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Inhaltsverzeichnis

 

Frauen- und Mädchenbildung im 18. Jh. 1

August Ludwig von Schlözer als Person 1

Das Experiment 2

Die Doktorwürde für Dorothea 4

Dorothea von Schlözer, was bedeutet sie uns heute 5

Schlußbetrachtung 5

Quellenverzeichnis 7

 

 

Frauen- und Mädchenbildung im 18. Jh.

Während mit Rousseaus Roman "Emile" ein neuer Denkprozeß für die Knabenbildung einsetzte, so prägte dieser Roman doch auch ein neues Frauen- und Mädchenbild in der Epoche der Aufklärung. Rousseau zeichnete Sophie in seinem Roman als eine Frau (Mädchen), die vor allem empfindsam und sanft sein sollte. Rousseau vertrat die Ansicht, daß Ordentlichkeit und Sanftmut zu den obersten Tugenden einer Frau gehören sollten. Dabei hatte die Frau sich völlig der patriarchalischen Gesellschaftsform zu unterwerfen. Die Sensibilität und Empfindsamkeit galt es zu verkörpern und in allen Lebensbereichen den Bedürfnissen des Mannes dienlich zu sein.

 

Damit stand Rousseaus Frauenbild in krassem Widerspruch zu den Ansichten, die Olympe de Gouge, eine "Frauenrechtlerin" des 18. Jh. vertrat. Olympe de Gouge trat für die Gleichberechtigung der Frau in allen Bereichen ein und wurde ob ihrer Ansichten 1786 in Paris hingerichtet.

 

Vor diesem Hintergrund muß man auch die Mädchen- und Frauenbildung dieser Zeit betrachten, galt die Frau in vielen Bereichen dem Mann als untergeordnet und wurde somit auch ihre Bildung als zweitrangig erachtet.

 

So waren Lateinschulen und Universitäten reine "Männerschulen" und hatten Frauen doch keinen Zutritt zu einer über das Maß der Elementarschule hinausreichenden Bildung. Die einzige Möglichkeit für Frauen der höheren Gesellschaftsschichten bot sich im Besuch einer Schule, die sie für die Tätigkeit der Gouvernante ausbildete. Und selbst an solchen Instituten galt oft das überlieferte Geschlechterverhältnis.

 

August Ludwig von Schlözer als Person

Diesem Menschenbild stand August Ludwig von Schlözer mit seiner Auffassung gegenüber. Vertrat er doch die Auffassung, daß "kein Mensch den anderen, nicht der Riese den Zwerg, nicht der Gescheite den Dummen mißhandeln oder ohne dessen Einwilligung ihn zum Werkzeug seines Glücks machen darf."

 

A. L. von Schlözer wurde am 5. Juli 1735 als Sohn einer Pfarrersfamilie geboren. Ihn trieb schon in jungen Jahren die Reiselust dazu, Studien zu treiben und er studierte u.a. Politik, Geschichte und Statistik. Sein Weg führte ihn über Petersburg, wo er am Hofe Peters des Großen diente, an die Georgia Augusta zu Göttingen, an die er eine Berufung bekam und heiratete dort im November 1769 seine sechzehnjährige Schülerin Caroline Friederike Roederer.

 

Schlözer beschäftigte sich im Folgenden mit seiner Tätigkeit an der Universität Göttingen und veröffentlichte zahlreiche Aufsätze. "Neben rastloser Lernbegier und klarem Blick ins Leben, waren warme Teilnahme für alles Menschliche, große Wahrhaftigkeit und ein unbeugsamer Rechtssinn seine hervorragendsten Eigenschaften." Er war Empiriker und stand damit im "ideologischen" Streit mit Johann Bernhard Basedow, einem Philantrop, der in der geistigen Tradition Rousseaus stand.

 

Schlözer sah seine Aufgabe im Unterrichten vor allem dazu angetan, seinen Studenten moralisches Bewußtsein und selbständiges Denken zu vermitteln. Er beschränkte sich nicht einzig darauf, die historischen Überlieferungen zu unterrichten sondern band auch aktuelle politische Inhalte in seine Vorlesungen ein. Dies trug ihm nicht unbedingt die Zustimmung seiner unterrichtenden Kollegen ein, jedoch rühmten diese fast ohne Umschweife die "kühne Sprache Schlözers auf dem Katheder" und strömten die Göttinger Studenten doch zahlreich in seine Vorlesungen.

 

Neben diesen Tätigkeiten fühlte sich Schlözer auch prädestiniert für die Kindererziehung, was vielleicht durch das junge Alter seiner Frau ausgelöst wurde. Am 10. August 1770 gebar diese Dorothea als erstes Kind. Dorothea wurde die "Herzenstochter, das himmlische Glück" und A. L. von Schlözer verfolgte als "Statistikfreak" mit großer Aufmerksamkeit die geistige Entwicklung seiner Tochter. Dabei lag ihm viel in der Verbindung seiner theoretisch, empirischen Erkenntnisse mit dem praktischen Handeln. "Die Tugend läßt sich nicht lehren, sondern allein ausüben. (...) Folglich ist ein Schüler Basedows, mit allen Sprüchelchens, Maximen und empfindsamen Stellen des Elementarbuchs bepackt, gleich einem Studenten, der mit dem Hefte unter dem Arm aus einem Collegio über die Reitkunst kommt: jener wird nicht tugendhaft sein und dieser nicht reiten können."

 

Basedow sammelte im Jahr 1768 bei "Menschenfreunden und vermögenden Männern" Spenden für die Veröffentlichung einer Reihe von Schulbüchern zur Verbesserung des Schulwesens. Darin übernahm er zum Teil wörtlich die Maximen Rousseaus aus dem Roman "Emile" und formte sie zu konkreten Lehrmaterialien und Unterrichtsregeln um.

 

Diese "Büchergelehrsamkeit" wollte Schlözer durch seine Überzeugung der empirischen Belegbarkeit seiner Erfahrungen widerlegen und entschloß sich zu einem Experiment, in dem es um die Vermittlung von Lerninhalten ging. An seinem eigenen Kind wollte Schlözer seine Studien belegen. Und da er zu diesem Zeitpunkt nur ein Kind hatte, begann er, Dorothea nach seinen didaktischen Konzepten zu unterrichten. Daß Dorothea ein Mädchen war, spielte für den Professor an dieser Stelle keine Rolle, da er ohnehin von der Gleichheit von Frauen und Männern ausging.

 

Das Experiment

Dorotheas Entwicklung stand nun unter der ständigen Überwachung des Vaters und so wurde jeder Fortschritt in der geistigen Reife Dorotheas festgehalten und niedergelegt. Mit 15 Monaten konnte Dorothea sprechen, "87 Wörter und 192 Ideen" und mit 32 Monaten brachte Schlözer ihr Plattdeutsch bei. Damit bereitet er Dorothea auf das Studium der Fremdsprachen vor (Englisch, Schwedisch und Holländisch).

 

Das Schreiben brachte der Vater ihr mit vier Jahren und zwei Monaten bei. Er verfaßte zu diesem Zweck eigens ein eigenes Lehrbuch, "Dortchens Reise von Göttingen nach Franken und wieder zurück" (A.L.v.Schlözer, Göttingen, 1774). Wie ernst es Schlözer mit dem Experiment meinte zeigt sich darin, daß er Dorothea nicht selbst in Mathematik unterrichtete, sondern seinen "Erzfeind" und Kollegen Kästner damit beauftragte. Mit etwa fünf Jahren ließ Schlözer den Mathematikunterricht beginnen und mit bereits sieben Jahren attestierte Dorotheas Lehrer: "Mademoiselle Dorothea Schlözerinn hat mir das Vergnügen gemacht von ihrem Fleiße in der Geometrie Proben zu geben. (...) und fand überall, daß sie diese Lehren nicht auswendig gelernt, sondern mit Verstand gefaßt hatte."

 

Schlözer ging es um die Verbindung des praktischen Lebens mit den Lerninhalten und so ließ er Dorothea an seiner eigenen Reiselust teilhaben. Gleichzeitig wurde der Unterricht aufrechterhalten und so lernte Dorothea u.a. das Bergwerk in Clausthal kennen, wo sie einer sechswöchigen Bergwerkskunde unterzogen wurde.

 

Während bei Basedow, nach Rousseaus Philosophie, die Frau sanftmütig zu sein hatte, so entsprach Dorothea nicht diesem schwachen Frauenbild. Vielmehr ließ der Vater ihr die Freiheit zu reiten und ihr eigenes Leben zu führen. Bei Basedow ging es um die Normierung der inneren Eigenschaften. Die Hinführung zu einer neuen Form der Selbstkontrolle stand im Vordergrund. Schlözer hingegen erzog seine Tochter zur äußeren Unterwerfung unter die Herrschaft des Mannes. Wie es im Inneren des Mädchens aussah, war nicht Gegenstand des Experiments.

 

Schlözer stand mit dieser Einstellung keineswegs allein in seiner Zeit. "Er verkörperte vielmehr eine relativ frühe Aufklärungsströmung, in der typischerweise formal-rationale erkenntnistheoretische Positionen mit einer Zurückweisung verstandesmäßig unkontrollierter Gefühle und einer gewissen Offenheit gegenüber gelehrter weiblicher Bildung einhergingen."

 

Jedoch bleibt zu erwähnen, daß Schlözer seine Tochter nicht erzog, um ein Exempel für die weibliche Gelehrsamkeit zu statuieren. Vielmehr diente das Experiment dazu, seinen "Wettstreit" mit Basedow auszutragen und er nutzte dazu seinen Einfluß in der Gesellschaft und Wissenschaft. Somit war Schlözer kein Vorkämpfer für die Frauenemanzipation, als der er möglicherweise erscheinen mag. Ziel des Experiments war nicht die Widerlegung des Rousseauschen Frauenbildes und ist allenfalls ein Nebenprodukt des Experimentes "Dorothea".

 

Die Doktorwürde für Dorothea

Im Jahre 1787 schlug der Hofrat und Ritter Michaelis Dorothea für die Prüfung um den Doktortitel der philosophischen Fakultät vor, deren Dekan er war. Nachdem Schlözer sich über die Ernsthaftigkeit dieses Vorschlags vergewissert hatte, fand die Prüfung am 25. August 1787 im Hause des Dekans statt. Von einem förmlichen Gesuch um Zulassung und der Pflicht zur öffentlichen lateinischen Disputation wurde abgesehen.

 

Man schenkte Dorothea keineswegs den Titel sondern prüfte sie, wie jeden anderen Anwärter auf den Doktortitel. Jedoch nach kurzer Beratung des Komitees wurde Dorothea der Doktortitel der Philosophie zugesprochen. Die Magisterwürde sollte ihr dann während der Feierlichkeiten des fünfzigjährigen Jubiläums der Georgia Augusta verliehen werden. Da Frauen im 18. Jh. nicht eidesfähig waren, gelobte Dorothea dem Dekan den Inhalt der Eidesformel durch Handschlag.

 

So sehr Dorothea sich die Würde auch durch ihr Studium verdient haben mag, so wäre dies alles jedoch nicht möglich gewesen, ohne die Stellung und Organisationsform der Göttinger Reformuniversität. Vor Dorothea wurde nur eine einzige Frau mit der Doktorwürde ausgezeichnet: Dorothea Erxleben, Doktor der Medizin in Halle, 1755. Wenn auch die räumlichen Gegebenheiten und das "familiäre" Verhältnis der Professoren an der Göttinger Universität günstige Voraussetzungen für die Zulassung Dorotheas zur Prüfung baten, so war die offizielle Proklamation doch wegen der o.g. Frauenstellung nicht ohne Probleme durchzuführen. Als unverheiratete Frau galt Dorothea Schlözer nach wie vor, trotz ihrer Doktorwürde, als gesellschaftlich irrelevant und war unschicklich bei Feierlichkeiten, wie dem Jubiläum der Universität. So lauschte Dorothea ihrer eigenen Ernennung von den Räumlichkeiten der an den Festsaal angrenzenden Bibliothek.

 

Die Öffentlichkeit quittierte die Auszeichnung Dorotheas mit dem Kommentar "Der Schlözer hat's dem Basedow gegeben." Womit deutlich wird, daß weniger die Leistung der Tochter, als vielmehr der Wettstreit und Erfolg des Vaters im Mittelpunkt stand. Obwohl Dorothea die Doktorwürde erhielt, war es weniger ihr eigener als der Verdienst des Vaters, der gewürdigt wurde. Dorotheas Ruhm kam mehr zustande durch die Sensation der Verleihung der Doktorwürde an eine Frau als durch Anerkennung ihres Wissens.

 

Dorothea war Gast bei zahlreichen Bällen der damaligen Zeit und war die Königin der Bälle in Göttingen und der erste Heiratsantrag kam von einem englischen Baron, der sich später als Politiker einen Namen machte. Jedoch blieb A.L. v.Schlözer vorsichtig und lehnte ab. Dorothea fügte sich und setzte ihre Studien fort. Sie besuchte die Vorlesungen Ihres Vaters und half ihm bei seinen Arbeiten. Bei gesellschaftlichen Anlässen wußte Dorothea stets, ihr Wissen nicht hinauszuposaunen und so die anwesenden Männer zu verschrecken und kompromittieren. Sie verkörperte vielmehr das nach außen so sanfte Frauenbild, das ihr Vater ihr anerzogen hatte. Graf Schmettow schrieb an ihren Vater nach Besuchen in Hamburg und Kiel: "Man erwartete einen Doktoren der Philosophie in Ton, Gebärde und Konversation, fand aber ein äußerst bescheidenes, sanftes, reizendes Frauenzimmer ohne prétentions."

 

Und bei einem Besuch Lübecks durch Vater und Tochter, verliebte sich der Senator Mathäus Rodde in Dorothea und hielt um ihre Hand an. Schlözer wollte den Antrag ablehnen und den gesandten Korb mit Orangen leer, zum Zeichen der Ablehnung, zurücksenden. Dorothea jedoch "legte ihr in Kupfer gestochenes Bild hinein: 'Ein leerer Korb schickt sich nicht.' " Und 1792 wurde der Bund der Ehe geschlossen.

 

Dorothea von Schlözer, was bedeutet sie uns heute

Eins ist sicher, wenn man das Experiment Schlözers betrachtet. Das auf den ersten Blick so bedeutende "Frauenbildungs-Experiment Dorothea" hatte mit Sicherheit nicht die Emanzipation der Frau im 18. Jh. zum Ziel. Viel zu groß war der Einfluß der Gesellschaft auf den Werdegang Dorotheas von Schlözer. Vielmehr ging es darum, die Fähigkeiten und Ansichten des Vaters zu untermauern und zu rechtfertigen.

 

"Daß Gelehrsamkeit nicht mehr als Attribut einer ebenso herz- wie verstandesgeschulten Dame galt (...), hat die Situation für Dorothea und Schlözer damals prekär gemacht." Vielmehr war Dorothea eine Bedrohung für die Männerwelt, griff doch eine Frau nach der Wissenschaft und bedrohte auf diese Weise die durch das Patriarchat dem Mann eigene Macht. Schlözer hat stets die Leistungen seiner Tochter im Hinblick auf sein Lehren und Wirken hin interpretiert und somit den Anspruch einer "gebildeten Frau" nivelliert. Stattdessen sonnte er sich in Dorotheas Wirken und ihrem Ansehen.

 

Schlußbetrachtung

Betrachten wir also rückblickend das Experiment "Dorothea", so stellt sich die Frage, was wir in die heutige Zeit übertragen können. Abgesehen von dem Punkt, daß die Stellung der Frau in der Gesellschaft immer noch nicht gleichberechtigt dem Mann ist, so hat doch zumindest im Schulwesen das Mädchen eine ebenbürtige Stellung gegenüber den Jungen. Es kann uns heute also nicht um die gleiche oder stärkere Gelehrsamkeit von Mädchen gehen. Genausowenig können wir das egozentrische Verhalten v.Schlözers billigen, der seine Tochter zum Zwecke eines wissenschaftlichen Wettstreits als "Versuchskaninchen" benutzt hat. Dabei hat v.Schlözer nicht an die psychische belastung seiner Tochter gedacht. War doch während des ganzen Experiments das Innenleben Dorotheas stets von zweitrangiger Bedeutung.

 

Was wir von v.Schlözer lernen können ist die Offenheit und Kritikfähigkeit gegenüber didaktischen Methoden und Konzepten. Eine kontinuierliche Kontrolle unserer Arbeit als Pädagogen und Lehrende sollte oberste Maxime unserer Tätigkeit sein. Immer im Blick, was der Schüler zu leisten bereit und fähig ist und immer in Relation gesetzt zu seinen Lebensumständen. Wie Dorothea bewiesen hat ist eine gründliche Kontrolle von Lernergebnissen Dreh- und Angelpunkt für einen erfolgreichen Abschluß der Studien. Ohne die Betreuung durch den Vater hätte Dorothea vielleicht nicht so erfolgreich alle Prüfungen bestanden, obwohl ihr ein großes Maß an Sympathie bei den Proffessoren-Kollegen des Vaters zugestanden werden muß.

 

Werten wir also Dorotheas Erfolg, die erste humanistisch gebildete Frau zu sein, die die Doktorwürde erhielt, als einen Erfolg der Durchsetzung gegen gesellschaftliche Zustände. Mangelte es im 18. Jh. doch durchweg an Menschenrechten für die Frau und hat mit der Durchbrechung vieler Gesellschaftsprinzipien gerade Dorothea von Schlözer ein Exempel für die Frauenrechte statuiert. Werten wir hingegen v.Schlözers Experiment als ein Lehrbeispiel für didaktischen Unterricht und Beweis, das das Rousseau'sche Frauenbild weder in der damaligen Zeit noch heute Bestand hat.

 

 

Quellenverzeichnis

 

 

Bärbel und Horst Kern, "Madame Doctorin Schlözer, Ein Frauenleben in den Widersprüchen der Aufklärung", Verlag C.H. Beck München, 1988

 

Leopold von Schlözer, "Dorothea von Schlözer, Ein deutsches Frauenleben um die Jahrhundertwende 1770-1825", Deuerlichsche Buchhandlung Göttingen, 1937