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Inhaltsverzeichnis:
 
1. Einleitung:
 
2. Ideologie des Marxismus:
 
2.1 Kritik der Religion:
 
2.2. Kritik der Philosophie- Marx´ Dialektik und der historische Materialismus:
 
2.3. Arbeit und Entfremdung:
 
2.4 Kritik der politischen Ökonomie:
2.4.1 Mehrwert und Akkumulation des Kapitals:
2.4.2 Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse:
 
2.5 Diktatur des Proletariats:
 
3. Merkmale einer marxistische Literaturtheorie:
 
3.1. Basis und Überbau: Widerspiegelung als erkenntnistheoretische Grundlage:
 
3.2. Realismus:
3.2.1 Die "Sickingen Debatte":
 
3.3. Parteilichkeit:
 
3.4. Volkstümlichkeit:
 
4. Ergebnisse:
 
5. Literaturverzeichnis:

1. Einleitung:
Mit dieser Arbeit soll auf der Basis der Marxistischen Theorie ein Einblick in marxistisches Literaturverständnis gegeben werden.
Im ersten Teil der Arbeit sollen die Grundlagen marxistischer Lehre herausgearbeitet werden, damit auf diesem Fundament im zweiten Teil die Merkmale einer marxistischen Literaturtheorie skizziert werden können.
In diesem Zusammenhang ist die enge Beziehung zwischen Karl Marx und Friedrich Engels zu erwähnen. Diese Beziehung spiegelt sich auch in Marx´ Werken wieder, an den Friedrich Engels intensiv mitgearbeitet hat. Als Marxismus ist somit die Gesamtheit der Lehren von Karl Marx und Friedrich Engels zu bezeichnen.

2. Ideologie des Marxismus:
Die Eckpfeiler der marxistischen Theorie ergeben sich aus der Kritik an bestehenden Gesellschaftsstrukturen, vorwiegend an der Religion, der Philosophie und der politischen Ökonomie.

2.1 Kritik der Religion:
Die herrschenden politischen Verhältnisse haben Karl Marx gezeigt, daß die Religion einer Emanzipation des Volkes entgegensteht, indem sie nur Scheinlösungen für die Probleme der Menschen liefert. Dies kann nur im Interesse der Herrschenden sein, denn die Religion "lullt" die Menschen ein, anstatt sie politisch zu wecken. Marx konzentriert seine Vorwürfe in der berühmten Metapher, Religion sei "Opium fürs Volk". Doch die von der Religion "berauschten" Menschen lassen sich ihre Illusion nicht ersatzlos wegnehmen. Illusorisches Glück soll also wirklichem Glück weichen; das Glück der Menschen soll nicht im Jenseits gesucht werden, sondern in der Veränderung des Diesseits. Dieser Aufgabe hat sich die Philosophie zu widmen. Ihre Aufgabe ist es, "nachdem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven"[1]

2.2. Kritik der Philosophie- Marx´ Dialektik und der historische Materialismus:
Karl Marx ist stark durch die Philosophie Georg Friedrich Hegels beeinflußt worden. Er übernahm von ihm den Gedanken, daß die Geschichte dialektisch vorwärts schreite, d.h. daß aus dem Kampf von Gegensätzen (These und Antithese, wobei die Antithese aus der Negation der These entsteht) das Neue (Synthese, wird auch als Negation der Negation bezeichnet) entsteht, das die Gegensätze beseitigt und die Menschheit auf eine neue Stufe hebt.
Durch seine "umgestülpte Dialektik" setzte der frühe Marx mit seiner Rezeption und Kritik der Hegelschen Philosophie an: Er stellte die idealistische Philosophie Hegels durch seine materialistische Geschichtsphilosophie vom "Kopf auf die Füße".
"Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken."[2]
Hegel, so kritisierte Marx, hat sich wesentlich nur mit der geistigen Geschichte des Menschen befaßt und aus ihr die wirklichen sozialen Verhältnisse in ihrer Veränderung erklärt. Das war nach Marx´ Überzeugung eine Umkehrung des wahren Sachverhalts: Man müsse mit der sozialen Wirklichkeit beginnen und das Geistige im Zusammenhang mit ihr sehen. Also bestimmt nach Marx nicht das Bewußtsein der Menschen ihr Sein, sondern das Sein das Bewußtsein. Damit sind - um die Hauptgedanken der Philosophie des Marxismus, nämlich der historische und der dialektische Materialismus, darzulegen -
"alle Weisen des geistigen Lebens abhängig von gesellschaftlichen Verhältnissen, die sich als notwendige Produktionsverhältnisse darstellen, die sich also dem Willen (Bewußtsein) der Menschen entziehen. Das bedeutet nicht, daß Ideen ohne Einfluß auf den Gang der Geschichte sind, sondern nur, daß hinter ihnen materielle Triebkräfte wirksam sind."[3]
Doch die Kritik an der Hegelschen Philosophie geht noch weiter. Hegel hat zwar die Widersprüche der Gesellschaft und deren Philosophie gesehen, hat aber diese Widersprüche nicht in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gebracht und ihre Abhängigkeit von der materiellen Basis der Gesellschaft nicht erkannt. So bleiben diese Widersprüche wie selbstverständlich in seiner Theorie stehen.
Mit seiner materialistischen Dialektik setzt Marx die gesellschaftlichen Widersprüche in den Zusammenhang mit der materiellen Basis der Gesellschaft. So wendet sich die idealistische Geschichtstheorie Hegels zur materialistischen Geschichtstheorie Marx´, die damit zur revolutionären Praxis wird und "aus der Kritik der alten Welt die neue finden will."[4]

2.3. Arbeit und Entfremdung
Im Kern der "Kritik an der alten Welt" steht die Selbstentfremdung des Menschen als Folge der Eigentumsverhältnisse in der bürgerlichen Gesellschaft.
Für den Menschen ist die Arbeit wesensbestimmend. Unter den Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft, die auf Arbeitsteilung, Kapital, und Privateigentum beruht, produziert der Arbeiter nicht für sich, sondern für den Kapitalbesitzer. Da er also dem Unternehmer als Ware seine Arbeitskraft gegen seinen Lohn verkauft und im allgemeinen nur kleine Teile des Gesamtprodukts herstellt, muß ihm nach Marx seine Arbeit fremd erscheinen.
Doch die Entfremdung bezieht sich nicht nur auf das Produkt, sondern auch auf die Arbeit an sich, denn
"die Entfremdung zeigt sich nicht nur im Resultat, sondern auch im Akt der Produktion, innerhalb der produzierenden Tätigkeit selbst."[5]
Marx sieht in der Entfremdung vom Produkt und von der Arbeit an sich einen Zustand der Unmenschlichkeit, der den Arbeiter vernichtet. Diese Bedingungen schaffen eine Klasse, die Klasse der Proletarier, deren einziges Ziel nur sein kann, sich selbst zu überwinden. Somit ist die Schaffung des Proletariates der erste Schritt zu seiner Überwindung. Die Verwirklichung dieser Überwindung vollzieht sich, indem die Selbstentfremdung zunächst
"die Massen ergreift" und zur "materiellen Gewalt" wird, die dann den letzten Klassenkampf der Menschheit zugunsten des Proletariats beendet.[6]

2.4 Kritik der politischen Ökonomie:
Durch seine streng materialistische Geschichtsauffassung, die aus der Kritik einer Philosophie erwächst, die noch weitgehend ohne spezifisch ökonomische Fundierung ist, kommt Marx zu der Erkenntnis, daß die Politik und ihre Geschichte aus den ökonomischen Verhältnissen und ihrer Entwicklung zu sehen ist. So entsteht eine enger Bezug von materialistischer Geschichtsauffassung und ökonomischer Wissenschaft, die in der Marxschen Theorie eine tragende Rolle spielt. "Der Klassenkampf wird also in erster Linie ökonomisch begründet werden müssen ...".[7]
In der kapitalistischen Ökonomie wird alles zur Ware, so auch das Produkt gesellschaftlicher Arbeit, das seinen Warencharakter dadurch gewinnt, daß es nicht zum Gebrauch des Herstellers, sondern zum Tausch mit anderen Produkten produziert wird. In diesem Tausch erhalten die Produkte ihren Wert. Dieser Wert entsteht nicht in der Nachfrage nach den Produkten, er ist vielmehr Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses: Den Wert der Ware bestimmt die Arbeitszeit, die für dieses Produkt aufgebracht werden muß.[8]
Unter den Bedingungen der bürgerlichen, also allein auf Tausch gerichteten Produktion, vergegenständlicht sich die Arbeit notwendig zur Ware. Marx spricht hier vom Warenfetischismus der bürgerlichen Welt.

2.4.1 Mehrwert und Akkumulation des Kapitals
Für seine Arbeitskraft, die der Proletarier als Ware anbietet, wird er langfristig nie mehr bekommen, als es bedarf, um die Arbeitskraft zu reproduzieren, das ist, ihn und seine Familie am schieren Leben zu erhalten.
Doch der Wert seines Arbeitsproduktes übersteigt seinen Lohn, so daß ein Mehrwert entsteht, der aber nicht ihm, sondern dem Unternehmer zukommt, welcher den Mehrwert in Kapital umwandelt. Dieser Vorgang der Akkumulation von Kapital ist bezeichnend für die bürgerliche Ökonomie. Diese Verfahrensweise polarisiert die Gesellschaft: Je mehr das Kapital der großen Unternehmer wächst, desto mehr kleine unabhängige Existenzen werden zur Masse der Lohnarbeiter herabgedrückt, die zur Verelendung verdammt ist. Diese Verelendung ist mit dem Wachsen des Kapitals unlösbar verknüpft. ("Verelendungstheorie")

2.4.2 Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse
Die Entwicklung der Produktivkräfte, also die Mittel und die Art und Weise menschlichen Einwirkens auf die Natur für die Güterproduktion, spaltete erstmals in der Zeit der antiken Sklavenhaltergesellschaft die Gesellschaft in Besitzende und Besitzlose. Die Schaffung neuer Produktionsmittel förderte die Produktivkräfte; die Produktivität wuchs. Wer nun die Produktionsmittel besaß, der konnte die mittellosen Lohnarbeiter für sich arbeiten lassen und ihren Produktionsüberschuß zu seinem Reichtum anhäufen.
"Also sind die bestehenden Produktionsverhältnisse dadurch gekennzeichnet, daß die Klasse derer, die im Besitz der Produktionsmittel ist, die mittellose Klasse ausbeutet."[9]
Auf diesen wirtschaftlichen Grundlagen ("Unterbau") entwickelt nach Marx die herrschende Klasse einen, für sie nutzbringenden juristischen und politischen "Überbau", dem bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen.
Die Produktivkräfte entwickeln sich innerhalb bestimmter Produktionsverhältnisse (Eigentums-, Verteilungs-, Kooperationsverhältnisse) zu immer größerer Perfektion, bis die starren gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse aus "Entwicklungsformen zu Fesseln für ihre weitere Entwicklung"[10] werden und die damit entstehenden Spannungen zur revolutionären Umwälzung der Produktionsverhältnisse führen.

2.5 Diktatur des Proletariats
Nach Marxistischer Doktrin bringt der Fortgang der Geschichte nur eine Auflösung für die kapitalistische Welt: Die "Expropriateurs werden expropriiert", d.h. die Enteigner werden enteignet. Die Revolution geht der Diktatur des Proletariats voraus. Diese leitet zur klassenlosen Gesellschaft im vollendeten Kommunismus, dem "aufgelösten Rätsel der Geschichte", über.
Der private Besitz der Produktionsmittel, die Verneinung aller Freiheit, wird selber verneint werden, also werden die Produktionsmittel in der Hand der Arbeiter sein. Damit hat der Arbeiter wieder Verfügung über sein Arbeitsprodukt. Die Entfremdung ist damit aufgehoben.

3. Merkmale einer marxistische Literaturtheorie:
Es soll an dieser Stelle klar werden, daß es kein geschlossenes Theoriengebilde einer einzigen marxistischen Literaturtheorie geben kann.
"Es widerspräche nicht nur der Prozeßhaftigkeit der historisch- materialistischen Theorie und Praxis, ein erstarrtes, unveränderliches System zu konstruieren, sondern marxistische Literaturwissenschaft kann grundsätzlich nur Explikation und nicht System sein, weil der Marxismus keine (Literatur-) Wissenschaft ist, vielmehr eine enthält."[11]
Es hat von Anfang an mehrere Varianten, bzw. verschiedene Richtungen marxistischer Literaturtheorie gegeben, die aber allesamt auf bestimmten Voraussetzungen, bzw. Grundprinzipien basieren. Im folgenden sollen also die zentralen theoretischen Bestimmungen der marxistischen Literaturtheorie, wie sie bei Marx, Engels und Lenin formuliert worden sind, herausgearbeitet werden.

3.1. Basis und Überbau: Widerspiegelung als erkenntnistheoretische Grundlage [12]
"Die marxistische Literaturwissenschaft arbeitet mit dem erkenntnistheoretischen Modell von Basis und Überbau."[13] Dabei ist Literatur -eingebettet in die gesamthistorischen Prozesse der Gesellschaft- ein Bewußtseinsphänomen des gesellschaftlichen Überbaus, daß aus der ökonomischen Basis einer Gesellschaftsform herauswächst.
"Sie gehört zur Gesamtheit jener gesellschaftlichen Ideen, die für eine bestimme Gesellschaftsform charakteristisch sind, die auf den jeweiligen materiellen Verhältnissen basiert".[14]
Als ein solches Bewußtseinsphänomen spiegelt die Literatur das gesellschaftliche Sein, die reale Basis, wider.
Diese Widerspiegelung dient als Grundlage für die Beziehung von Basis und Überbau.
"Erkenntnistheoretischer Ausgangspunkt ist, daß der Gegenstand der Erkenntnis, die objektive Realität, unabhängig und außerhalb vom erkennenden Subjekt, dem gesellschaftlichen Menschen, existiert und von diesem in einem komplizierten Erkenntnisprozeß auf der Grundlage der Praxis bewußtseinsmäßig erfaßt und in ideellen Abbildern (...) widergespiegelt wird (...)."[15]
Literatur ist als geistige Produktivkraft mehr oder weniger unmittelbar mit den materiellen Produktivkräften, der realen Basis also, verknüpft. Bei einer rascheren Entwicklung der Produktivkräfte gegenüber den Produktionsverhältnissen - die Voraussetzung des historischen Fortschritts - entwickelt sich auch ein Teil der Literatur im progressiven Sinne. Also "spiegelt und befördert Literatur den historischen Fortschritt"[16]
An dieser Stelle tritt die wertende Unterscheidung zwischen "guter" bzw. "wertvoller" und "schlechter" Literatur auf. Nur "wertvolle" Literatur kann die Widerspiegelung und die Beförderung des historischen Fortschritts leisten.

3.2. Realismus
Wertvolle Literatur ist für Marxisten realistische Literatur. Sie hält den Entwicklungsstand der materiellen Produktivkräfte und entwickelt sich mit ihnen progressiv mit. Sie wird deshalb realistische Literatur genannt, weil sie die tatsächlichen Verhältnisse in der Gesellschaft widerspiegelt, also ihren "Bezug zur objektiven Klassenwirklichkeit" offenbart.[17]
Realistische Literatur soll Erkenntnisse über das Wesen der realen Welt vermitteln; dies mit ihren spezifisch ästhetischen Mitteln: "Nur im Gewande des Schönen, Erhabenen, Tragischen, Komischen usw. vermag Kunst ihrer Erkenntnisfunktion gerecht zu werden."[18]Hier wird klar, daß Literatur nicht nur ideologisches Format im Sinne der Marxisten haben darf. Die "Sozialistische Qualität" eines Werkes ist zwar wesentliches Kriterium seiner Beurteilung, doch um "künstlerisch wirksam zu werden", muß hinter ihm "die ganze Kraft der Künstlerpersönlichkeit, die subjektive Überzeugung, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit stehen."[19]
Für Marxisten nicht realistische Literatur hingegen verzerrt die Wirklichkeit und ist nicht "objektiv"; sie heißt "dekadente" Literatur.
Aus dem zentralen Begriff "Literatur des Realismus" leiten sich durch definitorische Verschärfung die Begriffe "Literatur des bürgerlichen Realismus" und "Literatur des sozialistischen Realismus" ab.
Bürgerlich realistische Literatur spiegelt objektiv die widersprüchlichen Verhältnisse der bürgerlicher Gesellschaft wieder. Sie bedeutet außerdem noch die "Treue des Details" und die "getreue Wiedergabe Typischer Charaktere unter typischen Umständen". Die Individualität tritt hier gegenüber dem Typischen zurück.
Für den sozialistischen Realismus wird die Widerspiegelung der Verhältnisse der sozialistischen Gesellschaft gefordert; die "Errungenschaften des Sozialismus" sollen aufgezeigt werden.[20]

3.2.1 Die "Sickingen Debatte":
In der sog. "Sickingen Debatte" kritisieren Marx und Engels mangelnde "realistische" Sichtweise: Ferdinand von Lassalles Drama "Franz von Sickingen" sollte ein Revolutionsdrama sein, daß das Scheitern der Revolution von 1848 aufarbeiten sollte. Marx kritisiert in einem Brief an Lassalle, daß er satt der bäuerlichen Massen die Vertreter der Ritterpartei, einer "untergehenden Klasse", zum "historischen Subjekt" macht.
Nach Marx "mußten Sickingen und Hutten untergehen, weil sie in ihrer Einbildung Revolutionäre waren, (...) sich einerseits zu Organen der modernen Interessen machten, andrerseits in der Tat aber ein reaktionäres Klasseninteresse vertraten." Besonders die bäuerlichen Massen, "deren Entwicklung = negiertem Rittertum"[21], hätten als progressives Element die entscheidende Rolle spielen müssen. Außerdem hat Lassalle das Scheitern der historisch notwendigen Bewegung zu sehr als individuelles Schicksal Sickingens und nicht als das einer progressiven Klasse dargestellt. Marxistisch realistische Sichtweise hat hier klare Positionen: "Geschichte ist die Geschichte der Klassenkämpfe; Privatschicksale müssen in ihrem Bezug zur 'objektiven' (Klassen-) Wirklichkeit stehen."[22]

3.3. Parteilichkeit
Eine realistische Sichtweise, bzw. Schreibweise hat Parteilichkeit des Schriftstellers zur Konsequenz. "Realistische Schreibweise erfordert einen klassen- und geschichtsbewußten Schriftsteller, sie fordert dessen Parteinahme für eine Politik des Fortschritts."[23]
Der Literat soll sich bei seiner Arbeit seinen gesellschaftlichen Standort reflektieren, sich zu seiner Partei bekennen und aus Sicht dieser Erscheinung erkennen, beschreiben und bewerten. Hierbei offenbart der Schriftsteller seine Verbundenheit mit der Arbeiterklasse. Nur so kann Literatur ihre "didaktische" Rolle im Klassenkampf erfüllen.
Parteilichkeit kann ggf. zur Parteiliteratur führen. Lenin hierzu: "Wer sich zu einer politischen Partei bekennt, sollte auch von ihr in Dienst genommen werden können; er wird also auch bei Bedarf Parteiliteratur liefern." Lenin geht sogar noch weiter: "Die Literaten müssen unbedingt Parteiorganisationen angehören. Verlage und Lager, Läden und Leseräume, Bibliotheken und Buchvertriebe- alles dies muß der Partei unterstehen und ihr rechenschaftspflichtig sein."[24] Die Notwendigkeit der Parteilichkeit sieht Lenin untrennbar mit dem strategischen Zielen der proletarischen Revolution verbunden: Erst wenn sich der Schriftsteller in den Dienst der Partei stellt, wird er die Freiheit erlangen, die ihm in der kapitalistischen Welt durch seine ökonomische und ideologische Abhängigkeit versagt geblieben ist.

3.4. Volkstümlichkeit:
Volksverbundenheit und Volkstümlichkeit ist ein weiteres Charakteristikum der marxistischen Literaturtheorie, d.h. der sozialistischen, realistischen und parteilichen Literatur.
Die Begriffe "Volksverbundenheit" und "Volkstümlichkeit" werden in Regel synonym gebraucht; dennoch gibt es eine Unterscheidung:
"Volksverbundenheit" charakterisiert die Haltung des Autors, der durch seine Werke die Zugehörigkeit zu seinem Volk dokumentiert. Er nimmt dessen Interessen wahr und greift sie auf. Der Literat versucht also, mit seinem Werk eine Verbindung zwischen sich und dem Volk zu schaffen. Dies wird erreicht, indem er die Sprache des Volkes spricht.
Volkstümlichkeit eines Literaten kann die Folge seiner Volksverbundenheit sein. Das Volk honoriert die Bemühungen des Schriftstellers, akzeptiert ihn und macht ihm populär.[25]
Berthold Brecht definiert volkstümlich:
"Volkstümlich heißt: den breiten Masse verständlich, ihre Ausdrucksform aufnehmend und bereichernd / ihren Standpunkt einnehmend, befestigend und korrigierend / den fortschrittlichsten Teil des Volkes so vertretend, daß er die Führung übernehmen kann, also auch den andern Teilen des Volkes verständlich / anknüpfend an die Traditionen, sie weiterführend / dem zur Führung strebenden Teil des Volkes Errungenschaften des jetzt führenden Teils jetzt übermittelnd."[26]
Die Volksverbundenheit der sozialistischen Literatur ist ein Kennzeichen für ihre erzieherische Aufgabe. "Die Volksmassen sollen mit solchen Kunstwerken erreicht werden, die sich der Gestaltung revolutionärer sowie herangereifter ideologischer, geistiger, moralischer Probleme annehmen und die in enger Beziehung zur historischen Mission der Arbeiterklasse stehen"[27]
Es geht primär also nicht um eine große Verbreitung der Literatur, sondern um eine gezielte Aufklärung des Volkes im Klassenkampf.

4. Ergebnisse:
Der historische und der dialektische Materialismus bilden die Kernpunkte der marxistischen Theorie, die aus der Kritik an den gegeben politischen Verhältnissen erwächst.
Auf den theoretischen Grundlagen marxistischer Theorie basierend, erklärt sich marxistisches Literaturverständnis, daß keine geschlossene Literaturtheorie sein kann, da diese Theorie vom Stand der sich ändernden gesellschaftlichen Entwicklung abhängt.
Marxistische Literaturtheorie arbeitet auf der erkenntnistheoretischen Grundlage von Basis und Überbau. Als Bewußtseinsphänomen des Überbaus
spiegelt Literatur die reale Basis wider.
Alle marxistischen Literaturtheorien beschäftigen sich nur mit der Ausarbeitung der theoretischen Bestimmung für "wertvolle" Literatur, was sie als normative Literaturtheorien kennzeichnet.
Wertvolle Literatur, im Sinne der Marxisten, heißt realistische Literatur. Im Gewande des schönen charakterisiert sie die bestehenden, sozialistischen Verhältnisse.
Mit dieser bewußten Stellungnahme zum Sozialismus ist die "Parteilichkeit" und "Volksverbundenheit" des marxistischen Schriftstellers verbunden: Literatur ist nicht eine Sache von individueller Weltanschauung, sondern hat von den theoretischen Bestimmungen des Marxismus auszugehen; nur so kann sie ihrer didaktischen Rolle im Klassenkampf nachgehen. Denn wenn der Literat zusammen mit der Partei klar seine Sache vertritt, wird er auch vom Volk verstanden und geliebt werden.
Realistische, parteiliche und volksverbundene Literatur soll qualitativ wirken: Es geht nicht um weite Verbreitung von Literatur, sondern um gezielte Aufklärung im Klassenkampf.

5. Literaturverzeichnis:


Gutzen, Dieter, Oellers, Norbert, Petersen, Jürgen H.:
Einführung in die neuere deutsche Literaturwissenschaft. Ein Arbeitsbuch. 6. Auflage. Berlin 1989 (Zitat: Gutzen)
Hauff, Jürgen (u.a.):
Methodendiskussion. Arbeitsbuch zur Literaturwissenschaft. 1. Auflage. Band 2. Frankfurt am Main 1972 (Zitat: Hauff)
Jansen, Josef (u.a.):
Einführung in die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts. 1. Auflage. Band 1. Opladen 1982 (Zitat: Jansen)
Marx, Karl:
Die Frühschriften. Hrsg. von Siegfried Landshut. 1. Auflage. Stuttgart 1968 ( Zitat: Marx, Frühschriften)
Vaßen, Florian:
Methoden der Literaturwissenschaft II: Marxistische Literaturtheorie und Literatursoziologie. 2. Auflage. Düsseldorf 1972 (Zitat: Vaßen)


[1]Jansen, S. 241
[2]vgl. Hauff, S. 105
[3]Gutzen, S. 191 f
[4]vgl. Hauff, S. 107
[5]vgl. Hauff, S. 107
[6]vgl. Hauff, S. 108
[7]Gutzen, S. 194
[8]Hauff, S. 112
[9]Gutzen, S. 193
[10]vgl. Gutzen, S. 207
[11]Vaßen, S. 9
[12]Vaßen, S. 17
[13]Vaßen, S. 17
[14]Gutzen, S 195
[15]Vaßen, S. 19 f
[16]Gutzen, S. 195
[17]Gutzen, S. 196
[18]vgl. Gutzen, S. 201
[19]vgl. Gutzen, S. 201
[20]Gutzen, S. 196
[21]vgl. Gutzen, S. 208 f
[22]Gutzen, S. 196
[23]Gutzen, S. 197
[24]vgl. Gutzen, S. 210
[25]Gutzen, S. 198 Anm. 2
[26]Gutzen, S. 212
[27]Gutzen, S. 198 ff