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Institut für Politikwissenschaft

Universität des Saarlandes (WS 1996/97)

Übung: "Europa auf dem Weg zu einer gemeinsamen

Sicherheits - u. Verteidigungspolitik?"

Dozent: Dr. Michael Meimeth

Referent: Bernhard Lehmann v. Weyhe 03.02.1997

 

 

 

Europa auf dem Weg zu einer gemeinsamen

Sicherheits - u. Verteidigungspolitik?

Die Haltung der USA

 

 

 

Inhaltsverzeichnis:

  1. Einführung
  2. Traditionen amerikanischer Diplomatie
  3. Die USA und der Kalte Krieg in Europa
  4. Engagement nach der Wende von 1989/90
  5. Auf der Suche nach dem "Europäischen Pfeiler"
  6. Zusammenfassung
  7. Bibliographie

 

 

Anschrift:

Bernhard Lehmann v. Weyhe

Heinrich Laur Str. 2

66386 St. Ingbert

Tel: 06894 87505

Email: bele@stud.uni-sb.de

 

 

 

1. Einführung

 

"Our strategy of enlargement and engagement is central to U.S. policy toward post-Cold War Europe. European stability is vital to our own security, a lesson we have learned twice at great cost this century ... With the collapse of the Soviet empire and the emergence of new democracies at its wake, the United States has an unparallel opportunity to contribute to a free and undivided Europe. Our goal is an integrated democratic Europe cooperating with the United States to keep the peace and promote prosperity."

The White House, 1995.

Das Ende des Kalten Krieges hat das westliche Verteidigungsbündnis vor eine Flut von neuen Herausforderungen gestellt. Die Bipolarität des Globus und die deutlich abgesteckten Positionen und Verbindungen innerhalb der beiden Blöcke sind verwischt worden. Dies gilt insbesondere für die traditionell fast identischen sicherheitspolitischen Prioritäten der westlichen Führungsmacht USA und ihrer NATO-Partner in Europa. Die halbherzige Gemeinsame Außen - und Sicherheitspolitik (GASP) der EU nach Maastricht, US-Bodentruppen in der Jugoslawienkrise, der Ägäis-Zwischenfall von 1996 und die NATO-Osterweiterung bedeuten für die Europapolitik der USA schwierige Zeiten.

Zudem nimmt nach Ende des Kalten Krieges, ähnlich wie nach den beiden Weltkriegen, der öffentliche Druck auf die politischen Entscheidungsträger zu, amerikanisches Engagement auf dem europäischen Kontinent drastisch zu reduzieren. In Zeiten eines gigantischen US Haushaltsdefizits ist die kostspielige Massenpräsenz amerikanischer Truppen in Europa nur noch schwer zu vertreten. Mit der Betonung der innenpolitischen, ökonomischen Probleme der USA hatte Präsident Clinton noch 1992/93 seinen Konkurrenten Bush aus dem Rennen geworfen; bald aber sollte ihn die brutale Wirklichkeit des Bürgerkrieges im - europäischen - Jugoslawien einholen. Im Amerika der 90er Jahre ist das entstanden, was der US-Strategieexperte Steven Blank als "The Breakdown of Consensus" bezeichnete. Da sich die klare Bedrohung der westlichen Welt durch den Sowjetblock zu einer ganzen Spanne von modifizierten, multipolaren Bedrohungen entwickelt hat, vollziehen sich in den USA, wie in anderen NATO-Staaten, kontroverse sicherheitspolitische Diskussionen.

Ein Mal mehr hat der blutige Bürgerkrieg auf dem Balkan eine entscheidende und zugleich beschämende Rolle gespielt: Nachdem das zähe Krisenmanagement der europäischen Staaten (GASP/EU, WEU, KSZE/OSZE) allein fast der Lächerlichkeit preis gegeben wurde, verfielen auch die USA via UNO in die desorientierte und strategielose Politik von Anerkennung, Friedensangeboten, Vermittlungsversuchen, Waffenstillständen etc. Stellvertretend für massive Kritik aus der Öffentlichkeit und der Weltpresse faßte Philip Lawrence vom britischen Economist das internationale Krisenmanagement auf dem Balkan als "a massive political failure compounded by Western sins and omissions" zusammen. Selbst US-Außenminister Warren Christopher, Chefdiplomat des NATO-Führers und der verbliebenen Supermacht, wollte 1993 nur sehr vage Äußerungen zur Balkankrise machen, zu tief saß noch das amerikanische "Vietnam-Syndrom" um US Truppen direkt in die bosnischen und kroatischen Berge zu schicken: "Certainly, if there were aggressive designs - by other countries within this region, I think, the [Conference on Security and Cooperation in Europe] process as well as the whole international community would take great note and express deep concern." Nach langen innenpolitischen Diskussionen über US-Verantwortung, Menschenrechte und Einsatz in Europa griffen die USA schließlich doch massiv und mit NATO-Unterstützung im Jugoslawienkonflikt ein. Das Dayton-Abkommen (1995), große Kontingente von US-Bodentruppen und Luftstreitkräften vor Ort sowie der gesamte NATO-Apparat waren notwendig um die Krise beizulegen. Andererseits, ohne die klare Führungsübernahme der Supermacht USA wäre wohl bis heute kein Ende des Blutvergießens abzusehen gewesen ...

Diese wissenschaftliche Arbeit wird um die zentrale Frage kreisen, inwiefern sich die USA im heutigen und im zukünftigen Europa sicherheitspolitisch engagieren wollen und müssen. Der mißlungene Testfall Jugoslawien hat gezeigt, daß die Supermacht USA, wie auch ihre Verbündeten, verzweifelt nach einem gemeinsamen sicherheitspolitischen Konzept für das Europa des 21. Jahrhunderts suchen. "What is needed is revolutionary: a new definition of basic American interests in Europe that encourages unprecedented levels of security and cooperation with all of Europe, including the successors to the Soviet Union ..." Die weitere militärische und politische Rolle der USA auf dem europäischen Kontinent wird für dieses Konzept von zentraler Bedeutung sein. Um die vielfältigen Diskussionen in der amerikanischen Regierung, im Kongreß und in der Öffentlichkeit zu diesem komplexen Thema zu ordnen, ist für diese Arbeit eine Erläuterung der Grundmotivationen, Prinzipien und Doktrine amerikanischer Außenpolitik essentiell. Ein Schlüsselbegriff ist hierbei das weit auslegbare "Nationale Interesse" ("National Interest") der USA, das von Kenneth Thompson wie folgt umschrieben wurde: "The survival of the nation or, at other points in time, of any political unit is the irreducible minimum of the national interest or the interest in general. The content of such an interest encompasses the nation's territorial integrity, the preservation of its political institutions from external threat, and its history and culture."

Weitere wichtige Arbeitsbegriffe sind: "Außenpolitik" als "The sum of official external relations conducted by an independent actor (usually a state) in international relations" sowie "Sicherheitspolitik" in einem oft unberechenbaren internationalen Umfeld "The pursuit of security through which the states are to be watchful about both the balance of military power that obtains among them and the intentions of the other states." Die zu erhoffende verteidigungspolitische Zusammenarbeit in Europa definieren Laurence Martin und John Roper als "... a defence policy to be a coherent policy towards contingencies in which armed forces might be used and towards how that use should be managed."

Die zukünftige Struktur der NATO und die ihres "Europäischen Pfeilers", für den traditionellen US-Führungsanspruch im Atlantischen Raum bedeutsam, wird in ihren verschieden Reformoptionen ebenfalls Erwähnung finden. Reformmodelle von der Auflösung der NATO, der Teilintegration von NATO, EU und WEU bis zum status quo ante aus Zeiten des Kalten Krieges stehen zur Debatte. Eine absehbare NATO-Osterweiterung und das in der Schwebe befindliche Verhältnis zum neuen Rußland müssen unbedingt in diese Reformen integriert werden. Auf all den genannten Faktoren bauen in der Tat die unterschiedlichen Denkweisen politischer Entscheidungsträger der USA auf, die sich auf einer traditionell breiten Skala vom defensiven "Isolationism" bis zum liberalen "Globalism" festlegen lassen. Dies gilt über alle Partei- und Lobbygrenzen hinweg und macht die Definition klarer außenpolitischer Leitlinien der USA schwierig.

 

2. Traditionen amerikanischer Diplomatie

 

Im Laufe ihrer historischen Entwicklung hat die USA unterschiedlichste außenpolitische Epochen durchlaufen. Dabei haben der jeweilige historische Kontext, die Präsidenten, deren Diplomaten und die Öffentlichkeit wichtigen Einfluß ausgeübt. Abstrahiert können die Schattierungen dieser Außenpolitiken an drei traditionellen Grundannahmen festgemacht werden, wobei es zwischen diesen oft zu dramatischen Gewichtsverschiebungen gekommen ist:

Historisch gesehen haben sich hierbei zwei Hauptströmungen amerikanischer Außenpolitiker herausgebildet, die nach zwei Gründervätern und Präsidenten der USA benannt werden können: Die Hamiltonians, Alexander Hamilton folgend, und die Jeffersonians, Thomas Jefferson folgend. Auch die Politiker des heutigen Amerika berufen sich gerne auf die Konzepte dieser edlen politischen Vorväter. Alexander Hamilton, ein Industrieller aus dem Nordwesten der USA, stand für eine "realistische", aktive und anglophile Außenpolitik. Dies war mit intensivem Außenhandel und somit weit gestreuten ökonomischen und strategischen Interessen der USA verbunden. Dank einer stark aufgerüsteten US Navy als Rückgrat der Außenpolitik konnte das moralische, politische und nicht zuletzt wirtschaftliche Gewicht der USA vergrößert werden. Der vom ländlichen Südosten der USA geprägte Thomas Jefferson verfolgte eine vielmehr idealistische Außenpolitik mit starker Anlehnung an die Ideologien der Französischen Revolution. Die demokratischen Werte der neuen USA sollten zwar durch friedliche Überzeugung vermittelt werden; innereuropäische Konflikte durften allerdings - auf "Isolationism"/"America First" basierend - nicht angetastet werden. Jefferson machte sich bei der Ausbreitung des Staatsgebietes auf dem nordamerikanischen Kontinent einen Namen, v.a. durch den Kauf der französischen Kolonie Louisiana. Auch im 20. Jahrhundert können diese sich teilweise widersprechenden und trotzdem zeitlosen Grundannahmen angetroffen werden.

Insbesondere nach großen weltpolitischen Epochen, wie nach dem Ende der beiden Weltkriege war die traditionelle Spannung zwischen "Isolationism" und "Globalism" wieder hervorgetreten. In den Jahren nach Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch des "Kriegsgegners UdSSR" ist dieser Gegensatz ebenfalls wieder aufgetaucht. Gebhard Schweigler sieht diesen Vorgang als eine für amerikanische Sicherheitspolitik "typische" Umbruchsphase. "Die amerikanische Außenpolitik befindet sich in einem tiefgreifenden Anpassungs - und Orientierungsprozeß, der vergleichbar ist mit dem der 40er Jahre ... "

 

3. Die USA und der Kalte Krieg in Europa

 

Nachdem die USA seit 1942 massiv und entscheidend in den Verlauf des 2. Weltkrieges in Europa eingegriffen hatten, konnten sie sich nicht mehr auf ihre isolationistischen Positionen von vor 1942 zurückziehen. Die aufkommende Rivalität zwischen dem westlich-demokratischen und dem kommunistischen Siegerblock fesselte die USA auf militärischem, politischem und wirtschaftlichem Gebiet an Westeuropa. Ziel des deswegen geschaffenen Militärbündnisses (NATO) unter US Führung war das Aufhalten der revolutionär-kommunistischen "Dampfwalze", die sich insbesondere gegen Westeuropa richtete.

Die unter sowjetische Kontrolle geratenen osteuropäischen Staaten ließen den kompromißlosen Stil sowjetischer Außenpolitik eindeutig erkennen - der damalige US Diplomat A.W. DePorte wird von McNamara mit dem zynischen Kommentar zitiert: "It has turned out to be self-evident that nothing is as effective in orienting a country as an occupying army." Als Grand Strategy der USA und ihrer NATO Partner entwickelte sich daraufhin die umfassende, anti-sowjetische Strategie des "'containment' of what most Westerners saw as a Soviet bent on extending its power and ideology over even larger portions of the globe ..."

Schon seit den letzten Jahren des 2. Weltkrieges war für amerikanische Politiker und Militärs offensichtlich geworden, daß die USA für lange Zeit in Europa gebunden würden. Die europäischen Staaten, die in die US Einflußsphäre gerieten, allen voran das untergegangene Deutsche Reich, wurden als eine Art "Preis und Beute" für die Kriegsmühen und folgenden ideologischen Konflikte mit der UdSSR gesehen. Der Streit um diese militärisch teuer erkämpften Gebiete führte u.a zum Aufbau der Fronten des folgenden Kalten Krieges und zu deren Verhärtung. Massive ideologische und wirtschaftliche Unterstützung aus den USA erhielten die neuen und befreiten Demokratien Westeuropas durch den Marshall Plan und die Truman Doktrin von 1947, die keine offenere Erklärung des "Kalten Krieges" an die Sowjetunion hätten sein können. Ein verbündetes Westeuropa sollte dauerhaft unter dem Einfluß der amerikanischen Politik und Wirtschaft verharren und entwickelt werden, so daß die USA nicht noch ein drittes Mal in einen gesamteuropäischen Krieg hineingezogen würden. "The existence of a Europe "like us" was a precondition to the establishment of an international order condusive to American political and economic interests ... [and] the essential factor was a continued American military superiority and ... a permanent military presence in Europe so we would not have to 'fight our way back again.' "

Zusammenfassend betrachtet hatten die USA nach dem 2. Weltkrieg insgesamt drei zentrale Motivationen für ihre starke Dauerpräsenz in Europa: 1. Den "Preis und Beute"-Anspruch des Krieges in der US Einflußsphäre insbesondere in Westdeutschland. 2. Die Demokratisierung der westlichen Staaten unter US Führung und Lenkung mit Hinblick auf die NATO 3. Den Aufbau (West-) Europas zu einer stabilen Staatengemeinschaft, einem zuverlässigen Partner für US Weltpolitik und zu einem sicheren Absatzmarkt.

In 40 Jahren Kaltem Krieg mit all seinen Krisen, seinem "Brinkman-Shipping" zur Kuba-Krise 1962 und seinen begrenzten Entspannungsphasen unter den US Präsidenten Kennedy, Nixon oder Carter konnte die amerikanische Dominanz im westlichen Lager, besonders in Westeuropa, nie in Zweifel gezogen werden. Als Führungsnation, als Supermacht der NATO und als Garant des "Nuclear Umbrella" war die militärische und politische Präsenz der USA in Westeuropa unabdingbar geworden. Im Ernstfall eines "Heißen Krieges" zwischen Ost- und Westblock wäre sicherlich auch das Amerika-kritische Frankreich integraler Bestandteil einer westlichen Militärfront gewesen.

Eine besondere Bestätigung fand der militär-strategische Anspruch der USA auf Westeuropa nochmals in der Präsidentschaft des großen "Kalten Kriegers" Ronald Reagan. Mit den Erniedrigungen der Vietnam-Ära und dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan im Rücken läutete Präsident Reagan Anfang der 80er Jahre eine neue Runde des Kalten Krieges in Europa ein. Der Beginn der Reagan-Ära, auch als "Cold War II" bezeichnet, war durch ein massives Drehen der "Rüstungsspirale" zwischen USA und UdSSR in Europa gekennzeichnet. Bei den Propagandaschlachten in den Medien und gegenseitigen Vorwürfen der Überrüstung sicherte sich Ronald Reagan auf geschickte Weise im US Kongreß das nötige Budget für das Waffenarsenal des "Cold War II". Reagan führte Begründungen an, wie "During the period of détente, Moscow had undertaken an unprecedented military buildup while the U.S. had let its defense efforts slip ..."

Im Rahmen dieser Strategie wurde Westeuropa einmal mehr zum zentralen Schauplatz der Rüstung des Kalten Krieges. Seit 1983 ließen die USA z.B. neue Pershing II (Mittelstrecken- raketen) und Cruise Missiles (Marschflugkörper), insbesondere in Westdeutschland stationieren; der Ostblock hielt bereits neue SS 20 Raketen und verstärkte konventionelle Waffen an seinen Westgrenzen entgegen. Dank ausgezeichneter rhetorischer Fähigkeiten ("The Great Communicator") und dem unauflösbaren Image des "Vaters der amerikanischen Nation" erwirkte US Präsident Reagan einerseits eine große Unterstützung im westlichen Lager, aber andererseits auch eine weitere Erhöhung der Spannung am "Eisernen Vorhang". Ideologisch gestütztes Ziel der Außen - und Sicherheitspolitik der Reagan-Regierung in Europa und weltweit war zweifelsohne "strengthening the economic and military capabilities of the United States to match its greatly increased security interests."

In dieser aufgebauschten Atmosphäre des Kalten Krieges gebrauchte "The Great Communicator" das Bild des "Window of Vulnerability", nach dem die USA selbst, und nicht nur Europa, auch direkt von sowjetischen Interkontinentalraketen bedroht würden. Eine heftige Diskussion entbrannte um das sogenannte "Strategische Ungleichgewicht" zwischen Ost und West. Die Strategic Defence Initiative (SDI) war eine direkte Folge dieses in den USA weit verbreiteten Bildes. Europäische Kritiker sprachen damals neben Cold War II auch vom "Star War", den Reagan begonnen hätte. Durch diese und ähnliche ausgeklügelte PR-Strategien des Weißen Hauses unter Reagan konnte die kostspielige US Aufrüstung in Europa weiter sichergestellt werden. In den USA hatte allerdings der Fall des Kongreßabgeordneten Mike Mansfield für Aufregung gesorgt, der schon seit den 70er Jahren auf einen massiven Truppenrückzug aus Europa drängte. Er sprach manchen "Isolationists" aus dem Herzen, wenn er behauptete "European countries had recovered economically and were perfectly capable of providing for their own defence, and that it was time for the United States to stop subsidizing the wealthy nations of democratic Europe ..."

Trotz der intensiven Europäischen Integration, insbesondere im wirtschaftlichen Bereich, blieben z.B. GB und Deutschland wichtige Interessengebiete amerikanischer Sicherheitspolitik. Auf das geostrategisch, ökonomisch und politisch zentrale Deutschland legten die USA dabei ein besonderes Augenmerk. Die Truppen der deutschen Bundeswehr standen größtenteils unter NATO-Oberkommando und somit auch unter US Einfluß. Zudem war der allergrößte Teil der amerikanischen Truppen und schweren Waffen in Westdeutschland stationiert. Bisher unbekannte sicherheitspolitische Unstimmigkeiten zwischen USA und v.a. "Sonderpartner" Deutschland tauchten im Zuge des "Cold War II" auf: Aus den Reihen der deutschen Friedensbewegung und der sozialdemokratischen Opposition kam harsche Kritik am SDI Programm und an der aggressiven Militärpolitik der USA in Europa. "Some allies strongly objected to the concept of deterrence by punishment, and to any notion that a nuclear war can be fought and won ..."

4. Engagement nach der Wende von 1989/90

 

Mit dem überraschenden Zerfall des Ostblocks und dem Untergang des "Evil Empire" Sowjetunion in den Jahren ab 1989 waren der Gegner und somit der Hauptgrund des Kalten Krieges in Europa "implodiert". Der ehemalige "Kalte Krieger" Ronald Reagan und sein Nachfolger George Bush vereinbarten mit dem letzten Präsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow, bahnbrechende Abrüstungs- und Entspannungsverträge. Im hochgerüsteten Europa als dem Zentrum der Ost-West Konfrontation erfuhr auch die US Militärplanung revolutionäre Umbrüche: Zehntausende von US Truppen wurden im Rahmen der amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen aus Deutschland abgezogen. Verstärkt wurde dieser massive Rückzug durch den 1990/91 aufkommenden Golfkrieg, in dem insgesamt 540.000 amerikanische Soldaten eingesetzt wurden, die meisten aus Deutschland kommend.

In den USA selbst begannen "Isolationists" sich verstärkt zu Wort zu melden. Angesichts der neuen EPZ/GASP-Bemühungen der EG/EU, der geringen militärischen Bedrohung durch den implodierten Sowjetblock sowie des immensen Haushaltsdefizits erschien den USA eine drastische Truppenreduzierung in Europa unabdingbar. Zentrale Figuren des amerikanischen Kongresses - der in den USA bekanntlich das Verteidigungsbudget zu verabschieden hat - meldeten ihre Einsparungswünsche an. Senator Sam Nunn, demokratischer Vorsitzender des Militärausschusses (Senate Armed Services Committee), unterstrich Einsparungspläne von 305.000 auf ca. 100.000 Mann und drängte auf eine klare außenpolitische Strategie der USA für Europa: "The question today is not whether we reduce spending; that is inevitable. The question is whether we reduce military spending pursuant to a sensible military strategy that meets the threats of today and tommorrow."

Hier stellt sich die Frage, warum Politiker und die amerikanische Öffentlichkeit erst nach Ende des Kalten Krieges die Hochrüstung und Überseepräsenz als Hauptursache für ein horrendes Haushaltsdefizit kritisierten. Dies dürfte mit einem der Grundprinzipien amerikanischer Politik zusammenhängen, das das Verhältnis zwischen Legislativ- und Exekutivkompetenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik oft informell regelt. Insbesondere Präsident Reagan war es gelungen, die amerikanische Öffentlichkeit und Politik davon zu überzeugen, daß sich Amerika und das westliche Bündnis in einem "Krieg" mit dem "Evil Empire" befänden.

Auch wenn dieser Kalte Krieg nie offiziell zu einem "heißen Krieg" gegen den Sowjetblock geführt hatte, so war es amerikanischen Verfassungstraditionen entsprechend für Präsident Reagan relativ einfach, aus dem Kongreß breite Unterstützung für seine hohen Verteidigungsausgaben zu erhalten - "Wenn Amerika im Krieg steht, steht das ganze Land hinter dem Präsidenten." In der Budgetplanung wurden die rüstungsbedingten Neuverschuldungen sozusagen "nicht gezählt"; da sie für den "Leader of the Free World" im "Krieg" gegen den Kommunismus unabdingbar waren.

Wie erwähnt, konnte vom Kalten Krieg seit spätestens 1990 nicht mehr die Rede sein; die besondere Situation für US Militärengagement und - ausgaben in Europa wurde somit obsolet. Die neue US Regierung unter Präsident Bush und der Kongreß führten heftige Debatten über Sparvorschläge gegen das Rekorddefizit und ließen den Wunsch nach "Lastenverteilung" und größerer Eigenverantwortung der Europäer erkennen.

Mit Anspielung auf das historische Detachment der USA gegenüber Europa, verkündete der ausgewiesen konservative Isolationist Patrick Buchanan 1990: "Western Europe is as rich as the United States; the Common Market has the men, money and resources to defend itself ... It's time she did so. Our Founding Fathers warned against international 'entangling alliances.' Our present ruler seems determined to entangle us forever in Europe's endless conflicts and recurring quarrels." Die New York Times, Flaggschiff der amerikanischen Tagespresse, zitierte einen anderen amerikanischen Konservativen in der Debatte über den Abzug von US Truppen aus Europa: "The United States ... devolve its responsibilities for European security to the West Europeans. By doing so, American taxpayers who had shouldered the bulk of the NATO defense burden during the cold war, will finally reap the benefits of their investment."

Als logische Konsequenz zu diesem Umschwung entwickelte sich ein neues Schwergewicht in der US Innenpolitik - zu Wahlkampfzeiten war das eigene Land immer näher als Europa. Mit der Betonung von Innen- und Wirtschaftspolitik hatte Bill Clinton seinen Amtsvorgänger George Bush trotz der Erfolge im Golfkrieg 1991 geschlagen. Wie Autor Bierling korrekt feststellt, erfolgte in den USA eine klare Prioritätenverschiebung von außen nach innen. Im Vergleich zu Erhebungen der 80er Jahre zeigten neue Umfragen dies sehr deutlich: Zuerst wurden die Binnenwirtschaft, die Arbeitslosigkeit und das Haushaltsdefizit und danach soziale Probleme wie etwa Drogen oder Obdachlosigkeit genannt. Erst an dritter Stelle kamen alle mit den auswärtigen Beziehungen zusammenhängenden Probleme, wie nukleare Proliferation, illegale Einwanderung, internationaler Terrorismus etc. Anfang der 90er Jahre hatten sich die amerikanische Öffentlichkeit und Politik vom europäischen Kontinent und den NATO-Partnern merklich entfernt.

Auch wenn Präsident Clinton durch die Aufnahme der aktuellen Stimmungslage in der Wirtschafts- und Innenpolitik seinen Wahlkampf gewonnen hatte, wurde ihm die Vernachlässigung der Außenpolitik bald zum Verhängnis. In der Annahme, daß die neue GASP der EU unter französischer, britischer und deutscher Führung mit einem UN Mandat den Jugoslawienkonflikt beilegen könne, stimmte Präsident Clinton gerne den isolationistischen Tendenzen der amerikanischen Öffentlichkeit und des Kongresses zu. US Engagement im Rahmen der EU/WEU/UN Mission auf dem Balkan beschränkte sich zunächst auf Aufklärung und relativ ungefährliche Luftunterstützung. Die französischen, britischen, spanischen und anderen UN Blauhelmkontingente in den Bergen des Balkans sollten auf eigenes - europäisches - Risiko eingesetzt werden, denn Amerika habe keine direkte Verantwortung in dieser Region um einen Einsatz von eigenen Bodentruppen vor Ort zu rechtfertigen. Angesichts der Wahlversprechungen schien die parlamentarische und öffentliche Unterstützung des US Präsidenten für einen solchen Schritt ohnehin sehr fraglich.

In den USA erwartete man daher ein entscheidendes Handeln der GASP der Europäischen Union unter UN Mandat. Nach dem Mißerfolg von Somalia, der schwelenden Krise in Jugoslawien und dem Einsatz in Haiti kam eine bisher unbekannte Militärstrategie der USA im internationalen Krisenmanagement ans Tageslicht: Der genaue Rückzugsplan der amerikanischen Bodentruppen machte neuerdings einen ebenso großen Teil wie die eigentlichen Interventionsplanungen aus; deshalb sprach der Politologe Michael Mandelbaum spöttisch von "the exit is the strategy". Genau diese "Strategie" macht es amerikanischen Militärs und dem Präsidenten nun schwer, US Militäreinsätze wirkungsvoll und öffentlich akzeptiert zugleich zu gestalten. "Halbe Lösungen" aufgrund fehlender innenpolitischer Unterstützung könnten jeden Einsatz amerikanischen Militärs zum gefährlichen Drahtseilakt machen.

Der massive Einsatz amerikanischer Bodentruppen im ehemaligen Jugoslawien 1995/96 zeigte glücklicherweise seine beabsichtigte Wirkung. Durch die militärische Intervention der Supermacht Amerika an der Spitze des bewährten NATO-Paktes wurden alle Kriegsparteien, insbesondere die serbischen Tchetniks, an den Verhandlungstisch von Dayton gezwungen; der GASP der EU mit "blauäugigem" UN Mandat wäre das so wohl nicht gelungen.

An der Verteidigungsplanung der Clinton-Administration für die Ära nach dem Kalten Krieg wurde deshalb harsche Kritik geäußert. Wie Steven Blank feststellte, befanden sich die amerikanischen Truppen in Bosnien in einer gefährlichen Lage. Die Pentagon-Planer hatten sich nach den Erfolgen des Golfkrieges an der "Technological Superiority"-Doktrin orientiert und die US Truppen daraufhin vorbereitet. In der Tat, das gebirgige Bosnien mit seinen schwer definierbaren Frontlinien machte den Einsatz von high-tech Waffen im Rahmen dieser neuen "sauberen" Verteidigungsstrategie wenig effizient und brachte statt dessen die verbündeten Truppen vor Ort in große Gefahr.

In seinem Aufsatz "The Clinton Defense Program: Assessing the Bottom-up Review", übte der US Verteidigungsexperte Andrew Krepinevich scharfe Kritik am Verteidigungsbudget der Clinton Regierung von 1993: Bei den vorhandenen Ressourcen und dem begrenzten Budget sei es den US Streitkräften nicht möglich, die vorgegebenen neuen Kriegsszenarien zu bewältigen. Das neue "two-MRC"-Konzept, das den Einsatz hochmobiler US Truppen an zwei größeren regionalen Krisenherden ("Major Regional Crisis") gleichzeitig beinhaltet, könne nicht realisiert werden. Krepinevich warnte auch, daß die US-Verteidigungsplaner (und die ihrer Verbündeten) nicht hinreichend auf die Balance zwischen den Großmächten sowie zwischen Nord- und Südhalbkugel hinarbeiteten und den Faktor der nuklearen Proliferation unterschätzten. "In the absence of clear strategic guidelines from the White House, the Pentagon bureaucracy has proceeded ... to "fit" the new situation existing planning and resource allocation processes. The result is a defense program that is oriented on the most familiar threats, as opposed to the greatest or most likely threats." Dies sei natürlich mit erhöhten Risiken verbunden, denn neue Löcher in der US-Verteidigungsplanung könnten unter diesen Umständen nicht mehr ausgefüllt werden.

 

5. Auf der Suche nach dem "Europäischen Pfeiler"

 

Spätestens seit Jugoslawien ist offensichtlich für alle Beteiligten, daß sich die USA und ihre NATO Verbündeten zu einem neuen Sicherheitssystem für Europa nach Ende der Ost-Westkonfrontation aufraffen müssen. Eine solche Initiative muß unbedingt das Sicherheitsvakuum des implodierten Ostblocks einschließen, davor warnen eine ganze Reihe von Strategie-Experten. "Unless the West develops a security system for the newly independent states of Eastern Europe and the former Soviet Union, one far less favorable for the West may be imposed by circumstances ..."

Der sogenannte "Europäische Pfeiler" des atlantischen Bündnisses ist eine Option für das zukünftige Sicherheitssystem Europas. US Präsident Clinton hat dies auch mehrmals als den "historic step towards the evolution of NATO" bezeichnet. Der Begriff "Europäischer Pfeiler" klingt gut in den Ohren der amerikanischen Politik und Öffentlichkeit, daß er aber fast die "Quadratur des Kreises" umfassen soll, ist wenigen klar. Um Gesamteuropa langfristig zu einer politisch, wirtschaftlich und militärisch stabilen Region zu machen, müssen die folgenden 5 Punkte berücksichtigt werden:

An erster Stelle werden die USA mit entsprechender Politik die Begründung einer wirksamen Europäischen Verteidigungsidentität (European Security and Defense Identity - ESDI) fördern müssen, um sich dann in einem langwierigen Prozeß aus den neuen Verantwortungen der Europäer jeweils zurückziehen zu können. Multinationale Truppen mit dem Eurokorps (ehem. Deutsch-Französische Brigade) als Herzstück müßten einer klaren militärpolitischen Command & Control-Struktur unterstellt werden. Die GASP einer erweiterten "EU der zwei Geschwindigkeiten" könnte dann für weniger prekäres Krisenmanagement eigenverantwortlich, ohne direkte US-Unterstützung, arbeiten. Dies würde auch französischen Ansprüchen auf europäische Eigenständigkeit entgegenkommen. Hierfür ist allerdings ein effizienter Entscheidungsmechanismus im Innern der EU nötig, damit GASP Entscheidungen nicht wie zur Zeit der Jugoslawienkrise zum größten Teil aus "Zerreden" bestehen, damit ließe sich sicherlich kein Aggressor abschrecken.

Eine zentrale Frage wird dabei auch die Autorität der nationalen Regierungen gegenüber den supranationalen EU Organen spielen - ein EU "Verteidigungsminister" ist bereits in Planung. Im Sommer 1996 zeigte der britische Verteidigungsminister Michael Portillo Bedenken bzgl. der GASP-Entscheidungsfindung, daß ausschließlich nationale Parlamente und nicht etwa supranationale GASP-Organe darüber entscheiden könnten, ob Soldaten in den Kampf geschickt werden. Ein Verzicht auf die GASP-Entwicklung ist trotzdem keine realistische Option, denn "a united Europe would be incomplete without a security and defence component."

Mit Bezug auf die militärische Planung könnte dann ein Kommandostab des Europäischen NATO-Pfeilers auf Anfrage der GASP (oder der WEU) Truppenteile, Kommandostrukturen und Logistik zur Verfügung stellen. Dies könnte auch bald im Rahmen der hochmobilen Combined Joint Task Forces (CJTF) geschehen. Pentagon-Planer Edward Whalen hatte dieses System bereits Anfang 1994 als eine reformierte "EuroNATO" erwähnt "[which] could provide a realistic variant of collective security, using existing Alliance consensus structure". Anläßlich der ersten NATO-Konferenz im wiedervereinigten Berlin (1996), wird im offiziellen Schlußcommuniqué diese Absicht ausgedrückt: "Essential of the adaptation of Alliance structures is to build a European Security and Defense Identity (ESDI) within NATO, which will enable all European allies to make a more coherent and effective contribution to the missions and activities ... as an expression of our shared responsibilities."

Mit Bezug auf die gewünschte ESDI, das CJTF-Konzept und das Verhältnis zur NATO, unterstrich Präsident Clinton die offizielle US-Position: "Wir schaffen mobile Hauptquartiere zur effektiveren und effizienteren Durchführung dieser neuen Missionen. Wir geben unseren europäischen Verbündeten eine grössere Rolle im Bündnis und bewahren gleichzeitig den lebenswichtigen Kern der NATO - eine integrierte militärische Befehlsstruktur ..." Die Erweiterung der EU/GASP und den Europäischen Pfeiler der NATO vorausgesetzt, stellt sich die Frage nach dem weiteren Nutzen der "französischen Kreation" WEU. Es existieren bereits Pläne zur Integration der WEU in den Europäischen Pfeiler der NATO bzw. in eine EU GASP. In einer WEU-Studie aus dem Jahre 1995 heißt es dazu: "It is ... taken for granted that a viable Common Defence Policy (CDP) and Common Defence (CD) will not be developed by WEU if the latter remains separate from the EU and its CFSP."

Falls eine GASP der EU massiven militärischen Einsatz verlangte, dann wären wieder US Truppen gefragt; deren nukleares Potential stünde ohnehin als "Last Resort" zur Verfügung. Die neuen osteuropäischen Demokratien sollten solange noch in einem institutionalisierten Pfp/NACC/OSZE-Struktur verbleiben, bis die politisch-militärische Zukunft Rußlands und anderer wichtiger GUS Länder gesichert ist. Ansonsten brächte dies große Gefahren für die Entscheidungsfähigkeit einer "gesamteuropäischen" Version der GASP. Auf lange Sicht wäre allerdings die volle Aufnahme von Staaten wie Polen, Ungarn, Slowenien, Tschechische Republik etc. anzustreben.

Aus der Sicht Amerikas stellt sich ein "Europa 2000" nicht einfacher dar: "Realistisch" denkende Außenpolitiker behaupten, daß durch eine weiterhin starke US Präsenz in Europa die Unsicherheiten im instabilen Osteuropa, auf dem Balkan und im Kaukasus mit bewährten Mitteln unter Kontrolle gehalten werden müßten. Zudem sollte nach Meinung einiger Skeptiker in den USA auch die wachsende Macht des zentraleuropäischen, wiedervereinigten Deutschland in Grenzen gehalten werden.

Dabei verfallen die USA allerdings in die Schizophrenie, einerseits eine bessere Lastenteilung über einen europäischen Pfeiler zu fordern, sich aber andererseits durch die eigenständige Stärkung europäischer Sicherheitspolitik in ihren Interessen beeinträchtigt und aus Europa verdrängt zu fühlen. Auf die Gefahr der Verselbständigung von GASP/Europäischem Pfeiler angesprochen, versuchte der ehemalige Außenminister Christopher zu beruhigen: "This is something that has been long in development with the full coordination of the United States. The [European Pillar] has been one of the ideas that we put forward ... the historic significance is France coming closer to NATO, drawing into NATO and participating much more fully ... than in the past."

Da die europäische Sicherheitspolitik in absehbarer Zeit nicht alle der oben genannten 5 Punkte zugleich erfüllen können wird, werden die USA und die traditionelle NATO weiterhin als Ordnungs- und Führungskonstanten in Europa gebraucht, denn, so stellte Pentagon-Planer Whalen korrekt fest: "in the confusing 'alphabet soup' of European organizations ... [weder GASP noch WEU] can stand alone without the Atlantik link." Die politischen Absichten der amerikanischen Außenpolitik in der nahen Zukunft hat auch der amerikanische Botschafter in London wiederholt - der Aufbau einer ESDI bei traditionell festen bilateralen Beziehungen: "Washington remains an interested observer as EU member states discuss greater foreign policy and/or security cooperation ... The US has a strong interest in preserving foreign policy flexibility and responsiveness which we currently enjoy in the bilateral relationships with our allies." Inwiefern solch weit interpretierbaren Aussagen amerikanischer Entscheidungsträger auch die praktische Umsetzung der ESDI/GASP folgen wird, muß abgewartet werden. Zukünftige Krisenherde im großeuropäischen Raum könnten diese Umsetzung früher erzwingen als erwünscht.

Die NATO selber paßt sich behutsam den neuen europäischen Gegebenheiten seit dem Out-of-Area-Einsatz auf dem Balkan an. Im Strategiekonzept von 1994 heißt es dazu: "The Combined Joint Task Forces was introduced at the 1994 Brussels Summit, designed to make NATO's joint military action ready for wider operations by NATO nations or by the Western European Union ..." Da Sicherheitspolitik ein sehr sensibles Feld der internationalen Beziehungen ist, werden die Staaten des euro-atlantischen Raumes nach Jugoslawien in Krisensituationen eher konservativ reagieren und versuchen, auf altbewährte Strukturen zurückzugreifen. Mittel- und Osteuropäische Staaten, deren sicherheitspolitische Strukturen seit 1989/90 verschwunden sind, werden sich auf kurz oder lang dem westlich-demokratischen Lager um NATO, EU und USA angliedern.

 

6. Zusammenfassung

 

Der Erfolg des Vertrages von Dayton zur Beendigung des jugoslawischen Bürgerkrieges gibt den gemäßigten Globalists der USA größtenteils recht. Europäische Sicherheitspolitik ist noch nicht reif um in allen Situationen auf eigenen Füßen zu stehen. Daher wird die USA weiterhin substantielle Kräfte in Europa belassen wollen und müssen. "Security continues to be - as it has been for over half a century - the primary interest of both Europeans and Americans in maintaining the trans-Atlantic link."

Trotzdem wird die USA von den europäischen NATO-Verbündeten, insbesondere Deutschland und Frankreich, eine große politische, militärische und letztlich finanzielle Lastenübernahme verlangen können. Die Chancen für den schrittweisen Aufbau der neuen ESDI stehen relativ gut, denn das wiedervereinigte Deutschland hat seine historischen Komplexe an der Seite des französischen Partners weitgehend überwunden. Frankreich selbst hat sich gewillt gezeigt, über das Eurokorps in eine hochmobile CJTF-Elite der Europäischen NATO einzusteigen. Wenn ernst zunehmende militärische Pläne auch von einer effizienten Entscheidungsfindung in der EU-GASP begleitet werden, könnte die Mehrzahl der potentiellen Regionalkrisen ohne US-Hilfe bewältigt werden.

Zur Effizienz einer zukünftigen ESDI könnte auch die Reduzierung der von Edward Whalen erwähnten "Alphabetic Soup" beitragen. Nach der Reintegration Frankreichs in die atlantische Allianz könnte dies durch eine Übertragung der WEU in die NATO und durch eine Entmilitarisierung der GASP erreicht werden. So wären eine einsatzfähige zivile Institution, die EU-GASP, und eine effiziente militärische Organisation, der Europäische NATO-Pfeiler, realisierbar. Dem Prinzip des "Zivilen Primats" folgend, könnte dann je nach Art und Größe der Krise ausschließlich die GASP zum Einsatz kommen. Falls militärische Mittel nötig wären, erhielte die GASP die Möglichkeit, direkt auf bestehende NATO-Strukturen des Europäischen Pfeilers zurückzugreifen.

 

 

Ein kompletter amerikanischer Rückzug aus Europa ist damit allerdings noch lange nicht in Sicht. Die neuen Sicherheitsstrukturen und geplante Osterweiterungen lassen Europa zu schwach erscheinen und machen es in den kommenden Jahren von intensiver US-Rückendeckung abhängig. Auf das atomare "Last Resort" und die Aufklärungskapazitäten der Supermacht USA werden die europäische NATO oder GASP mittelfristig ohnehin nicht verzichten können. Auch Konfliktherde im GUS-Bereich, im Kaukasus und am Mittelmeer könnten von Europa u.U. konventionell nicht allein bewältigt werden. Bei der politischen und wirtschaftlichen Westintegration Osteuropas sowie der Anbindung Rußlands wird die gewaltige Autorität der USA von Nutzen sein. Trotzdem bestünde aber für die USA noch die Möglichkeit, weitere Truppen aus Europa abzuziehen, bis zur Untergrenze ihres "two-MRC"-Konzeptes hin.

Mit Bezug auf die isolationistischen Tendenzen amerikanischer Innenpolitiker und Populisten, wird es die schwere Aufgabe der politischen Führung der USA, weiteres Engagement in Europa und in der NATO zu rechtfertigen. Die allergrößte Mehrheit der Experten und politischen Entscheidungsträger diesseits und jenseits des Atlantik wird sie dabei unterstützen. Die Ernennung der in Europa geborenen Madeline Albright zur neuen US Außenministerin könnte dabei mehr als nur große Symbolkraft erlangen. Auch der Deutsche Christoph Bertram läßt keine Zweifel an der weiterhin erstrangigen Bedeutung transatlantischer Beziehungen: "For the United States..., the relationship with Europe will be the litmus test of its future world role. Europe is the main, if not the only, anchor tying the United States to extra-hemispheric international order..." Die essentielle Rolle amerikanischer Sicherheitspolitik im Europa der Zukunft beschwört Richard Russell mit den Worten eines Mitbegründers der transatlantischen Kooperation und Freundschaft, Henry Kissinger:

"America and Europe have a joint interest in avoiding unbridled national German and Russian policies competing over the center of the Continent. Without America, Great Britain and France cannot sustain the political balance in Western Europe; Germany would be tempted by nationalism; Russia would lack a global interlocutor. And without Europe, America could turn, psychologically as well as geographically and geopolitically, into an island off the shores of Eurasia."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

7. Bibliographie