Die 73jährige Mutter des A litt an einem "ausgeprägtem hirnorganischen
Psychosyndrom im Rahmen einer präsenilen Demenz mit Verdacht auf Alzheimer-Krankheit".
Durch einen vor 3 Jahren erlittenen Herzstillstand mit anschließender
Reanimation war sie irreversibel schwerst zerebral geschädigt. Wegen
der daruaf beruhenden Schluckunfähigkeit wurde sie in einem Pflegeheim
auf Anweisung des Dr. B zunächst über eine Nasensonde, später
über eine Magensonde künstlich ernährt. Sie war nicht mehr
ansprechbar, geh- und stehunfähig und reagierte auf optische, akustische
und Druckreize lediglich mit Gesichtszuckungen oder Knurren.
Da nach etwa 2 ½ jähriger Behandlungszeit keine Besserung
mehr zu erwarten war, schlug Dr, B dem A vor, anstelle der Sondenernährung
nur noch Tee zu verabreichen, wodurch der Tod binnen 2 oder 3 Wochen eintreten
werde. Da seine Mutter A gegenüber einmal am Beginn ihrer Erkrankung
geäußert hatte, sie wolle auf keinen Fall als schwerer Pflegefall
enden, erschien A dieser Vorschlag erwägenswert. Auf entsprechende
Rückfrage versicherte Dr. B dem A dieses Vorgehen sei aus der Sicht
ärztlicher Ethik und auch rechtlich nicht zu beanstanden. Nach 2monatiger
Bedenkzeit erklärte sich A mit dem Vorschlag einverstanden. Dr. B
und A unterschrieben daraufhin folgenden Eintrag in dem im Schwesternzimmer
aufliegenden Verordnungsblatt:
"Im Einvernehmen mit Dr. B möchte ich, daß meine Mutter nur
noch mit Tee ernährt wird, sobald die vorhandene Flaschennahrung zu
Ende ist oder ab 15.3.1993".
Beide gingen davon aus, daß die M innerhalb weniger Wochen wegen
fehlender Nahrungszufuhr sterben würde. Der Pflegedienstleiter P war
mit der Anordnung nicht einverstanden, setzte die außer Kraft und
erstattete gegen Dr. B und A Strafanzeige.
1. Haben sich A und Dr. B strafbar gemacht?
2. Nehmen Sie ausgehend von den Straftheorien zu der Frage Stellung,
welchen Sinn eine Bestrafung von A und Dr. B machen könnte.
Besser, Sie trennen nach Personen,
da § 25 II nicht völlig sicher
|
1. Teil Gutachterliche Lösung
I. Strafbarkeit des A und Dr. B gem. §§
212, 22, 23 I, 13, 25 I Alt. 2, 25 II
A und Dr. B könnten sich eines mittäterschaftlich begangenen
versuchten Totschlags durch Unterlassen in mittelbarer Täterschaft
gem. §§ 212, 22, 23 I, 13, 25 I Alt. 2, 25 II StGB* schuldig
gemacht haben.
A. Vorprüfung
Die Tat ist nicht vollendet worden. M war noch neun Monate nach dem
Vorfall am Leben. Der Versuch ist gem. § 23 I strafbar, da es sich
bei dem Totschlag gem. § 12 I um ein Verbrechen handelt.
B. Tatbestandsmäßigkeit
1. Subjektive Tatbestandsmäßigkeit
a) Tatentschluß
|
Grenzen Sie zunächst zwischen Tun
und Unterlassen ab! |
A und Dr. B müßten sich dazu entschlossen haben, die M zu
töten. A und Dr. B haben gemeinsam den Plan gefaßt, den Eintrag
in das Verordnungsblatt zu machen, um damit die Pfleger zu veranlassen,
der M nur noch Tee zu verabreichen und sie somit sterben zu lassen. Die
ursprüngliche Initierung des Plans durch Dr. B ist auf Grund der 2monatigen
Bedenkzeit des A und der gemeinsamen Unterschriftsleistung unbeachtlich
und ist somit keine Anstiftung.
b) Sterbehilfe
Ein Totschlagsversuch läge dann überhaupt nicht vor, wenn
es sich um einen tatbestandsausschließenden Fall der passiven Sterbehilfe
handelt.
(1) Abgrenzung Aktive/Passive Sterbehilfe
Deshalb ist zunächst zu prüfen, ob ein Fall der passiven Sterbehilfe
vorliegt. Passive Sterbehilfe liegt dann vor, wenn die Sterbehilfe durch
ein Unterlassen geleistet wird.1 Hier soll sie dadurch geleistet
werden, daß A und Dr. B die Pfleger veranlassen, die künstliche
Ernährung einzustellen, indem sie eine entsprechende Eintragung ins
Verordnungsbuch machen. |
Dies ist als erstes zu prüfen.
|
Es ist jedoch strittig, ob dieses Verhalten als Tun oder Unterlassen
zu werten ist.
(a) Naturalistische Meinung
Nach einer Meinung tut der derjenige etwas, der durch aktiven Einsatz
von Energie verändernd in den Lauf der Dinge eingreift bzw. einen
Kausalverlauf in Gang setzt oder in eine bestimmte Richtung lenkt oder
positive Energie in Richtung auf ein Gut einsetzt. Hingegen läßt
derjenige etwas, der den Dingen ihren Lauf läßt und von der
Möglichkeit des verändernden Eingreifens keinen Gebrauch macht
bzw. nicht durch Energieeinsatz auf das Kausalgeschehen einwirkt oder keine
positive Energie gegenüber einem anderweitig in Gang gesetzten Kausalverlauf
aufbringt.2
Für diese naturalistische Sicht spreche es, daß eine Differenzierung
nach sozialem Sinngehalt eines Verhaltens das Ergebnis einer Deliktsprüfung
schon vorwegnehme und somit die rationale Konstruktion durch eine emotionale
Wertung vorbelastet werde.3 Demnach könne man nur nach
dem tatsächlichen Geschehen urteilen. Das Kriterium des Energieaufwandes
- naturwissenschaftlich-physikalisch gesehen - ermöglicht nämlich
die Feststellung, ob jemand durch Ingangsetzen einer Kausalkette ein geschütztes
Rechtsgut begründet oder erhöht hat. Das aber ist das entscheidende
Kriterium für ein Tun, so daß ein Unterlassen nur noch sein
könne, was dieses Kriterium nicht mehr erfülle.4
A und Dr. B wollten durch die Eintragung in das Verordnungsblatt eine
Kausalkette begründen, die zum Tode der M führen sollte. Sie
haben also Energie zur Eintragung aufgebracht und damit eine Kausalkette
gestartet. Demnach war nach dieser Meinung ihr Verhalten ein Tun.
(b) Normativistische Meinung
Nach der Gegenmeinung sei jedoch zu fragen, wo bei normativer Betrachtung
und bei Berücksichtigung des sozialen Handlungssinnes der Schwerpunkt5
des strafrechtlich relevanten Verhaltens liegt.6
Diese Meinung stütze der Umstand, daß es sich bei der Abgrenzung
von Tun und Unterlassen gerade nicht um eine empirische Frage handele,
bei der man etwas erkennen könne, sondern um eine normative Frage,
bei der man entscheiden müsse, ob man das immer nur vorhandene Tun
als strafrechtlich relevant ansehen wolle oder nicht.7 Weiterhin
habe der normative Ansatz den Vorteil, daß sofort offengelegt werde,
daß die Frage nur unter Anwendung von Zurechnungsgrundsätzen,
also rechtlich entschieden werden könne; dem gegenüber sei der
naturalistische Ansatz rechtlich gesehen gewissermaßen blind.8
Ansonsten sei eine Betrachtung ohne Wertung nicht möglich, da sie
sonst generalisierend eine Wertung ohne Rücksicht auf die besonderen
Umstände des Einzelfalles schon vorwegnehme.9
Nach dieser Meinung ist also das Verhalten von A und Dr. B auf den Schwerpunkt
der Vorwerfbarkeit hin zu untersuchen. Weder der Eintrag in das Verordnungsblatt,
noch die Ernährung mit Tee gefährden die M, allein entscheidend
ist, daß die M keine künstliche Ernährung mehr bekommen
soll. Demnach liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit hier auf dem Unterlassen
des Ernährens. |
Versuchen Sie stets den Schwerpunkt auf die Argumentation zu legen
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(c) Abwägung
Da schon die Bestrafbarkeit des Unterlassens, eines tatsächlichen
Nichts, ein rein normativer Akt ist, und bei naturalistischer Ansicht es
dazu käme, daß Zufälligkeiten im äußeren Geschehensablauf
bei der Entscheidung eine Bedeutung erlangten, die in keinem Sinnbezug
zum wirklichen Unrechtsgehalt der Tat stehen,10 ist die normativistische
Ansicht vorzugswürdig. Ansonsten käme es zu dem fragwürdigen
Ergebnis, daß Dr. B sich durch die Existenz der Pfleger, die er anweist,
keine Nahrung zu geben, eines Totschlages an M durch Tun zu verantworten
haben könnte, während es ohne Pfleger (und damit keiner Anweisung)
eine klare Unterlassungstat wäre, die vom Gesetz privilegiert ist.
Dies wäre unbillig, daher ist die naturalistische Meinung abzulehnen.
(d) Ergebnis
Also ist das Verhalten von A und Dr. B hier als Unterlassen zu werten
und damit handelt es sich auch um einen Fall der passiven Sterbehilfe.
(2) Dogmatik
Fraglich ist aber, ob das privilegierende Institut der Sterbehilfe von
der Rechtsordnung anerkannt wird. Allgemein anerkannt ist, daß dem
Recht des Patienten auf Leben (Art. 2 II 1 GG) ein Recht auf seinen natürlichen
Tod und ein menschenwürdiges Sterben entspricht.11 Auch
wird durch einen einvernehmlichen Behandlungsabbruch das Selbstbestimmungsrecht
des Patienten, sein Grundrecht auf Behandlungfreiheit realisiert.12
Also ist die Priveligierung durch die Sterbehilfe anerkannt.
Problematisch ist es aber noch, in welcher Weise die Sterbehilfe privilegiert.
Von einer Seite wird sie als Rechtfertigungsgrund angesehen, dagegen spricht
jedoch ihre Wirkung. Zum einen entfällt in den Situationen der erlaubten
passiven Euthanasie die Behandlungspflicht des Arztes, womit die Garantenstellung
des Arztes entfiele und so nicht mehr die Tatbestandsvoraussetzung eines
unechten Unterlassungsdeliktes vorläge.13 Zum anderen entspricht
die berechtigte Sterbehilfe wegen der Grenzsituation nicht mehr dem Schutzzweck
der Normen §§ 211ff und 223ff.14 Also wirkt die Sterbehilfe
als Tatbestandsausschluß. Dagegen könnte noch die Rechtfertigungssperre
des § 216 stehen. Doch diese Sperre greift hier nicht, da sie nur
gegen das aktive Töten von fremder Hand gerichtet ist und nicht auf
das Verlöschenlassen des Leben nach eigenem Willen.15
(3) Voraussetzungen der erlaubten Sterbehilfe
Fraglich ist es jedoch, unter welchen Umständen die passive Euthanasie
anerkannt ist.
(a) Sterbehilfe im engeren Sinne
Auf jeden Fall gestattet ist die Sterbehilfe bei irreversibel Sterbenden,
also bei denen der nicht mehr abwendbare Tod unmittelbar bevorsteht.16
Der Zustand der M war zwar nach Meinung von Dr. B nicht besserungsfähig,
aber sie lag noch nicht im Sterben, also liegt hier kein Fall der sog.
Sterbehilfe im engeren Sinne vor.
(b) Sterbehilfe im weiteren Sinne
(i) Einverständnis
Sterbehilfe ist weiter erlaubt, wenn der Patient sein selbstverantwortliches
Einverständnis zum Behandlungsabbruch gibt. Dies muß eine wohlüberlegte,
endgültige Entscheidung sein, die der Patient nach Aufklärung
durch den Arzt in ihrer Bedeutung und Tragweite erkennen können muß.17
In der Äußerung der M, sie wolle so nicht enden, könnte
ein solches Einverständnis zu erblicken sein. Jedoch ist diese Äußerung
am Anfang der Krankheit getätigt worden, d.h. bereits vor 2 ½
Jahren und ohne volle Einsicht in die Tragweite der Entscheidung. Demnach
reicht diese Äußerung nicht als Einverständniserklärung. |
An sich sind Fragen der Einwilligung in
der Rechtswidrigkeit zu prüfen |
(ii) Mutmaßliche Einwilligung
Wenn keine Entscheidung des Patienten vorliegt, könnte der Arzt
berechtigt sein, die Behandlung auch einseitig abzubrechen. Dazu ist auf
den mutmaßlichen Willen des Patienten abzustellen, für den frühere
Äußerungen als Indizien dienen können.18 Dabei
ist ausschließlich auf die persönlichen Umstände des Betroffenen
abzustellen.19 Demnach könnte hier eine mutmaßliche
Einwilligung der M vorliegen, für die ihre frühere Äußerung
als Indiz erhalten könnte. Aber an die Mumaßlichkeit sind wegen
des hohen Wertes des Gutes Leben außerordentliche Anforderungen zu
stellen. Eine 2 ½ Jahre alte Äußerung, die in Unkenntnis
der tatsächlichen Situation der Bettlägerigkeit abgegeben wurde,
kann nicht ausreichendes Indiz sein für die Beendigung eines Lebens.
Also liegt auch keine mutmaßliche Einwilligung vor.
(iii) Allgemeine Wertvorstellungen
Sind durch mutmaßliche oder wirkliche Einwilligung keine sicheren
Aufschlüsse gewonnen worden, kann auf Kriterien zurückgegriffen
werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen.20 Dies
muß möglich sein, da es nicht nur um die quantitativ-biologische
Verlängerung des Lebens um seines selbst willen, sondern um die Möglichkeit
wenigstens eines Minimums an personaler Selbstverwirklichung geht.21
Wenn dies nicht mehr möglich ist, aufgrund unwiderruflichen Verlustes
jeglichen Reaktions- und Kommunikationsvermögens, endet die Lebenserhaltungspflicht
des Arztes.22 M scheint zwar nicht mehr zur verständlichen
Kommunikation fähig, reagiert aber doch noch auf Reize mit Knurren.
Also hat sie nicht jegliches Reaktionsvermögen verloren. Auch muß
sie nur künstlich ernährt werden und ist nicht bei allen Lebensfunktionen
auf Apparate angewiesen. Also kann auch eine Abwägung nach allgemeinen
Werten nicht zu ihren Ungunsten ausfallen. Die Voraussetzungen für
eine erlaubte Sterbehilfe liegen hier also nicht vor, also könnte
es sich hier um einen Totschlagsfall handeln.
c) Mittelbare Täterschaft / Anstiftung
A und Dr. B haben selbst keinen Aktionen gegen die M tun oder unterlassen
wollen, sie könnten aber die Tat in mittelbarer Täterschaft haben
begehen wollen. Mittelbarer Täter ist, wer die Tat "durch einen anderen"
begeht, diesen also als Tatmittler oder Werkzeug für sich handeln
läßt. Dabei muß sich das Gesamtgeschehen als das Werk
des Hintermannes darstellen, dieser muß also den Tatmittler in der
Hand haben.23 Durch reine Passivität ist es aber nicht
möglich, ein Geschehen zu steuern, weshalb eine mittelbare Täterschaft
durch Unterlassen nicht anerkannt ist.24 Hier ist das Unterlassen
von A und Dr. B aber nur normativ begründet, so daß sie doch
Vorderleute steuern könnten. A und Dr. B wollten die M dadurch verhungern
lassen, daß sie auf die für die tägliche Ernährung
zuständigen Pfleger25 so einwirkten, daß diese der
M nur noch Tee zukommen lassen sollten.
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Problem wurde erkannt
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Dieses Handlen könnte man hier sowohl als mittelbares täterschaftliches
Handeln werten, als auch als Anstiftung der Pfleger. Mittelbare Täterschaft
wird aber unter anderem immer dann angenommen, wenn die Vorderleute im
Verbotsirrtum (§ 17) handelten.26 Ein Verbotsirrtum liegt
dann vor, wenn der Täter trotz voller Kenntnis des Unrechtssachverhalts
nicht weiß, daß sein Handeln unerlaubt ist.27 In
der Vorstellung von A und Dr. B sollten die Pfleger die Ernährung
durch den Eintrag in das Verordnungsbuch einstellen. Sie sollten diesen
als rechtlich ausreichenden Grund dazu ansehen. Sie hätten sich also
im Verbosirrtum befunden. Wenn der Verbotsirrtum aber vermeidbar (§
17 S. 2) war, wird er von einer verbreiteten Theorie nicht mehr als Auslöser
für eine mittelbare Täterschaft akzeptiert. Vermeidbar ist ein
Verbotsirrtum, wenn dem Täter sein Vorhaben unter Berücksichtigung
seiner Fähigkeiten und Kenntnisse hätte Anlaß geben müssen,
über dessen mögliche Rechtswidrigkeit nachzudenken oder sich
zu erkundigen, und er so das Unrecht eingesehen hätte.28
Die Pfleger hätten sich also nicht ohne weiteres nur auf den Eintrag
verlassen dürfen, besonders wenn es um das Leben eines Menschen geht.
Damit wird es relevant, ob ein vermeidbarer Verbotsirrtum noch eine mittelbare
Täterschaft begründen kann.
(1) Strenge Verantwortungstheorie
Diese Theorie vertritt, daß nach dem Verantwortungsprinzip die
Möglichkeit für mittelbare Täterschaft da endet, wo das
Werkzeug (wenn auch eingeschränkt) selbstverantwortlicher Täter
ist.29 Begründet wird dies damit, daß nur so eine
scharfe Grenzziehung zwischen der Verantwortlichkeit von Vorder- und Hintermann
möglich sei.30 Auch sei gerade die Abgrenzung durch das
normativ zu bestimmende Verantwortungsprinzip geeignet, einer ansonstigen
Einzelfallwertung entgegenzustehen.31 Auch dürfe die Verantwortung
des Vordermannes nicht geschmälert werden, weil er einem Verbotsirrtum
erlag. Er hätte ihn vermeiden können und müssen und müsse
demnach auch die Verantwortung dafür tragen.32 In diesem
Fall bedeutete das, daß die Pfleger bei erfolgreicher Tat verantwortliche
Täter gewesen wären, wodurch A und Dr. B nur noch als Anstifter
zu behandeln wären.
(2) Eingeschränkte Verantwortungstheorie
Die andere Theorie vertritt, daß der Hintermann auch bei einem
vermeidbaren Verbotsirrtum des Vordermannes noch mittelbarer Täter
sein kann.33 Dies wird zum einen damit begründet, daß
die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums noch kein ausreichendes Abgrenzungskriterium
sei, denn auch diesem Täter fehle zur Tatzeit die Unrechtseinsicht.34
Zum anderen hielten auch die Vertreter der strengen Verantwortungstheorie
die ausschließliche Abgrenzung über das Verantwortungsprinzip
nicht durch, auch sie erkennten die Ausnahmen vom Täter hinter dem
Täter und der Organisationsherrschaft an.35 Folgte man
dieser Theorie, bestimmte sich die Täterschaft von Dr. B und A nach
der Herrschaft, die sie über die Pfleger hatten. Da die Pfleger ihnen
untergeben waren und die Autorität des Arztes Dr. B nicht ohne weiteres
anzuzweifeln wagten, wäre ein Fall der mittelbaren Täterschaft
gegeben.
(3) Abwägung
Die den Gerichten überlassene Entscheidung über die Verantwortlichkeit
der Beteiligten ist ärgerlich und unangenehm, aber die alleinige Abstellung
auf das Verantwortungsprinzip bedeutete eine Übernormativierung der
Vermeidbarkeit.36 Das Argument, daß die Situation des
Täters bei der Tat im vermeidbaren Verbotsirrtum nicht anders ist
als die des Täter im unvermeidbaren, überzeugt, demnach ist der
Gerechtigkeit der Vorzug vor der Rechtssicherheit zu geben.
(4) Doppelirrtum
Also können A und Dr. B trotz eines vermeidbaren Verbotsirrtums
ihrer Vorderleute noch mittelbare Täter sein. Problematisch ist es
jedoch, ob sich etwas an dem Ergebnis daran ändert, daß A und
Dr. B sich auch im Verbotsirrtum haben befinden können. Dr. B nahm
an, daß sich der Zustand der M nicht mehr bessern würde, und
ihm damit die passive Euthanasie gestattet sei. B nahm die Aussage des
Arztes Dr. B für wahr und glaubte - in Verbindung mit der Aussage
seiner Mutter M, sie wolle nicht als schwerer Pflegefall enden - ebenfalls,
daß die Sterbehilfe erlaubt sei. Beide befanden sich also im Verbotsirrtum.
Es könnte sein, daß bei einem Doppelirrtum nur noch Teilnahme
der Hintermänner in Betracht kommt.37 Dies wäre insbesondere
damit zu erklären, daß es den Hinterleuten dann an dem nötigen
Wissensvorsprung mangelte, der allein die beherrschende Stellung der Hinterleute
begründete.38 Jedoch kann es für die Abgrenzung von
mittelbarer Täterschaft und Teilnahme darauf nicht ankommen. Entscheidend
ist vielmehr, ob die Hinterleute mit Täterwillen und Tatherrschaft
handelten.39 A und Dr. B wollten, daß die M durch den
Nahrungsentzug stirbt und sie hatten die Pfleger aufgrund ihrer vorgesetzten
Position und der Autorität des Dr. B in der Hand. Also handelten A
und Dr. B als mittelbare Täter. |
Versuchen Sie hier vor allem in Hinsicht
auf A etwas mehr zur Teilnahme abzugrenzen |
d) Mittäterschaft
Da A und Dr. B täterschaftlich gehandelt haben, könnten sie
gemeinsam mittäterschaftlich agiert haben. Mittäterschaft ist
das bewußte und gewollte Zusammenwirken mehrer bei ein und derselben
Tat.40 Die Voraussetzung der Mittäterschaft ist ein gemeinsamer
Tatentschluß, daß jeder Beteiligte als gleichberechtigter Partner
des anderen mit diesem gemeinsam die Tat durchführen will.41
A und Dr. B haben gemeinsam den Entschluß gefaßt, die M sterben
zu lassen, s.o. II A 1. Ein einseitiges Billigen des Vorgehen eines anderen
reichte nicht aus,42 aber A übernimmt die Verantwortung
durch die gemeinsame Unterschriftsleistung voll mit. Demnach handelt es
sich hier um einen mittäterschaftlichen Versuch.
e) Untauglicher Versuch
Der Versuch könnte hier untauglich sein. Ein solcher liegt vor,
wenn die Ausführung des Tatentschlusses entgegen der Vorstellung des
Täters gar nicht zur vollständigen Verwirklichung des Unrechtstatbestandes
führen kann.43 Das Pflegepersonal hat entgegen der Erwartung
von A und Dr. B die Nahrung weiter gegeben und gegen sie Strafanzeige gestellt.
Damit haben sich A und Dr. B eines untauglichen Mittels bedienen wollen.
Die Strafbarkeit des untauglichen Versuches eines unechten Unterlassungsdeliktes
wird von einer Mindermeinung bestritten, ist von der Rechtsprechung44
und dem allergrößten Teil der Literatur45 jedoch
anerkannt und wird mit § 23 III bewiesen. Demnach steht auch die Untauglichkeit
des Versuchs einer Strafbarkeit nicht im Wege.
f) Garantenstellung
Gem. § 13 I müssen sich A und Dr. B als Täter eines unechten
Uuterlassungsdeliktes gegenüber der M in einer Garantenstellung befunden
haben. Die Garantenstellung müßte A und Dr. B weiterhin bekannt
gewesen sein. |
Zitieren Sie § 1618 a/1601 BGB |
Die Garantenpflicht des Sohnes ergibt sich gegenüber der Mutter
ohne weiteres, selbst wenn kein Abhängigkeitsverhältnis besteht.46
Die Garantenstellung des Arztes ergibt sich aus der tatsächlichen
Übernahme von Schutzpflichten für seine Patienten bei Behandlungsbeginn.47
Die Tatsachen waren beiden zumindest laienhaft erkenntlich. Die Garantenstellung
und das Wissen um sie waren also vorhanden.
2. Objektive Tatbestandsmäßigkeit
- Unmittelbares Ansetzen
Gem. § 22 müßten A und Dr. B unmittelbar zu Tat angesetzt
haben. Fraglich ist jedoch, wann das unmittelbare Ansetzen und damit der
Versuch beginnt.
a) Versuchsbeginn beim Unterlassen
Beim Unterlassungsdelikt gibt es auf Grund seiner Natur kein sichtbares
äußeres Ansetzen. Ein Versuch kann nur durch das Verstreichenlassen
einer Erfolgsabwendungsmöglichkeit gegeben sein. Problematisch ist
es jedoch, welche verstrichene Möglichkeit den Versuch beginnen läßt.
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Problem wurde erkannt
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(1) Letztmöglicher Eingriff
Nach einer Theorie beginnt und endet der Versuch einer Unterlassung
in dem Augenblick des letztmöglichen Eingriffs.48 Erst
diese Möglichkeit könne die strafrechtlichen Folgen begründen,
da die Rechtsordnung nur die rechtzeitige Abwendung des Erfolges fordere.49
Außerdem wäre es reines Gesinnungsstrafrecht, die Unterlassungen,
die vor der letzten Eingriffsmöglichkeit liegen, als Versuch zu bestrafen.50
A und Dr. B gingen davon aus, daß die M "innerhalb weniger Wochen"
sterben würde. In ihrer Vorstellung wäre die M also nicht vor
Ablauf von mindestens zwei Wochen nach dem Ende der künstlichen Ernährung
gestorben. Bis dahin hätte man die Ernährung wieder aufnehmen
können. Also ist die letzte Rettungsmöglichkeit noch nicht verstrichen
gewesen zum Zeitpunkt der Anzeige, demnach hätten sich A und Dr. B
noch im Vorbereitungsstadium befunden, das unmittelbare Ansetzen wäre
also noch nicht gegeben gewesen.
(2) Erstmöglicher Eingriff
Eine andere Meinung ist der Ansicht, daß der Versuch dann beginnt,
wenn unverzüglich nach Anfang der Handlungspflicht pflichtwidrig nicht
gehandelt wird.51 Dies wird damit begründet, wenn es zum
Wesen eines Unterlassungsdeliktes gehöre, daß eine rechtlich
erforderte Handlung nicht vorgenommen werde, so liege auch bereits im Unterlassen
der unverzüglichen Gebotserfüllung der Anfang des Versuchs, wenn
dieses Unterlassen von dem Entschluß getragen werde, sich dem Gebot
der Erfolgsabwendung zu versagen.52 A und Dr. B haben die Pflicht,
die M am Leben zu erhalten schon länger. Sie erfüllen diese Pflicht
durch die Bestimmung der Pfleger zur Ernährung der M. In dem Moment
des Eintragen in das Verordnungsbuch wollen sie die automatisierte Pflichterfüllung
durch die Pfleger unterbrechen. Damit verlangt die Ernährungspflicht
ab diesem Zeitpunkt wieder das direkte Eingreifen von A und Dr. B. Die
erstmögliche Eingriffsmöglichkeit beginnt also direkt nach dem
Eintrag. Diese Möglichkeit haben A und Dr. B verstreichen lassen und
wären somit in das Versuchsstadium eingetreten.
(3) Differenzierende Theorie
Eine dritte differenzierende Meinung zielt darauf ab, ob durch weiteres
Unterlassen des Eingriffs eine unmittelbare Gefahr für das geschütze
Objekt entsteht oder vergrößert wird oder der Garant die Möglichkeit
des rettenden Eingreifens aus der Hand gibt und dem Geschehen seinen Lauf
läßt.53 Man müsse deshalb auf die Gefährdung
abzielen, erst in diesem Moment die Garantenpflicht nach ihrem Sinn und
Zweck relevant werde. Erst jetzt werde die Rechtsordnung erschüttert,
eine frühere Bestrafung wäre nur Bestrafung der bösen Gesinnung.54
Außerdem sei auch eine sachliche Differenzierung zwischen positivem
Tun und Unterlassen nicht erforderlich und gerechtfertigt.55
A und Dr. B haben durch den Eintrag in das Verordnungsbuch in ihrer Vorstellung
alle nötigen Bedingungen gesetzt, die auf ein Sterben der M hinauslaufen
sollten. Damit haben sie den Kausalverlauf aus der Hand gegeben. Alles
weitere sollte durch die Pfleger geschehen. Nach dem Tatplan von A und
Dr. B hätte sich auch die Gefahr für die M spätestens ab
dem 15.3.93 erhöht, da ein Nahrungsentzug in dem Zustand der M nicht
vorhersehbare Komplikationen schon vor dem endgültigen Verhungern
zeigen kann. A und Dr. B wollten auch zu diesem Zeitpunkt nicht eingreifen.
Demnach hätten sie die Schwelle zum Versuch durch die Freigabe des
Kausalverlaufs und durch Verstreichenlassen der Eingriffsmöglichkeit
im Moment der Gefahrerhöhung überschritten.
(4) Abwägung
Die Meinung, die auf die letzte Eingriffsmöglichkeit abzielt, ist
abzulehnen, da sie keinen Raum mehr für das Versuchsstadium läßt.56
Außerdem ist die Ungewissheit zu groß, wann denn nun die letzte
Rettungsmöglichkeit gegeben sei.57 Durch die Abstellung
auf die erste Eingriffsmöglichkeit wird die Strafbarkeit jedoch zu
weit ausgedehnt, hier käme man gefährlich nahe an das Gesinnungsstrafrecht.58
Die differenzierende Theorie vereint aber zufriedenstellend die Vorzüge
der anderen Meinungen und schafft zusätzlich die Angleichung an den
Versuchsbeginn beim Begehungsdelikt. Daher ist ihr hier der Vorzug zu geben.
Wie oben [I B 2 a) (3)] schon ausgeführt, haben A und Dr. B also
nach dieser Theorie zur Begehung der Tat unmittelbar angesetzt. Fraglich
jedoch ist, ob sich durch die Tatsache der mittelbaren Täterschaft
im Versuchsbeginn etwas ändert.
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Problem wurde erkannt
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b) Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft
Der Versuch bei der unmittelbaren Täterschaft beginnt jedenfalls
immer dann, wenn der Tatmittler unmittelbar zur Ausführung ansetzt.
Strittig jedoch ist, ob er bereits mit der Einwirkung des mittelbaren Täters
auf den Tatmittler beginnen kann.
(1) Gesamthandlungstheorie
Eine Ansicht lehnt das kategorisch ab, nach ihr beginnt der Versuch
bei mittelbarer Täterschaft immer dann, wenn die Gesamthandlung -
bestehend aus den Handlungen des mittelbaren Täters und des Tatmittlers
- unmittelbar in die Tatbestandsausführungshandlung einmündet.59
Für diese Sicht spreche die normative Verknüpfung von Hintermann
und Tatmittler. Täter kann auch sein, wer den Tatbestand nicht selbst
erfüllt, sondern durch einen anderen erfüllen läßt.
Maßgebender Gesichtspunkt sei also nicht die Einwirkung auf jemand
anderen, sondern die Tatbestandserfüllung durch einen anderen, die
dem mittelbaren Täter zugerechnet werde, weil ihm Tatherrschaft zukomme.60
Auch könne der Versuch des mittelbaren Täters nicht vor dem des
Tatmittlers beginnen, da er durch ihn ausführt, nicht früher
als er.61 Im übrigen erfülle erst das spätere
Verhalten des Tatmittlers das Handlungsunrecht eines Täters, das den
Versuch wesentlich charakterisierte.62 Die Ernährung der
M wurde von den Pflegern nie eingestellt, es kam also nicht zu einem Ansetzen
der designierten Tatmittler. Damit fehlte es auch für die mittelbaren
Täter A und Dr. B am unmittelbaren Ansetzen. Danach hätte sich
die Tat hier noch im straflosen Vorbereitungsstadium befunden.
(2) Einwirkungstheorie
Eine andere Meinung sagt, daß ein Versuch bereits immer dann schon
anzunehmen ist, wenn der mittelbare Täter auf den Tatmittler beginnt
einzuwirken.63 Dafür spreche, daß die tatbestandsmäßige
Handlung des mittelbaren Täters im Ingangsetzen des die Tat ausführenden
Werkzeuges bestehe, was das Einwirken auf ihn sei. Folglich sei auch für
den Versuchsbeginn auf das beginnende Einwirken abzuzielen.64
Mit dem Eintrag in das Verordnungsbuch wollten A und Dr. B die Pfleger
so beeinflussen, daß sie die M verhungern lassen. Der Beginn der
Einwirkung muß daher mit dem Beginn der Eintragung gleichgesetzt
werden. Daher hätten sich A und Dr. B nach dieser Meinung ab dem Eintrag
im Versuch befunden.
(3) Vermittelnde Theorie
Eine vermittelnde Meinung möchte den Versuchsbeginn analog zur
unmittelbaren Täterschaft entscheiden. Danach setze der Täter
zur Tatbestandsverwirklichung in dem Moment an, in dem er mit seiner Einwirkung
auf den Tatmittler das geschützte Rechtsgut unmittelbar gefährdet
oder das Geschehen aus seiner Kontrolle entläßt.65
Als Argumente, warum diese allgemeinen Regeln auch hier Anwendung finden
müssen, wird vorgebracht, daß, solange der mittelbare Täter
seine Einwirkung auf den Tatmittler nicht abgeschlossen habe, es regelmäßig
noch weiterer Teilakte des Hintermannes bedürfe. Da die Tat solange
also noch in der Hand des Hintermannes verbliebe, könne noch kein
Versuch vorliegen.66 Auch hänge der Übergang zum Versuchsstadium
davon ab, daß der Täter seinen Entschluß in dem für
den weiteren Verlauf entscheidenden Moment durchhalte. Dieser sei genau
dann gegeben, wenn das Rechtsgut unmittelbar durch die Einwirkung gefährdet
werde, oder der Täter die Kontrolle aus der Hand gibt. Daher wäre
es sinnsinnwidrig, die Strafbarkeit nach dem Verhalten des Tatmittlers
zu beurteilen.67 Wie oben [I B 2 a) (3)] ausgeführt, haben
A und Dr. B, nachdem sie getan haben, was ihnen als nötig erschien,
auf die Pfleger einzuwirken, das Geschehen aus der Hand gegeben, in dem
Vertrauen darauf, die Pfleger nach ihren Vorstellungen handeln würden.
Danach hätten sie hier die Schwelle zum Versuch überschritten.
Es kann dabei auch nicht darauf ankommen, daß die Gefährdung
nach dem Tatplan erst später (hier wenn die Sondennahrung aufgebraucht
sei oder ab 15.3.) real würde.68 Das "Ansetzen" zur Tötung
liege hier in dem Eintrag in das Verordnungsbuch, denn ab jetzt solle das
Geschehen seinen Lauf nehmen. Daß die konkrete Gefährdung erst
später einsetze, ist für das Gelingen der Tat relevant, aber
nicht für den Versuch. Selbst die durch den großen Zeitraum
immanente Mißlingenschance kann die Abgrenzung zwischen Versuch und
Vorbereitung nicht beeinflussen.69 Also läge nach dieser
Ansicht der Versuch ab dem Aufliegenlassen des unterschriebenen Eintrags
in das Verordnungsbuch im Schwesternzimmer vor.
(4) Abwägung
Gegen die Gesamthandlungstheorie spricht, daß sie den Tatbeiträgen
des eigentlichen Täters zu wenig Platz einräumt, und sich damit
einseitig am Werkzeug festbeißt.70 Gegen die Einwirkungstheorie
spricht, daß sie schon recht nahe an das Gesinnungsstrafrecht kommt,
da sie nur das böse Engagement bestrafen will, wenn der mittelbare
Täter noch beschäftigt ist, auf den Tatmittler einzuwirken, also
sein Werkzeug zu präparieren.71 Deshalb und wegen der bei
der vermittelnden Theorie selbst genannten Argumente ist also der dritten
Meinung zu folgen. Ebenfalls ist es begrüßenswert, daß
auch hier die Regeln für das unmittelbare Ansetzen bei der unmittelbaren
Begehungstat angewendet werden können. So ist es möglich, den
Versuchsbeginn, der hier sowohl von der mittelbaren Täterschaft als
auch vom Unterlassungsdelikt geprägt ist, mit der Anwendung der gleichen
Grundsätze zu lösen.
Der Versuchsbeginn bei der mittelbaren Täterschaft liegt also in
dem abgeschlossen, unterschriebenen und ausgelegten Eintrag in das Verordnungsbuch
durch A und Dr. B [s. o. I B 2 b) (3)]. Das bedeutet auch keine Veränderung
zum Versuchsbeginn beim Unterlassungsdelikt. Damit haben A und Dr. B also
unmittelbar zur Verwirklichung der Tat angesetzt, § 22. Damit ist
der objektive Tatbestand erfüllt. |
s.o.
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C. Rechtswidrigkeit
Als Rechtfertigungsgrund käme eine mutmaßliche Einwilligung
in Betracht. Die nötigen Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt
[s.o. I B 1 b) (3) (b) (ii)].
D. Schuld
A und Dr. B könnten jedoch entschuldigt sein, da sie sich im Verbotsirrtum
gem. § 17 S.1 befanden [s.o. I B 1 c) (4)]. Sie hätten aber dann
nicht schuldlos gehandelt, wenn der Verbotsirrtum vermeidbar gewesen wäre
(§ 17 S. 2). |
Grenzen Sie hier kurz vom Erlaubnisirrtum
ab
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Vermeidbar ist ein Verbotsirrtum, wenn dem Täter sein Vorhaben
unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten und Kenntnisse hätte
Anlaß geben müssen, über dessen mögliche Rechtswidrigkeit
nachzudenken oder sich zu erkundigen, und er auf diesem Weg zur Unrechtseinsicht
gekommen wäre.72 Dr. B hätte als Mediziner zumindest
Zweifel bekommen müssen, ob er den Tod eines Menschen entscheiden
darf. In Zweifelsfällen darf sich ein Rechtsunkundiger nicht ohne
weiteres auf sein eigenes Urteil verlassen, er muß vielmehr die erforderliche
Auskunft einholen.73 Dr. B hat es unterlassen, irgendjemanden
zu konsultieren, schon gar keinen Rechtskundigen. |
Besser Sie teilen hier stärker nach
a) "A"
b) "B"
Fraglich, ob sich A an wirklich rechtskundige person wenden muß |
Er darf als Arzt nicht ohne jegliche Rücksprache zu halten, einfach
entscheiden, einen Menschen sterben zu lassen. Das Rechtsgut Leben so kostbar,
daß es sogar für seinen Eigentümer nicht frei disponibel
ist, da müssen für andere noch strengere Vorschriften gelten.
Also hätte Dr. B seinen Verbotsirrtum hier vermeiden können und
müssen. Der Sohn A hat sich jedoch, da er Zweifel hatte, an Dr. B
gewandt, um von ihm Auskunft zu erhalten. Nur die Auskunft einer verläßlichen
Person kann die Vermeidbarkeit eines Irrtums ausschließen. Verläßlich
ist eine zuständige, sachkundige, unvoreingenommene Person.74
Aus der Sicht des A war der behandelnde Arzt Dr. B eine kompetente Auskunftsperson,
da er annehmen mußte, daß ein Arzt über die Probleme der
Sterbehilfe informiert sei oder es zumindest im akuten Fall täten.
Auch kann man gerade von einem Arzt ein nicht leichtfertiges Umgehen mit
dem Leben seiner Patienten erwarten. A hat sich also um eine klärende
Auskunft bemüht und dazu auch eine objektiv kompetente Person in Anspruch
genommen. Daher war sein Verbotsirrtum unvermeidbar. A ist also gem. §
17 entschuldigt, Dr. B hingegen nicht. Dr. B hat sich also gem. §§
212, 22, 23 I, 13, 25 I Alt. 2, 25 II strafbar gemacht.
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II. Strafbarkeit des Dr. B gem. §§
211, 212, 22, 23 I, 13, 25 I Alt. 2, 25 II
Dr. B könnte sich eines mittäterschaftlich versuchten Mordes
durch Unterlassen in mittelbarer Täterschaft zuungunsten der M strafbar
gemacht haben.
Dazu müßte das Vorhandensein eines Mordmerkmales zu bejahen
sein. In Betracht kämen Grausamkeit oder Heimtücke. Grausam tötet,
wer seinem Opfer in gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen
oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die nach
Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforderliche
Maß hinausgehen.75 Hier fehlt es bei Dr. B schon an der
unbarmherzigen Gesinnung, er dachte, daß er mit dem Verhungernlassen
das Beste für die M täte und hielt es damit gerade für einen
Akt der Barmherzigkeit. Heinmtückisch tötet, wer in feindlicher
Willensrichtung die objektiv gegebene Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers
bewußt zur Tötung ausnutzt.76 An der feindlichen
Willensrichtung fehlt es aber schon, wenn der Täter zum Besten des
Opfers zu handeln glaubt.77 Das war hier aber gerade der Fall
bei Dr. B (s.o.). Also hat Dr. B kein Mordmerkmal verwirklicht und sich
damit auch nicht gem. §§ 211, 212, 22, 23 I, 13, 25 I Alt. 2,
25 II an M strafbar gemacht.
III. Ergebnis
Dr. B hat sich also nur eines mittäterschaftlichen versuchten Totschlags
durch Unterlassen in mittelbarer Täterschaft zu verantworten, den
er in einem vermeidbaren Verbotsirrtum begangen hat. A hingegen ist entschuldigt
und hat sich demnach keines Vergehens strafbar gemacht.
Teil Der Sinn der Bestrafung
I. Vergeltungstheorie
Der Sinn der Strafe nach der Vergeltungstheorie kann nur darin liegen,
eine metaphysische Gerechtigkeit zu verwirklichen, indem dem Täter
ein Übel auferlegt wird, um damit die Schuld, die er auf sich geladen
hat, auszugleichen.78 Nach Hegel79 negiert die Strafe
die Negation des Rechtsbruchs, um somit das Verbrechen aufzuheben, daß
ansonsten gelten würde und so die Wiederherstellung der Gerechtigkeit
und der Rechtsordnung zu erreichen. Nach dieser Theorie muß also
eigentlich jede Straftat auch bestraft werden, allerdings scheint sie in
ihrer Gesamtkonzeption eher für Vorsatztaten zu passen. Hier handelt
Dr. B zwar vorsätzlich, aber nur auf Grund eines vermeidbaren Verbotsirrtums.
Dr. B hat es "nur" versäumt, sich ausreichend zu informieren; dies
läßt eine gefährliche Leichtfertigkeit im Handeln und Denken
des Arztes, der wegen der ihm anvertrauten Leben besonders behutsam agieren
muß, erkennen, aber die aufgeladene Schuld ist trotzdem geringer
als bei einem normalen Totschlagsfall. Eine Bestrafung auf Grund der Vergeltungstheorie
ist also angebracht, da Dr. B durch die Tat Schuld auf sich geladen hat,
die durch eine entsprechende Vergeltungsmaßnahme der Rechtsordnung
ausgeglichen werden muß, aber die Strafe darf nicht zu schwer sein,
sondern muß dem Schuldvorwurf entsprechen. A, der nach der Dogmatik
straffrei ausgeht, muß auch nach der Vergeltungstheorie nicht bestraft
werden, da es ihm gerade am vorwerfbaren Vorsatz fehlte, und somit die
Grundlage der Bestrafung, die Schuld, nicht vorhanden ist.
II. Spezialpräventionstheorie
A. Positive Spezialprävention
Nach der Theorie der Spezialprävention ist der einzige Zweck der
Strafe, den Täter davon abzuhalten, künftig noch einmal straffällig
zu werden.80 Die meistbeachtete Ausprägung dieser Theorie
ist die positive Spezialprävention, deren Aufgabe es ist, positiv
auf den Straffälligen einzuwirken, ihn zu bessern und schließlich
durch Resozialisation wieder in die Gesellschaft einzuführen.81
Diese Theorie paßt am besten auf einen Täter, der seine Tat
verübt hat, weil er ein Ausgestoßener der Gesellschaft ist.
Eine solche Person sieht ihre Chance in einem unsozialen Verhalten wie
Verbrechen, weil dies der schnellere und leichtere Weg zum Erfolg ist.
Eine solche Person ist demnach nicht mehr fähig, den gesellschaftlichen
Konventionen zu gehorchen und stellt sich damit selbst außerhalb
der Gesellschaft. Diesen Mangel will die Resozialisierung beheben, doch
entspricht Dr. B hier nicht dem entwickelten Täterbild. Eventuell
folgte sein Entschluß zu der begangenen Tat sogar aus seiner gesellschaftlichen
Position als Arzt. Dr. B hat sich nicht außerhalb der Gesellschaft
bewegt, und es ist daher sinnlos, in durch eine Strafe wieder zu einem
gesellschaftsfähigen Menschen machen zu wollen. Dr. B's Verhalten
wird zwar nicht von allen Teilen der Gesellschaft abgelehnt, aber die Rechtsordnung
lehnt seine Tat ab, sie spricht ihn schuldig. Dr. B ist zwar nicht selbst
ein entsozialisiertes Wesen, aber sein Verhalten war trotzdem nicht gesellschaftlich
anerkannt. Also ist es durchaus sinnvoll nach der positiven Spezialpräventionstheorie
Dr. B hier zu bestrafen. Er muß erfahren, daß sein Verhalten
falsch oder zumindest nicht anerkannt war und somit seine eigenen Wertvorstellungen
vom menschlichen Leben korrigiert werden müssen. Eine Strafe, die
Dr. B die Diskrepanz zwischen seinen Vorstellungen und den Vorstellungen
der Gesellschaft vor Augen führt, sollte dazu führen, daß
Dr. B sein leichtfertiges Handeln mit dem Leben seiner Patientin überdenkt
und in einer entsprechenden Situation nicht wieder so handelt. Dies ist
deshalb zu erwarten, weil Dr. B nicht persönlich von den Folgen seiner
Entscheidung betroffen ist, es geht um das Leben einer anderen Person,
es "tut Dr. B nicht weh," die Entscheidung für das Leben der Patientin
zu treffen. Er kann dann in einem Fall von Gewissenskonflikt - wenn er
die Aussichtslosigkeit des Lebens eines Patienten oder seine Schmerzen
nicht mehr erträgt - die Entscheidung anderer abwarten, im vorliegenden
Fall hat er ja auch noch zwei Monate warten müssen, bis er die Ernährung
stoppen konnte und in der Zeit konnte er sein Gewissen - wenn es dieses
gewesen sein sollte, das ihn zur Tat trieb - scheinbar auch beruhigen.
Eine Strafe ist also sinnvoll als Anstoß zur Selbsterkennung des
Fehlers und zur Ziehung der richtigen Schlußfolgerungen, die das
Handlen Dr. B wieder in Einklang mit der Gesellschaft brächten. A
hat sich völlig gesellschaftskonform verhalten, verdient also auch
nach dieser Theorie keine Strafe.
B. Negative Spezialprävention
Ein weiteres Ziel der Spezialprävention ist es in negativer Hinsicht,
die Gesellschaft vor dem Straftäter zu sichern.82 Klassischerweise
ist dies der Freiheitsentzug, der die Gesellschaft vor weiteren Straftaten
des Täters schützen soll, aber auch der Tod als finaler Schutz
der Gesellschaft vor dem nicht besserungsfähigen Täter wird davon
getragen. Solch drastische Maßnahmen sind hier sicher nicht nötig.
Außerdem macht die Sicherung nur dann Sinn, wenn der Täter als
unverbesserlich zu sehen ist, was bei Überzeugungstätern der
Fall sein kann. Wie jedoch eben ausgeführt, scheint Dr. B besserungsfähig
zu sein, dann wäre der Strafgrund der Sicherung unzulässig. Wenn
es sich aber erweisen sollte, daß Dr. B aus Überzeugung gehandelt
hat und jeden Patienten, der ihm nicht mehr lebenswert erschiene, lieber
töten wolle, dann ist eine Sicherungsmaßnahme angebracht. Das
Delikt ist aber recht speziell und gewinnt erst durch die besondere Position
des Arztes sein Profil, so daß eine geeignete Sicherungsmaßnahme
schon in dem Entzug der Approbation bestehen könnte, also einer standesrechtlichen
Maßnahme. Da aber eine Unverbesserlichkeit hier nicht anzunehmen
ist, würde eine Bestrafung des Dr. B nach der negativen Spezialprävention
keinen Sinn machen. A hat sich einerseits korrekt verhalten und andererseits
ist durch ihn überhaupt kein Rechtsgut gefährdet, da auf jeden
Fall ein Arzt die Euthanasie anordnen müßte und A's Meinung
insofern für den Arzt unbeachtlich sein muß. Demnach macht auch
eine Bestrafung des A hier keinen Sinn.
III. Generalpräventionstheorie
A. Negative Generalprävention
Nach der Generalpräventionstheorie soll Strafe ihren Sinn und Zweck
in der Beeinflussung der Allgemeinheit haben, die durch Strafandrohung
und Strafvollzug von der Übertretung gesetzlicher Verbote abgehalten
werden soll.83 In ihrer negativen Ausprägung zielt diese
Theorie einzig auf die Abschreckung potentieller anderer Straftäter.
Man will damit auf den Menschen einwirken, bevor er zur Tat schreitet,
bevor er zum Täter wird. Der Befriedigung, die er durch seine Tat
erlangen könnte, soll ein erheblich höherer Preis entgegengestellt
werden, um so die Abwägung für die Rechtstreue ausfallen zu lassen.84
Das bedeutet hier, daß durch die Bestrafung des Dr. B andere Ärzte,
die in ähnliche Situationen kommen könnten, von der Aussicht
auf Strafe, die sich an Dr. B verwirklicht hat, abgeschreckt werden. Hierauf
paßt die klassische psychologische Vorstellung von dem Täter,
der im Widerstreit mit sich selbst um die Ausführung der Tat ringt,
nicht. Aber es erscheint sinnvoll durch die Bestrafung des Dr. B den Stand
der Ärzteschaft für das Problem der Sterbehilfe weiter zu sensibilisieren,
und somit jeden Arzt zu zwingen, noch intensiver über die Folgen seines
Handeln nachzudenken. Ein Arzt handelt nicht um den Erfolg eines Lustgewinnes
in Bezug auf das Leben eines Patienten leichtfertig, sondern aus Unwissenheit
oder Ignoranz. Und in diesen Bereich kann man über eine Bestrafung
eines Mitgliedes des Standes eindringen. Von daher macht eine Bestrafung
des Dr. B zwar Sinn und einen Zweck, aber nur aus diesem Antrieb heraus
zu strafen, wäre trotzdem nicht zu akzeptieren. Eine solche Objektivierung
des Menschen verstöße gegen die Menschenwürde nach Art.
1 Abs. 1 GG.85 Eine Strafe muß sich also auch hier immer
zum Teil aus der Vergeltung ableiten. Eine Strafe für A wäre
hier sinnwidrig, denn gerade durch die Nichtbestrafung wird A zum Exempel
gemacht. Aber er dient dann als Beispiel für eine korrekte, nicht
zu bestrafende Verhaltensweise.
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Es fehlt die sog. Vereinigungslehre |
B. Positive Generalprävention
In positiver Hinsicht bedeutet die Generalprävention eine Stärkung
des Vertrauens der Bevölkerung in die Rechtsordnung.86
Die Strafe soll die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung beweisen,
indem sie sich gegenüber dem Rechtsbrecher durchsetzt und damit die
Voraussetzungen zum Erhalt der Integrität schafft. Diese Ausprägung
der Generalprävention kommt dem metaphysischen Vergeltungs- und Gerechtigkeitsgedanken
am nächsten.87 Gilt es doch hier die Rechtsordnung durch
Strafe zu reetablieren, dort die Gerechtigkeit. Nach diesem eher metaphysischen
Ansatz besteht der Sinn und Zweck der Bestrafung des Dr. B einfach in der
Integritätserklärung der Rechtsordnung, er kann nicht straflos
bleiben, da es sonst die Rechtsordnung versäumt hätte, ihren
Geltungsanspruch gegenüber dem Verbrecher zu verkünden, das hätte
einen Dominoeffekt nach sich, der die Rechtsordnung zum Hohn werden ließe.
Diese Entwicklung ist heutzutage in der Welt zu verzeichnen; das Vertrauen
in den Rechtsstaat wird geringer. Deshalb muß eine angemessene Bestrafung
auch des Dr. B durchgeführt werden, um das Vertrauen der Bevölkerung
wieder zu erlangen um somit die Überlebensfähigkeit jedes ausschließlichen
staatlichen Gewaltanspruches zu bewahren. In diesem speziellen Fall kommt
dazu, daß Dr. B als Arzt einem Berufsstand angehört, der für
die breite Masse der Bevölkerung nicht transparent ist. Zeigt der
Staat hier Eingriffswillen, beweist er, daß auch diese speziellen
Berufsstände überwacht werden, und auch bei Fehlverhalten entsprechend
reagiert wird. Dies erhöht das Vertrauen der Bevölkerung dem
strafenden Staat gegenüber zum einen, zum anderen mindert es auch
die Hemmschwelle gegenüber der Ärzteschaft, wenn Patienten sich
nicht in den Händen ihrer Ärzte ausgeliefert vorkommen müssen,
da sie wissen, daß der Staat auch die Ärzteschaft kontrolliert.
Dies sind positive Nebenaspekte einer Bestrafung des Dr. B, die zwar einen
Zweck nach der positiven Generalpräventionstheorie haben, aber alleine
sicher nicht bedeutend genug für eine Bestrafung sind. |