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1. Einleitung

Im vorliegendem Literaturbericht wird anhand des Buches "Leidenschaften und Interessen" von Albert O. Hirschman dargestellt, was unter dem Begriff des Interesses bzw. der Interessen zu verstehen ist. Das Interesse soll, laut Hirschman, seinen gesellschaftlichen Ursprung in den Leidenschaften haben. So ist es notwendig, den Begriff der Leidenschaften in seiner geschichtliche Entwicklung zu erläutern, um mit ihm dann das Interesse abzugrenzen und zu definieren. Die geschichtliche Erläuterung vollzieht sich unter dem übergeordneten Thema der ökonomischen Dimension, in mehreren Kapitel, die jeweils einen anderen Aspekt von der Beziehung zwischen Leidenschaften und Interesse(n) näher beleuchten.

2. Hauptteil

2.1 Interessen als Widersacher der Leidenschaften

2.1.1 Die Idee des Ruhms und ihr Niedergang

Im Mittelalter wurden der Handel und andere Formen des Gelderwerbs zwar gebilligt, standen aber in der Gunst der Gesellschaft weit unterhalb vieler anderer Tätigkeiten. So stand ganz oben in der Werteskala tugendhaften Strebens das Streben nach Ruhm und Ehre. Jahrhundertelang wurden die dem Gelderwerb dienenden Tätigkeiten als Geiz, Gewinnsucht und Habgier verurteilt und verachtet.[1] Doch diese Einstellung änderte sich, und Albert O. Hirschman stellt in seinem Buch "Leidenschaften und Interessen" dar, wie es geschehen konnte, daß die zuvor verschmähten Tätigkeiten wie Handel, Bankwesen und andere die ausschließlich dem Gelderwerb dienen, in der Neuzeit ehrbar wurden.
Der Philosoph St. Augustin gab im Mittelalter die grundlegenden Richtlinien des Denkens vor. Er prangerte als die drei Hauptsünden die Begierde nach Geld und Besitz, die Gier nach Macht und die sexuelle Begierde an. Bürgertugenden waren in seinem Sinne, die Liebe für das Vaterland/der Patriotismus sowie die Unterdrückung des Strebens nach Reichtum, um Ruhm zu erlangen.[2] Das Mittelalter erhob, im Sinne St. Augustins´ Richtlinien, mit seinem ritterlich-aristrokratischen Idealen, das Streben nach Ruhm und Ehre zum Prüfstein für die Tugendhaftigkeit und Größe eines Menschen. Dabei lag die Ansicht zugrunde, daß die Liebe zum Ruhm einen heilsamen und sozialen Wert hätte, im Gegensatz zum (rein) privaten Streben nach Reichtümern.[3] Man war nämlich damals der Auffassung, mit dem Streben nach Ruhm würde eine Kraft entstehen, die bewirke, daß Menschen, unwissentlich im Sinne des öffentlichen Wohls zusammen wirken, wenn sie ihren privaten Leidenschaften frönen.[4] Mit der Renaissance und der mit ihr einhergehenden Reduktion des Einflusses der Kirche gewann das Streben nach Ehre sogar den Status einer Ideologie,[5] weil die kirchlichen Gebote, als Orientierungsmuster für das menschliche Verhalten, folglich auch an Einfluß verloren.
Später kam es zu einem spektakulären Niedergang des aristokratischen/heroischen Ideals. Autoren wie Hobbes stellten heroische Tugenden als bloße Selbsterhaltung dar; für andere waren es Formen der Eigenliebe, der Eitelkeit und Flucht vor wahrer Selbsterkenntnis. Außerdem wurden die heroischen Leidenschaften als erniedrigend, närrisch oder gar schwachsinnig dargestellt.[6] Dieser Wandel auf der Bühne der Moral und Ideologie geschah erstaunlich plötzlich. Kaum ein Jahrhundert später wurde das Streben nach Geldbesitz bzw. das Erwerbsstreben ausdrücklich begrüßt.[7]

2.1.2 Der Mensch wie er wirklich ist

Autoren wie Machiavelli und Spinoza attackierten die utopischen Denker der Vergangenheit, weil sie den Menschen ihrer Meinung nach nicht so darstellten wie er ist, sondern so wie sie ihn gerne haben wollten und empfahlen daher sich an den Naturwissenschaften zu orientieren.[8] Denn mit der fortlaufenden Erkenntnisgewinnung in den Naturwissenschaften Mathematik und Astronomie (àGalileo), keimte wohl die Hoffnung auf, daß ähnliche Gesetze, wie sie in der Naturwissenschaft gefunden wurden, für den Menschen ebenso entdeckt werden könnten. So beschreibt Hobbes in seinem Werk "Leviathan" die Natur des Menschen. Spinoza schlägt sogar vor, die menschlichen Handlungen und Triebe ebenso zu betrachten, als ob es sich um Linien Flächen und Körper handeln würde. Vico und Rousseau folgten in diesem Punkt.[9]

2.1.3 Unterdrückung oder Instrumentalisierung der Leidenschaften

Bereits während der Renaissance war man der Ansicht, die im 17. Jahrhundert zur festen Überzeugung wurde, daß den moralischen Philosophen und religiösen Geboten von einst, bei der Bestimmung der ethischen Verhaltenslinien für den Menschen, nicht mehr zu trauen sei.[10] Mit der detaillierten Zergliederung der menschlichen Natur begann die Suche nach neuen Lösungen bzw. ethischen Verhaltenslinien, um zu erreichen, daß die destruktiven Leidenschaften des Menschen, wie z. B. die Gier nach Ruhm und Ehre, gezähmt werden konnten,[11] im Sinne eines harmonischen/friedlichen Zusammenlebens. Eine Lösung war: Mit Zwang und Repression die schlimmsten Äußerungen und gefährlichsten Folgen der Leidenschaften, notfalls mit Gewalt, einzudämmen. Die Gewalt sollte der Staat bekommen und anwenden dürfen.[12] Allerdings sind die Nachteile dieser Alternative offensichtlich, denn eine Unterdrückung wirkt immer wie eine Symptombehandlung, die ursächlichen Leidenschaften bleiben jedoch weiterhin existent. Dies ist der Grund dafür, daß diese verallgemeinernde repressive Lösung sich nicht gegenüber der detaillierten Analyse von Leidenschaften durchsetzte. Aus dieser detaillierten Analyse formuliert sich eine zweite Alternative: Statt die Leidenschaften einfach zu unterdrücken, sie für andere mannigfaltige Zwecke nutzbar zu machen, d. h. die zerstörerischen Leidenschaften in konstruktive Neigungen umzuwandeln bzw. zu transformieren. Dabei wurde von Gesellschaft und Staat erwartet, sich dieser Aufgabe anzunehmen, damit für das Allgemeinwohl ein Vorteil erreicht würde.[13] Dieser Transformationsgedanke litt "an einem Element geradezu alchemistischer Verwandlung ... (welches) schlecht zur Wissenschaftsbegeisterung jener Zeit paßte."[14] Im Laufe dieses Instrumentalisierungsgedankens von Laster und Leidenschaften, kam es aufgrund der inzwischen eingetretenen Sprachentwicklung zur Begriffsänderung: Laster und Leidenschaften hießen nun Interesse und Vorteil (à Adam Smith).[15]

2.1.4 Das Prinzip der wechselseitigen Neutralisierung der Leidenschaften

In diesem Kapitel beschreibt Hirschman die dritte Lösung zu den beiden unter 2.1.3 genannten. Diese sollte das Prinzip der einander neutralisierenden Leidenschaften sein. Jenes ist im siebzehnten Jahrhundert mit dessen düsterer Auffassung der menschlichen Natur und der allgemeinen Überzeugung entstanden, daß die Leidenschaften gefährlich und zerstörerisch sind. Demnach sollte eine Anzahl vergleichsweise harmloser Leidenschaften eingesetzt werden, um andere gefährlichere und destruktive Leidenschaften für die Gesellschaft zu neutralisieren. Ziel war es, die gefährlichen Leidenschaften nach dem Prinzip divide et impera einander bekämpfen zu lassen, um sie so zu schwächen und zu zähmen. Gefährliche Leidenschaften waren: Hochmut, Neid und Habgier und Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht.[16] Jahrhundertelang traten diese großen Leidenschaften in enger Verbindung miteinander auf.[17] Diese Leidenschaften schienen sich gegenseitig zu nähren, wie die drei Geißeln der Menschheit, Krieg, Hungersnot und Pest.[18] Im Mittelalter wurde der Kampf gegen diese Leidenschaften als ein Kampf der Tugenden gegen die Laster dargestellt, mit der Seele des Menschen als Schlachtfeld.[19] Später war man dann der Auffassung, daß es sich um einen Kampf der Leidenschaften untereinander handelte. Ergebnis des Kampfes sollte sein, die Verbesserung des Wohls der Menschen und der Menschheit. So sollte z. B. nach Hume die Genußsucht mit dem Erwerbstrieb bekämpft und damit gezähmt werden. Damit ist folglich auch die Einführung des Prinzip der Gewaltenteilung u. a. zu erklären, weil mit dem fundamentalen Prinzip einander neutralisierende Leidenschaften, Kontrolle und Ausgleich (checks and balances) der Regierungen erreicht werden sollte.
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurde die menschliche Natur und die Leidenschaften des Menschen weitgehend rehabilitiert (so Hirschman); eher wurde der Begriff im 18. Jahrhundert neu formuliert, indem die nicht vollkommene Natur des Menschen akzeptiert wurde - Platon meinte noch, die Natur des Menschen sei von der Vernuft dominiert und ereiche nahezu einen perfektionistischen Zustandt - . So wurde damals "Von der geistigen Überlegenheit leidenschaftlicher über vernünftige Menschen" und "Man wird dumm, sobald man aufhört leidenschaftlich zu sein" gesprochen.[20]

2.1.5 Interesse und Interessen als Bezähmer der Leidenschaften

Für die nächsten Überlegungen ist es wichtig, daß das Wort Interesse sich in seiner Bedeutung zum Gattungsbegriff für ausgleichende Leidenschaften wandelte. Diese Entwicklung des Begriffes des Interesse und der Interessen soll in diesem Kapitel aufgezeichnet werden.
Damit das Prinzip der wechselseitigen Neutralisierung der Leidenschaften funktionierte und jederzeit anwendbar wurde, war es nötigt, zwischen schlichtende/bezähmende und wilden Leidenschaften zu differenzieren.[21] Die Wurzel dieser Unterscheidung innerhalb der Ausgleichsstrategie ist im Hobbes´schen Gesellschaftsvertrag zu Grunde gelegt. Dieser Vertrag sollte nur geschlossen werden, weil die negativen Eigenschaften, Begierden und Leidenschaften der Menschen, wie etwa das aggressive Streben nach Reichtum, Ruhm und Herrschaft, mittels sogenannter zum Frieden bereitmachender Leidenschaften, wie Furcht vor dem Tod, erlangen nach angenehmen und notwendigen Dingen und die Hoffnung, diese durch eigenen Fleiß zu Verlangen, eingedämmt werden sollten.[22] Hobbes löste die von leidenschaftlichen Menschen verursachten Probleme mit der Gründung eines Staates, an dessen Spitze ein Souverän stand. Andere Denker nahmen die Lösung des Hobbes´schen Staatengebildes nicht an, erkannten aber auch das Problem/Dilemma von Mensch und Gesellschaft. Nach ihrer Meinung mußte die Strategie des Ausgleiches der Leidenschaften permanent fortgesetzt werden, weil es keinen solchen Staat und Souverän, wie von Hobbes beschrieben, gab bzw. geben konnte. Zur permanenten Fortsetzung des Ausgleichs wurden, zur Verdeutlichung der Rollenverteilung, der unterschiedlichen Leidenschaften, neue Formulierungen nötig. So wurde der Begriff der Interessen geprägt und angewandt für die bezähmenden Leidenschaften und dann gegenübergestellt dem Begriff der Leidenschaften, dieser umfaßte von nun an die zerstörerischen "Triebe" des Menschen. Im Verlauf der Sprach- und Ideengeschichte nahmen die Begriffe Interesse und Interessen unterschiedliche Bedeutungen ein. Dabei bezeichnete das Wort Interessen zunehmend vor allem ökonomische Vorteile von Personen; das ist u. a. auch erkennbar an den sozialwissenschaftlichen Termini "Klasseninteressen" und "Interessengruppen".[23] Zur ökonomischen Bedeutung kam es jedoch erst später. Zuvor, im sechzehnten Jahrhundert, wurde der Begriff des Interesses für die Gesamtheit menschlichen Strebens, im Sinne von Anteilnahme, Streben und Vorteil, mit dem kalkulatorischen Element wie diesem Streben nachzukommen war, verwendet.[24] Weit ab vom Kontext des Individuums und dessen materiellem Wohl, wurde der Begriff des Interesses im Zusammenhang mit der Verbesserung der Staatskunst der regierenden Fürsten, durch größeren Realismus bei der Analyse menschlichen Verhaltens, definiert.[25] In diesem Zusammenhang wurden in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts die Begriffe Interesse und ragione di stato verwendet. Diese Begriffe sollten vor allem der Bestimmung eines "hochentwickelten, durch Leidenschaften und plötzliche Impulse unbeeinträchtigten, rationalen Willens" dienen, der den regierenden Fürsten als Richtlinie dienen und ihm Orientierungsmarken setzen sollte.[26] Folglich stellte das immer rationalere Interesse eine Einschränkung des Handlungsspielraumes eines Fürsten dar, der somit seine Leidenschaften auch zu zügeln hatte. Das Interesse sollte die geschulte Kenntnis ausdrücken von dem, was man tun muß, um die eigene Macht, den eigenen Einfluß und Wohlstand zu mehren.[27] Allerdings ließ sich das Interesse nur schwer präzisieren und schien ungeeignet, dem Fürsten präzise Entscheidungsregeln in konkreten Situationen zu geben. Wurde allerdings das Konzept des Interesse auf eine Gruppe von Personen innerhalb eines Staates angewandt, ließen sich gute Ergebnisse für die Staatskunst gewinnen, weil sich nämlich die so g. nationale Interesse umschreiben ließ.[28] Es setzte ein Übergang vom Interesse des Herrschers die Staatsmänner leiten sollte, zu den Interessen verschiedener Gruppen von Beherrschten ein. Mittels der Interessen sollten z. B. die Bürgerkriegsunruhen, in Mitte des 17. Jahrhunderts in England, analysiert werden.[29]
Erst um die Jahrhundertwende wurde die Interessen von Gruppen und Individuen zunehmend im Sinne ihrer ökonomischen Ansprüche erörtert.[30] Im frühen 18. Jahrhundert wurde Interesse definiert, als ein Verlangen nach Annehmlichkeiten, die zum Erhalt und zur Ernährung der Menschen notwendig sind; infolge dieser Definition wurde der Besitz von Reichtum als eine besonders interessante Leidenschaft beschrieben; so tauchte der Begriff des öffentlichen Interesses zunehmend in Beziehung mit dem Begriff des Wohlstands auf. [31] Die Bindung des Wortes Interesse an den Begriff des Wohlstandes könnte daher stammen, daß das englische Wort interest auch die Bedeutung Zins hat. Außerdem könnte die dem Interessenkonzept unterstellte rationale Kalkulation (venunftgeleitete Interessenverfolgung), aufgrund ihrer hohen Affinität zu den wesentlichen Merkmalen wirtschaftlichen Handelns, Grund für die Bindung des Begriffes des Interesse an den Wohlstand und wirtschaftliche Ziele verfolgende Gedanken sein.[32] Trotzdem wurde in vielen Abhandlungen über die Leidenschaften im 17. Jahrhundert, die Habgier unverändert als die schlimmste von allen beurteilt und als tödlichste aller Todsünden bezeichnet, wie es schon im Mittelalter getan worden war. Sobald aber der Gelderwerb mit dem Etikett des Interesses versehen war, wurde er anerkannt und sogar zum Eindämmen anderer Leidenschaften eingesetzt.[33] Das ist darauf zurückzuführen, daß der Begriff Interessen, wie bereits oben erwähnt, mit positiver Vernunft gekoppelt wurde. Dies trifft auf private sowie auf öffentliche, menschliche Angelegenheiten und Interessen zu.

2.1.6 Interessen als neues Paradigma

Kaum war die Idee des Interesse aufgetaucht, also der Gedanke des Gegensatzes zwischen den Interessen und Leidenschaften, wurden die meisten menschlichen Handlungsweisen aus dem Eigeninteresse erklärt. Somit entwickelte sich die Idee des Interesses zu einem Paradigma. Die Lehre von den Interessen wurde damals als wahre Heilsbotschaft aufgefaßt, weil man glaubte: Die Leidenschaft als Eigenliebe würde durch die Vernunft zugleich erhöht und beschränkt. Als Vernunft erhielte das Interesse durch eben diese Leidenschaft Richtung und Kraft. Die daraus resultierende Zwitterform menschlichen Handelns wäre angeblich frei von der Destruktivität der Leidenschaft, wie von der Wirkungslosigkeit der Vernunft. Diese gegensätzliche Negativerkenntnis von Leidenschaft und Vernunft war nämlich das Ergebnis der klassischen Dichotomie dieser Begriffe, wie sie schon Plato bei der Analyse der menschlichen Motivation vorgenommen hatte.[34] Eine weitreichende Veränderung erfuhr die Einstellung zu den Leidenschaften vom siebzehnten zum achtzehnten Jahrhundert. Anfangs wurden sie als ganz und gar lasterhaft und zerstörerisch aufgefaßt, später dann wurden sie als wesentlicher Teil des Lebens und potentiell schöpferische Kraft positiv rehabilitiert.[35] So wurde die Leidenschaften mit harmlosen Emotionen, wie Humor und Neugier, umschrieben bzw. gleichgesetzt.

2.1.7 Vorzüge einer von Interessen regierten Welt:
Voraussagbarkeit und Beständigkeit

Die Unbeständigkeit und Unberechenbarkeit eines durch Leidenschaften motivierten Handelns, war die größte Hürde bei der Etablierung einer funktionsfähigen Gesellschaftsordnung.[36]
Es war eine realistische Basis für eine Gesellschaftsordnung gefunden worden, mittels der damals dann herrschenden Auffassung, daß das Interesse menschliche Verhaltensmotivationen dominieren würde. Vorzüge dieser Gesellschaftsordnung waren, das menschliches Handeln transparent und voraussagbar wurde. "Wenn man begreift, worin das Interesse eines Menschen an einem bestimmten Vorhaben besteht, wird man, falls der Mann klug ist, mit Sicherheit wissen, wie man ihn einzuordnen hat, d.h., wie man seine Absicht zu beurteilen hat."[37] Der Vorteil der Voraussagbarkeit menschlichen Verhaltens erschien am größten, sobald wirtschaftliches Handeln einzelner Menschen beurteilt werden sollte, denn im wirtschaftlichen Leben handelt es sich um ein starkes Netz von interpendenten Beziehungen. Man ging also davon aus, daß die Menschen bei der Verfolgung ihrer Interessen zuverlässig, zielstrebig und methodisch vorgingen, im Gegensatz zu den von Leidenschaft umtriebenen und verblendeten Menschen. Die Habgier schien eine hartnäckige Leidenschaft zu sein.[38] Diese Hartnäckigkeit ist allerdings auch eine Eigenschaft, von zielstrebig verfolgten Interesse. Es galt als zuverlässig, daß der Mensch der Gewinnsucht immer weiter fröhnen wird, so daß man der Leidenschaft nach Gewinnsucht den Status eines Interesses zukommen lassen konnte. Belegt wird diese Ansicht durch folgendes Zitat von Montesquieu: "Ein Geschäft führt zum nächsten: das kleine zum mittleren; das mittlere zum großen und der Mann, der so begierig war, nur ein wenig Geld zu verdienen, gerät in eine Situation, wo er nicht weniger begierig ist, viel Geld zu verdienen."[39] Damit die Gleichsetzung der Gewinnsucht mit der Qualität eines Interesse Bestand haben konnte, war es notwendig diese zuvor als Leidenschaft beschriebene Sucht zu mildern bzw. harmloser darzustellen.

2.1.8 Annehmlichkeit und Unschuld des Gelderwerbs und des Handels

Die Leidenschaften wurden als wild und gefährlich angesehen, während die Sorge für die eigenen materiellen Interessen als unschuldig oder unschädlich betrachtet wurde, wie folgendes Zitat belegt: "Es gib für einen Mann wenig Möglichkeiten, sich unschuldiger zu betätigen als beim Geldverdienen."[40] Man wollte von der verhängnisvollen Größe (Ruhm), die man durch den Kampf zu erreichen gedachte, Abstand nehmen, damit ruhigere Zeiten ohne kämpferische Auseinandersetzungen einkehren konnten. So kam es zur Favorisierung des "harmlosen" Erwerbslebens.[41] Handelspartner nämlich, so sollte man glauben, haben wenig Interesse daran sich ihre einträchtige Geschäftsbeziehungen durch eine Fehde zu zerstören. Außerdem mußte nicht mehr kriegerisch versucht werden an die Güter eines anderen zu kommen. So stellt der Handel eine Art der Verfeinerung und Milderung (adouzit) der barbarischen Sitten, u. a. der, sich durch Waffengewalt zu nehmen was man begehrt, dar.

2.1.9 Gelderwerb als ruhige Leidenschaft

Die frühere Ansicht, daß der Mensch von Eigeninteresse oder Eigenliebe beherrscht sei, war schon immer heftig umstritten und man traf Unterscheidungen in schädliche und weniger schädliche bzw. sogar in vorteilhafte Leidenschaften.[42] Daher rührt die im siebzehnten Jahrhundert übliche Gegenüberstellung und Unterscheidung von Interessen und Leidenschaften. Um den Gelderwerb als eine ruhige und damit positive Leidenschaft bzw. Interesse darzustellen, wird eine Unterscheidung in wohltätige und egoistische Leidenschaften und zwischen ruhigen und heftigen Willensantrieben getätigt.[43] Das Verlangen nach Reichtum wurde als ruhig qualifiziert und unterscheidet sich von der "heftigen" Habgier insofern, als daß es rational kalkulatorisch verwirklicht wird und u. a. bereit ist einen hohen Preis zu zahlen, um noch größere Vorteile zu erlangen.[44] Damit entspricht es genau der Definition von Interesse im siebzehnten Jahrhundert. Der rational betriebene Erwerb von Reichtum also war zugleich ein starkes Interesse und konnte somit auch über die heftige Leidenschaft, welche in der Regel gegen (längerfristige) Ausgaben ist, der Habgier siegen.

2.2 Wirtschaftliche Expansion im Dienste einer Verbesserung der
politischen Ordnung

2.2.1 Die Elemente einer Lehre

Der Autor Albert O. Hirschman bezeichnet die philosophische Denkweise: "Interessen-versus-Leidenschaften" als Antithese. Der Ursprung für diese These liegt in der Beschäftigung mit der Gesellschaft bzw. genauer in der Beschäftigung mit der Staatskunst. Es sollten nämlich v. a. die Leidenschaften der Mächtigen, also der Staatsoberhäupter oder Fürsten etc., im Zaum gehalten werden. Der Einflußbereich der Entscheidungen dieser Personengruppe war entsprechend groß. Es existierte die Annahme, daß diese besonders reichlich mit Leidenschaften gesegnet sei. Unter Anwendung des Instrumentes bzw. der These Leidenschaften mit Interessen zu zügeln oder zu neutralisieren, könnte man angeblich erkennen wie die Leidenschaften der Mächtigen, namentlich in erster Linie der Eigensinn und die verhängnisvolle Ruhmsucht, von den mächtigen Interessen ihrer selber und ihrer Untertanen bezähmt wurden.[45]
Im folgenden wird auf die wichtigsten Vertreter und Bewahrer aber auch Kritiker dieses Denkens einzeln eingegangen.

2.2.2 Montesquieu, Sir James Steuard, John Millar

Wie bereits unter 2.1.8 erwähnt, war man davon überzeugt, daß Kriege mit anderen, die durch die leidenschaftlichen und willkürlichen Exzesse der Herrscher verursacht wurden, verhindert werden konnten, indem man geschäftliche und damit in der Regel gewinnbringende oder vorteilbringende Beziehungen mit den anderen unterhielt. Dies bezieht sich besonders auf den wirtschaftlichen Handel mit anderen Nationen und der damit gepflegten internationalen Beziehungen. Bewegliches Kapital ist und war immer mit dem (befriedenden) Handel verknüpft. Das dies damals eine Auffassung war, beweist folgendes Zitat von Montesquieu: "Die natürliche Folge des Handels ist, das er zum Frieden führt. Zwei Nationen, die miteinander Handel treiben, werden voneinander abhängig: wenn die eine daran interessiert ist zu kaufen, so ist die andere daran interessiert zu verkaufen; und alle Bündnisse beruhen auf wechselseitigen Bedürfnissen."[46] Außerdem kam hinzu, daß Eigenschaften, die es sonst bisher galt im Kampf zu beweisen, wie Mut und Kühnheit, nun auch im Handel, z. B. dem Seehandel mit seiner gefährlichen Seefahrt, erwiesen werden konnten. So interpretiert galt der Handel als moralisches Äquivalent für den Krieg.[47] Aber auch den nationalen Handel und seinem Netz wechselhafter Verpflichtungen, die Bindungen innerhalb der Gesellschaft darstellten, kam Bedeutung zu. Man erhoffte durch jede politische und wirtschaftliche Verbesserung der Organisation im Innern des Staates, wie z. B. der Förderung von beweglichen Kapital durch den Wechsel und durch Währungsgeschäfte und ähnlichen, den willkürlichen Exzessen der Herrscher Einhalt gebieten zu können. Denn es ist anzunehmen, daß die Staatsführung daran interessiert war, ihre Steuereinnahmen zu wahren oder besser noch zu steigern, indem sie das Kapital im Inland zu halten versucht waren und nicht durch kriegerische Aktivitäten ins Ausland zu verlieren. Der wirtschaftliche Handel und die damit verbundene Gewinnsucht wurde als positives Interesse dargestellt, weil es stark genug galt, im Zusammenhang mit anderen konstitutionellen und institutionellen Einrichtungen, wie der Gewaltenteilung und der gemischten Verfassung, Kontrolle über Macht eines Staatsherren zu bekommen und Machtmißbrauch zu verhindern, denn das Gewinnstreben steigert sich ebenso unaufhaltsam und ist ebenso unersättlich wie das Machtstreben. Außerdem wird es ein Herrscher unterlassen, ungestüm und leidenschaftlich oder wirkürlich, in das fein konstruierte Uhrwerk der Wirtschaft einzugreifen, weil es zum Nachteil seiner eigenen Einkommenssituation bzw. seines durch Reichtum erworbenen Ansehen und der damit verbundenen Macht im In- wie im Ausland wäre; sogleich eine Feinabstimmung des Uhrwerks immer erforderlich bleiben wird.[48] Der Einfluß (der Leidenschaften) von Herrschern und Adel auf die Wirtschaft wurde immer geringer, weil durch ein Erblühen des Handels das "Volk" reicher wurde und damit die Bürger und Händler mehr persönliche Freiheit sowie Einfluß auf die Gesellschaft gewannen.[49] Es besteht ein Zusammenhang zwischen Reichtum des Staates und Macht des Staates und dem florieren einer, relativ, der staatlichen Macht bzw. dem staatlichen Eingriff entzogenen, freien Wirtschaft. Der Fortschritt von Handel und Manufaktur half also bei der Verbreitung einer freiheitlichen Gesinnung.[50]
Allerdings wird der Handel nicht ganz ohne Vorbehalte gesehen, weil mit ihm und mit der einhergehenden Monetarisierung der menschlichen Beziehungen der Verlust an (selbstlosen) moralischer Tugenden befürchtet worden war.[51]

2.3 Betrachtung über eine Epoche der sozialphilosophischen
Theoriengeschichte

2.3.1 Montequieus und Steuart Vision irrte

Über die heilsamen politischen Konsequenzen über die wirtschaftliche Expansion, die sich in einer Unterdrückung der Leidenschaften und einer Förderung der vernunftorientierten Interessen und letztendlich sich in mehr (persönliche) Freiheit ausdrücken sollten, irrte man sich. Die negativen Auswirkungen von Arbeitsteilung und Handel auf die Persönlichkeit, namentlich die Vereinsamung des Menschen und damit das Zerreißen der Bande der Zuneigung, die darauf beruhten, daß er Mitmenschen wegen des Profites genauso behandelte wie sein Vieh und seinen Acker, gewannen an Überhand.[52] Außerdem war es möglich durch das Streben nach individuellem Reichtum, daß sich "tyrannische Regierungen" bilden konnten, weil die Korruption der Republiken durch Luxus und Verschwendung zunahm.[53] Die Furcht vor dem Verlust des Reichtums und der damit alleinigen Konzentration auf die Bewahrung und Mehrung dessen wurde als der Nährboden zur Unterstützung der Tyrannei angesehen, weil die Menschen die öffentlichen Angelegenheiten vernachlässigten und damit die Harmonie zwischen privaten und öffentlichen Interessen nicht mehr stimmte. Die Interessen sind hier weit davon entfernt, den Leidenschaften der Herrschenden Grenzen zu setzen, weil in der Aufregung um die Anhäufung des privaten Reichtums "einem klugen und ehrgeizigen Mann möglich (ist), die Macht zu ergreifen".[54] Außerdem schafft der Handel das Bedürfnis nach Ruhe und Effizienz, denn die sich am privaten Reichtum ergötzenden Bürger messen das Glück der Nation an dem Grad der Ruhe im Lande; dies ist nur im Stande eine ordentliche Verwaltung zu leisten und das könnte Nährboden einer totalitären/tyrannischen Regierungsform sein.[55]
Das ökonomische Wachstum im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert ließ viele Menschen verarmen und wenige reich werden. Die dabei entstandene moderne Massengesellschaft verursachte große Arbeitslosigkeit. Die Gefahr besteht, daß diejenigen, die von diesen gewaltsamen Veränderungen betroffen waren oder sind, sich früher ihren Leidenschaften überlassen könnten - nämlich Leidenschaften wie Wut, Angst und Empörung.[56]

3. Schlußbetrachtung

Als Fazit ist zu konstatieren was unter den Begriffen Interesse, Interessen und Leidenschaften zu verstehen ist. Im Prinzip handelt es sich bei den Interessen bzw. dem Interesse auch um Leidenschaften. Diese sind aber von rationaler Natur und in der Lage die ungezügelten Leidenschaften zu bändigen. Das Interesse beherrscht das nach dem eigenen Vorteil strebende wirtschaftliche Handeln und Leben. Damals wurde das wirtschaftliches Treiben, eben der Handle mit Gütern und auch der Kapitalismus als gesellschaftsprägende Wirtschaftsordnung begrüßt, weil die Auffassung herrschte, er könne gewisse gutartige menschliche Neigungen zu ungunsten anderer, bösartiger, aktivieren, um auf diese Wiese die destruktiven, verhängnisvollen Elemente der menschlichen Natur, eben die Leidenschaften, unterdrücken und vielleicht ganz werde wandeln können. Allerdings wurde auch die Kehrseite dieser Anschauung beschrieben und am Ende der Entwicklung als Bedrohung dargestellt; Beweise für die Richtigkeit dieser Aussage finden sich in der jünsten Vergangenheit aber auch in der Gegenwart.


[1] Hirschman, Albert O.: Leidenschaften und Interessen, Seite 17.
Es wird darauf hin gewiesen, daß es sich bei diesem Literaturbericht um ein Vorstellung des o. g. Buches handelt,
und dieses Buch folglich die einzige Quelle darstellt. Alle Angaben beziehen sich auf diese Buch und sind diesem Buch entnommen; evtl. ist bei Bedarf sekundär zitiert worden.
[2] Seite 18.
[3] Seite 19.
[4] Seite 18.
[5] Seite 19.
[6] Seite 19.
[7] Seite 20.
[8] Seite 22.
[9] Ebenda.
[10] Seite 23.
[11] Seite 23.
[12] Ebenda.
[13] Seite 24, 26.
[14] Seite 28.
[15] Seite 27.
[16] Seite 17.
[17] Seite 29.
[18] Seite 29.
[19] Seite 30.
[20] Seite 36.
[21] Seite 39.
[22] Seite 40; Hobbes in: Leviathan.
[23] Seite 40.
[24] Seite 41.
[25] Seite 41.
[26] Seite 42.
[27] Seite 46.
[28] Seite 44.
[29] Seite 45.
[30] Seite 45.
[31] Seite 46.
[32] Seite 48.
[33] Seite 50.
[34] Seite 52.
[35] Seite 56.
[36] Seite 57.
[37] Seite 58.
[38] Seite 65.
[39] Seite 64.
[40] Seite 66.
[41] Seite 67; Boswell´s Life of Johnson, New York: Oxford University Press, 1933, Bd. I, S. 567.
[42] Seite 73.
[43] Seite 74.
[44] Seite 75.
[45] Seite 80.
[46] Seite 90.
[47] Seite 91.
[48] Seite 97.
[49] Seite 93.
[50] Seite 99.
[51] Seite 90.
[52] Seite 128.
[53] Seite 129.
[54] Seite 131.
[55] Seite 129.
[56] Seite 135.