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§; InhaltsverzeichnisSeiteI. Einleitung ...........................................................................................1
I. Einleitung
Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der Person Otto von Bismarcks in ausgewählten neueren Biographien. Als Grundlage der Analyse dienen die Werke von Lothar Gall und Ernst Engelberg, die natürlich nur eine Auswahl aus der Vielzahl der erschienen Biographien über den Reichsgründer darstellen können. Aus den ca. 25 bis zum heutigen Tag erschienenen Biographien habe ich die obig genannten Werke ausgewählt, da sie zwei Historiker repräsentieren, die in einem völlig unterschiedlichen ideologischen Bereich gearbeitet haben. Hier Lothar Gall, Historiker in Frankfurt am Main, dort Ernst Engelberg, Professor an der Universität Leipzig und einer der anerkanntesten Historiker der DDR. Ziel dieser Arbeit wird es nun sein, das Bild Bismarcks in diesen beiden Biographien eingehend zu untersuchen ; Wie sind die Hauptaussagen formuliert ? ; Wo finden sich Übereinstimmungen ? ; Wo liegen die Unterschiede in der Charakteristik der Person und der Beurteilung wichtiger Ereignisse in der Bismarck - Zeit ? Welche Schwerpunkte werden gesetzt bzw. wo liegen Akzentuierungen ? Welche Ziele wollen die Historiker mit ihrer Arbeit erreichen ? Diese Fülle von Untersuchungskriterien wird natürlich an den wichtigsten Textstellen angewendet. Somit wird gewährleistet, daß Kernaussagen erarbeitet werden können, ohne aber auf wichtige Details verzichten zu müssen. Im Zusammenhang mit dem Seminarthema "Die Reichsgründung" wird der Zeitraum bis 1871 besonders eingehend analysiert, wobei aber auf den Zeitraum nach 1871 bis zum Tode Bismarcks im Jahre 1898 nicht verzichtet werden kann, um eine in sich abgeschlossene Analyse zu erreichen.An einigen Stellen werden auch Probleme der Interpretation und der Bismarck Forschung generell angeschnitten, die z.B. schon sichtbar werden, wenn man berücksichtigt, daß die Diskussion über Größe und Werk Bismarcks bis heute nicht verstummt ist. Anfangs werde ich daher, um das Thema in einen größeren Rahmen einordnen zu können, einen kurzen Überblick über die Biographie skizzieren, wobei einige allgemeine Erläuterungen über deren Historie eingeflochten werden, die aber, der Themenstellung wegen, recht kurzgefaßt werden.
II. Hauptteil 1. Allgemeiner Teil 1.1 Entwicklung der Biographie in der Geschichte
Die Biographie ist seit der Antike ein integraler Bestandteil der Geschichtsschreibung. Führende Vertreter der antiken Biographie waren Plutarch und Sueton. Bei Plutarch (46 - 120), bekannt geworden durch die Beschreibung "griechischer und römischer Heldenleben", stand jedoch die Beschreibung der Persönlichkeit im Vordergrund, was im Zweifelsfall bedeutete, daß ein historischer Sachverhalt in den Hintergrund treten konnte. So schreibt er zu Beginn seiner Alexanderbiographie : " Denn ich gebe Biographie, keine Geschichte." Sueton (70 - 140) wählte zur Darstellung der Geschichte die Biographie. In seinen Kaiserviten (Cäsar bis Domitian) trat der jeweilige Herrscher als alleiniger Träger der Handlung auf, wobei die Lebensbeschreibung innerhalb einzelner Rubriken erfolgte. Eine derartige Biographie folgt einem festem Schema, woraus sich eine bestimmte Reihenfolge der Rubriken ergibt. Diese Anordnung ist, im Gegensatz zu den meisten "modernen" Biographien, nicht chronologisch. Antike Biographien sind von ihrem Umfang her nicht mit neuzeitlichen Biographien zu vergleichen, was durch die Quantität des Quellenmaterials anschaulich wird.Die Biographien im Mittelalter orientieren sich größtenteils an den antiken Biographen, insbesondere an Sueton. Hier sei nur an Einhard, den Biographen Karls des Großen, gedacht. Aber auch bei Petraca ist der Einfluß des römischen Biographen festzustellen, und zwar in seinem Werk "de viris illustribus".In der frühen Neuzeit finden sich u. a. Lebensbeschreibungen in dramatischer Form, wie bei Shakespeare und Schiller, um nur die wichtigsten zu nennen. In der heutigen Zeit, in der es eine unüberschaubare Quantität an Biographien gibt, deren ständiges Wachstum kein Ende nimmt, gibt es zu einzelnen Personen, zu denen auch Bismarck gerechnet werden muß, weit mehr als 20 Biographien. Das Genus der Biographie ist also, um mit Fontane zu sprechen, ein weites Feld.
2. Die jungen Jahre und die Zeit als Gesandter
2.3 Bismarcks Aufstieg und die Zeit als Gesandter
Zu Beginn seiner Darstellung dieses Themenkomplexes führt Gall
eines seiner Leitmotive ein, das sich durch die gesamte weitere Darstellung
ziehen wird : Das "Acheronta movebo", die Bereitschaft Bismarcks,
im Notfall Koalitionen jeder Art einzugehen. Gall nennt dies "ein wesentliches
Element seiner politischen Persönlichkeit". Gall spannt hier den Bogen
zwischen "persönlichem Gott" und "monarchischer Herrschaftsordnung"
als untrennbare Grundlagen der Existenz Bismarcks. Gall beschreibt hier
einen Anachronismus der Geschichte, nämlich daß Bismarck, einem
entschiedenen Revolutionsgegner, ausgerechnet durch die Revolution ein
rascherer Aufstieg ermöglicht wurde. Bismarck erscheint in der Darstellung
Galls zwar als Gesandter, der seine Aufgabe sehr genau nimmt, aber auch
als diplomatischer Außenseiter. Der Frankfurter Historiker bringt
auch "die Politik der freien Hand" recht früh ins Spiel und stimmt
mit Engelberg darin überein, daß bei Bismarck in den 1850iger
Jahren eindeutig der "Haß gegen Österreich" dominierte. Bei
Engelberg ist der negative Grundton gegen Österreich derart signifikant,
da er sich durch das ganze Werk zieht. Auch bei Ernst Engelberg überwiegt
der positive Grundton bezüglich der Gesandtenzeit Bismarcks : Er stellt
zunächst heraus, wie glücklich die Bismarcks in Frankfurt leben
, wobei er aber bei der wiederum sehr ausführlich gehaltenen Schilderung
der ersten Aktivitäten Bismarcks dessen Langweile betont. Engelberg
geht in diesem Zusammenhang auch auf Bismarcks Auffassung bezüglich
der Revolution ein, wobei er aber einen eingeschränkten Revolutionsbegriff
darstellt. So stellt der Bonapartismus keine Form der Revolution dar. Bismarck
faßt nach Engelberg als feindliche Macht "mehr und mehr nur die demokratische
Revolution von unten ins Auge". Des Weiteren gibt er Bismarcks Auffassung
vom Deutschen Bund als sehr gering wider, was er durch Bismarcks negative
Haltung gegenüber Österreich begründet sieht.Gall bringt
im Kontext des Krimkrieges ein weiteres Hauptmotiv : "Die Politik der freien
Hand" , die als Leitlinie der Außenpolitik Bismarcks angegeben wird.
"Österreich ... auf Distanz zu halten" ist dagegen bei Engelberg zu
dieser Zeit das "außenpolitische Grundmotiv". Bismarcks Verhandlungen
bezüglich eines Eingreifen des Deutschen Bundes in den Krimkrieg stellt
Engelberg als "diplomatisches Meisterwerk" Bismarcks dar.Die Episode in
St. Petersburg wird ohne nennenswerte Differenzen von beiden Historikern
beschrieben. Gall spricht in Anlehnung an Bismarck von einem "Zwischenzustand"
, der durch Krankheit und Niedergeschlagenheit die größte Krise
Bismarcks darstellt. Bevor Engelberg die Zeit in St. Petersburg Revue passieren
läßt, nimmt er eine ausführliche Darstellung der "Grundzüge
in Bismarcks Denken und Handeln" vor. Hier bricht wieder einmal die marxistische
Ideologie durch, indem er das strategische Ziel der Innenpolitik schlicht
mit dem "Niederhalten der Massen" umreißt. In diesem Zwischenfazit
gibt Engelberg auch seine Auffassung der Größe Bismarcks zum
Besten : " Die Größe Bismarcks liegt darin, daß er vieles
von dem ausgeschöpft hat, was die illusionslose Erkenntnis der Wirklichkeit
leisten kann." Das heißt mit anderen Worten : Bismarcks scharfer
Blick für die Realität ist mitverantwortlich für seinen
Aufstieg. Von Genialität, wie bei vielen anderen Historikern, ist
hier keineswegs die Rede, eher von Rationalität.
3. Bismarck als preußischer Ministerpräsident und die Einigungskriege
3.3 Der Krieg von 1866
Die Situation um 1866 wird bei Ernst Engelberg generell als "Vorbereitung
der Revolution" gedeutet, wobei das Bündnis zwischen Preußen
und Italien von entscheidender Wichtigkeit war. Über den Kriegsausbruch
im Jahre 1866 ist vieles, teils sehr konträres geschrieben worden,
wobei auch bei diesem Problem die Beurteilung stark vom Standpunkt des
Betreffenden geprägt ist. Hierbei fällt in unserem Zusammenhang
auf, daß Engelberg Wien den schwarzen Peter zuschiebt, was wohl,
zumindest teilweise, durch dessen grundsätzlich negatives Bild der
Habsburgermonarchie zu werten ist. "Wien und Berlin taten ihr Möglichstes,
um den Krieg unvermeidbar zu machen" , so Engelberg. Durch "Unbeweglichkeit"
lief Österreich Preußen ins offene Messer und hätte sich
nur retten können, wenn es die "preußischen Tatsachen", wie
Engelberg den preußischen Einmarsch in Holstein nennt, anerkannt
hätte. Engelbergs Analyse der Situation von 1866 beschränkt sich
im Wesentlichen auf die Auflistung der chronologischen Sachverhalte, in
die gelegentliche Kommentare eingeschoben werden. Von daher ist das ganze
Kapitel recht kurz gehalten, wie ja weiter oben bereits moniert wurde.
Auch hier zitiert Engelberg zum Abschluß der Darstellung wieder Marx
und Engels. Nach Gall ging es für Bismarck im Vorfeld von 1866 nicht
um "Alternativen des Ziels, sondern allein um Alternativen der Methode".
Dies bedeutet, daß Bismarck bereits 1864 das Ziel, die preußische
Vorherrschaft bis zur Main - Linie auszubauen, verfolgte. Gall negiert
die Annahme vieler Historiker, nämlich in bezug auf den Krieg von
1866 bei Bismarck von einer Politik des kalkulierten und kalkulierbaren
Risikos zu sprechen. Diese Annahme wurde durch Bismarcks eigene Darstellung
in den "Gedanken und Erinnerungen" verbreitet. Laut Gall stellt dies aber
nur eine historische Legende dar, die bei der Interpretation des eigenen
Erfolges seitens Bismarcks entstanden ist. Weiterhin führt er aus,
daß der Ausgang des Krieges realiter nicht voraussehbar war. Von
daher betrieb Bismarck ein Spiel, bei dem Zufall und Glück einen gehörigen
Anteil am Ausgang hatten. Die nachträgliche Interpretation Bismarcks
bezeichnet Gall abschließend als "natürliche Neigung zum nachträglichen
Durchrationalisieren des historischen Prozesses". Durch diese Charakterisierung
erscheint Bismarck in einem differenten Bild : War er in Wirklichkeit nur
ein leichtfertiger Spieler ? Leichtfertig dahingehend, daß er die
Existenz des preußischen Staates aufs Spiel setzte ? Dieser Gedankenfaden
wird zwar bei Gall nicht zu Ende gesponnen, aber wenn man die obig implizierte
Frage konsequent zu Ende denkt, drängt sich diese Fragestellung nahezu
auf. Wie dem auch immer : Lothar Gall deutet an dieser Stelle nochmals
nachhaltig daraufhin, ein historisches Ereignis bzw. Phänomen nicht
"ex eventu" zu beurteilen. Bismarcks Verhandlungen mit Frankreich
hinsichtlich 1866 werden bei Gall negativ bewertet. Dieser Sachverhalt
wurde aber durch den raschen militärischen Erfolg Preußens verdeckt.
Anders wäre, so Gall, das französiche Kalkül "so oder so
aufgegangen". Hierin liegt dann für Gall auch das wahre Motiv für
die Devise "Rache für Sadowa". In der Entscheidung Österreichs,
das Schicksal der Herzogtümer dem Bund zu überlassen, sieht Gall
bereits eine "Art Kriegserklärung". Auch diese Darstellung impliziert
eine gewisse Eigenschuld Österreichs, wobei Gall in seiner Schilderung
gleich die "auf der ganzen Linie positiven Lage" Österreichs folgen
läßt. Hierdurch erscheint das Vorgehen Österreichs plausibel,
da die Folgen des Krieges keineswegs absehbar waren. Allerdings bleibt
laut Gall ein fader Beigeschmack : "... ließ Österreich wenn
auch nicht als Angreifer, so doch als eine Macht erscheinen, die sich jeder
internationalen Kooperation zur gemeinsamen Überwindung von Spannungen
und Krisen widersetzte." Vergleicht man die beiden Historiker betreff der
Beurteilung dieses Sachverhaltes, dann erscheint bei Engelberg eine einseitige
Sichtweise der Dinge, bei Gall dagegen eine multipolare Darstellungsweise.
Generell beurteilt Gall die Kriege Bismarcks als ein "Instrument des gewaltsamen
Ausgleiches". Daher erscheinen sie prinzipiell konservativ. Der ganz große
Erfolg Bismarcks 1866 bestand für Gall darin, daß "es ihm gelang
das Verhältnis zu Frankreich ... innerhalb des überhaupt nur
Menschenmöglichen zu schonen und zu bewahren." Für den Frankfurter
Historiker markiert das Jahr 1866 eine viel entscheidendere Zäsur
als das Jahr 1871. 1871 wurde nach seiner Auffassung "nur noch das in Realität
umgesetzt, was dort (1866) schon angelegt war." Gall spricht von "längerfristigen
Entwicklungstendenzen". Daher scheidet für ihn das Motiv der politischen
Manipulation durch Bismarck als Einzelperson, das ja von vielen Historikern
vertreten wird, von vornherein aus.
3.4 Norddeutscher Bund und Luxemburgkrise
Bevor der deutsch - französische Krieg behandelt wird, möchte
ich noch knapp auf den Norddeutschen Bund und die Luxemburgkrise eingehen.
Engelberg beschreibt das Vorgehen Bismarcks bei der Ausarbeitung der Verfassung
des norddeutschen Bundes als "so antiliberal wie möglich und so liberal
wie notwendig." Bei der Regelung der Wahlrechtsfrage wirft er Bismarck
"Angst vor der eigenen Courage" vor. Die Luxemburgkrise betreffend bezeichnet
Engelberg Bismarcks Auftreten als Verwirrspiel. Luxemburgkrise und Norddeutscher
Bund stehen laut Engelberg in Zusammenhang, da Bismarck die Luxemburgkrise
so lange hinauszögerte, bis er die Verfassung des Norddeutschen Bundes
durchgebracht hatte. Die Schilderung der partikularistischen Bewegungen
nach 1866 klingt bei Engelberg stellenweise wie eine Abrechnung. So spricht
er von der Bewegung in Bayern dahingehend, daß "Heimatsinn zum Partikularismus
pervertierte." An andere Stelle tituliert er das ganze mit Landesverrat.
Erwähnenswert ist weiterhin, daß Engelberg in diesem Zusammenhang
sogar die Ideen Liebknechts und Bebels verwirft. Die Vorstellung einer
"demokratische Einigung von unten" beurteilt er daher als illusionär.
Würdigung erhält natürlich auch das Erscheinen von Marxens
"Kapital", das recht ausführlich in den historischen Kontext eingeordnet
wird. Lothar Gall bezeichnet den Norddeutschen Bund als "Umsetzung einer
höchst realistischen Grundeinschätzung" und als "Vollzug dessen,
was an der Zeit war" Diese Wertung erscheint durchgehend positiv und es
klingen auch nicht wie bei Engelberg gewisse negative Tendenzen durch.
Das ganze Vorgehen Bismarcks war von der Maxime der "dauerhaften Hegemonie
des preußischen Staates" geleitet. Auch alle Reformen wurden dahingehend
durchgeführt, daß durch sie eine Stärkung des Staates erreicht
wurde. "Über alles andere war Bismarck bereit, mit sich reden zu lassen",
so Gall. Bismarck erscheint deshalb nicht als rigoroser Prinzipienreiter,
sondern als gewiefter Taktiker, der den "Strom der Zeit" erkannt hat und
sich ihm nicht entgegensetzt. Ein "Reformer wider Willen" ist er laut Gall
gewesen, der sich vor die Alternative "Hammer oder Amboß" gestellt
sah. Ein weiteres Charakteristikum der Politik Bismarcks bis hin zu seiner
Entlassung sieht Gall darin, daß er die nationale Partei für
seine machtpolitischen Ziele einzuspannen versuchte. Generell wurde die
außenpolitische Konstellation nach 1866 für Gall von einer "Unfertigkeit
der Gesamtsituation" beherrscht, von welcher auch Bismarck ausging. Die
Luxemburgkrise bezeichnet Gall als "schlecht vorbereitete und durchgeführte
Aktion" Frankreichs. Hierdurch wurde dann sogar verdeckt, daß die
preußische Außenpolitik nach 1866 unter den obig angesprochenen
Präliminarien einen stark offensiven Charakter hatte. Für Bismarck
stellte die Luxemburgkrise also eine passende Gelegenheit dar, aus der
Defensive heraus zu agieren. Die Frage, ob Bismarck Frankreich bewußt
aufs Glatteis geführt hatte, läßt Gall unbeantwortet. Aber
er zieht aus der Luxemburgkrise ein wichtiges Fazit : Eine kleindeutsche
Einigung war nur noch gegen den Widerstand Frankreichs durchzuführen.
Aus dieser Interpretation kann man folgern, daß ein heftiger deutsch
- französischer Konflikt unvermeidlich wurde, und daß ein Krieg
nur noch eine Frage der Zeit gewesen ist. An dieser Stelle urteilt Gall
mit Weitblick : Er bewertet die Luxemburgkrise nicht isoliert, sondern
deutet sie dahingehend, daß er ihre Wirkung auf die Gesamtsituation
beschreibt.
3.5 Der Krieg von 1870/71 und die Reichsgründung
Auch Ernst Engelberg geht von dem Vorsatz aus, daß eine heftige
Auseinandersetzung zwischen Preußen und Frankreich unausweichlich
ist. Um diese ohne Einmischungen erledigen zu können, war es Bismarcks
oberstes Ziel, Frankreich als Friedensstörer und Agressor erscheinen
zu lassen. Die Mittel dazu waren nach Engelberg "Methoden intriganter Kabinettspolitik".
Dieser Argumentation folgend, war dann auch der Streit um die spanische
Krone nur Mittel zum Zweck, da es hierdurch leicht möglich war, "Komplikationen
mit dem politischen Hauptgegner hervorzurufen". Engelberg geht davon aus,
daß beide Seiten zum Krieg bereit gewesen sind. Mit dieser Darstellung
entzieht sich Engelberg geschickt einer möglichen Diskussion um die
Kriegsschuldfrage. Auch Gall tangiert dieses Problem, wobei auch hier diese
Frage nicht eindeutig geklärt wird, da man diese Frage nicht abschließend
beantworten kann. Gall stellt dies treffend dar : "Keine Seite ist innerlich
widerstrebend in diesen Krieg hineingestolpert oder gar hineingerissen
worden." Die "ultima ratio" der Politik sei halt damals der Krieg
gewesen. Im Gegensatz zu Engelberg ist bei Gall die spanische Thronfolge
für Bismarck zunächst von untergeordneter Bedeutung gewesen.
Warum Bismarck dann doch die "Madrider Bombe" platzen ließ, erklärt
Gall wie folgt : "Ein Gegenstand, der mehr Erfolg versprach, war nicht
in Sicht, und Bismarck mußte unbedingt vorankommen." Hieraus wird
deutlich, daß Bismarck im Prinzip keine andere Möglichkeit hatte,
wenn er nicht von seinen Zielen abrücken wollte. Zum damaligen Zeitpunkt
mußte der Krieg zwischen Preußen und Frankreich, auf den ja
dann alles hinauslief, darüber hinaus noch keineswegs als klare Angelegenheit
für Preußen erscheinen, sondern seinen Ausgang betreffend als
unvorhersehbar und deshalb mit einem großen Maße an Risiko.
Man neigt auch bei diesem Sachverhalt in heutiger Zeit leicht dazu, die
Dinge "ex eventu" zu beurteilen. Laut Gall hatte Bismarcks Politik
zu dieser Zeit keine feste Zielprojektion, sondern wurde durch Mehrgleisigkeit
charakterisiert. Es hing dann also alles " von der augenblicklichen Konstellation"
ab. Bismarcks hartes Vorgehen gegenüber Frankreich nach dem Krieg
erklärt Gall damit, daß Bismarck von vornherein von unüberwindlichen
Gegensätzen zwischen den beiden Großmächten ausging. Die
Reichsgründung wird von beiden Historikern als "Revolution von oben"
angesehen. Dieser Terminus hat sich ja in der Geschichtswissenschaft zum
geflügelten Wort entwickelt. Engelberg nennt Bismarck in Anlehnung
an Marx den "Testamentsvollstrecker der Revolution von 1848". Am Ende des
ersten Teils seiner Biographie zieht Engelberg ein Fazit über Bismarck,
das sich mit seiner gesamten Darstellung deckt : Teils Anerkennung, teils
heftige Kritik. So würdigt er Bismarcks Begabung, "im rechten Augenblick
die Dinge zu forcieren." Bismarck wurde zum Reichsgründer, "weil er
konnte, was er wollte, und weil er wollte, was er konnte." Auf der anderen
Seite beurteilt er ihn und sein Werk als widersprüchlich. Abschließend
kritisiert Engelberg, daß Bismarck der sich entwickelnden Arbeiterschaft
mit "profunden historischen Unverständnis" begegnete. Im marxistischer
Ausdrucksweise nennt Engelberg die Arbeiterschaft eine "neue Kraft der
Geschichte". Durch diese Schlußbetrachtung wird die im Vorwort bereits
angesprochene Empörung und Gegenposition Engelbergs deutlich. Hier
zeigt sich dann doch eine bestimmte Prägung durch die sozialistische
Schule. Auch Gall stellt, dem Charakter seiner Biographie entsprechend,
die abschließenden Beurteilung der Reichsgründung nicht nur
positiv dar. Neben einer eingehenden Würdigung des Werkes erkennt
er auch, daß Bismarck am Ende doch ein "Zauberlehrling" gewesen ist.
Dieses Motiv ist Ausgangspunkt der weiteren Analyse Galls bis hin zu Bismarcks
Abschied im Jahre 1890.
4. Der Zeitraum von 1871 bis 1898
Im Folgenden werde ich noch in knapper Form die Charakteristika des
Zeitraums nach 1871 in den beiden Biographien darlegen. Signifikant ist
hier besonders die Tatsache, daß Engelberg der Arbeiterbewegung eine
größere Berücksichtigung beimißt als Gall. In diesem
Zusammenhang nennt er Bebel als den Hauptgegenspieler Bismarcks und nicht
Windthorst, wie dies gemeinhin der Fall ist. Der beginnenden Industrialisierung
begegnet Engelberg mit Skepsis. Auch im zweiten Teil der Biographie geht
Engelberg teilweise auf das Privatleben Bismarcks ein, wenn auch nicht
mit der Ausführlichkeit des ersten Teils. Innenpolitik und Außenpolitik
sind etwa im gleichen Maße berücksichtigt. Dies trifft auch
bei Gall zu, der Bismarcks System nach der Reichsgründung als "System
der Aushilfen" charakterisiert. Als Leitmotiv dient der bereits oben erwähnte
"Zauberlehrling". Gall widmet dem Kulturkampf eine ausführlichere
Darstellung als Engelberg. Beide Biographgen zeigen detailierte Kenntnisse
der komplexen außenpolitischen Verflechtungen und geben diese in
ausführlichen, gut lesbaren Darstellungen wieder, wenn dies bei Engelberg
auch zu ausführlich geschieht. Hellmut Seier moniert, Engelberg habe
in diesem Zusammenhang "zwischenstaatliche Diplomatiegeschichte" und nicht
eine Staatsmann - Vita geschrieben. Wie es zu erwarten war, kritisiert
Engelberg Bismarcks Sozialistengesetze aufs heftigste. Aber auch Gall bezeichnet
die Sozialistengesetze als einen der dunkelsten Punkte in der politischen
Laufbahn Bismarcks. Gall relativiert in seiner Darstellung das Bündnissystem
Bismarcks. Dies wurde im allgemeinen historischen Kontext überschätzt.
Bei beiden Historikern wird Bismarcks Politik deutlich von dem Kurs Wilhelms
II. abgegrenzt. Vor allem bei Engelberg erscheint Wilhelm II. äußerst
negativ. Durch ihn wurde das Erbe Bismarcks vertan. Die Tragik seiner Person
wurde zur Tragik der deutschen Nation.
III. Fazit
Beide Arbeiten haben sicherlich ihr Ziel erreicht, nämlich der
Wissenschaft förderlich zu sein. Von daher ist über beide Werke
ein positives Fazit zu ziehen. Die anfänglich vom Autor dieser Hausarbeit
vermutete Diskrepanz in der Darstellung, aufgrund der unterschiedlichen
ideologischen Prägung, ist zwar vorhanden, aber nur im geringen Umfang.
Beide Historiker gehen von einem positiv kritischen Ausgangspunkt ihres
Titelhelden aus. Beide würdigen bei aller Kritik, die an einzelnen
Stellen vor allem bei Engelberg (Sozialistengesetze etc.) angesprochen
wird, die Größe und die Leistung Bismarcks, zeigen dabei aber
auch die notwendige kritische Distanz. Dies tritt bei Engelberg wegen den
genannten Gründen nicht ganz so heraus, wie bei Gall. Gall wirkt mit
seiner Darstellung jedem Glorifizierungsversuch entgegen. Signifikant ist
auch, daß bei beiden Biographien ähnliche Entwicklungslinien
vorhanden sind. Welche von beiden Biographien "besser ist" oder ob eine
der anderen vorzuziehen ist, soll an dieser Stelle unbeantwortet bleiben.
Dem historisch Interessiertem seien beide Werke empfohlen.
Literaturverzeichnis :
Ernst Engelberg : Bismarck. Urpreuße und Reichsgründer, München
21991 (dtv), im Text ungekürzte Ausgabe der Orginalausgabe
Ostberlin 1985
Ernst Engelberg : Bismarck. Das Reich in der Mitte Europas, München
21993 (dtv), im Text ungekürzte Ausgabe der Orginalausgabe
Ostberlin 1990
Lothar Gall : Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt
am Main 1980Hellmut Seier : Neue Historische Literatur. Bismarck und der
"Strom der Zeit", in : HZ 256 (1993), S. 689 - 709
Anmerkungen des Dozenten
Gut gegliederte, prägnant dargestellte Gegenüberstellung;
Punkt 1.1 zu weit hergeholt, etwas erklärungsbedürftiger das
positive Bismarckbild Engelbergs (Urpreuße); Spannungsverhältnis
Persönlichkeit - Geschichte noch mehr als Zentralproblem herausarbeiten.
Insgesamt sehr gut/gut (1.5)