|
Rezension - Herodots Welt
Herodots Welt
|
Reinhold Bichler
Akademie Verlag
Berlin 2000
|
ISBN: 3-05-003429-7
Buch bei Amazon bestellen »
|
"Es geht um das wechselhafte Schicksal der festen Stätten, die sich die Menschheit gegründet hat und um die Unbeständigkeit menschlichen Glücks." So charakterisiert Reinhold Bichler auf der letzten Seite seines Buches die selbst gestellte Aufgabe Herodots, die bekannte Welt zu beschreiben. Die bekannte Welt, das ist die Welt zwischen den wilden Randvölkern der Skythen im Norden und der Aithiopen im Süden, die zivilisierte Welt der Perser, Lyder, Thraker und Griechen und deren Kämpfe.
So, wie der Urtext des Herodot, so ist auch Bichlers Text reich und mit geradezu enzyklopädischer Fülle ausgestattet, manchmal etwas zu eng an der Vorlage, aber das ist Geschmacksache. Wichtig ist, daß mit dem Werk Bichlers, etwas anderes erschienen ist als "noch ein Buch über Herodot". Es ist eine spannende Darstellung der historischen Narration eines der bedeutendsten Chronisten der Antike, die sowohl grundsätzliche moralische, als auch politische Ansichten des Verfassers, also Herodots, zu würdigen weiß, als auch das wohl eigentliche Anliegen Herodots zu erklären vermag, nämlich die Frage nach dem Ursprung des Konflikts zwischen den Griechen und Persern im 5. Jahrhundert vor Christus - als "der Meder kam" und in den zwei Schlachten von Marathon und Salamis von den Hellenen besiegt wurde.
Aus der Sicht Herodots verfolgen wir die Rekonstruktion einer Welt, die weder Weltkarten noch den Kompaß kannte und somit auf andere Instrumente angewiesen war, die Welt darzustellen: hauptsächlich mündliche Zeugnisse von Gewährsmännern, alte Sagen und auch, warum nicht, die eigene Phantasie, oder zumindest Kombinationsgabe. Befremdliche Sitten fremder Völker, Kannibalismus, Vielweiberei oder -männerei werden uns vorgestellt, bizarre Opferkulte und Grausamkeiten der Tyrannen, immer auch mit dem Hintergedanken, die heimischen Sitten des Athen des 5. Jahrhunderts zu kritisieren. Menschliche Hybris aber auch klimatische Bedingungen formen die Grundlage für die Verschiedenheit der Kulturen, sowie das Geschick der einzelnen Staaten. Man vermißt bei den überaus reich wiedergegebenen Bildern und Details jedoch eines: Es bleibt über weite Strecken unklar, wie weit die aktuelle Forschung mit den Hintergründen der behandelten Kulturen mit Herodot übereinstimmt. So viel man über Herodots Bild erfährt, so wenig ist über unseren heutigen Erkenntnisstand zu erfahren. Was wissen wir, gemessen an Herodot, heute über Skythen, Lyder und Makedonen? Diese Ausklammerung, die ja bereits der Titel (Herodots Welt) des Buches nahelegt, spürt man bei der wirklich spannenden Lektüre dennoch schmerzlich, denn erst durch den direkten Vergleich wäre es möglich, die enormen Leistungen der alten Griechen in Sachen Völkerkunde, Geschichtsschreibung und Geographie voll zu würdigen. Doch die Behebung dieses "Mangels" hätte den konzisen Rahmen des Buches gesprengt. Darin bestand nicht die Aufgabe. Bleibt zu hoffen, daß wir den Folgeband erwarten dürfen, in dem Herodots Welt im Licht der aktuellen Forschung präsentiert wird.
Rezensentin: Julia Vlassova
|
|
|
|