#!/usr/bin/perl print qq§Content-Type: text/html §;


Einleitung
Die veröffentlichte Meinung zeigt sich zunehmend besorgt über einen angeblichen Anstieg der Kinder- und Jugendkriminalität. Es werden Forderungen laut, die eine Änderung "der Gesetzgebung" wollen. Das für das Jugendstrafrecht relevante Gesetz ist das Jugendgerichtsgesetz. Mit diesem Gesetz beschäftigt sich das erste Kapitel dieser Arbeit.
Die veröffentlichte Meinung in Bezug auf die Kinderkriminalität wird im zweiten Kapitel exemplarisch am Beispiel der Ausgabe 15/98 des "Spiegel"s untersucht und im dritten Kapitel diskutiert.

1 Das Jugendgerichtsgesetz (JGG)

Mit der Entdeckung der Jugend Ende des 18. Jahrhunderts, rückt diese Gruppe nicht nur in das Bewußtsein und Blickfeld der Öffentlichkeit und der staatlichen Institutionen, sie erhält auch ein besonderes Rechtssystem. Dieses Sonderrecht befindet sich seit seinen Anfängen stets zwischen den Polen: Gewährung besonderer Schutzräume und intensivem Eingreifen in die Lebensführung seiner Adressaten. (vgl. Schuldzinski, W., 1992 zit. in BGEx ´94: Jugend und Strafe).
Mit der Einführung des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) entstand in Deutschland 1923 nicht nur das erste Spezialstrafrecht für Jugendliche, sondern auch der Begriff der Jugendkriminalität.
Das JGG wurde erstmals 1943 reformiert und hieß RJGG. Kennzeichnend war u.a. die Herabsetzung der Straffähigkeit auf 12 Jahre gegenüber sogenannten "Volksschädlingen" und "Minderwertigen" (beispielsweise Wiederholungstätern), aber auch einer größeren Toleranz gegenüber "typischen" Jugenddelikten. Diese vom NS-Regime geprägten Änderungen wurden 1953 teilweise wieder zurückgenommen (JGG 1953). Dieses Gesetz blieb dann fast vierzig Jahre gültig. 1990 wurde es mit dem 1. JGG-Änderungsgesetz "unter dem Druck der Praxis bereits gelebter Reformen" erstmalig in der Bundesrepublik reformiert (vgl. Schuldzinski, W., 1992 zit. in BGEx ´94: Jugend und Strafe).
Zum Jugendstrafrecht gehört der Deliktskatalog des allgemeinen Strafrechts (StGB) sowie des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG), der Straßenverkehrsordnung (StVO) und des sog. Nebenstrafrechts (z.B. das Betäubungsmittelgesetz BtMG). Handlungen, die mit einer Strafe belegt sind, sogenannte Tatbestände, gelten allgemein und werden nicht nach Alter unterschieden. Eine besondere Betrachtung "typischer Jugenddelikte", wie im RJGG, gibt es im heute gültigen JGG nicht. Das Jugendstrafrecht ist ein Verfahrens- und Sanktionsrecht. Der zentrale Gedanke ist die Erziehung. Der Begriff taucht an zahlreichen Stellen des JGG auf: So können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden (§ 5 (1) JGG) sowie Weisungen, die die Lebensführung der Jugendlichen regeln und dadurch Erziehung fördern und sichern sollen, gegeben werden (§ 10 (1) JGG), aber auch Kurzarrest kann erzieherisch wirksam erscheinen (§ 16 (3) JGG) und sogar die Jugendstrafe in der Jugendstrafanstalt ist erzieherisch wirksam zu bemessen (§ 18 (2) JGG) - Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten nicht (§ 18 (1) JGG). Trotz vielfältiger Erwähnung ist der Begriff Erziehung nicht im JGG definiert.
Straftaten werden nach dem JGG dann geahndet, wenn ein Jugendlicher zur Zeit der Tat nach seiner geistigen und sittlichen Entwicklung in der Lage ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen und im Sinne dieser Einsicht zu handeln (§ 3 JGG). Kinder sind, wenn sie zur Tatzeit unter vierzehn Jahre alt sind strafunmündig, und somit schuldunfähig (§ 19 StGB), das JGG gilt für diese Personen nicht (§ 1 JGG).
Die in der veröffentlichten Meinung häufig behandelte Kriminalität junger Menschen, beschäftigt sich, in der Sorge angeblich gestiegener Kinder- und Jugendkriminalität, oftmals mit strafunmündigen Kindern und fragt nach Ursachen, Lösungsansätzen und diskutiert auch das JGG.

2 Kinderkriminalität in der veröffentlichten Meinung am Beispiel der Ausgabe des "Spiegels" Nr. 15 vom 6.4. 98

In der Ausgabe 15/96 titelt der "Spiegel": "Die kleinen Monster. Warum immer mehr Kinder kriminell werden. Der Krieg unter Kindern."
Mit Hilfe der Kriminalstatistik des BKA zeigt der "Spiegel" ein starkes Anwachsen der an einer Straftat verdächtigten Menschen im Kinder- und Jugendalter und schreibt: "Weltweit registrieren Pädagogen, Kriminologen, Soziologen eine massive Zunahme der Kindergewalt." (Spiegel 15/98, S. 127, 128)

2.1 Ursache Medien

Eine Ursache des vom "Spiegel" angenommen Anstiegs der Kinder- und Jugendkriminalität sieht er im Medienkonsum dieser Gruppe: "Die Kids bekommen es täglich vorgeführt. Nie gab es soviel Werbung, so viele verlockende Dinge per Kabel auf den Bildschirmen in den Kinderzimmern." (ebd., S. 131). Eine Studie des Kommunikationswissenschaftlers Jo Groebel kommt zu dem Schluß: "Während es in der Vergangenheit für Schauspieler die Devise gab, der Wirklichkeit möglichst nahezukommen, bemüht man sich jetzt, in der Realität den Filmfiguren nahezukommen. Allen voran die Kinder. (...) Drei Stunden pro Tag, ermittelte Groebels als Weltschnitt, sitzen die Kids vor der Glotze. Am längsten im Messerstecher-Land Japan, am kürzesten im Programmarmen Afrika." (ebd. S. 134)
Neben dem Fernsehen wird auch das Internet als Ursache angeführt: "Dabei ist Kindergewalt mittlerweile weltweit verbreitet wie das Internet, das die Vorbilder per Mausklick in Gewaltdarstellungen und Horrorszenarien in jedes Kinderzimmer liefert." (ebd. S.128). Das Internet sei laut Groebels noch gefährlicher als das Fernsehen. Er sehe im vernetzten Kinderzimmer "fast eine Zeitwende", denn im Internet entsteht "eine Explosion von Gewaltdarstellungen, hinter denen alles, was aus dem Fernsehbereich bekannt ist, total verblaßt."(ebd. S.134).

2.2 Die Täter

Schon im Titel, aber auch im Artikel werden straffällig gewordene Kinder als "kleine Monster" bezeichnet. Exemplarisch werden einige Gewalttaten und andere Vergehen beschrieben. Als Ursache hierfür wird u.a. auch der Medienkonsum angeführt, wie am Beispiel des dreizehnjährigen Christians. Dieser habe von seinem Onkel regelmäßig Gewaltvideos bekommen und aus diesem Grund sich nach seinem Vorbild, dem "Killer-Zombie Joson" mit einer selbstgemachten Maske und einem Buschmesser, sowie einer Axt ausgerüstet und so eine "alte Dame aus der Nachbarschaft" und seine zehnjährige Cousine lebensgefährlich verletzt. "Gleich darauf lief er zu seinen Eltern, stotterte herum, dann brach es aus ihm heraus: `Ich hab´ der Sabine aufi g´haut.'"(ebd. S. 134)
Geschildert wird auch der Fall eines dreizehnjährigen Jasmin aus Berlin: "Der Junge mit dem lieblichen Namen aus dem Bürgerkrieg vom Balkan ist in Berlin 100mal bei Straftaten erwischt worden. (...) Für den kleinen Bosnier bot sich nur die Chance, die als letzte fragwürdige Möglichkeit allerorten genutzt wird: Unterbringung in die Psychiatrie. (...) Nach einer Weile - als geheilt? - entlassen, rastete er umgehend aus. Am ersten Tag der Freiheit griff er zwei Jugendliche mit dem Messer an und raubte ihnen Geld. Dann suchte er sich zwei Komplizen und überfiel einen erwachsenen Mann. Dem brach er das Nasenbein und nahm ihm die Brieftasche weg." (ebd. S. 130)
Auch über den Fall des Jungen Gino wird berichtet: "Gino ist deutscher Zigeuner und darauf ist er stolz. Wenn der Junge dem Nürnberger Polizisten Werner Schneider (Name vom "Spiegel" geändert) sein `Zigeuner-Ehrenwort' gab, `daß ich in den nächsten zwei Tagen nicht einbreche', dann hielt er sich daran. (...) `Wir waren die ersten', sagt Schneider, `die dem Buben gesagt haben, daß Stehlen nicht in Ordnung ist.'" (ebd. S. 131). "Gino hat einer erlebnispädagogischen Maßnahme zugestimmt und lebt heute in einem kleinen Dorf in Griechenland. "Ende diesen Monats muß er sich entscheiden, ob er dort bleibt oder ob er nach Nürnberg zurückkehren will. `Dann ist er verloren', sagt Polizist Schneider." (ebd.)

2.3 Ursachen und Umgang mit der Kinderkriminalität

Laut "Spiegel" wurde der Polizist zu einer väterlichen Figur, der sich zwei Monate lang täglich mit ihm traf. Er übernahm die Rolle eines Sozialarbeiters: "Ich mußte sein Vertrauen gewinnen und den Schlüssel zu seiner Persönlichkeit finden." (ebd. S. 131). Während Polizisten Funktionen eines Sozialarbeiters übernehmen, bekommen Sozialarbeiter der Jugendhilfe laut "Spiegel" die Funktion eines Jugendrichters: "Sie dürfen fast alles anordnen, was auch ein Jugendrichter darf, nur dürfen sie die Kinder eben nicht in den Knast schicken." (ebd. S. 130). Für den Rostocker Generalstaatsanwalt (vom "Spiegel" als "Law-and-Order-Politiker" bezeichnet) haben sowohl die Jugendämter, als auch die Vormundschaftsgerichte total versagt. Es sei in großer Sorge, bezüglich der Jugendkriminalität (ebd. S. 130) und fordert die Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre (ebd. S. 137).
Eine Ursache der Kinder- und Jugendkriminalität lege in der "antiautoritären Erziehung" und der "Praxis böse Kinder einfach gewähren zu lassen. (...) Die Duldung von Aggression wirkt verstärkend. Aggressive Kinder müssen gestoppt werden, nicht belohnt." (ebd. S. 136). Dazu müsse es laut Christian von Wolfersdorf, Leipziger Professor für Sozialpädagogik, "Pädagogen geben, die sich sofort und intensiv um aggressive Kinder kümmern." (ebd.) In diesem Sinne wird auch der ehemalige Generalstaatsanwalt von Kiel, Heribert Ossendorf ("als Professor Experte für Jugendstrafrecht") zitiert: "Es gibt keinen anderen Ausweg, als mit sozialpädagogischer Intensivbetreuung diese Kinder wieder auf den geraden Weg zu bringen." (ebd.). Hier stellt sich der "Spiegel" die Frage, ob denn für jedes straffällige Kind ein "staatlich bezahlter Erzieher" abgestellt werden soll; und bejaht diese, denn "ein Platz in einem geschlossenen Heim kostet pro Tag zwischen 400 und 600 Mark. Und ganz gewiß werden Kinder hinter Gittern nicht besser, sondern schlechter." (ebd. S. 136.)

3 Diskussion

3.1 Anstieg der Kinder- und Jugendkriminalität

Der "Spiegel" geht von einem weltweiten Anstieg der Kriminalität bei Kindern und Jugendlichen aus. Herzog, F. ( zit. in BGEx ´94: Jugend und Strafe) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Diskussion um den Anstieg der Jugendkriminalität "hoch dramatisiert, aber wenig sachkundig geführt wird." Die vielfach beklagten Anstiegsraten der letzten Jahre seien im wesentlichen auf Diebstahlsdelikte zurückzuführen. Sogenannte Roheitsdelikte, wie Raub und Körperverletzung würden "mit einer Kriminalitätsbelastung von weniger als 0,5% nur einen untergeordneten Rang" einnehmen. Gerade weil diese Kriminalitätsformen eine so geringe Bedeutung haben, habe ein Anstieg dieser Delikte von nur weniger als 100 Fällen pro Jahr in der Statistik eine enorme Steigerung zur Folge. Daraus auf eine Verrohung der Jugend zu schließen, sei nicht aufrecht zu erhalten.
Zu ähnlichen Schlüssen kommt Krauß, D. ( zit. in BGEx ´94: Jugend und Strafe) der darauf verweist, daß bei der Betrachtung der Jugendkriminalität in den letzten 100 Jahren an Hand der Verurteiltenzahlen das Ausmaß der Jugendkriminalität relativ gering geblieben ist.
Kraus weist darauf hin, daß junge Menschen meist nur relativ einfache und unkomplizierte Delikte begehen, und dies in einer oft unüberlegten Art und Weise. Gerade aus diesem Grund fallen sie im Vergleich zu Erwachsenen eher auf. Jugendliche werden demnach leichter als Tatverdächtige auffallen, verurteilt und registriert werden. Keinesfalls dürfe man davon ausgehen, daß straffällige Jugendliche im Erwachsenenalter auch straffällig würden: "Bei der offiziell registrierten Delinquenz ist die Existenz des sogenannten `Peak-Age', nach dessen Erreichen die Delinquenz spontan zurückgeht (Spontanremmision), gesicherte Erkenntnis der internationalen Forschung." (ebd.)

3.2 Darstellung der straffällig gewordenen Kinder

Während laut Krauß und Herzog (in BGEx ´94: Jugend und Strafe) Kinder und Jugendliche vorwiegend einfache Delikte begehen, beschreibt der Spiegel Kinder, die entweder schwerste Gewalttaten begehen, oder ständig auffällig sind.
Auch die Auswahl und Beschreibung der Kinder ist bemerkenswert: "Gino ist deutscher Zigeuner und darauf Stolz" (Spiegel 15/98, S.113), "der Junge mit dem lieblichen Namen aus dem Bürgerkrieg in Bosnien" (ebd. S.130). Die Straftaten begehenden Kinder, die als "kleine Monster" bezeichnet werden, gehören Minderheiten an - dies wird auch deutlich, wenn die Kinder zitiert werden: "Ich hab´der Sabine aufi g´haut" (ebd. S. 134).

3.3 Fazit

Die von Herzog und Kraus (in BGEx ´94: Jugend und Strafe) gewonnen Erkenntnisse stehen im Widerspruch zu der im "Spiegel" veröffentlichten Darstellung der Kinderkriminalität. Es erscheint angebracht, die Diskussion über die Kinder- und Jugendkriminalität zu versachlichen und nicht zum Gegenstand der Erhöhung von Auflagen oder Einschaltquoten der Medien zu machen.

Literaturverzeichnis



BGEx '94: Jugend und Strafe. Reader zum Seminar.Cooperation for Peace Germany e.V. in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozeßrecht, Prof. Krauß,der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Riga und Berlin, 1994.
Der Krieg unter Kindern. In: Der Spiegel Nr.15/98. Hamburg.
Herzog, Felix. Skript zur Vorlesung Jugendstrafrecht. Berlin: Humboldtuniversität
Kraus, Deltef. Skript zur Vorlesung Strafprozeßrecht. Berlin: Humboldtuniversität
Schuldzinski, Wolfgang. Jugend(kriminal)recht in Deutschland und Frankreich. Bonn: Forum Verlag Godesberg, 1992.