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Schreiben mit Licht -
Bernardo Bertolucci und sein Team

Eine Hausarbeit im Rahmen des Hauptseminars "Bernardo Bertolucci" von Dr. Bernd Kiefer

WS 1998/99
Universität Mainz
Seminar für Filmwissenschaft


Vorgelegt von Georg Mannsperger


Inhaltsverzeichnis

Einleitung bb.jpg (4909 Byte)
1. "Der letzte Kaiser": Bertolucci und die politische Realität Chinas
1.1 Exkurs: Die Rezeption des Films "Der letzte Kaiser"
1.2 Formale Mittel in "Der letzte Kaiser"
2. Formale Mittel in Bertoluccis Gesamtwerk
2.1 Die Ausstattung: Fernando Scarfiotti
2.2 Die Montage: Roberto Perpignani und Franco Arcalli
2.3 Die Kameraarbeit: Vittorio Storaro
Zusammenfassung
Literaturliste

Einleitung

Die Suche nach der eigenen, im Strudel der historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen verloren geglaubten Identität ist das Thema, das die Charaktere in den Filmen Bernardo Bertoluccis umtreibt. Es handelt sich dabei weniger um individuell ausgestaltete Charaktere, sondern um Typenfiguren, anhand derer der Filmautor seine Sicht der Position des Menschen des 20. Jahrunderts im Koordinatensystem von privater Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und allgemein-gesellschaftlichem Wandel darstellt. rev1.jpg (7179 Byte)In diesem Prozeß werden die Figuren einer immensen psychischen Verunsicherung ausgesetzt und haben zudem oft noch unter einer von außen auf sie ausgeübten Repression zu leiden. Über die dabei entwickelte, gewiß nicht immer "politisch korrekte" Darstellung menchlicher Verhaltensweisen ist seit jeher heftig gestritten worden. Völlig losgelöst von dieser Tatsache ist die allgemein verbreitete Bewunderung für das perfekte Äußere der Filme Bertoluccis. Das Werk des 1940 in Parma geborenen Regisseurs beeindruckt durch die Konsequenz und die Stilsicherheit im Einsatz unkonventioneller filmischer Mittel, durch die jedem einzelnen Film ein unverwechselbarer Charakter verliehen wird. Zu diesem Zweck umgab sich Bertolucci mit einer Reihe durchweg um 1940 geborener, gleichgesinnter Filmschaffender, die seine Visionen umsetzen sollten.

In dieser Arbeit möchte ich beide oben beschriebenen Aspekte näher behandeln. Anhand des Films "Der letzte Kaiser" (1987) werde ich die Typenfigur Bertoluccis in ihrer chinesischen "Inkarnation" näher untersuchen. Von "Der letzte Kaiser" ausgehend will ich auf den Einsatz formaler Mittel im Gesamtwerk Bertoluccis zu sprechen kommen. Dabei werde ich die in diesem Zusammenhang wichtigsten Personen gesondert vorstellen: Den Ausstatter Fernando Scarfiotti, die Cutter Roberto Perpignani und Franco Arcalli sowie den Kameramann Vittorio Storaro. Diese Methodik möchte ich im Folgenden kurz erläutern.

Um die Vielzahl der unterschiedlichen Motivationen und Hintergründe, die zur endgültigen äußeren Form eines Films führen, voll erfassen zu können, müßte man vertraut sein mit all denen, die an der jeweiligen Produktion beteiligt waren - denn Film ist und bleibt Team-Work und jeder Einzelne kann ihm seinem zuständigen Bereich den eigenen Stempel aufdrücken. Somit zeichnet sich die Kunst des Filmautors dadurch aus, diese verschiedenen Richtungen so zu bündeln, daß sie am Schluß mit seinen eigenen Intentionen harmonisieren. Während beispielsweise "Der letzte Tango in Paris" als "Bertolucci-Film" gilt, so könnte man hier mit gleichem Recht von einem "Storaro-Film" sprechen, ohne daß sich die beiden Behauptungen widerprechen. Dies möchte ich im zweiten Teil meiner Arbeit zeigen.

1. "Der letzte Kaiser" - Bertolucci und die politische Realität Chinas

Bernardo Bertolucci verläßt in seinem 10. Spielfilm erstmals den westlichen Kulturkreis und erzählt das Leben des letzten Kaisers von China. Pu Yi, im Alter von nur drei Jahren inthronisiert, wird nach Gründung der Republik 1908 das Verlassen seines luxuriösen Herrensitzes untersagt. Erst 16 Jahre später gibt das herrschende Militär diese Duldung auf und Pu Yi geht in die über 130 Kilometer südöstlich von Peking gelegene japanische Exklave Tientsin ins Exil. Dort gerät er bald unter japanischen Einfluß und wird nach der Eroberung der Nordostprovinzen Chinas durch Japan 1931 wieder eingesetzt - als Marionettenkaiser des neu gebildeten Generalgouvernements Mandshuguo. Nach dem zweiten Weltkrieg und der Kapitulation Japans verbringt Pu Yi über 10 Jahre in einem maoistischen Kriegsgefangenenlager, bevor er zu Beginn der Kulturrevolution als "umerzogen" entlassen wird und die letzten Jahre seines Lebens unauffällig als Gärtner im botanischen Garten der chinesischen Akademie der Wissenschaften arbeitet.

le.jpg (21769 Byte)Es sind nicht die für das moderne China entscheidenden historischen Eckdaten des 20. Jahrhunderts, die Bertolucci an der Figur des Pu Yi interessieren. Schon in "1900" hatte er die geschichtlichen Ereignisse eines Jahrhunderts auf den Maßstab zweier Biographien reduziert. In "Der letzte Kaiser" geht er noch einen Schritt weiter, indem er die die Geschichte eines gesellschaftlich herausgehobenen Individuums quasi exemplarisch und völlig losgelöst von der Komplexität der sozialen und politischen Umwälzungen nacherzählt. Bertolucci nennt das Thema des Films "Wandel". Doch er meint damit nicht Wandel im politischen, sondern im rein menschlichen Sinne. Bertolucci: "Die Geschichte Pu Yis ist eine Geschichte der Metemorphose. Vom Kaiser zum Bürger ... von der Raupe zum Schmetterling". Diese Bezeichnung stammt vom Titel der 1964 erschienen Autobiographie Pu is mit dem Titel "From Emperor to Citizen". Der Band, von der kommunistischen Partei zensiert und editiert, sollte die Möglichkeit der erfolgreichen Umerziehung vom Reaktionär zum vorbildlichen Volksbürger in Rot-China dokumentieren. Die Tatsache, daß Bertolucci dieses Buch als Vorlage für einen Film nennen konnte, erleichterte ihm sicherlich das Vorsprechen bei den chinesischen Autoritäten, als es um die Vergabe von Drehgenehmigungen innerhalb der "verbotenen Stadt" ging.

In der Figur des Pu Yi erkennen wir den Bertolucci-typischen Protagonisten auf der Suche nach einer Identität, die sich nicht mehr in den traditionellen Werten seiner Herkunft konstituiert, sondern nur in einem Niemandsland zwischen nicht ausgelebten Kindheitsträumen und individualitäts-feindlichen Fremdeinflüssen zu suchen ist. Pu Yi, der schon im Kindesalter von den Eltern getrennt wurde, um in einem Mikrokosmos fern der sozialen Wirklichkeit seines Landes aufzuwachsen , wird erst im Alter von 18 Jahren mit der vollen Wucht der Wirklichkeit konfrontiert. Daher ist der Film auch ein Gleichnis für den Prozeß des Erwachsenwerdens. Pu Yi wird aber nie erwachsen werden - bis er ein alter Mann ist. Er gleicht einem chinesischen Peter Pan. Die Stilisierung der Figur wird deutlich bei der Betrachtung der nicht historisch belegten Ereignisse, die im Film aus dramaturgischen Gründen eingeführt werden: Pu Yis Selbstmordversuch, mit dem der Film beginnt und die Wiederbegegnung mit dem Gefängnisdirektor am Ende. Nach einem Leben als Werkzeug verschiedener äußerer Mächte kann er hier zum ersten mal aktiv und ohne Anstoß von außen in das Geschehen eingreifen. Wie für Marcello Clerici aus "Il Conformista" erfüllt sich für Pu Yi nur in der Anonymität der Masse der Wunsch nach einem stetigen und normalen Leben. conf.jpg (19086 Byte)Die Forderung nach einer Existenz völlig außerhalb gesellschaftlicher Normen und Konventionen, mit der auch Paul im "letzten Tango von Paris" scheiterte, wird mit dem Bezug zur Gewaltherrschaft eines absolutistischen Systems ad absurdum geführt. Doch im Vergleich zum pessimistischen Ausklang von "Il Conformista" kommt Bertolucci in "The Last Emperor" zu einem ins Positive gewendeten Resumee. Der Selbstmordversuch, in dem sich Pu Yis Angst vor den drakonischen Maßnahmen der rot-chinesischen Siegerjustiz äußert, verleiht der sanften Umerziehung zum vorbildlichen Volksbürger durch das Mao-System erst ihren richtigen Glanz. Schon das Wort "Gehirnwäsche", das in der Zeit des Mao-Regimes geprägt wurde, hat im chinesischen Kulturraum eine weit weniger negative Konnotation als im Westen: Man versteht dort darunter lediglich die gewaltfreie Läuterung der Seele nach begangenen Verbrechen. Bertolucci verfolgt hier also eine Philosophie, die er schon im Zusammenhang mit "1900" als "chinesisch" bezeichnete: "Der Padrone ist tot, aber wir brauchen ihn nicht umzubringen". Den großen "historischen Kompromiß", den Bertolucci in der Befreiung vom italienischen Faschismus aufzuspüren versuchte, glaubt er im Umgang Chinas mit dem abgesetzten Herrscher gefunden zu haben. Erfuhr dieser doch in gleich zwei Revolutionen die Milde der neuen Herrscherriege. War sein Einflußbereich zunächst auf das Gelände der "verbotenen Stadt" beschränkt worden, so herrschte auch unter Mao noch die Überzeugung, man könne den als Kriegsverbrecher Beschuldigten durch Umerziehung zur Einsicht bringen, anstatt ihn zu bestrafen. So sind auch hier Bertoluccis Interessen für politisches Kino implizit vorhanden. Auf der Leinwand sehen wir aber die privaten Geschichten und Geschichtchen um Pu Yi, seine ersten sexuellen Kontakte, sein Leben mit zwei Frauen und deren bisexuelle Beziehung. Auch das ein Leit-Thema im Werk Bertoluccis. In "Der letzte Kaiser" verschwimmt diese Problematik aber in dem schier unerschöpflichen Reichtum an farbenprächtigen Bildern. Konnte sich in "Der letzte Tango von Paris" bei filmisch perfekter äußerer Form mit dem Bezug zur postmodernen Malerei Francis Bacons noch eine solche Thematik vermitteln lassen, verstellt die Tendenz zum Hochglanz-Kino dem ursprünglich politischen Filmemacher Bertolucci den Zugang zu den brisanteren Themen seines Interesses. In "1900" hatte er sich mit klassischen Formen des Erzählkinos erstmals dem "Mainstream"-Publikum angeboten. "Der letzte Kaiser" bedient sich nun noch stärker traditioneller, leicht konsumierbarer Erzählformen und präsentiert seine emotionsreiche Story in einer ästhetisch genußvollen Verpackung. Wie Wolf Schwartz in seinem Aufsatz "Der Abschied vom bürgerlichen Kino" verdeutlicht, ist für Bertolucci das althergebrachte Kino tot, aber umzubringen braucht er es nicht.

 

1.1 Exkurs: Die Rezeption des Films "Der letzte Kaiser"

Beim Erscheinen des Films Ende 1987 spaltete sich die Kritik zwischen Bewunderung vor der großartigen produktionellen Leistung Bertoluccis und Bedauern hinsichtlich eines zu anspruchslosen Inhalts, der seiner reich bebilderten Verpackung nicht gerecht werde. So sprach "Variety" von einer "unglaublich reichen Staffage von Ereignissen", in deren Vordergrund immer eine Strohpuppe statt einer dreidimensionalen Figur stehe. Der "einzigartige, bislang unerreichte visuelle Glanz" könne nicht verhindern, daß der Film so "fern und ungreifbar" bleibe wie sein Thema. Der "Fischer Film Almanach" in seiner Auflage von 1988 nannte den "letzten Kaiser" dagegen den "erste[n] wirkliche[n] Monumentalfilm unserer Zeit, der nicht mit dem Makel von Pappkulissen und Holzschwertern behaftet ist" und kommt ferner zu der Bewertung, daß Bertolucci bei allem Aufwand nie die Hauptfigur aus dem Blickfeld verliere: "Ruhige Momente und ausdrucksstarke Großaufnahmen sorgen immer wieder dafür, daß die Person des Kaisers plastisch und überzeugend bleibt". Karsten Witte sprach in der "Zeit" von der "größten denkbaren Allmachtsphantasie", die Bertolucci in ein metaphorisch als "Welttheater" stilisiertes China versetze. Die Hauptfigur sei lebensnah und glaubhaft interpretiert, lediglich die "Sequenzen des deformierten Lebens" gehörten zu den "schwächsten des Films. Der Kaiser als Gigolo, seine Frau als opiumsüchtige Konkubine einer lesbischen Spionin, das sind stark abgeblätterte Bilder aus dem Bertolucci-Album seines Films 'Der Konformist'". Und Horst-Peter Koll schrieb im Filmdienst: "...Immer wieder ist es Bertolucci gelungen, die naturalistische Ausstattung, den überbordend-aufwendigen Ausstattungspomp zu stilisieren und damit hinterfragbar zu machen, so daß sein Film doch weitaus mehr bietet als ein 'Historienschinken' im Stil von `Lawrence von Arabien'".

 

1.2 Formale Mittel in "Der letzte Kaiser"

Eine Biographie, die sich so völlig ohne jeden Glanz in fremde Abhängigkeiten ergibt, benötigt der filmischen Dramatisierung. Das hat Bertolucci realisiert. Die dichterische Freiheit äußert sich nicht nur im Hinzufügen nicht historisch verbürgter dramatischer Ereignisse, sondern in erster Linie in der äußeren Erscheinung des Films. Art Director Fernando Scarfiotti konstruierte Sets, die bis ins letzte Teil authentisch erscheinen und sich in keiner Weise von den an den Originalschauplätzen vorgefundenen Ausstattungsstücken abheben sollten. Schließlich sollte der Erfolg, daß es erstmals einem westlichen Kamerateam gestattet wurde, innerhalb der "verbotenen Stadt" zu drehen, nicht bei den Studioaufnahmen zum unüberwindbaren Stolperstein werden. Eine weitere Herausfordeung für Scarfiotti war die von Bertolucci hervorgehobene Tatsache, daß sich das Aussehen der kaiserlichen Gebäude seit dem 16. Jahrhundert kaum verändert hätte, der Film also im Grunde den Zeitraum von über 300 Jahren umfasse. Ein genaues Studium der alt-chinesischen Kultur war notwendig, um sicherzustellen, daß "jedes mal, wenn wir von der historischen Rekonstruktion abwichen, klar war, daß dies nicht durch Ignoranz, sondern ganz bewußt geschehen war." Im zweiten Teil des Films, in der der entmachtete Pu Yi sich als ausgelassener "Playboy" an westliche Lebensgenüsse anzupassen versucht, wurde der Stil des Art Deco der dreißiger Jahre zu neuem Leben erweckt.

Diese Kunstgriff wurden von einem der wichtigsten Mitarbeiter Bertoluccis realisiert, dem ich mich im nächsten Kapitel zuwenden möchte.

2. Formale Mittel im Gesamtwerk Bertoluccis

2.1 D ie Ausstattung: Fernando Scarfiotti

Fernando Scarfiotti, geboren am 6. März 1941 in einem kleinen Vorort Roms, absolvierte ein Architekturstudium in der italienischen Hauptstadt, bevor er zum Film kam. Es war kein geringerer als Luchino Visconti, ein Freund der Familie Scarfiotti, der den jungen Mann dazu ermutigte, den Beruf eines Production Designers zu ergreifen. Darin konnte er sowohl sein Interesse für das Theater als auch sein besonderes Talent für Gestaltung mit einbringen. Nach Ephraim Katz ist der Production Designer im Film (oft synonym verwendet mit dem Begriff "Art Director") zuständig für Dekoration und Aufbau der Sets, die Gestaltung der Kulissen - sowohl innen als auch außen - sowie für die Anschaffung der Requisiten. Dies erfordert eine genaue Kenntnis von verschiedensten Zeitepochen und -Stilen, setzt Fähigkeiten im Bereich Architektur, Grafik und Filmproduktion, aber auch in Schnitt und Ausleuchtung voraus. Ferner sollte der Production Designer in ästhetischen und wirtschaftlichen Gesichtspunken des Filmgeschäfts bewandert sein. Die Funktion des Ausstatters ist daher nicht zu unterschätzen: Er ist der letzendlich Verantwortliche für die visuelle Erscheinung des Films. Das hat Fernando Scarfiotti in besonderem Maße verwiklicht. Er hat in seinen Filmen immer wieder ganz neue Welten erschaffen, die sich lediglich aufgrund der vorgegebenen Bedingungen des Produktionsbudgets an der Gegenwart orientierten, ansonsten aber zwischen Vergangenheit, Zukunft und Traum changierten. In Peter Bogdanivichs Daisy Miller (USA 1974) ging es um die authentische Rekonstruktion vergangener Zeiten; flash.jpg (22747 Byte)In dem Science-Fiction-Film Flash Gordon (Mike Hodges, UK/USA 1980) wies der Charakter seiner aufwendigen Bauten eine mehrfache zeitliche Brechung auf: Er ahmte den Stil eines Comics aus den dreißiger Jahren nach, um - in einem Film von 1980 - eine utopische Welt von Übermorgen darzustellen.

In Filmen wie Paul Schraders Cat People (USA 1982) oder Barry Levinsons Toys (USA 1992) - für den er einen Oscar erhielt - kreuzte er das Reich von Phantasie, Traum und Horror. In "Der letzte Tango von Paris" kombinierte er gewissermaßen alle diese Ebenen. Die noch nicht bezogene Wohnung, in der sich Paul und Jeanne treffen, drückt in ihrer Unfertigkeit den Widerstand des Protagonisten gegen jede Form zur Schau getragener Anonymität aus und repräsentiert gleichzeitig die Gegenwelt fern aller bürgerlichen Konventionen, in die er sich hineinsehnt. Ebenso entlarvend ist die Umgebung, in der Scarfiotti die entscheidende Szene der "Pop-Ehe" zwischen Jeanne und Tom spielen läßt: Zwischen kreischend bunten Werbeplakaten. Die Ausstattung von Il Conformista zeichnet sich durch die strenge Parallelität der Linienführung aus. Horizontale Kanten laufen stets zentralperspektivisch auf einen gemeinsamen Fluchtpunkt hin zu. Die bis ins Absurde übersteigerte Gigantonomie der faschistischen Architekturästhetik wird so zitiert und bewußt auch ironisiert. Und auch der Traum-Aspekt ist in Il Conformista mit seiner Auseinandersetzung zwischen subjektiver und wirklicher Realität aufzuzeigen. Neben Visconti (in Tod in Venedig, FRA/ITA 1971) und Bertolucci gehörten auch Billy Wilder (Avanti!, USA 1972), John Schlesinger (Honky Tonk Freeway, USA 1981) und Brian De Palma (Scarface, USA 1981) zu den Regisseuren, die Scarfiotti mit dem Bau ihrer Ausstattung betrauten.

 

2.2 Die Montage: Roberto Perpignani und Franco Arcalli

Das wichtigste Gestaltungsmittel bei der Postproduktion eines Films ist der Schnitt. Nach dem Trubel der Drehzeit im großen Team sitzen sich im Schneideraum nur der Regisseur und der Cutter gegenüber und müssen sich auf einen visuellen Stil für den Film einigen. Bernardo Bertolucci hat seinen Cutter daher immer mit großer Bedacht aussgewählt. Beonders charakteristisch für sein Werk war die jahrelange Zusammenarbeit mit Roberto Perpignani und Franco Arcalli.

Roberto Perpignani ist bis heute einer der bedeutendsten italienischen Cutter, die der Filmproduktion ihres Heimatlandes nicht den Rücken gekehrt haben um nach Hollywood auszuwandern. Wie Bertolucci 1941 geboren, lernte er ihn Anfang der sechziger Jahre kennen und wurde zur ersten Konstante im Werk des Jung-Regisseurs. rev2.jpg (7138 Byte)Die drei Filme, die sie zusammen machten, wurden prägend für das Gesamtwerk Bertoluccis. Bereits in Vor der Revolution zeichnet sich eine völlig eigenständige Schnittästhetik ab. Ähnlich wie bei den Filmen der Nouvelle Vague ist die Kontinuität der Bewegungsabläufe - eine der Grundregeln des konventionellen Erzählfilms - nicht länger gewährleistet. Bewegungen werden abgeschnitten, unterbrochen und später wieder fortgesetzt, während der Dialog auf der Tonspur kontinuierlich weiterläuft. Solche "Zeit-Sprünge" können durch harte Schnitte, Auf- und Abblenden oder Überblendungen erfolgen. Von diesen Szenen geht unmittelbar eine Irritation aus, besonders wenn solche "Jump Cuts" innerhalb derselben Einstellungsgöße erfolgen. Jedoch wird den Bildern auf diese Weise ein geradezu atmender Rhytmus verliehen, ein Rhytmus der nun ähnlich wie die sprachlichen Mittel eines Dichters gestaltet werden kann. Der Text geht eine poetische Verbindung mit den Bildern ein- wie in der Anfangssequenz von Vor der Revolution, die noch ganz den jugendlichen Dichter Bertolucci spüren läßt. In Partner wird Bertolucci dieses Stilmittel zum großen Experiment erweitern. Die Organisation des Films ist, wie er selbst sagt, eher zufällig, die einzelnen Sequenzen sollen als völlig autonom gelten und die Reihenfolge ihrer Montage spielt keine Rolle. Diese Tatsache verleitete Dietrich Kuhlbrot dazu, in seiner kommentierten Filmographie zu schreiben: "Bertolucci war dabei, mit PARTNER für den Film die Montage abzuschaffen als eine dem Medium eher fremde literarische Struktur und als verdächtiges Herrschaftsinstrument überhaupt" und kommt dann bei der Betrachtung der Strategie der Spinne zu dem Schluß, Bertolucci habe nun endlich die "Berührungsangst" vor Schnitt und Montage überwunden.. Auch wenn man so weit nicht gehen muß, da in Vor der Revolution und Partner keine "Berührungsangst" vor dem Schnitt, sondern ein ganz bewußtes Experimentieren damit zu spüren ist, so ist sicherlich zu konstatieren, daß der Schnitt in Strategie der Spinne funktional eingesetzt wird und nunmehr eine erzählerische Aufgabe bekommen hat. Ein Besipiel dafür ist die Parallelmontage von Athos-Vater und Athos-Sohn, die in ihrer äußerlichen Ähnlichkeit wie die Doppelgänger aus Partner wirken. Die nahezu identische Wiederholung der Situation in beiden Generationen stellt eine fast mythische Verbindung zwischen Vater und Sohn her. Es ist eine "Reise, die ins Vergangene und doch Gegenwärtige führt". Dies macht auch der Schnitt deutlich.

Franco Arcalli vertritt im Vergleich zu Perpignani eine wesentlich klassischere Form des Schnitts. Das spiegelt sich auch in den Genres, in denen er bereits gearbeitet hat und die von Western über Thriller, Drama und Comedy bis zum Horrorfilm reichen: Also allesamt Genres, bei denen das narrative Element im Vordergrund steht. Seine Montage ist immer der Geschichte untergeordnet und treibt diese voran. Als besonderes Stilmittel setzt Arcalli dabei immer wieder die psychologisierende Rückblende und die Traumsequenz ein. So läßt sich auch eine Verbindung von Il Conformista und am ehesten über die Montage herstellen: Beide Filme verwenden keine chronologische Erzählweise, sondern ein Erzählen in Rückblenden aus der subjektiven Perspektive eines Individuums oder mehrerer. Interessant ist noch die Tatsache, daß Franco Arcalli bei den Filmen Der letzte Tango in Paris, , La Luna und auch bei Sergio Leones Once Upon a Time in America (1984) am Drehbuch beteiligt war. Dies ist darauf zurückzuführen, daß es im italienischen Kinod üblich ist, daß ein ganzes Autoren-Kollektiv an einem Drehbuch arbeitet. Im weiteren Verlauf der Produktion muß ein Mitarbeiter dann nicht mehr fest auf seinen urprünglichen Bereich begrenzt sein, sondern kann sich auch an anderen Arbeitsprozessen beteiligen.

 

2.3 Die Kameraarbeit: Vittorio Storaro

Für Vittorio Storaro, den wohl anerkanntesten Kameramann, den Italien je hatte, war die Entscheidung, sich mit der Photographie zu beschäftigen, nicht seine eigene. Geboren 1940 in Rom, wurde er im Alter von elf Jahren von seinem Vater - einem Filmvorführer - dazu gedrängt, sich der Filmphotographie zuzuwenden - quasi als Ersatz für etwas, das der Vaters selbst nie rreicht hat. "It was something that he himself thought he might do but never did. So he pushed one of his sons into it as a continuation of himself. I`m glad for that, because, in the last several years, I`ve really discovered something about myself. Photography, for me, raelly means writing with light."

Apocalypse Now (184852 Byte)
Storaros Meisterwerk
"Apocalypse Now"

Das führt er dann im Folgenden noch aus. Er sagt "Schreiben mit Licht", weil er etwas ausdrücken will, das aus seinem Innern kommt. "With my senibility, my structure, my cultural background, I`m trying to express what I really am." Die Geschichte des Films soll durch das Licht ergänzt werden in einer Art Parallelerzählung, die es dem Zuschauer - bewußt und unbewußt - erleichtern soll, der Story zu folgen.Diese Wertschätzung des Lichts als unmittelbar zwischen ihm und dem Publikum stehendes Ausdrucksmittel ließ ihn zu Beginn seiner Karriere ein Jahr für das Theater arbeiten. Hier wurde ihm bewußt, daß er nicht nur mit Licht, sondern mit allen Mitteln der Cinematographie am ausdrucksstärksten arbeiten konnte; also mit Linsen, Kameras, Filmmaterial, Entwicklung und Projektion.

Mit 18 Jahren war Storaro der jüngste Student, der für die italienische Filmschule zugelassen worden war und mit 21 war er bereits Kameraassistent. Sein Studium der Photographie und Cinematographie dauerte parallel dazu noch neun Jahre an. Bereits sein zweiter Film begründete die jahrelange erfolgreiche Zusammenarbeit mit Bernardo Bertolucci. In Strategie der Spinne hinterließ er denn auch gleich klar erkennbar seine Handschrift. Als charakteristisches Moment im Frühwerk Bertoluccis ist die Plansequenz zu nennen. Unter Storaro gilt sie nicht mehr als absolut, sondern hat eine narrative Funktion bekommen. "Sie sucht in immer neuen Ansätzen und Pausen ... der Annäherungen etwas zu entdecken: Die Erinnnerung und die Fragwürdigekit des Erinnerns.". Diese Wendung von äußerer zu innerer Handlung, zu psychischer Selbstanalyse, drückt Storaro auch in immer neuen Perspektivwechseln aus. Ein Beispiel dazu aus Strategie der Spinne: "Athos-Vater sitzt vor dem Gitter. Dann geht die Kamera von ihm zurück. Das Gitter-Fenster ist hinter ihm (Perspektivenwechsel). Im Hintergrund wird Sultano, der Löwe, eingefangen. Der Wagen fährt ein Stück zurück. Der Wagen fährt ein Stück zurück. Der Hintergrund wird unscharf, und in der Bewegung geht die Schärfe auf Draifa, die in der Nahaufnahme Athos-Sohn ganz gegenwärtig erzählt, was sich vor dreißig Jahren ereignet hat. ... Was an Perspektiven in dieser Sequenz zusammengeht, war durch keinen Schnitt getrennt."

In Strategie der Spinne taucht auch bereits eines der Leitthemen Vittorio Storaros auf: Der Konflikt zwischen zwei Extremen - Tag und Nacht, Schatten und Licht, Schwarz und Weiß - der nur gelöst werden kann, wenn beide Pole vereinigt werden und sich ein Gleichgewicht einstellt. In Strategie der Spinne, Il Conformista und Der letzte Tango sind alle im Bild zu sehenden Lampen rund - zwei Hälften sind zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt. (Kreis-Symbol).

Die vielzitierte Kunst Storaros, das "Schreiben mit Licht", läßt sich gut an einem Vergleich der Filme Il Conformista und Der letzte Tango von Paris verdeutlichen. ltip.jpg (16160 Byte)Das von der faschistischen Diktatur regierte Rom aus Il Conformista strahlt eine feindselige Stimmung der Klaustrophobie aus. Volle, satte Farben kann man kaum finden. Die Figuren werden von scharfen Schatten begrenzt und eingeengt. In der zweiten Hälfte des Films wird ein komplett neuer Lichtstil eingesetzt: Das freie Paris der dreißiger Jahre - Zufluchtsort für viele politisch Verfolgte aus Italien - erstrahlt in bunten Farben, die Schatten zwischen den Figuren gehen nun weich ineinander über. Für den letzten Tango schien die Winterstimmung mit der tiefstehenden Sonne und die beim spärlichen Tageslicht bereits eingeschaltete künstliche Straßenbeleuchtung nur einen Lichtstil zuzulassen: Ein sattes orange. Eine Farbe, die die Leidenschaft und Emotionen, von denen der Film handelt, widerspiegelt. So kam es, daß Storaro dieselbe Statt Paris, die er noch zwei Jahre zuvor in einem kalten blau photographiert hatte, nun mit warmen Orange-Tönen ausstattete. Außerdem ist die Auseinandersetzung zwischen natürlichem und künstlichem Licht, zwischen Innen und Außen ein weiteres Leitthema Storaros, das sich in Der letzte Kaiser wiederfindet. Die Innenräume der "verbotenen Stadt" erscheinen in einer ähnlichen Lichtstimmung wie das anonyme Hotelzimmer im letzten Tango. "Der Innenraum ist nicht mehr autark. Er definiert sich über seine Beziehung nach draußen". Die starre Unbeweglichkeit der festgefahrenen Strukturen innerhalb der verbotenen Stadt wird mit der Lebendigkeit und dem Gewimmel davor kontrastiert.

Zusammenfassung

Im Werk Bernardo Bertoluccis wird die politische Aussage zur poetisch-ästhetisierten Allegorie, die durch ein Sammelsurium an cinematographischen Kunstgriffen und Schauwerten filmische Form annimmt. Vom spröden, verwirrenden Äußeren der frühen Filme, die das Unkonventionelle zum alleinigen erstrebenswerten Ziel erhoben, nähert sich seine Form mehr und mehr dem Kino der großen Geschichten an. Er erreicht darin ein breites Publikum, ohne auf die Radikalität seiner formalen Ausdrucksmittel verzichten zu müssen. Ebensowenig wie seine Dramaturgie jemals eine lineare war, wird er seinen Hang zum Künstlerischen, zum Manieristischen und zum Emotionalen je aufgeben können. Und ebenowenig wird sein Team je zu einem Fließband-Trupp der Traumfabrik Hollywood verkommen. "When you see a movie, you can feel if it was done with joy, anger, or passion. And if you change one element of the crew, the movie will be changed [...]. Because each one of us, whether we have a very small job or a very big one, makes decisions every moment. [...] I really think that a picture is not just a picture and that we put all of ourselves into it as human beings."

 

Literaturliste

 

 

Bowker, R. R. (Hg.): Variety`s Film Reviews. New Providence, N. J. 1991

Jansen, Peter W. / Schütte, Wolfgang (Hg.): Bernardo Bertolucci. München / Wien 1982

Katz, Ephraim: The Macmillan International Film Encyclopedia. New Edition. London 1996

Koll, Horst Peter: Der letzte Kaiser. In: Filmdienst (Nr. 23 / 17. 11. 1987) S. 16ff.

Rayns, Tony: Bertolucci in Bejing. In: Sights & Sounds. International Film Qarterly (Winter 1986/87), S. 38f.

Salvato, Larry / Schaefer, Dennis (Hg.): Masters of Light. Conversations with Contemporary Cinematographers. Berkeley, Ca. 1984

Schäfer, Horst / Schubert, Walter (Hg.): Fischer Film Almanach. Frankfurt a. M. 1988

Schwartz, Wolf: Der Abschied vom bürgerlichen Kino: Der letzte Kaiser. In: Medien und Erziehung. Zeitschrift für audiovisuelle Kommunikation (4/1988), S. 13-16

Witte, Karsten: Herr seiner selbst. Bernardo Bertoluccis Film "Der letzte Kaiser". In: Die Zeit (Nr. 45 / 30. 10. 1987), S. 62



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