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SeiteI. Einleitung ...........................................................................................1

  1. Hauptteil
  1. Allgemeiner Teil
  1. Entwicklung der Biographie in der Geschichte ....................................2
  2. Probleme im Umfeld der Bismarckliteratur...........................................3
  3. Anmerkungen zu den beiden Autoren...................................................4
  4. Diktion der beiden Werke.....................................................................5
 
  1. Die jungen Jahre und die Zeit als Gesandter
  1. Bismarck und die Religion.....................................................................5
  2. Bismarck und die Revolution von 1848/49.............................................6
  3. Bismarcks Aufstieg und die Zeit als Gesandter.......................................7
 
  1. Bismarck als preußischer Ministerpräsident und die Einigungskriege
  1. Die preußische Heeresreform und Bismarcks Berufung zum...................9
Ministerpräsidenten
  1. Der Krieg von 1864..............................................................................11
  2. Der Krieg von 1866..............................................................................13
  3. Norddeutscher Bund und Luxemburgkrise............................................15
  4. Der Krieg von 1870/71 und die Reichsgründung...................................16
 
  1. Der Zeitraum von 1871 - 1898...............................................................18
 
  1. Fazit......................................................................................................19
 Literaturverzeichnis.....................................................................................19

I. Einleitung

Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der Person Otto von Bismarcks in ausgewählten neueren Biographien. Als Grundlage der Analyse dienen die Werke von Lothar Gall und Ernst Engelberg, die natürlich nur eine Auswahl aus der Vielzahl der erschienen Biographien über den Reichsgründer darstellen können. Aus den ca. 25 bis zum heutigen Tag erschienenen Biographien habe ich die obig genannten Werke ausgewählt, da sie zwei Historiker repräsentieren, die in einem völlig unterschiedlichen ideologischen Bereich gearbeitet haben. Hier Lothar Gall, Historiker in Frankfurt am Main, dort Ernst Engelberg, Professor an der Universität Leipzig und einer der anerkanntesten Historiker der DDR. Ziel dieser Arbeit wird es nun sein, das Bild Bismarcks in diesen beiden Biographien eingehend zu untersuchen ; Wie sind die Hauptaussagen formuliert ? ; Wo finden sich Übereinstimmungen ? ; Wo liegen die Unterschiede in der Charakteristik der Person und der Beurteilung wichtiger Ereignisse in der Bismarck - Zeit ? Welche Schwerpunkte werden gesetzt bzw. wo liegen Akzentuierungen ? Welche Ziele wollen die Historiker mit ihrer Arbeit erreichen ? Diese Fülle von Untersuchungskriterien wird natürlich an den wichtigsten Textstellen angewendet. Somit wird gewährleistet, daß Kernaussagen erarbeitet werden können, ohne aber auf wichtige Details verzichten zu müssen. Im Zusammenhang mit dem Seminarthema "Die Reichsgründung" wird der Zeitraum bis 1871 besonders eingehend analysiert, wobei aber auf den Zeitraum nach 1871 bis zum Tode Bismarcks im Jahre 1898 nicht verzichtet werden kann, um eine in sich abgeschlossene Analyse zu erreichen.An einigen Stellen werden auch Probleme der Interpretation und der Bismarck Forschung generell angeschnitten, die z.B. schon sichtbar werden, wenn man berücksichtigt, daß die Diskussion über Größe und Werk Bismarcks bis heute nicht verstummt ist. Anfangs werde ich daher, um das Thema in einen größeren Rahmen einordnen zu können, einen kurzen Überblick über die Biographie skizzieren, wobei einige allgemeine Erläuterungen über deren Historie eingeflochten werden, die aber, der Themenstellung wegen, recht kurzgefaßt werden.

II. Hauptteil 1. Allgemeiner Teil 1.1 Entwicklung der Biographie in der Geschichte

Die Biographie ist seit der Antike ein integraler Bestandteil der Geschichtsschreibung. Führende Vertreter der antiken Biographie waren Plutarch und Sueton. Bei Plutarch (46 - 120), bekannt geworden durch die Beschreibung "griechischer und römischer Heldenleben", stand jedoch die Beschreibung der Persönlichkeit im Vordergrund, was im Zweifelsfall bedeutete, daß ein historischer Sachverhalt in den Hintergrund treten konnte. So schreibt er zu Beginn seiner Alexanderbiographie : " Denn ich gebe Biographie, keine Geschichte." Sueton (70 - 140) wählte zur Darstellung der Geschichte die Biographie. In seinen Kaiserviten (Cäsar bis Domitian) trat der jeweilige Herrscher als alleiniger Träger der Handlung auf, wobei die Lebensbeschreibung innerhalb einzelner Rubriken erfolgte. Eine derartige Biographie folgt einem festem Schema, woraus sich eine bestimmte Reihenfolge der Rubriken ergibt. Diese Anordnung ist, im Gegensatz zu den meisten "modernen" Biographien, nicht chronologisch. Antike Biographien sind von ihrem Umfang her nicht mit neuzeitlichen Biographien zu vergleichen, was durch die Quantität des Quellenmaterials anschaulich wird.Die Biographien im Mittelalter orientieren sich größtenteils an den antiken Biographen, insbesondere an Sueton. Hier sei nur an Einhard, den Biographen Karls des Großen, gedacht. Aber auch bei Petraca ist der Einfluß des römischen Biographen festzustellen, und zwar in seinem Werk "de viris illustribus".In der frühen Neuzeit finden sich u. a. Lebensbeschreibungen in dramatischer Form, wie bei Shakespeare und Schiller, um nur die wichtigsten zu nennen. In der heutigen Zeit, in der es eine unüberschaubare Quantität an Biographien gibt, deren ständiges Wachstum kein Ende nimmt, gibt es zu einzelnen Personen, zu denen auch Bismarck gerechnet werden muß, weit mehr als 20 Biographien. Das Genus der Biographie ist also, um mit Fontane zu sprechen, ein weites Feld.

  1. Probleme im Umfeld der Bismarckliteratur
 Über Bismarck und die Epoche der Reichsgründung wurde sehr viel geschrieben. Je nach Ideologie und Wertungskriterien unterscheiden sich die einzelnen Historiker aufs Äußerste. So reichen die Deutungen von (grenzenloser) Bewunderung für seine Realpolitik , die zur Reichsgründung von 1871 führte, bis hin zur Verdammung Bismarcks als Gewaltpolitiker und Machiavellisten. Auch die Frage, inwieweit Bismarck mit seinem Werk die Katastrophe von 1933 einleitete wurde höchst kontrovers diskutiert. Durch diese Aspekte wird deutlich, wie schwierig es ist, an einen derartigen Themenkomplex "sine ira et studio" heranzugehen. Des Weiteren wird ersichtlich, daß die historische Forschung von Parteilichkeit, die zu solchen, im Positiven wie im Negativen, einseitigen Beurteilungen führte, nicht frei geblieben ist. In der heutigen Zeit ist die Geschichtsschreibung nüchterner dahingehend, daß sie, auch mit dem zeitlichen Abstand verbunden, Person und Werk Bismarcks objektiver als noch im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhundert betrachtet. Daher wird man bei aller Kritik die Größe und die Leistungen Bismarcks zu würdigen wissen, was auch bei Gall und insbesondere bei Engelberg, der schon in seinem Vorwort seine Gegenposition betont und "Empörung gegen den Verfasser des Sozialistengesetzes" empfand , der Fall ist.Abschließend an dieser Stelle noch einige Sätze zur Quellenlage. Wie in vielen Bereichen der Neuzeit gibt es auch in dieser Epoche eine Fülle von Quellengattungen. Zahlreiche Akten zur Außenpolitik sind gut erschlossen, was ein intensives Studium dieser Thematik ermöglichte. Aber auch in diesem Bereich sind nicht mehr alle Akten erhalten bzw. zugänglich. Hier wird man mit einem Hauptproblem der Geschichtswissenschaft konfrontiert : Dem Historiker stehen nie sämtliche Quellen zur Verfügung, da Quellen auf die verschiedensten Arten verloren gegangen sind. Die Überlieferungen zur Innenpolitik sind ungleich breiter, aber nicht so gut zugänglich wie die Akten zur Außenpolitik. Eine wichtige Rolle spielen auch die zahlreichen Zeitungen der damaligen Zeit. Hier sei nur auf die sog. "Krieg in Sicht Krise" von 1875 hingewiesen, die durch einen Zeitungsartikel ausgelöst wurde. Ebenfalls wichtig sind die unzähligen Briefe, vor allem die Briefe Bismarcks. Darüber hinaus stellen die "Gedanken und Erinnerungen" Bismarcks eine vorzügliche Quelle über Bismarcks persönliche Auffassung der Historie dar. Dabei muß man aber deren hohen subjektiven Grad beachten, d.h. das Werk zeigt ein subjektiv verändertes Vergangenheitsbild, weshalb man aus den "Gedanken und Erinnerungen" keine verläßlichen Faktenaussagen ziehen kann. Für die Bismarckzeit haben wir, im Vergleich zu anderen Zeitabschnitten der Geschichte, ein recht breites Quellenfundament.
  1. Anmerkungen zu den beiden Autoren
 Beide Historiker beschäftigten sich schon lange Zeit vor ihren Biographien mit der Bismarckzeit. Lothar Gall (Jahrgang 1936) beschäftigte sich u. a. mit der Annexion von Elsaß und Lothringen und mit dem Bonarpartismus im Zusammenhang mit Bismarck. Auch nach seiner im Jahre 1980 erschienenen Biographie veröffentlichte er weitere Fachpublikationen zu diesem Thema. Ernst Engelberg (Jahrgang 1909) empfand seit seiner Studienzeit Faszination für die Person des Reichsgründers . In den 1950er und 1960er Jahren schrieb er zwei Lehrbücher, welche sich mit der Geschichte Deutschlands von 1849 bis 1871 und von 1871 bis 1897 befaßten. Seine zweiteilige Biographie, die in den Jahren 1985 bzw. 1990 erschien, stellt, in Anbetracht seines Alters, ein monumentales Spätwerk dar. Bei Engelberg kumulieren Faszination und Gegnerschaft gegenüber dem Reichsgründer. Dies ist zwar auch bei vielen anderen Historikern der Fall, bei dem Nestor der DDR-Geschichtswissenschaft aber im besonderen Maße. Neu erscheinende Biographien über Bismarck stellen in der heutigen Zeit zwar kein Desiderat der Forschung mehr dar, aber sie werfen immer wieder neue Deutungsformen und Interpretationen auf. Beide Biographien sind als grundlegend zu betrachten, da sie sich einer Ausführlichkeit in der Darstellung erfreuen, die heutzutage eher ungewöhnlich ist.
  1. Diktion der beiden Werke
Ernst Engelberg stellt den Menschen Bismarck in den Mittelpunkt seiner Untersuchung, was sich in der sehr ausführlichen Abhandlung der Herkunft und Jugend Bismarcks zeigt . Engelberg begründet sein Vorgehen u. a. damit, daß sich Bismarcks Wesen schon durch die Familientradition herausgebildet hat . Hieraus zieht Engelberg den Schluß, daß Bismarck ein "Urpreuße" gewesen sei, was man ja schon am Untertitel zum ersten Teil des Werkes erkennen kann. Diese Vorgehensweise mag zwar begründet sein, zeigt aber stellenweise einige Längen, wodurch Raum für andere Darstellungen genommen wird. Erwähnenswert ist aber, daß der ostdeutsche Historiker in diesem ersten großen Abschnitt seines Werkes allgemeinhistorische Aspekte eingebettet hat, wie z. B. den preußischen Zusammenbruch von 1806. Engelberg tangiert auch die psychologische Seite, indem er ausführlich auf das Verhältnis Bismarcks zu seinen Eltern in dessen früher Kindheit eingeht . Zum Gesamtaufbau läßt sich sagen, daß er, ebenso wie bei Lothar Gall, grob chronologisch erscheint, wobei aber längere außen - und innenpolitische Abschnitte getrennt behandelt werden. Bei Lothar Gall werden die jungen Jahre Bismarcks recht knapp abgehandelt, was aber verständlich erscheint, da in seiner Darstellung Bismarck in erster Linie als Politiker, also als Mann des öffentlichen Lebens, erscheint und erst sekundär als Mensch betrachtet wird. Daher steht bei ihm die Frage im Vordergrund, wie groß der Anteil Bismarcks als Einzelposition an dem Geschaffenen war und was er tatsächlich bewirkt hat.

2. Die jungen Jahre und die Zeit als Gesandter

  1. Bismarck und die Religion
Bei beiden Autoren findet sich im Zusammenhang mit der Schilderung der jungen Jahre auch eine Darstellung der Religiosität Bismarcks. Dies geschieht im Zusammenhang mit der Darstellung des "Verhältnisses" zwischen Bismarcks und Marie von Thadden. Gall stellt Bismarck als jemanden dar, der auf "einem wagen Deismus" beharrt . Bismarck glaubt an einen "persönlichen Gott und an das ewige Leben", so Gall , der hierin die "tragenden Elemente" der Existenz Bismarcks sieht. Hierdurch begründet Gall auch, daß Bismarck die Stellung der Krone und des Adels als eine "von Gottes Gnaden" ansieht. Hieraus folgert er, daß "die Verwirklichung der christlichen Lehre" bedeutet, "das Leben in traditionellen, gottgewollten Bahnen zu halten", was nichts anderes bedeutet, als konservativ zu sein. Bei Engelberg differiert die Darstellung erwartungsgemäß, was sich durch den ideologischen Standpunkt erklären läßt. Engelberg schildert zunächst die Lektüre religonskritischer Schriften seitens Bismarcks , um sich im Anschluß in der Beschreibung des "Pietistenkreises" zu verfangen. Bismarck schließt sich den Pietisten an, um "voranzukommen". ; "Gewisse Ungläubigkeit" stellt Engelberg fest, aber keinen Atheismus. Aus der Argumentation Engelbergs läßt sich ein " Scheinglauben" herauslesen. Die Darstellung erscheint so, als wolle Bismarck durch die Diskussion über religiöse Probleme nur einen persönlichen Vorteil erlangen, ohne aber im Glauben fest verwurzelt zu sein. Den Glauben Bismarcks als ein "Existenzgrundlage" anzusehen, wie dies ja bei Lothar Gall der Fall ist, dazu kann sich Ernst Engelberg nicht durchringen. Daher ist die Behandlung dieses Themas im Vergleich zur anderen Biographie recht knapp gehalten. Die Tatsache, daß Engelberg selbst der Zugang zu diesem Thema fehlt, mag hier von Bedeutung sein. Im Rahmen der Hochzeit Bismarcks mit Johanna tangiert Engelberg das Thema Bibel und Pietismus nochmals abschließend. Hier spricht er auch Bismarcks sozialen Einsatz an, bezeichnet diesen aber als "fremden Tropfen in Bismarcks Blut".
  1. Bismarck und die Revolution von 1848/49
Bei beiden Autoren erscheint Bismarck als ein entschiedener Gegner der Revolution von 1848/49. Gall stellt in diesem Kontext schon Bismarcks außenpolitische Grundauffassung dar : "Die Selbstbehauptung des Staates nach außen ..." ist in den Augen Bismarcks der wichtigste Gegenstand der Politik. Mit dieser Einstellung erscheint er für Gall als "Mann des 18. Jahrhunderts". Von Bedeutung ist für Gall hier vor allem, daß Bismarck dadurch schon vom "konservativen Ideenpolitiker" endgültig zum "Macht- und Interessenpolitiker" wurde. Folglich ist auch der Bruch mit den konservativen Gerlachs hierdurch zu begründen. Engelberg umschreibt dies schon mit "Realpolitik". Engelberg geht sehr ausführlich auf den Zeitraum 1845 - 1848 ein (1845 Tod des Vaters), worin er allgemeine Erläuterungen über die landwirtschaftliche Situation in Preußen gibt. Engelberg gibt, indem er Bismarck zitiert, die ständische Verbindung als "Sprungbrett der politischen Karriere" an. Bismarck erscheint als stark engagierte Persönlichkeit, die von der politischen Aufgeregtheit über Erwarten heftig gepackt" ist. Wie erwartet bringt Engelberg an dieser Stelle das "Gespenst des Kommunismus" ins Spiel, und sinniert über dessen Einfluß auf Bismarck. Die Entwicklung des Proletariates wird ebenfalls erschöpfend behandelt. Lothar Gall dagegen verzichtet auf derartige Vergleiche bzw. Beschreibungen und hält Anmerkungen bezüglich Marx und Engels generell recht knapp. Zieht man an dieser Stelle ein Vergleich über die Zeit um 1848, so läßt sich sagen, daß sich die beiden Historiker in etwa bei ihrer Darstellung dieses Gesichtspunktes entsprechen, wobei Engelberg besonders das "Haßerfüllte" gegenüber der Revolution heraushebt. Da Bismarck seine Position bezüglich der Revolution mehrfach klar dargelegt hat, erscheint dieser Sachverhalt durchaus nachvollziehbar. Auffallend ist aber, daß Engelberg für die Ursachen der 1848iger Revolution vorwiegend wirtschaftliche Faktoren in Betracht zieht . Dies ist eine derjenigen Stellen, an denen die marxistische Grundhaltung Engelbergs deutlich zum Tragen kommt.
 

2.3 Bismarcks Aufstieg und die Zeit als Gesandter

Zu Beginn seiner Darstellung dieses Themenkomplexes führt Gall eines seiner Leitmotive ein, das sich durch die gesamte weitere Darstellung ziehen wird : Das "Acheronta movebo", die Bereitschaft Bismarcks, im Notfall Koalitionen jeder Art einzugehen. Gall nennt dies "ein wesentliches Element seiner politischen Persönlichkeit". Gall spannt hier den Bogen zwischen "persönlichem Gott" und "monarchischer Herrschaftsordnung" als untrennbare Grundlagen der Existenz Bismarcks. Gall beschreibt hier einen Anachronismus der Geschichte, nämlich daß Bismarck, einem entschiedenen Revolutionsgegner, ausgerechnet durch die Revolution ein rascherer Aufstieg ermöglicht wurde. Bismarck erscheint in der Darstellung Galls zwar als Gesandter, der seine Aufgabe sehr genau nimmt, aber auch als diplomatischer Außenseiter. Der Frankfurter Historiker bringt auch "die Politik der freien Hand" recht früh ins Spiel und stimmt mit Engelberg darin überein, daß bei Bismarck in den 1850iger Jahren eindeutig der "Haß gegen Österreich" dominierte. Bei Engelberg ist der negative Grundton gegen Österreich derart signifikant, da er sich durch das ganze Werk zieht. Auch bei Ernst Engelberg überwiegt der positive Grundton bezüglich der Gesandtenzeit Bismarcks : Er stellt zunächst heraus, wie glücklich die Bismarcks in Frankfurt leben , wobei er aber bei der wiederum sehr ausführlich gehaltenen Schilderung der ersten Aktivitäten Bismarcks dessen Langweile betont. Engelberg geht in diesem Zusammenhang auch auf Bismarcks Auffassung bezüglich der Revolution ein, wobei er aber einen eingeschränkten Revolutionsbegriff darstellt. So stellt der Bonapartismus keine Form der Revolution dar. Bismarck faßt nach Engelberg als feindliche Macht "mehr und mehr nur die demokratische Revolution von unten ins Auge". Des Weiteren gibt er Bismarcks Auffassung vom Deutschen Bund als sehr gering wider, was er durch Bismarcks negative Haltung gegenüber Österreich begründet sieht.Gall bringt im Kontext des Krimkrieges ein weiteres Hauptmotiv : "Die Politik der freien Hand" , die als Leitlinie der Außenpolitik Bismarcks angegeben wird. "Österreich ... auf Distanz zu halten" ist dagegen bei Engelberg zu dieser Zeit das "außenpolitische Grundmotiv". Bismarcks Verhandlungen bezüglich eines Eingreifen des Deutschen Bundes in den Krimkrieg stellt Engelberg als "diplomatisches Meisterwerk" Bismarcks dar.Die Episode in St. Petersburg wird ohne nennenswerte Differenzen von beiden Historikern beschrieben. Gall spricht in Anlehnung an Bismarck von einem "Zwischenzustand" , der durch Krankheit und Niedergeschlagenheit die größte Krise Bismarcks darstellt. Bevor Engelberg die Zeit in St. Petersburg Revue passieren läßt, nimmt er eine ausführliche Darstellung der "Grundzüge in Bismarcks Denken und Handeln" vor. Hier bricht wieder einmal die marxistische Ideologie durch, indem er das strategische Ziel der Innenpolitik schlicht mit dem "Niederhalten der Massen" umreißt. In diesem Zwischenfazit gibt Engelberg auch seine Auffassung der Größe Bismarcks zum Besten : " Die Größe Bismarcks liegt darin, daß er vieles von dem ausgeschöpft hat, was die illusionslose Erkenntnis der Wirklichkeit leisten kann." Das heißt mit anderen Worten : Bismarcks scharfer Blick für die Realität ist mitverantwortlich für seinen Aufstieg. Von Genialität, wie bei vielen anderen Historikern, ist hier keineswegs die Rede, eher von Rationalität.
 

3. Bismarck als preußischer Ministerpräsident und die Einigungskriege

  1. Die preußische Heeresreform und Bismarcks Berufung zum Ministerpräside
An dieser Stelle wende ich mich dem, im Zusammenhang mit dem Seminar, bedeutsamsten Zeitabschnitt zu, nämlich dem Zeitraum von 1862 bis zur Reichsgründung im Jahre 1871. Hier fallen bei Lothar Gall sofort die Begriffe "Revolution von oben" und "Revolution von unten" auf , die er, der Konstellation des Jahres 1862 entsprechend, gegeneinander abwiegt. Beide waren aus unterschiedlichen Gründen zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht relevant. Beide Historiker sind sich darin einig, daß die Heeresreform notwendig gewesen ist, wobei Engelberg den Grund für das bisherige Scheitern in dem vorherrschendem Partikularismus sieht. Weiter betonen beide, daß das Vorgehen der preußischen Regierung nicht rechtens war. Gall nennt dies eine "substantielle Aushöhlung des parlamentarischen Budgetrechts" . Der ganze Zeitraum wird von beiden Historikern mit frappierender Ähnlichkeit geschildert : Die Bedenken der Königin Augusta, die schwankende Haltung des Königs etc.. Die Darstellung beider kumuliert darin, daß Bismarck für beide die entscheidende Persönlichkeit zur Lösung des Konfliktes markiert. Diese Auffassung ist zumindest teilweise "ex eventu" vorgenommen, da zum Zeitpunkt des Amtsantrittes keineswegs eine Problemlösung in Sicht gewesen ist. Bei Gall finden sich einige Bemerkungen über diesen Sachverhalt , bei Engelberg dagegen nicht. Diese Betrachtungsart ist bei Engelberg auch im Rahmen der letzten Reichsgründungsphase (1866 - 1871) immanent, wie wir noch sehen werden. Ein Historiker ist generell mit dem Problem der Nachzeitigkeit konfrontiert, da er die Kenntnisse des weiteren historischen Verlaufs den Zeitgenossen voraus hat, und diese dann manchmal in seiner Darstellung (unwillkürlich) verarbeitet.War oben schon die Rede von "psychologischen Gesichtspunkten" in der Darstellung Engelbergs, so tritt diese auch in der Darstellung von Lothar Gall zu Tage, indem er den sechswöchigen Erholungsurlaub Bismarcks in Südfrankreich mit Bismarcks "außerordentlicher Sensibilität" in Assoziation bringt. "Jener andere Bismarck" also, der sich "bedrängt und eingeengt sieht" , steht dem leidenschaftlichen Politiker gegenüber. Diese einfühlsame Darstellung fehlt bei Engelberg. Sie ist zwar nicht von absoluter historischer Wichtigkeit, aber sie zeigt doch eine etwas andere Sichtweise des späteren "eisernen Kanzlers". Sehr aufschlußreich ist auch, daß Bismarck als gewiefter Taktiker ausgewiesen wird, was ja wiederum wichtig ist, wenn man das politische Auftreten Bismarcks betrachtet. Nach Gall bewegte sich Bismarck permanent "im Rahmen eines sorgfältig kalkulierten Schlachtplanes".Das Auftreten Bismarcks zu dieser Zeit mit Spontaneität zu erklären, ist nach Gall schlicht und einfach falsch. Engelberg zielt ebenfalls in diese Richtung, indem er von einer "seit langem ausgearbeiteten strategisch - taktischen Konzeption" spricht . Auch an dieser Stelle wird, wie bereits angesprochen, klar ersichtlich, daß in der Konzeption beider Darstellungen ein bestimmter Grundkonsens vorhanden ist, der sich in zahlreichen, meist recht ähnlichen, Darstellungen erkennen läßt. Im Rahmen der Berufung Bismarcks nimmt Gall die eigene Darstellung Bismarcks, also dessen "Gedanken und Erinnerungen", sehr kritisch unter die Lupe, was ja eine der Hauptaufgaben der Geschichtsschreibung ist, und von daher nur gutgeheißen werden kann. So beurteilt der Frankfurter Bismarcks Darstellung der unmittelbaren Vorgeschichte seiner Berufung als "Meisterwerk der politischen Legendenbildung". Auch in diesem Zusammenhang wird nochmals das Kalkül des Reichsgründers, das sicher auch zu den "Erfolgsgeheimnissen" Bismarcks gezählt werden kann, deutlich herausgehoben. Auch diese Argumentation findet sich bei Engelberg nicht. Statt dessen verfängt er sich in der Schilderung des Zwistes zwischen Preußen und Österreich zu dieser Zeit, was besonders negativ wiegt, da die Darstellung dieses Abschnittes bei Engelberg generell recht knapp gehalten ist. Diese Problematik wurde ja bereits weiter oben skizziert, aber es kann nur nochmals wiederholt werden : Bei einem monumental angelegtem Werk über 2 Bände, das sich ja besondere Ausführlichkeit zum Ziel setzt, erscheint es wenig sinnvoll, daß ein so eminent wichtiger Abschnitt, den die Phase nach 1862 unbestritten markiert, auf verhältnismäßig engem Raume dargestellt wird. Dieser Sachverhalt trübt das ansonsten sehr positive Bild ebenso wie die stellenweise durchbrechende marxistische Ideologie. In der Phase um 1862 sieht Engelberg, sich auf Marx berufend, starke Parallelen zum Kaisertum Napoleons III., nämlich den "Staatsstreich als Geburtsschein, das allgemeine Stimmrecht als Beglaubigung und den Säbel als Zepter" . Aus diesem Grund spricht Engelberg vom "preußisch - deutschen Bonarpartismus" . Auch an dieser Stelle ist seine Beurteilung durch eine voreingenommene Ideologie geprägt. Seine Ideologie tritt zwar nicht immer zu Tage, aber an den wichtigsten Stellen ist sie zumeist sehr deutlich zu erkennen..
  1. Der Krieg von 1864
Ernst Engelberg arbeitet schon im Zusammenhang mit der Krise von 1863 die Bereitschaft zum Krieg gegen Österreich bei Bismarck heraus. Bismarcks Ziel im Zusammenhang der Schleswig - Holstein Krise ist nach Engelberg die preußische Machterweiterung, wobei durch "waffenmäßige Großmachtpolitik" die außenpolitische Voraussetzung für einen Kompromiß mit den Liberalen geschaffen werden soll, was wiederum nichts anderes bedeutet, als die Revolutionsgefahr zu bannen. Hieraus geht klar hervor, daß bei Engelberg der Krieg von 1864, seiner Zielsetzung betreffend, primär als ein Entlastungsversuch der Innenpolitik anzusehen ist. Das heißt mit anderen Worten : Durch den Krieg sollte von der innenpolitischen Problematik abgelenkt werden, was weiterhin impliziert, daß der Krieg von Bismarck gewollt war und daher bewußt inszeniert wurde. An dieser Stelle tritt auch bei Engelberg das Revolutionsmotiv deutlicher hervor, wobei, wie wir noch sehen werden, die "Revolution von oben" in einem charakteristischen Zusammenhang mit der "Revolution von unten" steht. Bismarcks Leistung, den Hauptgegner Österreich auf seine politische Plattform zu ziehen, und die daraus resultierende Situation bezeichnet er als "diabolische Kombination". Die geschaffene Verwaltungssituation der Elbherzogtümer würdigt er als eine politische Leistung, die allein "Bismarck zuzuschreiben" ist. Der Vertrag von Gastein im Mai 1865 stellt für Engelberg nur eine Verzögerung des Krieges zwischen Preußen und Österreich dar. Bismarcks Ziel, nämlich den Deutschen Bund zu zerstören, ist für Engelberg im Vertrag von Gastein manifestiert, da dieser nur ein Provisorium darstellte. Gall stellt die Kriegsbereitschaft 1863 zugunsten einer "Interessensabgrenzung" zwischen Preußen und Österreich etwas in den Hintergrund, d. h. die Möglichkeit des Krieges wird zu diesem Zeitpunkt einer möglichen Ausgleichspolitik gleichgeordnet. Hier zeigt Gall, wie an anderen Stellen auch, daß sich Bismarck immer gerne mehrere Möglichkeiten offenhielt. Für Gall bedeutet dies aber auch einen "brutalen Vorgriff auf die Zukunft" : Nicht nur im Hinblick auf 1866, sondern in gewisser Weise auch schon bezüglich der Entwicklung bis zum Zweibund im Jahre 1879. Die Schleswig - Holstein Frage ist bei Gall die entscheidende Bewährungsprobe für Bismarck, die über dessen politische Zukunft entscheidet. Nach Gall ist Bismarcks Handeln in diesem Zusammenhang entscheidend geprägt durch "negative Faktoren", d. h. der "preußische Ministerpräsident wußte zunächst vor allem, was er nicht wollte." Unter diese Rubrik fällt dann auch, die Aufwertung des Deutschen Bundes zu verhindern wissen. Als Schlußfolgerung hieraus erläutert Gall die Politik Bismarcks in der schleswig - holsteinischen Frage als "Paradebeispiel einer durch und durch unorthodoxen,... kurz pragmatischen Politik." In diesem Rahmen bringt Gall dann auch den "Krieg, als einziges Mittel zur Problemlösung." Hier zeigt sich wieder deutlich eine Übereinstimmung der Analyse, wobei, wie erwähnt, bei Gall der "Kriegsgedanke" wohl etwas später einzuordnen ist und Engelberg von vornherein die Kriegsbereitschaft hervorhebt. Auch wird die Einigungspolitik Bismarcks als Konfliktpolitik dargestellt, was wiederum für beide Historiker gilt. Sowohl Engelberg als auch Gall stellen Bismarcks Weitblick und sein geschicktes Taktieren heraus. Dabei sieht Gall die "Substanz und Basis einer preußisch - österreichischen Partnerschaft" so schwach, daß keine dauerhafte Verständigung zusammenkommen konnte.
 

3.3 Der Krieg von 1866

Die Situation um 1866 wird bei Ernst Engelberg generell als "Vorbereitung der Revolution" gedeutet, wobei das Bündnis zwischen Preußen und Italien von entscheidender Wichtigkeit war. Über den Kriegsausbruch im Jahre 1866 ist vieles, teils sehr konträres geschrieben worden, wobei auch bei diesem Problem die Beurteilung stark vom Standpunkt des Betreffenden geprägt ist. Hierbei fällt in unserem Zusammenhang auf, daß Engelberg Wien den schwarzen Peter zuschiebt, was wohl, zumindest teilweise, durch dessen grundsätzlich negatives Bild der Habsburgermonarchie zu werten ist. "Wien und Berlin taten ihr Möglichstes, um den Krieg unvermeidbar zu machen" , so Engelberg. Durch "Unbeweglichkeit" lief Österreich Preußen ins offene Messer und hätte sich nur retten können, wenn es die "preußischen Tatsachen", wie Engelberg den preußischen Einmarsch in Holstein nennt, anerkannt hätte. Engelbergs Analyse der Situation von 1866 beschränkt sich im Wesentlichen auf die Auflistung der chronologischen Sachverhalte, in die gelegentliche Kommentare eingeschoben werden. Von daher ist das ganze Kapitel recht kurz gehalten, wie ja weiter oben bereits moniert wurde. Auch hier zitiert Engelberg zum Abschluß der Darstellung wieder Marx und Engels. Nach Gall ging es für Bismarck im Vorfeld von 1866 nicht um "Alternativen des Ziels, sondern allein um Alternativen der Methode". Dies bedeutet, daß Bismarck bereits 1864 das Ziel, die preußische Vorherrschaft bis zur Main - Linie auszubauen, verfolgte. Gall negiert die Annahme vieler Historiker, nämlich in bezug auf den Krieg von 1866 bei Bismarck von einer Politik des kalkulierten und kalkulierbaren Risikos zu sprechen. Diese Annahme wurde durch Bismarcks eigene Darstellung in den "Gedanken und Erinnerungen" verbreitet. Laut Gall stellt dies aber nur eine historische Legende dar, die bei der Interpretation des eigenen Erfolges seitens Bismarcks entstanden ist. Weiterhin führt er aus, daß der Ausgang des Krieges realiter nicht voraussehbar war. Von daher betrieb Bismarck ein Spiel, bei dem Zufall und Glück einen gehörigen Anteil am Ausgang hatten. Die nachträgliche Interpretation Bismarcks bezeichnet Gall abschließend als "natürliche Neigung zum nachträglichen Durchrationalisieren des historischen Prozesses". Durch diese Charakterisierung erscheint Bismarck in einem differenten Bild : War er in Wirklichkeit nur ein leichtfertiger Spieler ? Leichtfertig dahingehend, daß er die Existenz des preußischen Staates aufs Spiel setzte ? Dieser Gedankenfaden wird zwar bei Gall nicht zu Ende gesponnen, aber wenn man die obig implizierte Frage konsequent zu Ende denkt, drängt sich diese Fragestellung nahezu auf. Wie dem auch immer : Lothar Gall deutet an dieser Stelle nochmals nachhaltig daraufhin, ein historisches Ereignis bzw. Phänomen nicht "ex eventu" zu beurteilen. Bismarcks Verhandlungen mit Frankreich hinsichtlich 1866 werden bei Gall negativ bewertet. Dieser Sachverhalt wurde aber durch den raschen militärischen Erfolg Preußens verdeckt. Anders wäre, so Gall, das französiche Kalkül "so oder so aufgegangen". Hierin liegt dann für Gall auch das wahre Motiv für die Devise "Rache für Sadowa". In der Entscheidung Österreichs, das Schicksal der Herzogtümer dem Bund zu überlassen, sieht Gall bereits eine "Art Kriegserklärung". Auch diese Darstellung impliziert eine gewisse Eigenschuld Österreichs, wobei Gall in seiner Schilderung gleich die "auf der ganzen Linie positiven Lage" Österreichs folgen läßt. Hierdurch erscheint das Vorgehen Österreichs plausibel, da die Folgen des Krieges keineswegs absehbar waren. Allerdings bleibt laut Gall ein fader Beigeschmack : "... ließ Österreich wenn auch nicht als Angreifer, so doch als eine Macht erscheinen, die sich jeder internationalen Kooperation zur gemeinsamen Überwindung von Spannungen und Krisen widersetzte." Vergleicht man die beiden Historiker betreff der Beurteilung dieses Sachverhaltes, dann erscheint bei Engelberg eine einseitige Sichtweise der Dinge, bei Gall dagegen eine multipolare Darstellungsweise. Generell beurteilt Gall die Kriege Bismarcks als ein "Instrument des gewaltsamen Ausgleiches". Daher erscheinen sie prinzipiell konservativ. Der ganz große Erfolg Bismarcks 1866 bestand für Gall darin, daß "es ihm gelang das Verhältnis zu Frankreich ... innerhalb des überhaupt nur Menschenmöglichen zu schonen und zu bewahren." Für den Frankfurter Historiker markiert das Jahr 1866 eine viel entscheidendere Zäsur als das Jahr 1871. 1871 wurde nach seiner Auffassung "nur noch das in Realität umgesetzt, was dort (1866) schon angelegt war." Gall spricht von "längerfristigen Entwicklungstendenzen". Daher scheidet für ihn das Motiv der politischen Manipulation durch Bismarck als Einzelperson, das ja von vielen Historikern vertreten wird, von vornherein aus.
 

3.4 Norddeutscher Bund und Luxemburgkrise

Bevor der deutsch - französische Krieg behandelt wird, möchte ich noch knapp auf den Norddeutschen Bund und die Luxemburgkrise eingehen. Engelberg beschreibt das Vorgehen Bismarcks bei der Ausarbeitung der Verfassung des norddeutschen Bundes als "so antiliberal wie möglich und so liberal wie notwendig." Bei der Regelung der Wahlrechtsfrage wirft er Bismarck "Angst vor der eigenen Courage" vor. Die Luxemburgkrise betreffend bezeichnet Engelberg Bismarcks Auftreten als Verwirrspiel. Luxemburgkrise und Norddeutscher Bund stehen laut Engelberg in Zusammenhang, da Bismarck die Luxemburgkrise so lange hinauszögerte, bis er die Verfassung des Norddeutschen Bundes durchgebracht hatte. Die Schilderung der partikularistischen Bewegungen nach 1866 klingt bei Engelberg stellenweise wie eine Abrechnung. So spricht er von der Bewegung in Bayern dahingehend, daß "Heimatsinn zum Partikularismus pervertierte." An andere Stelle tituliert er das ganze mit Landesverrat. Erwähnenswert ist weiterhin, daß Engelberg in diesem Zusammenhang sogar die Ideen Liebknechts und Bebels verwirft. Die Vorstellung einer "demokratische Einigung von unten" beurteilt er daher als illusionär. Würdigung erhält natürlich auch das Erscheinen von Marxens "Kapital", das recht ausführlich in den historischen Kontext eingeordnet wird. Lothar Gall bezeichnet den Norddeutschen Bund als "Umsetzung einer höchst realistischen Grundeinschätzung" und als "Vollzug dessen, was an der Zeit war" Diese Wertung erscheint durchgehend positiv und es klingen auch nicht wie bei Engelberg gewisse negative Tendenzen durch. Das ganze Vorgehen Bismarcks war von der Maxime der "dauerhaften Hegemonie des preußischen Staates" geleitet. Auch alle Reformen wurden dahingehend durchgeführt, daß durch sie eine Stärkung des Staates erreicht wurde. "Über alles andere war Bismarck bereit, mit sich reden zu lassen", so Gall. Bismarck erscheint deshalb nicht als rigoroser Prinzipienreiter, sondern als gewiefter Taktiker, der den "Strom der Zeit" erkannt hat und sich ihm nicht entgegensetzt. Ein "Reformer wider Willen" ist er laut Gall gewesen, der sich vor die Alternative "Hammer oder Amboß" gestellt sah. Ein weiteres Charakteristikum der Politik Bismarcks bis hin zu seiner Entlassung sieht Gall darin, daß er die nationale Partei für seine machtpolitischen Ziele einzuspannen versuchte. Generell wurde die außenpolitische Konstellation nach 1866 für Gall von einer "Unfertigkeit der Gesamtsituation" beherrscht, von welcher auch Bismarck ausging. Die Luxemburgkrise bezeichnet Gall als "schlecht vorbereitete und durchgeführte Aktion" Frankreichs. Hierdurch wurde dann sogar verdeckt, daß die preußische Außenpolitik nach 1866 unter den obig angesprochenen Präliminarien einen stark offensiven Charakter hatte. Für Bismarck stellte die Luxemburgkrise also eine passende Gelegenheit dar, aus der Defensive heraus zu agieren. Die Frage, ob Bismarck Frankreich bewußt aufs Glatteis geführt hatte, läßt Gall unbeantwortet. Aber er zieht aus der Luxemburgkrise ein wichtiges Fazit : Eine kleindeutsche Einigung war nur noch gegen den Widerstand Frankreichs durchzuführen. Aus dieser Interpretation kann man folgern, daß ein heftiger deutsch - französischer Konflikt unvermeidlich wurde, und daß ein Krieg nur noch eine Frage der Zeit gewesen ist. An dieser Stelle urteilt Gall mit Weitblick : Er bewertet die Luxemburgkrise nicht isoliert, sondern deutet sie dahingehend, daß er ihre Wirkung auf die Gesamtsituation beschreibt.
 

3.5 Der Krieg von 1870/71 und die Reichsgründung

Auch Ernst Engelberg geht von dem Vorsatz aus, daß eine heftige Auseinandersetzung zwischen Preußen und Frankreich unausweichlich ist. Um diese ohne Einmischungen erledigen zu können, war es Bismarcks oberstes Ziel, Frankreich als Friedensstörer und Agressor erscheinen zu lassen. Die Mittel dazu waren nach Engelberg "Methoden intriganter Kabinettspolitik". Dieser Argumentation folgend, war dann auch der Streit um die spanische Krone nur Mittel zum Zweck, da es hierdurch leicht möglich war, "Komplikationen mit dem politischen Hauptgegner hervorzurufen". Engelberg geht davon aus, daß beide Seiten zum Krieg bereit gewesen sind. Mit dieser Darstellung entzieht sich Engelberg geschickt einer möglichen Diskussion um die Kriegsschuldfrage. Auch Gall tangiert dieses Problem, wobei auch hier diese Frage nicht eindeutig geklärt wird, da man diese Frage nicht abschließend beantworten kann. Gall stellt dies treffend dar : "Keine Seite ist innerlich widerstrebend in diesen Krieg hineingestolpert oder gar hineingerissen worden." Die "ultima ratio" der Politik sei halt damals der Krieg gewesen. Im Gegensatz zu Engelberg ist bei Gall die spanische Thronfolge für Bismarck zunächst von untergeordneter Bedeutung gewesen. Warum Bismarck dann doch die "Madrider Bombe" platzen ließ, erklärt Gall wie folgt : "Ein Gegenstand, der mehr Erfolg versprach, war nicht in Sicht, und Bismarck mußte unbedingt vorankommen." Hieraus wird deutlich, daß Bismarck im Prinzip keine andere Möglichkeit hatte, wenn er nicht von seinen Zielen abrücken wollte. Zum damaligen Zeitpunkt mußte der Krieg zwischen Preußen und Frankreich, auf den ja dann alles hinauslief, darüber hinaus noch keineswegs als klare Angelegenheit für Preußen erscheinen, sondern seinen Ausgang betreffend als unvorhersehbar und deshalb mit einem großen Maße an Risiko. Man neigt auch bei diesem Sachverhalt in heutiger Zeit leicht dazu, die Dinge "ex eventu" zu beurteilen. Laut Gall hatte Bismarcks Politik zu dieser Zeit keine feste Zielprojektion, sondern wurde durch Mehrgleisigkeit charakterisiert. Es hing dann also alles " von der augenblicklichen Konstellation" ab. Bismarcks hartes Vorgehen gegenüber Frankreich nach dem Krieg erklärt Gall damit, daß Bismarck von vornherein von unüberwindlichen Gegensätzen zwischen den beiden Großmächten ausging. Die Reichsgründung wird von beiden Historikern als "Revolution von oben" angesehen. Dieser Terminus hat sich ja in der Geschichtswissenschaft zum geflügelten Wort entwickelt. Engelberg nennt Bismarck in Anlehnung an Marx den "Testamentsvollstrecker der Revolution von 1848". Am Ende des ersten Teils seiner Biographie zieht Engelberg ein Fazit über Bismarck, das sich mit seiner gesamten Darstellung deckt : Teils Anerkennung, teils heftige Kritik. So würdigt er Bismarcks Begabung, "im rechten Augenblick die Dinge zu forcieren." Bismarck wurde zum Reichsgründer, "weil er konnte, was er wollte, und weil er wollte, was er konnte." Auf der anderen Seite beurteilt er ihn und sein Werk als widersprüchlich. Abschließend kritisiert Engelberg, daß Bismarck der sich entwickelnden Arbeiterschaft mit "profunden historischen Unverständnis" begegnete. Im marxistischer Ausdrucksweise nennt Engelberg die Arbeiterschaft eine "neue Kraft der Geschichte". Durch diese Schlußbetrachtung wird die im Vorwort bereits angesprochene Empörung und Gegenposition Engelbergs deutlich. Hier zeigt sich dann doch eine bestimmte Prägung durch die sozialistische Schule. Auch Gall stellt, dem Charakter seiner Biographie entsprechend, die abschließenden Beurteilung der Reichsgründung nicht nur positiv dar. Neben einer eingehenden Würdigung des Werkes erkennt er auch, daß Bismarck am Ende doch ein "Zauberlehrling" gewesen ist. Dieses Motiv ist Ausgangspunkt der weiteren Analyse Galls bis hin zu Bismarcks Abschied im Jahre 1890.
 

4. Der Zeitraum von 1871 bis 1898

Im Folgenden werde ich noch in knapper Form die Charakteristika des Zeitraums nach 1871 in den beiden Biographien darlegen. Signifikant ist hier besonders die Tatsache, daß Engelberg der Arbeiterbewegung eine größere Berücksichtigung beimißt als Gall. In diesem Zusammenhang nennt er Bebel als den Hauptgegenspieler Bismarcks und nicht Windthorst, wie dies gemeinhin der Fall ist. Der beginnenden Industrialisierung begegnet Engelberg mit Skepsis. Auch im zweiten Teil der Biographie geht Engelberg teilweise auf das Privatleben Bismarcks ein, wenn auch nicht mit der Ausführlichkeit des ersten Teils. Innenpolitik und Außenpolitik sind etwa im gleichen Maße berücksichtigt. Dies trifft auch bei Gall zu, der Bismarcks System nach der Reichsgründung als "System der Aushilfen" charakterisiert. Als Leitmotiv dient der bereits oben erwähnte "Zauberlehrling". Gall widmet dem Kulturkampf eine ausführlichere Darstellung als Engelberg. Beide Biographgen zeigen detailierte Kenntnisse der komplexen außenpolitischen Verflechtungen und geben diese in ausführlichen, gut lesbaren Darstellungen wieder, wenn dies bei Engelberg auch zu ausführlich geschieht. Hellmut Seier moniert, Engelberg habe in diesem Zusammenhang "zwischenstaatliche Diplomatiegeschichte" und nicht eine Staatsmann - Vita geschrieben. Wie es zu erwarten war, kritisiert Engelberg Bismarcks Sozialistengesetze aufs heftigste. Aber auch Gall bezeichnet die Sozialistengesetze als einen der dunkelsten Punkte in der politischen Laufbahn Bismarcks. Gall relativiert in seiner Darstellung das Bündnissystem Bismarcks. Dies wurde im allgemeinen historischen Kontext überschätzt. Bei beiden Historikern wird Bismarcks Politik deutlich von dem Kurs Wilhelms II. abgegrenzt. Vor allem bei Engelberg erscheint Wilhelm II. äußerst negativ. Durch ihn wurde das Erbe Bismarcks vertan. Die Tragik seiner Person wurde zur Tragik der deutschen Nation.
 

III. Fazit

Beide Arbeiten haben sicherlich ihr Ziel erreicht, nämlich der Wissenschaft förderlich zu sein. Von daher ist über beide Werke ein positives Fazit zu ziehen. Die anfänglich vom Autor dieser Hausarbeit vermutete Diskrepanz in der Darstellung, aufgrund der unterschiedlichen ideologischen Prägung, ist zwar vorhanden, aber nur im geringen Umfang. Beide Historiker gehen von einem positiv kritischen Ausgangspunkt ihres Titelhelden aus. Beide würdigen bei aller Kritik, die an einzelnen Stellen vor allem bei Engelberg (Sozialistengesetze etc.) angesprochen wird, die Größe und die Leistung Bismarcks, zeigen dabei aber auch die notwendige kritische Distanz. Dies tritt bei Engelberg wegen den genannten Gründen nicht ganz so heraus, wie bei Gall. Gall wirkt mit seiner Darstellung jedem Glorifizierungsversuch entgegen. Signifikant ist auch, daß bei beiden Biographien ähnliche Entwicklungslinien vorhanden sind. Welche von beiden Biographien "besser ist" oder ob eine der anderen vorzuziehen ist, soll an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Dem historisch Interessiertem seien beide Werke empfohlen.
 

Literaturverzeichnis :

Ernst Engelberg : Bismarck. Urpreuße und Reichsgründer, München 21991 (dtv), im Text ungekürzte Ausgabe der Orginalausgabe Ostberlin 1985
Ernst Engelberg : Bismarck. Das Reich in der Mitte Europas, München 21993 (dtv), im Text ungekürzte Ausgabe der Orginalausgabe Ostberlin 1990
Lothar Gall : Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt am Main 1980Hellmut Seier : Neue Historische Literatur. Bismarck und der "Strom der Zeit", in : HZ 256 (1993), S. 689 - 709

Anmerkungen des Dozenten
Gut gegliederte, prägnant dargestellte Gegenüberstellung; Punkt 1.1 zu weit hergeholt, etwas erklärungsbedürftiger das positive Bismarckbild Engelbergs (Urpreuße); Spannungsverhältnis Persönlichkeit - Geschichte noch mehr als Zentralproblem herausarbeiten. Insgesamt sehr gut/gut (1.5)