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Inhalt
Einleitung
I. Literaturgeschichtliche Einordnung des Autors
1. Biographisches
2. Chesterton the Edwardian
3. Father Brown Stories
II. Die Theorie des Strukturalismus
III. Strukturalistische Analyse von
The Honour of Israel Gow
IV. Abschließende Betrachtung
& Bibliographie
ANHANG

Einleitung
"It is the beginning of all true criticism of our time to realize that it has really nothing to say, at the very moment when it has invented so tremendous a trumpet for saying it." (Gilbert Keith Chesterton 1923 [http://www.chesterton.org/acs/quotes.htm am 6.3.98])
Nach diesem Motto möchte ich meine Belegarbeit beginnen, in der ich versuchen werde, eine von G. K. Chestertons Father Brown Stories unter struktaralistischen Gesichtspunkten zu analysieren und zu interpretieren. Auch wenn Chesterton sicherlich nicht literarische Interpretationstheorien meinte, als er im vorangestellten Zitat von "criticism" sprach, so läßt sich dieser Satz ohne weiteres auf meine Aufgabenstellung übertragen: Meine "Trompete" für die Analyse von "The Honour of Israel Gow" ist die Theorie des Strukturalismus. Ich hoffe lediglich, daß es mir entgegen Chestertons Einwand gelingen wird, dieser Trompete auch einige klare Töne zu entlocken.
Die literaturgeschichtliche Einordnung Chestertons kann leider nur relativ oberflächlich geschehen, da aufgrund der immensen Menge von Untersuchungen zu diesem Thema, der Platz für eine umfassende Abhandlung an dieser Stelle nicht vorhanden ist.
Da ich diese Arbeit in Deutsch verfasse, obgleich der Gegenstand der Untersuchung englische Literatur ist, läßt es sich nicht vermeiden, daß (gerade im Analyseteil) auf bestimmte englische Termini im Text zurückgegriffen werden muß. Diese werden allerdings durch Kursivdruck hervorgehoben und so kenntlich gemacht.

I. Literaturgeschichtliche Einordnung des Autors
1. Biographisches
Gilbert Keith Chesterton wurde am 29. Mai 1874 in London geboren. Er wurde an der St. Paul's School und der Slade School of Art ausgebildet, heiratete 1901 Frances Blogg und zog mit ihr nach Beaconsfield (Buckinghamshire). Die Ehe blieb kinderlos.
Chesterton war wahrscheinlich der produktivste Schriftsteller seiner Zeit. Er schrieb tausende Essays für eine Londoner Zeitung (über jedes nur erdenkliche Thema), verfaßte mehr als 100 Bücher und mindestens 200 Beiträge für Bücher anderer Autoren. In seinen Schriften beschäftigt er sich mit Geschichte, Philosophie, Literaturkritik, politischen und sozialen Theorien und christlichen Apologien. Aber er war auch Lyriker, Dramatiker, Biograph und Autor von Detektivgeschichten. Chesterton kreierte den wahrscheinlich bekanntesten Priester in der Literatur des 20. Jahrhunderts: Father Brown.
1916 wurde er Chefredakteur eines wöchentlichen Journals, das sein Bruder Cecil ins Leben gerufen hatte: "The New Witness". Nach einiger Zeit veränderte er jedoch den Namen der Zeitung, fortan hieß sie "G. K.'s Weekly". Zusammen mit Hilaire Belloc gründete er das sog. "Distributest Movement", mit dessen Hilfe er gegen den Kapitalismus und den Sozialismus polemisierte, denn Chesterton war davon überzeugt, daß diese beiden Gesellschaftsordnungen grundsätzlich zu einer Anhäufung des Reichtums in den Händen einer kleinen Elite führen würden. Die lange und sehr gute Freundschaft zu Belloc brachte George Berhard Shaw dazu, den beiden den Zwillingsspitznamen "Chesterbelloc" zu geben.
Chesterton war auch wegen seiner häufigen Verwirrtheit bekannt. So gab er z.B. einmal folgendes Telegramm an seine Frau auf: "Am at Market Harborough. Where ought I to be?" (Father Brown Stories).

1922 trat er in die katholische Kirche ein; er war ein äußerst gläubiger Christ und stritt sich nicht selten mit Freunden und Schriftstellerkollegen über ihre Glaubensrichtungen. Er starb am 14. Juni 1936 im Alter von 62 Jahren in Beaconsfield.
2. Chesterton the Edwardian
Man ist sich in der Literaturgeschichtsschreibung einig: Chesterton ist ein hundertprozentiger Edwardian writer, d. h., er paßt in seine Zeit. P. N. Furbank beschreibt in seinem Aufsatz Chesterton the Edwardian den typischen Edwardian writer folgendermaßen:
"'Edwardian' is not an established term like 'Romantic' or 'Augustan', yet for me at least it has a fairly precise meaning. It suggests a writer formed by, and attuned to, the Harmsworth era. Shaw and Kipling were Edwardian writers in this sense, though not chronologically; and in saying this one is saying something about the nature of their imagination. What I mean is, that the imagination of the 'Edwardian' writer is nurtered not so much by the sap of nature as by printer's ink. Everything, even in Kipling, is there to make a case and can be coverted back into a case."1
Im Gegensatz zu Schriftstellern wie Yeats und Joyce, die ungefähr zur gleichen Zeit wie Chesterton zu wirken begannen, seien, so betont Furbank, die Edwardian writers, zu denen auch Wells zähle, sehr viel naturverbundener. Sie hätten ihre intellektuelle Weltanschauung unverdrossen und offen nach außen getragen, wie es sonst keine andere Gruppe von Schriftstellern je getan habe.
Chesterton wurde, wie die meisten seiner Schriftstellerzeitgenossen, auch stark von Oscar Wilde beeinflußt. Allein seine Lebensart, die Intellektualität stark nach außen zu tragen, verbindet ihn sehr mit Wilde. Aber es sind auch Ähnlichkeiten mit den Werken von Forster, Wells und Bennet erkennbar, beispielsweise das starke Engagement für die unteren Gesellschaftsschichten.
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1) P. N. Furbank (1974), a.a.O., S. 16

3. Father Brown Stories
Wie bereits erwähnt, ist Father Brown die bekannteste Figur, die Chesterton in seinen Werken entwickelte. Und es verwundert hierbei kaum, daß diese Figur auf einer realen Person basiert, denn Chesterton verarbeitete häufig seinen Bekanntenkreis in seinen Werken. Das reale Vorbild für diesen Charakter ist Father John O'Connor aus Bradford in Yorkshire, von dem Chesterton später auch in die katholische Kirche aufgenommen wurde. Als Chesterton eines Tages mit zwei Freunden bei O'Connor zu Besuch war und diese anschließend über die kriminellen Kenntnisse des Pfarrers ihre Verwunderung äußerten, war Chesterton über deren Naivität überrascht: Ein Mann, der sich jeden Samstag drei Stunden lang die Sünden seiner Mitmenschen anzuhören habe, meinte er, müsse doch zwangsläufig ein Experte auf dem Gebiet menschlicher Verdorbenheit sein. Das ist es auch, was Father Brown von den anderen Detektiven seiner Zeit unterscheidet: Er ist kein Kenner von irgendwelchen obskuren Giften, er löst seine Fälle auch nicht dadurch, daß er verschiedene Formen von Zigarettenasche unterschieden kann, er ist ein Menschenkenner, er versteht es, sich in die Psyche des Täters hineinzuversetzen und dadurch die Lösung des Kriminalfalls herbeizuführen.
Die Father Brown Stories wurden anfangs als Kurzgeschichten in der "Saturday Evening Post" veröffentlicht, bevor Chesterton aufgrund der großen Nachfrage in Produktionsschwierigkeiten geriet und sie schließlich nur noch in Sammelbänden herausbrachte. Da sich die Erzählungen beim Lesepublikum so großer Beliebtheit erfreuten, verfaßte Chesterton insgesamt fünf Geschichtensammlungen, in denen er den kleinen Priester auf Verbrecherjagd schickte. Die Titel der einzelnen Sammlungen lauten: The Innocence of Father Brown (1911), The Wisdom of Father Brown (1914), The Incredulity of Father Brown (1926), The Secret of Father Brown (1927) und The Scandal of Father Brown (1935).

II. Die Theorie des Strukturalismus
Die Abkehr von den gängigen Methoden der Literaturwissenschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts erforderte die Hinwendung zur Objektivität. Wurde im 19. Jahrhundert größtenteils unter Zuhilfenahme außertextlicher, extrinsischer Merkmale, z. B. häufig auf
biographischer Ebene, ein Text interpretiert, wollte man sich nun primär auf die formal-strukturellen Merkmale eines Textes konzentrieren. Russischer Formalismus, Prager Strukturalismus, New Criticism und Poststrukturalismus sind Schulen, die diesen Ansatz umzusetzen versuchten und dabei nichts anderes taten, als eine alte Theorie Aristoteles' zu ihrem Ausgangspunkt zu wählen. Denn bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. postulierte Aristoteles in seiner Poetik eine ähnliche Herangehensweise an das Drama. Aber auch der Schweizer Linguist Ferdinand De Saussure (Cours de linguistique générale; Erstveröffentlichung 1915) nahm entscheidenden Einfluß auf die Arbeit der Formalisten. Saussure sieht Sprache als ein "System von bloßen Werten, das von nichts anderem als dem augenblicklichen Zustand seiner Glieder bestimmt wird" (Saussure, Synchronische und diachronische Sprachwissenschaft, 1916) und er ist damit der erste, der Sprache als System von Zeichen begreift. Diese semiologische Herangehensweise war damals vollkommen neu und für die Entwicklung des Strukturalismus von großer Bedeutung. So greifen Claude Lévi-Strauss und Roland Barthes, zwei der bekanntesten Vertreter des Strukturalismus, dieses Konzept für ihre Überlegungen auf und bauen es aus.
Die formalistische Literaturanalyse stellt die Frage nach dem Verhältnis von Inhalt und Form: Behandeln die meisten anderen literaturwissenschaftlichen Methoden die Frage nach dem was, also nach der inhaltlichen Ebene eines Textes, interessiert die Formalisten vielmehr die Frage nach dem wie, nach der Form, eines Textes. Folglich werden biographische, historische, soziologische oder psychologische Ansätze bewußt vernachlässigt. Die Russischen Formalisten beschäftigen sich statt dessen beispielsweise mit Metrum, Reim, Rhythmus, sog. intrinsischen Aspekten eines Textes. Roman Jakobson, ein Vertreter des Russischen Formalismus, erklärt diese werkimmanente Vorgehensweise mit dem Begriff der Literaturhaftigkeit:

"Der Gegenstand der Literaturwissenschaft ist nicht die Literatur in ihrer Ganzheit, sondern die 'Literaturhaftigkeit', nämlich das, was ein gegebenes Werk zu einem literarischen Werk macht."2
Die strukturellen Elemente eines literarischen Textes bewirken eine Verfremdung, "indem sie dem Gewöhnungsprozeß der alltäglichen Sprache entgegenwirken und damit literarischen von nicht-literarischen Diskurs trennen."3 Auch Berthold Brecht greift diesen Ansatz später bei der Entwicklung seines epischen Theaters auf, als er den Verfremdungseffekt einführt, der es dem Zuschauer unmöglich machen soll, sich mit den von den Schauspielern dargestellten Rollen zu identifizieren. Der Schauspieler soll seine Rolle mehr rational erläutern als verkörpern. Sowohl den Formalisten als auch Brecht geht es also darum, die ">Künstlichkeit< eines Textes oder eines Kunstwerks durch selbstreflektierende Elemente hervorzuheben"4.
Wie die Namen schon deutlich machen, ist der entscheidende Unterschied zwischen Formalisten und Strukturalisten der Schritt von der Form zur Struktur. Der Terminus "Struktur" beinhaltet nämlich neben der Ebene der Form auch die des Inhalts: "Mit diesem operativen Eingriff [der erstmaligen Verwendung des Wortes Struktur anstelle von Form] ermöglicht er [Mukarovsky, der Hauptvertreter des tschechischen Strukturalismus] eine einheitliche Erfassung von Form und Inhalt."5
So werden nun auch Elemente untersucht, die eher auf inhaltliche Aspekte eines Textes abzielen: Charaktertypologien werden erstellt, mythologische und archetypische Ansätze kommen zur Anwendung.
Wegen der vielen Richtungen, in die der Strukturalismus driftet, ist es schwer, eine wirklich zusammenhängende, allgemeingültige Definition aufzustellen. Michael Lane
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2) Mario Klarer (1995), a.a.O., S. 15
3) ebenda
4) ebenda S. 16
5) Eckart Strohmaier (1977), a.a.O., S. 115

versucht es auf folgende Weise:
"(A) method whose primary intention is to permit the investigation to go beyond a pure description of what he perceives or experiences [...], in the direction of the quality of rationality which underlies the social phenomena in which he is concerned."6
Schlüsselkonzepte auf der Suche nach der "quality of rationality" sind meist jene, die auf binären Oppositionen basieren, z. B. dem Zusammenhang zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem, Tiefen- und Oberflächenstruktur, Synchronie und Diachronie oder Metapher und Metonymie.
III. Strukturalistische Analyse von The Honour of Israel Gow
Um G.K. Chestertons Father Brown Story nach strukturalistischen Gesichtspunkten analysieren zu können, muß logischerweise ein theoretischer Ansatz vorliegen, nach dem man systematisch vorgehen kann. Hier berufe ich mich auf Tzvetan Todorovs Aufsatz The typology of detective fiction.
Entweder man behandele Literatur im allgemeinen oder einen bestimmten Text, so Todorov. Es ist offensichtlich, daß ich mich mit nur einer Geschichte aus Chestertons Sammlung The Innocence of Father Brown befasse, nämlich The Honour of Israel Gow (der Text liegt im Anhang bei).
Zu Beginn möchte ich, ausgehend von Todorovs Text, einige Fragen formulieren, die ich in der Analyse sukzessive beantworten werde: Warum handelt es sich bei The Honour of Israel Gow um eine sog. whodunit? Geht Chesterton mit den Regeln von detective fiction konform? Wie werden die für whodunits typischen Zeitebenen in der vorliegenden Geschichte präsentiert und daran anschließend: Was ist die fable und was ist das subject in der Erzählung? Wird die Geschichte in der für whodunits charakteristischen Erzählsituation wiedergegeben?
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6) Robert Detweiler (1978), a.a.O., S. 17

Todorov untergliedert in seinem Essay detective fiction in drei Hauptgruppen, nämlich whodunit, Thriller und suspense novel. Chestertons Erzählung, die 1911 veröffentlicht wurde, paßt schon aus rein zeitlicher Sicht in das Schema des whodunit, denn diese Form der Kriminalerzählung erreichte ungefähr zwischen den beiden Weltkriegen ihren Höhepunkt. Somit kann festgestellt werden, daß die Father Brown Stories diese Bedingung erfüllen - The Innocence of Father Brown war schließlich der erste Sammelband der Serie. Die Nachfolger erschienen größtenteils in der vorgegebenen Zeitspanne. Aber von diesem äußerlichen Merkmal einmal abgesehen, liegt die eigentliche Definition des whodunit in dem Terminus selbst: Wer hat es getan? Diese Frage gilt es innerhalb der Geschichte zu klären. Und genau diese Frage wird in The Honour of Israel Gow auch geklärt. Allerdings, so kann man einräumen, steht in dieser Geschichte weniger das WER als vielmehr das WESHALB im Vordergrund. Es existiert zwar eine Leiche, der Earl of Glengyle, jedoch ist man sich nicht sicher, ob jener überhaupt ermordet wurde - die drei Detektive (Flambeau, Craven und Brown) sind anfangs primär an den Rätselhaftigkeiten im Schloß interessiert, also am Motiv der Person, die dort für eine solche Verwüstung sorgte. Der Täterkreis bleibt ohnehin durchgehend begrenzt, denn - von den drei Detektiven abgesehen - wird nur der ehemalige Bedienstete Glengyles, Israel Gow, regelmäßig und ausführlich beschrieben, und zudem leiht jener der Geschichte ihren Titel. Zugegeben: Aufgrund der Länge dieser Erzählung ist es nicht möglich, einen breiten Täterkreis einzuführen, dennoch müßte dem aufmerksamen Leser eigentlich relativ früh klar sein, wer für die seltsamen Taten im Schloß verantwortlich ist. Eindeutig formuliert wird es jedoch erst am Ende der Erzählung. Folglich wird das Kriterium (die Suche nach dem Täter) erfüllt.
Todorov behauptet, die whodunit par excellence müsse den Leser zwangsläufig immer enttäuschen, da sie ihre eigenen Genreregeln, an die sie gebunden ist, nicht überschreiten dürfe, wenn sie als whodunit gelten möchte. Denn sobald sie diese Genregrenzen überschreite, handele es sich um ein eigenständiges literarisches Werk, um high art. Popular art, zu der detective fiction zähle, folge grundsätzlich den Auflagen, den Mustern des vorgegebenen Genres. Und so sei es unmöglich, daß eine whodunit die

Genregrenzen sprenge. Daß es sich bei dem zu diskutierenden Text keinesfalls um ein Werk handeln kann, welches die Grenzen seines Genres überschreitet, wird schon durch die bloße Tatsache offensichtlich, daß es sich um einen Sammelband handelt, in dem der Protagonist immer wieder vor ähnliche Probleme gestellt wird. Aber ziehen wir ruhig die Kriterien von S.S. Van Dine zu Rate, die Todorov in seinem Text zusammengefaßt hat, und legen sie an Chestertons Text an:
1. In The Honour of Israel Gow gibt es (sogar mehr als) einen Detektiv, einen Täter
(obgleich er evtl. nicht als kriminell gelten kann) und eine Leiche (obgleich jene nicht
als Opfer im herkömmlichen Sinn bezeichnet werden kann).
2. Der Täter ist kein professioneller Krimineller, ist nicht der Detektiv und begeht seine
Tat aus persönlichen Gründen.
3. Liebe wird in der Erzählung nicht thematisiert.
4. a) Der Täter ist eine Art Butler, ein Angestellter ("groom") des Hausherrn! - klarer
Widerspruch!
b) Der Täter ist einer der Hauptcharaktere.
5. Alles wird rational erklärt.
6. Beschreibungen kommen vor, psychologische Analysen ebenfalls! - klarer Wider-
spruch!
7. Die Homologie "Autor : Leser = Täter : Detektiv" wird eingehalten.
Da nicht erklärt wird, was Van Dine unter "banal" versteht, lasse ich 8. beiseite.

Zu den Widersprüchen kann man einiges anmerken. Ich bezweifle, daß es viele whodunits gibt, die sämtliche Kriterien Van Dines erfüllen. Die Tatsache, daß in The Honour of Israel Gow psychologische Analysen vorkommen, kann m. E. nicht als Widerspruch anerkannt werde, da dies die eigentliche "Waffe" des Detektivs ist:
"Die psychologischen Motive einer Tat und die weltanschauliche Haltung, der sie entspringt, die seelischen Bedingungen unter denen ein >normaler< Mensch die Grenzen der moralischen Konventionen überschreitet - das, und nicht die Tat als solche, fesselt den ungewöhnlichen Privatdetektiv dieser Geschichten, den [...] scheinbar zerstreuten katholischen Priester."7
Eines bleibt allerdings unbestritten: Es handelt sich bei dem Täter um einen Stallburschen, folglich um einen Angestellten (im weitesten Sinne einen Butler, einen Diener) des Hauses. Diese Unstimmigkeit zu Van Dines Kriterienkatalog muß eingestanden werden. Die in der Erzählung auftauchenden Landschafts-, Natur- und Wetterbeschreibungen, für die Chestertons Father Brown Stories übrigens berühmt sind, spiegeln einerseits auf einer metaphorischen Ebene Komplikationen wider, die bei der Lösung des Falles auftreten (Hell-Dunkel-Metaphern), andererseits verleihen sie der Geschichte eine mystische Atmosphäre und wirken gleichzeitig leitmotivisch (vgl. z. B. die verschiedenen Windbeschreibungen). Sie erfüllen also durchaus einen sinnvollen Zweck, obwohl sie laut Van Dines Liste in einer whodunit nicht vorkommen dürften.
Einige Beispiele für Hell-Dunkel-Metaphern und Windbeschreibungen: "it's too dark to read" (S. 98); "the rapidly darkening room" (S. 98); "black pine wood" (S. 99); "The heady tempest without drove a dreadful wrack of clouds across Glengyle and threw the long room into darkness as Father Brown picked up the little illuminated pages to examine them" (S. 102); "'Black magic,' repeated Flambeau in a low voice, for he was to enlightened a man not to know about of such things" (S. 103); "only under the stress of wind it seemed laborious and long" (S. 104); "A mean enclosure, partly timber and partly wire, rattled in the tempest to tell them the border of the graveyard" (S. 105).
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7) Redaktion Kindlers Lexikon (1996), a.a.O., S. 937

Eine Detektivgeschichte besteht immer aus zwei Geschichten. Die erste ist die des Verbrechens, des Tathergangs, die zweite die der Ermittlung. In der reinsten Form haben diese Geschichten keine Gemeinsamkeit im zeitlichen Kontinuum. Die Charaktere der zweiten Geschichte genießen absolute Immunität im whodunit, d.h., sie sind unantastbar und unverwundbar. In unserem Text trifft dies alles zu. Die zweite Geschichte, die in der Chronologie des Textes als erste erzählt wird, berichtet von der Ankunft Father Browns im schottischen Dorf, wie er dort auf die beiden anderen Detektive trifft, wie sie gemeinsam das Schloß untersuchen, Vermutungen äußern, das Grab des Verstorbenen ausheben, um festzustellen, daß Glengyles Kopf fehlt und wie Father Brown am darauffolgenden Tag schließlich dazu in der Lage ist, den Fall zu lösen. Die erste Geschichte wird am Ende der Erzählung in einem langen Monolog von Father Brown dargelegt (S. 111 f.) und berichtet von dem seltsamen Verhältnis zwischen dem Erzbischof von Ogilvie und Israel Gow und deren "Vertrag" nach dem Ableben des ersteren. Alle Unklarheiten sind anschließend beseitigt.
Die russischen Formalisten unterschieden zwischen fable und subject. Fable (story - Geschichte) bezeichnet das rein chronologisch geordnete Nacheinander der Ereignisse und Vorgänge, also eine der Zeitlinie folgende Verkettung von Vorgängen, während subject (plot - Handlung) die Anordnung von Ereignissen, so wie sie der Autor (oder Erzähler) präsentiert, bezeichnet. Subject wird also gegenüber der fable u.a. durch Kausalität bestimmt und beinhaltet die literarischen Erzähltechniken des Autors, wie z.B. das Umstellen der Zeitlinie. In bezug auf Chestertons detective story kann man demnach die erste Geschichte, die des Tathergangs, als Beginn der fable bezeichnen, die zweite Geschichte, welche mit der Ankunft Father Browns in Glengyle beginnt, als Anfang des subjects, da sie nicht der eigentlichen Chronologie der Ereignisse folgt, sondern vom Erzähler (aus spannungstechnischen Gründen) aus der Perspektive der Detektive präsentiert wird.
Die Erzählsituation in The Honour of Israel Gow ist für eine ansonsten mehr oder weniger typische detective story zugleich ungewöhnlich und interessant. Üblicherweise

werden whodunits aus der Perspektive eines neutralen Beobachters, z.B. eines Freundes des Detektivs, beschrieben. Ein auktorialer Erzähler ist per Definition nicht möglich, da dieser den Leser mit sämtlichen Informationen versorgen könnte und so die Spannung sehr schnell verloren ginge. Dennoch handelt es sich bei der vorliegenden Geschichte nicht um eine personale Erzählsituation, sondern um einen auktorialen Erzähler. Dieser agiert jedoch selektiv - er ist zwar in der Lage, sich in die Gedanken aller drei Detektive (multipel) zu versetzen (z.B. "Half-witted visions of a headless baby born to Glengyle [...] passed in panorama through their mind", S.106), enthält uns aber entscheidende Informationen, die zu einer schnelleren Lösung des Rätsels führen würden, vor. Es handelt sich also um eine multipel-selektiv auktoriale Erzählsituation (multiple selective omniscience).
IV. Abschließende Betrachtung
Erstaunlicherweise ließ sich Todorovs Typologie über detective fiction relativ unkompliziert auf die Father Brown Story anwenden. Todorovs Vorgaben konnten problemlos auf textlicher Basis verwendet werden, sogar als es zu einzelnen Widersprüchen (vgl. Van Dines Kriterienkatalog) innerhalb des Genres kam, funktionierte diese literarische Analysetechnik vorzüglich.
Die Theorie des Strukturalismus ist jedoch nicht frei von Schwächen. So wäre es sicherlich von Vorteil, besonders bei der Betrachtung der Erzählsituation, wenn andere Texte zum Vergleich herangezogen werden könnten. Denn interessanterweise verwendet Chesterton in fast jeder seiner Father Brown Stories eine andere Erzählsituation. Es hätte dann auch auf andere Erzählmuster verwiesen werden können, die der typischen whodunit, wie sie Todorov charakterisiert, ähnlicher gewesen wären.
Es gibt, und das kommt gerade bei Van Dines Regelliste gut zu Geltung, beim Strukturalismus leider die Tendenz, zu viele und zu genaue Muster vorzugeben, die auf ähnliche Texte, nähme man es genau, keine Anwendung mehr finden würden.

The Honour of Israel Gow ist m. E. eine typische whodunit, würde aber nach Van Dines Regeln als solche genaugenommen nicht gelten können.
Um auf die einleitenden Worte Chestertons zurückzukommen: Es sollte anerkannt werden, daß es mit der "strukturalistischen Trompete" durchaus möglich ist, klare Töne zu erzeugen, wenngleich die vorliegenden Noten keinen großen Spielraum zum Improvisieren ermöglichen. Die Folge hiervon ist ein sehr mechanisches Spiel, das zwar gut klingt, dem aber eine gewisse Variationsbreite fehlt.

& Bibliographie:
Primärliteratur:
Chesterton, G.K. Father Brown Stories. Harmondsworth: Penguin Books, 1994.
Sekundärliteratur:
Canovan, Margaret. G.K. Chesterton: Radical Populist. New York, London: Harcourt
Brace Jovanovich, 1977.
Detweiler, Robert. Story, Sign, and Self: Phenomenology and Structuralism as Literary
Critical Methods. Philadelphia, Pennsylvania: Fortress Press, 1978.
Furbank, P.N. "Chesterton the Edwardian." G.K. Chesterton: A Centenary Appraisal.
Ed. John Sullivan. London: Elek Books Limited, 1974. 16-27.
Klarer, Mario. Einführung in die anglistisch- amerikanistische Literaturwissenschaft.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1995.
Knox, Ronald. "Chestertons Father Brown." G.K. Chesterton: A Half Century of Views.
Ed. D.J. Conlon. Oxford, New York: Oxford University Press, 1987.
Redaktion Kindlers Lexikon. "The Father Brown Stories". Kindlers Neues Literatur
Lexikon Band 3. Ed. Walter Jens. München: Kindler, 1996.
Scholes, Robert. Structuralism in Literature: An Introduction. New Haven and London:
Yale University Press, 1974.
Strohmaier, Eckart. "Theorie des Strukturalismus: Zur Kritik der strukturalistischen
Literaturanalyse." Bonner Arbeiten zur deutschen Literatur Band 22. Ed.
Benno von Wiese. Bonn: Bouvier Verlag Herbert Grundmann, 1977.
Todorov, Tzvetan. "The typology of detective fiction." Modern Criticism and Theory: A
Reader. Ed. David Lodge. London, 1988. 158-165.