Brinkmann&Rygulla 1975, S.136
[46] Mark in: Rabes&Harm 1997, S.98
[47] An diesem Punkt wird der Stellenwert präventiver Programme deutlich, denn wer den Weg nicht kennt, kann ihn auch nicht einschlagen!
[48] Hüsgen in: Kath. Sozialethische Arbeitsstelle 1985, S.9
[49] vgl. hierzu auch Schenk 1975, S.281f.
[50] vgl. hierzu auch Schenk 1975, S.318f.
[51] vgl. Kriener&Saller 1997, S.1f.
[52] Shedler&Block in: Oerter&Montada 1995, S.1068
[53] vgl. hierzu auch Schenk 1975, S.332f. (Die Aufgabe der Wissenschaft)
[54] vgl. hierzu Kuhlbrodt 1997, 4.Absatz
[55] vgl. Watzlawick 1992, S.123f.