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Referendare in der Merowingerzeit

 

Literatur:

Bergmann, Werner: Untersuchung zu den Gerichtsurkunden der Merowingerzeit, in: AfD, Band 22, Berlin und Leipzig 1976, S. 1-186

Bresslau, Harry: Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Band 1, 2. Auflage, Leipzig 1912

Classen, Peter: Kaiserreskript und Königsurkunde, Diplomatische Studien zum römisch-germanischen Kontinuitätsprinzip 1. Teil, in: AfD 1, 1955, S. 1-87

Classen, Peter: Kaiserreskript und Königsurkunde, Diplomatische Studien zum römisch-germanischen Kontinuitätsprinzip 2. Teil, in: AfD 2, 1956, S. 1-115

Classen, Peter: Fortleben und Wandel spätrömischen Urkundenwesens im frühen Mittelalter, in: Classen, Peter (Hrsg.): Recht und Schrift im Mittelalter (Vorträge und Forschung Band 23), Sigmaringen 1977, S. 13-54

Ebling, Hans: Prosopographie der Amtsträger des Merowingerreiches von Chlothar II. (613) bis Karl Martell (741) in: Beihefte der Francia, Bd. 2, München1974

Ewig, Eugen: Spätantikes und fränkisches Gallien, Gesammelte Schriften (1952-1973), Bd. 1, München 1976

Ganz, David: Bureaucratic Shorthand and Merovingian Learning, in: Wormald/Bullough/Collins (Hrsg.): Ideal and Reality in Frankish and Anglo-Saxon Society, Oxford 1983

Haberkern, Eugen/ Wallach, Joseph: Hilfswörterbuch für Historiker, 2 Bände, 7. Aufl., Tübingen 1987

Heidrich, Ingrid: Titulatur und Urkunden der arnulfingischen Hausmeier, in: AfD 11/12, 1965/66, S. 71-279

Kirn, Paul: Zum Problem der Kontinuität zwischen Altertum und Mittelalter, in: AUD, Band 10, Berlin und Leipzig 1928, S. 128-144

Sickel, Theodor von: Acta regum et imperatorum Karolinorum, Digesta et enarrata, 1. Teil, Wien 1867

Scheibelreiter, Georg: Der Bischof in der merowingischen Zeit, Veröffentlichungen des Institutes für Österreichische Geschichtsforschung, Band 23, Wien/Köln/Graz 1983

Waitz, Georg: Deutsche Verfassungsgeschichte, Band 2, 3. Auflage, Berlin 1882

 

1. Einleitung

Die Franken übernahmen durch die Landnahme im nördlichen Gallien nicht nur römischen Boden, sondern auch römische Gebräuche und Institutionen. Dies ist natürlich kein rein fränkisches Phänomen, auch die Langobarden, Wandalen und Ostgoten bedienten sich der bereits vorhandenen Möglichkeiten, die ihnen die römische Kultur bot.

In diesem Zusammenhang übernahmen sie auch das Amt des Referendars. Dieser war Mitglied der Kanzlei der merowingischen Könige, doch schon zu römischen Zeiten Vorsteher der Kanzlei. Die Beleuchtung dieser Thematik ist eine Möglichkeit zur Klärung der Kontinuitätsproblematik des Übergangs vom römischen Reich hin zum Fränkischen Reich. Gleichzeitig bietet sich die Möglichkeit, den Verfall bzw. den Erhalt der römischen Gebräuche und die Änderungen, die sich beim Wechsel der Königsherrschaft von den Merowingern zu den Karolingern ergaben, näher in Augenschein zu nehmen.

Die Quellenlage ist recht gut, es sind relativ viele Quellen überliefert, in denen Referendare erwähnt werden oder die die Referendare selbst unterfertigt haben, so daß wir ihre Tätigkeit und ihren Stand nachvollziehen können.

Die Sekundärliteratur ist dagegen spärlicher, Hauptaugenmerk liegt auf der Arbeit von Harry Breslau, auf den sich viele weitere Autoren stützen. Eine weitere Arbeit der Grundlagenforschung ist die von Peter Classen. Eine Monographie über das (zugegeben sehr spezielle) Thema Refendare ist noch nicht erschienen, so daß ich mich auf vor allem auf Arbeiten über merowingische Kanzleien, das Kirchenwesen des Merowingerreiches und allgemeine Verfassungsgeschichte stützen muß.

Durch diese Situation ist es wenig verwunderlich, daß es kaum Meinungsstreitigkeiten gibt, wie dies bei anderen Feldern der Geschichte vorkommt. Ausnahme ist die Bedeutung der Referendare beim Königsgericht, worauf ich speziell eingehen werde.

In meiner Arbeit werde ich zuvorderst die Herkunft des Amtes "referendarius" beleuchten, danach die Übernahme durch die Franken, die Bedeutung des Amtes und das Ende der Referendare. Dadurch kann die Kontinuität der Referendare und ihre Bedeutung besser nachvollzogen werden.

 

 

2. Referendare in der römischen Zeit

Angehörige der Kanzlei, aber nicht eigentliche Kanzleibeamte waren die tribuni et notarii. Diese rekrutierten sich aus zum Hofdienst abkommandierten Gardeoffizieren.

Ihre Aufgabe bestand in erster Linie daraus, Schriftführer im Konsistorium zu sein, sie überbrachten aber auch kaiserliche Befehle.

Aus ihren Reihen entstammten die Referendarii, die um die Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert an die Stelle der Magistri scriniorum traten, den Vorstehern einer Kanzlei. Im Gegensatz zu jenen hatten die Refendarii allerdings auch persönlichen Vortrag beim Herrscher. Leider sind (im Gegensatz zu anderen Ämtern in den römischen Kanzleien) keine Personen bekannt, die dieses Amt innehatten.

Die Kanzleibeamten der Römer waren Laien. Dies ist nicht verwunderlich, war die Ausbildung doch sehr viel besser als die der Franken. Bemerkenswert jedoch ist, daß auch die Referendare der Franken nicht-klerikal waren. Zu verdanken dürfte das den weiterhin bestehenden Rhetorenschulen in Gallien sein, so daß auch weiterhin weltlich geschulte Beamte für dieses hohe Amt zur Verfügung standen.

3. Beginn der Kanzlei bei den Franken

Da die germanischen Stämme keine Bildung nach römischen Vorbild besaßen, wurde gerade in der Anfangszeit der Stammesreiche auf dem Boden des Römischen Imperiums auf den gallo-römischen Senatorenadel zurückgegriffen. Dieser nahm eine führende Stellung an den Königshöfen ein. Dabei ist zu beachten, daß Referendare hohe Beamte der römischen Zentralgewalt waren. Präfekte oder Provinzstatthalter hatten keine Beamte in diesem Rang, sondern nur der Kaiser in Konstantinopel und die Könige in Ravenna. An den fränkischen Königshöfen wurde also weniger eine provinzialrömische Einrichtung übernommen, wie es vielleicht durch die Eroberungen in Nord-Gallien zu erwarten gewesen wäre, sondern es wurde ein kaiserliches Amt nachgeahmt. Dies ist um so erstaunlicher, als daß andere kaiserliche Prärogative beachtet wurden. So wurde das Vorrecht des Kaisers auf die Purpurtinte, die Kaiserkursive, die Urkundennamen rescriptum, adnotatio und das Wort sancimus respektiert. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, daß das unmittelbare Vorbild die Kanzleien der Statthalter waren.

Aus Quellen über das Frankenreich ist die Existenz eines römischen Referendars in fränkischen Diensten überliefert, sein Name lautet Parthenius. Er wurde in Ravenna als Neffe des Bischofs Ennodius von Pavia geboren und erhielt eine Ausbildung in Rom. Später stand er in Diensten des Königs Theuderich I. und wurde nach seinem Tode von Franken erschlagen, die ihn für die Einführung von Steuern verantwortlich machten.

Folgern läßt sich aus der Textstelle zudem, daß die "fränkischen Gesetze, die Satzungsrecht im Stil römischer Konstitutionen geben...ohne Zweifel von römisch gebildeten Juristen ausgearbeitet" wurden und für Franken auch Neuerungen mit sich brachten, die sie ablehnten.

Doch schon bald trugen die Referendare germanische Namen. Ihre Ausbildung dürften sie, die durchweg Laien waren, in den weltlichen Rhetorenschulen erhalten haben. Diese Schulen hielten sich von der Römerzeit bis in die ersten Jahrhunderte des Mittelalters hinein. Gerade durch diese "römische" Schulung aber wurden die Referendare zu Trägern der Kontinuität der Urkundenformen vom römischen Reich in das fränkische hinein. Die "Subkriptionen der merowingischen Referendare (stand) in der Tradition der Unterschrift kaiserlicher Beamter." Dem römischen Vorbilde gemäß unterzeichneten sie die Diplome mit ihrem Namen und "recognovi" oder einem ähnlichen Vermerk. Dies bedeutet jedoch auch einen Rückschritt, denn das "recognovi" war ein Hinweis auf den ausgeführten Vergleich der Urkunde mit ihrem Eintrag ins Register, vielleicht auch mit dem Konzept. Die merowingische Kanzlei hatte aber keine Konzepte, vor allem aber keine Register ausgeführt. So bleibt eine Kontinuität in der Form der Urkunde bestehen, aber in der Technik des Kanzleibetriebes ist ein Rückschritt zu verzeichnen.

Ein Beispiel für die nach römischem Vorbild ausgebildeten Beamten ist ein Referendar des Königs Sigibert III., Bonitus. Er erhielt eine Ausbildung in Grammatik und im Codex Theodosianus. Am Hofe des Königs wurde er "Oberschenk (princeps pincernarum), dann Referendar und später Statthalter (palricius) der Provence". Ein weiteres Beispiel ist Desiderius, von dem in den Quellen berichtet wird, daß er römisches Recht studierte.

Es gab mehrere Referendare zu gleichen Zeit, dies läßt sich durch einige Urkunden belegen. Die Königin hatte zudem einen eigenen Referendar. Es ist nicht klar, ob diese Referendare einem Oberbeamten unterstanden. Es gab keinen "magister officiorum" wie unter den Kaisern, keinen "quaestor" wie bei den Ostgoten. Wohl gibt es eine Urkunde, die einen Großreferendar nennt, diese stammt allerdings aus karolingischer Zeit und ist somit kein Beweis, daß es auch schon unter den Merowinger-Königen ein solches Amt gab. Man darf allerdings vermuten, daß es nur einen Bewahrer des königlichen Siegels gab (mehr dazu s.u.), der als "Kanzleichef" fungiert haben dürfte.

Im Range standen die Referendare unter den höheren Provinzialbeamten (patricius, dux, comes). Dem Seneschall und dem Kämmerer waren sie im Rang übergeordnet, mit den domestici waren sie gleichgestellt, wobei einige Referendare zugleich domestici waren. Als Beispiele seien Charigisilus, Domesticus unter Chlothar I. und Vulfolaceus (Vulfolaicus) unter Childebert III. genannt.

Unter den Referendaren standen ohne Zweifel noch weitere Beamte, cancellarii regales genannt, die aber auch als Schreiber, Notare und Kanzler erwähnt sind. Eine Schwierigkeit besteht darin, daß die Namen der Schreiber, die nicht identisch mit den Referendaren waren, nicht überliefert wurden.

Im Alter sind viele Referendare dann dem geistlichen Stand beigetreten und wurden z.T. mit Bistümern für ihre Dienste belohnt. Dies ist vielfach nachzuweisen: unter Chlothar I. wurde der Referendar Baudinus 546 Bischof von Tours, Desideratus Bischof von Bourges. Unter Sigibert I. wurde Theutarius Presbyter, unter Chilperich I. der Referendar Marcus Mönch. Flavius, Referendar unter Guntram, wurde 580 Bischof von Châlon-sur-Saône, Licerius 586 Bischof von Arles. Charimeres, Referendar unter Childebert II., erhielt das Bistum Verdun. Unter Dagobert I. wurde Chrodobertus wahrscheinlich Bischof von Tours oder Paris, Dado unter dem Namen Audoinus im Jahre 641 Bischof von Rouen. Der bereits oben genannte Bonitus bekam das Bischofsamt von Clermont-Ferrand. Der Referendar Anseberethus des Königs Chlothar III. wurde 677/9 Abt von Saint-Wandrille und 684 Bischof von Rouen. Der hohe Bildungsstand der Referendare trug sicherlich dazu bei, ihnen diese hohen geistlichen Posten zu übergeben. Durch ihre literarischen und juristischen Kenntnisse waren sie zweifellos die geeigneten Kandidaten, um ein Bistum zu leiten. Zudem war es ein geschickter Schachzug des Königs, solchen Männern ein wichtiges Amt zu verleihen, die sich bereits in einer hohen Vertrauensposition bei Hofe bewährt hatten.

4. Aufgaben der Referendare

Da schon erwähnt wurde, was die Referendare nicht gemacht haben, folgt nun eine Beschreibung ihrer Aufgabenbereiche. Dazu gehörte, die Urkunden dem König zur Ausfertigung vorzulegen, selbst zu unterschreiben und zu besiegeln. "Sie unterzeichneten die Urkunden aber nicht nur in der Funktion des Kanzleibeamten, der damit die ordnungsgemäße Ausfertigung der Urkunde garantiert, sondern auch in der Funktion des Leiters der Verwaltung, der von dem Rechtsinhalt Kenntnis nimmt und sie mit dem königlichen Siegel versieht." Dafür erhielt ein Referendar den Siegelring des Königs, den er zu bewahren hatte. Gerade dies wird sehr häufig betont, so daß die Verleihung des Ringes fast schon gleich der Verleihung des Amtes ist. Dementsprechend hoch dürfte die Stellung eines solchen "Großsiegelbewahrers" am königlichen Hofe gewesen sein. In welcher Weise die Referendare an der Ausfertigung der Urkunden teil hatten, welchen Einfluß der Einzelne durch das Rekognostizieren der Urkunde auf den Inhalt hatte, ist nicht bekannt. Das Urkundenmaterial ist für eine solche Bewertung zu knapp.

In den Quellen wird erwähnt, daß die Ausfertigung und Kontrolle der Steuerlisten ebenfalls zu ihren Aufgaben gehörte, womit sie Leiter der mehr oder weniger organisierten merowingischen Verwaltung wären. Nicht ganz klar jedoch ist, ob dies nicht ein besonderer Auftrag war, wird doch in anderen Quellen der Maiordomus und der Pfalzgraf damit betraut.

Im Kriege waren sie ebenfalls tätig. Dem Referendar Chadoindus wurde von König Dagobert anläßlich eines Baskenfeldzuges der Befehl über ein Heer von zehn Herzögen gegeben. Jedoch mag auch dies eine Ausnahme sein, denn in den Quellen wird betont, daß Chadoindus bereits unter König Theuderich II. seine militärischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt hatte.

Ein weiteres Aufgabengebiet der Referendare war das der Beisitzer bei Königsgerichten. Auffällig ist dabei, daß die Placita allein vom Referendar unterfertigt wurde, die sonst eigenhändige Unterfertigung des Königs entfällt. Man könnte daraus schließen, daß Referendare so viel Macht besaßen, daß sie einige Urkunden allein, ohne den König hinzuzuziehen, ausfertigen konnten. Diesem Problem widme ich im folgenden ein eigenes Kapitel.

5. Die Placita der Königsgerichte

Bei den Placita handelt es sich um Königsurkunden, in denen zum einen der ordnungsgemäße Verlauf des Prozesses, zum anderen das von den Beisitzern gefällte Urteil bezeugt wird. Merkwürdig bei diesen Placita ist die Tatsache, daß sie nur vom Referendar unterschrieben wurden, nicht aber auch vom König, wie es bei den übrigen merowingischen Urkundenarten der Fall ist. In letztgenannter Alternative wurde regelmäßig vom Referendar mit seinem Namen und dem Zusatz "optulit" und vom König selbst mit seinem Namen und "rex subscripsi" unterzeichnet.

Trotzdem hatte die Placita die gleiche rechtliche Sicherung wie eine ausdrücklich vom König und Referendar unterzeichnete. Dabei scheint erst die Unterschrift des Königs das entscheidende Kriterium für die Rechtskraft und den Beweiswert einer Urkunde gewesen zu sein.

In den Placita unterschrieb der Referendar stets allein, wobei ein "recognovit" anstatt eines "optulit" erscheint. Warum sollte jedoch dieser Zusatz die Machtbefugnis eines Referendars dermaßen erhöhen, daß er sogar für den Rechtsinhalt der Urkunde bürgt und nicht nur über deren ordnungsmäßige Ausfertigung? Eine Erklärung könnte sein, daß das "recognovit" an die Beglaubigungsvermerke aus den gesta municipalia erinnert. Im Allegationsverfahren bescheinigt die Behörde durch das "recognovit" die Übereinstimmung der Abschrift mit der Vorlage, gibt aber keine Gewähr für den rechtlichen Inhalt. Dies aber läßt sich mit dem Referendar vergleichen, der zur Ausfertigung eines Placitum eine schriftliche Vorlage erhalten hat. Er läßt nun die Urkunde schreiben und beglaubigt mit seiner Unterschrift die Übereinstimmung zwischen den Angaben, die ihm gegeben wurden, und der Urkunde.

In einem Bericht Gregor von Tours wird berichtet, daß der Referendar bei einem Prozeß durch die Prüfung der Unterschrift eine angebliches Königspräzept als falsch erkennt und damit den Prozeß entscheidet. Damit aber ist keineswegs gesagt, daß er den Rechtsinhalt der Urkunde verwirft, denn er untersucht ja nur die ordnungsgemäße Ausfertigung.

Desweiteren ist anzunehmen, daß sich die merowingische Art der Doppel-Unterschrift (einmal vom Referendar, einmal vom König) erübrigen würde, wenn das Beispiel der Placita zeigen würde, daß dies nicht notwenig ist. Dies ist aber nicht der Fall, wie die regelmäßige Unterzeichnung der Diplome ganz eindeutig beweist.

Das Verfahren der Ausstellung eines Placitums ist bekannt. "Der Pfalzgraf oder ein von ihm beauftragter Schreiber hält während des Prozesses die für die Verhandlung und für das Urteil wichtigsten Fakten als Grundlage für sein Testimonium schriftlich fest, so z.B. Namen der Beisitzer, Namen der prozeßführenden Parteien, Prozeßgegenstand, Beweisverfahren und Urteil. Anhand dieser Aufzeichnungen leistet er vor dem König sein Testimonium, das die Rechtsgrundlage zum königlichen Gebot darstellt. (...) Der Pfalzgraf teilt der Kanzlei mit, in welcher Weise über den Prozeßgegenstand verhandelt und wie entschieden worden ist. In welcher Form diese Mitteilung an die Kanzlei gegeben worden ist, ließ sich nicht endgültig entscheiden, doch spricht vieles dafür, daß der Pfalzgraf seine während des Prozesses gemachten Aufzeichnungen...als eine Art "Aktennotiz" an die Kanzlei git und diese "Aktennotiz" dann die inhaltliche Grundlage des auszustellenden Placitums bildet." Damit übernimmt der Pfalzgraf durch sein Testimonium die Gewähr für den Rechtsinhalt. Die Unterschrift des Königs ist also nicht notwendig, weil nicht er, sondern ein anderer den Rechtsinhalt gewährt. Dies wiederum bedeutet, daß der Referendar wiederum nur die ordnungsgemäße Ausstellung der Urkunde bezeugt, aber nicht selbst für den rechtsrelevanten Inhalt bürgt.

6. Das Ende der Referendare

So wie das Ansehen der Merowinger und ihre Macht immer mehr schwand, so muß auch das Ansehen ihrer Beamten geschwunden sein. Seit der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts geben zuweilen die Hausmeier den Beurkundungsbefehl, im 8. Jahrhundert urkunden diese mit der gleichen Macht wie die Merowinger, die zu dieser Zeit nur noch Schattenkönige sind, in deren Namen die Hausmeier regieren. Es läßt sich an den tironischen Noten zeigen, daß die Hausmeier seit Ebroin in die Beurkundungen eingriffen. Ungefähr seit 695 wird dies zur Regel, ausgehend von Pippin d. M und seinem Beauftragten Nordebert. Das Ansehen der Referendare war zu dieser Zeit schon gesunken.

"All of this coincides with more or less significant changes of diplomatic practice: the appearance from 697 of the signatory formula "X ad vicem Y", suggesting an erosion of the referendary´s position; the disappearance of the distinction between "scripsi" and "recognovi" after 716; the end of references to a royal assembly in the documents; the use by the mayor of the formula "per annolo", which corresponds to the earlier "ordinante"; and the portentous fact that the last Merovingian royal charters only confirm privileges whilst those of the Arnulfings make new grants." Einzig der bereits oben genannte Vulfolaicus stammte unter den Referendaren Childeberts III. noch aus dem Hofstaat eines vorhergehenden Königs. Er wird in den Beisitzerlisten nicht mehr eigens als referendarius aufgeführt, er gehört dort zu den domestici.

Karl Martell verzichtete darauf, einen neuen Schattenkönig einzusetzen und führte die Regierung allein weiter. Somit trat seine Kanzlei an die Stelle der königlichen, was dazu führte, daß die Kanzlei der Hausmeier einige Formen der königlichen Kanzlei aneignete. So erscheint eine Unterfertigungsformel, in der die Urkunde rekognosziert wurde. Der Beamte mit Namen Chrodegang, der dies vollzogen hat, wird in einer Quelle als Referendar des Hausmeiers bezeichnet.

Unter Karls Söhnen Pippin und Karlmann wurde noch einmal ein Schattenkönig eingesetzt und eine königliche Kanzlei eingerichtet, aber die der Hausmeier blieb bestehen. In letzterer zeigen sich verschiedene Formen der Unterfertigung, doch können wir davon ausgehen, daß es durch die Weiterführung des alten Brauches mehrere Referendare gegeben hat, von denen mindestens einer als Laie bekannt ist. Gerade dieser verbleibt in der Kanzlei, als Pippin sich zum König machte, ansonsten treten neue Namen auf. Diese Männer arbeiten nebeneinander wie Referendare der Merovinger und bedienen sich der gleichen Formeln.

Seit dem Thronwechsel von 751 hatte die Kanzlei einen anderen Stellenwert eingenommen. Die merowingischen Könige konnten durchweg Lesen und Schreiben und waren der lateinischen Sprache mächtig. Sie unterzeichneten ihre Urkunden selbst.

Die Karolinger hatten diese Bildung nicht oder nur teilweise. Sie konnten deshalb nicht beurteilen, ob die Urkunden auch wirklich den Text enthielten, den der König wollte, sie mußten sich also viel mehr auf ihr Kanzleipersonal verlassen. Deshalb wurde die Kanzlei neu geordnet, es gab einen Beamten, den man an die Spitze stellte. Einen bestimmten Titel können wir für diese Zeit nicht feststellen. Der Titel Referendar ist völlig verschwunden, so daß man wahrscheinlich die Titel benutze, die schon im restlichen Frankenreich für amtliche Urkundenschreiber benutzt wurden, vor allem "notarius" und "cancellarius", ohne dabei eine Wertung in der Wichtigkeit vorzunehmen.

Noch ein weiteres änderte sich: das in der Merowingerzeit merklich verwilderte Latein besserte sich wieder. Dies liegt jedoch wohl weniger an dem Reformwillen Pippins, sondern an der veränderten Auswahl des Kanzleipersonals. Die Karolinger nahmen überwiegend deutsche Austrasier, mit denen sie die hohen Ämter bei Hofe besetzten. Dies stand im Gegensatz zu den Merowingern, die sich überwiegend mit Romanen oder romanisierten Germanen umgeben hatten. Dies wiederum führte zu zwei Dingen: die Germanen, die keine romanische Sprache als Muttersprache hatten, benutzen ein "reineres" Latein, weil sie es nicht mit der romanischen Umgangssprache vermischten.

Zum anderen aber drängte eine andere Gruppe von Beamten in die Kanzlei, Geistliche nämlich. Nur sehr wenige der aus den deutschen Gebieten stammenden Laien dürften eine Ausbildung besessen haben, die für die Arbeit in einer königlichen Kanzlei benötigt wurde. Auf gallischem Gebiet waren die Rhetorenschulen inzwischen nicht mehr existent, auf germanischem Gebiet hat es solche Schulen nicht gegeben. So war man gezwungen, Geistliche zu wählen, wie es in den Grafengerichten schon längere Zeit der Fall war. Für die weitere Entwicklung in Europa ist diese Veränderung von höchster Wichtigkeit. Der Einfluß, der durch die Kirche im mittelalterlichen Staat ausgeübt wurde, ist u.a. dadurch zu erklären, daß eine der wenigen, wenn nicht sogar DIE permanente Zentralstelle des Staates ausschließlich von Geistlichen besetzt war!

7. Das Amt des Referendars am Beispiel des Bonitus

Bonitus entstammte einem alten romanischen Senatorengeschlecht der Auvergne. Sein Vater war Theodat, seine Mutter Syagria, wohl eine Verwandte des Syagrius, der als "römisches Erbe" einen Teil Galliens beherrschte. Sein Bruder war Avitus, vom dem Bonitus später das Bischofsamt von Clermont übernahm. Beide erhielten eine Ausbildung in Grammatik und im Codex Theodosianus.

Nach dem Tode seines Vaters ging Bonitus an den Hof König Sigiberts III., wo er als "princeps pincernarum" (Oberschenk) diente. Durch seine Ausbildung u.a. in römischem Recht ist zu erklären, daß er wenig später schon Referendar wurde.

Unter Theuderich III. wurde er Präfekt von Marseille bzw Patricius der Provence. Dieses Amt hatte er wahrscheinlich bis 690 inne, als er Nachfolger seines Bruders als Bischof von Clermont wurde.

Daß er dieses hohen Amtes würdig war, zeigte sein Lebenswandel. Er war sehr milde, er fastete oft und hatte lange Nachtwachen. Obwohl seine Erziehung und seine Ämter am Hofe weltlich waren, so war sein Leben doch das eines Heiligen.

8. Zusammenfassung

Die Referendare waren ein Bindeglied zwischen dem Altertum und dem Mittelalter, dem spätrömischen Erbe und der Ausbildung der germanischen Staaten des Mittelalters. Ausgehend von ihrer römischen Ausbildung brachten sie römisches Recht und römische Formen mit in die germanische Kanzlei, wo sie Jahrhunderte lang konserviert wurden, selbst als die Referendare als Amt schon längst erloschen waren.

Ihr Ende kam erst, als die Karolinger den Königsthron bestiegen und der gallo-römische Senatorenadel bzw. seine Erbe ausgeschaltet wurden. Dies aber machte den Weg frei für eine andere Macht, die Kirche nämlich. Die Macht und der gewaltige Einfluß der Kirche auf die Entscheidungen von mittelalterlichen Königen sind nicht nur auf die Macht des Papstes zurückzuführen, sondern auch auf die Geistlichen, die in der "Schaltzentrale der Macht", der Kanzlei, saßen.

Wie schon gezeigt, können die Aufgabengebiete der Referendare und ihren Einfluß bei Hofe nur mittels einzelner Beispiele verdeutlicht werden, zu gering ist das Quellenmaterial im Gegensatz z.B. zum Amt des Hausmeier. Durch das Auffinden weiterer Quellen wäre es vielleicht möglich, präziser zu arbeiten, doch bis dahin bleibt vieles Spekulation.

Dann wäre es möglich, aus dem Quellenmaterial bzw. der bereits vorhandenen Sekundärliteratur eine Monographie über diese Thema anzufertigen, eine Aufgabe für spätere Forschergenerationen.